Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 163/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


I 163/03

Urteil vom 10. September 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Hadorn

Bundesamt für Sozialversicherung, Effingerstrasse 20, 3003 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

P.________, 1957, Deutschland, Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher
Herbert Schober, Ulrichstrasse 14, 8032 Zürich,

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 10. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 30. Januar 2001 gewährte die IV-Stelle für Versicherte im
Ausland dem 1957 geborenen P.________ berufliche Massnahmen im Ausland
(Ausbildung zum Industrieinformatiker in Y.________, Deutschland) bis zu
demjenigen Umfang, in welchem sie in der Schweiz für eine Ausbildung zum
technischen Kaufmann zu erbringen gewesen wären.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde hiess die Eidgenössische Rekurskommission der
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland
wohnenden Personen mit Entscheid vom 10. Januar 2003 gut und stellte fest,
dass P.________ Anspruch auf die volle Kostenübernahme für die Umschulung zum
staatlich anerkannten Industrieinformatiker in Y.________ habe.

C.
Das Bundesamt für Sozialversicherung führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit
dem Antrag, der Entscheid der Rekurskommission sei aufzuheben.

P. ________ lässt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen,
während die IV-Stelle deren Gutheissung begehrt.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Rekurskommission hat die gesetzlichen Bestimmungen zum Begriff der
Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), zum Anspruch auf berufliche
Eingliederungsmassnahmen (Art. 8, Art. 15 ff. IVG; Art. 5 ff. IVV),
namentlich Umschulung (Art. 17 Abs. 1 IVG), und zur Durchführung von
Eingliederungsmassnahmen im Ausland (Art. 9 Abs. 1 IVG; Art. 23bis Abs. 1 und
2 IVV [recte: Abs. 1 und 3 in der seit 1. Januar 2001 gel-tenden Fassung]),
die zwischenstaatliche Regelung (Art. 3 und 4 i.V. mit Art. 2 Ziff. 2 lit. b
des Abkommens zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der
Bundesrepublik Deutschland über Soziale Sicherheit vom 25. Februar 1964)
sowie die Rechtsprechung (AHI 2002 S. 105 ff.) zutreffend dargelegt. Ferner
ist richtig, dass vorliegend weder das APF (Abkommen vom 21. Juni 1999
zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten über Freizügigkeit) noch das ATSG
(Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts vom 6.
Oktober 2000) anwendbar sind. Darauf wird verwiesen.

2.
Streitig und zu prüfen ist einzig, ob die Invalidenversicherung die Kos-ten
der Ausbildung zum Industrieinformatiker im Ausland voll (Art. 23bis Abs. 1
IVV) oder nur in dem am 30. Januar 2001 verfügten Umfang (Abs. 3 der selben
Vorschrift) übernehmen muss.

2.1 Die Vorinstanz erwog, dass der Versicherte gemäss seinen Neigungen und
Fähigkeiten kein Organisator sei und in einer Kaderfunk-tion überfordert
wäre. Daher sei die vom BSV vorgeschlagene Ausbildung zum technischen
Kaufmann ungeeignet. Hingegen entspreche die Tätigkeit des
Industrieinformatikers den verbliebenen Kapazitäten des Beschwerdegegners.
Auch der Durchführungsort sei eine gute Lösung, benötige der Versicherte doch
ein Coaching, ohne welches die Umschulung scheitern würde, und ein solches
werde in Y.________ angeboten. In der Schweiz könne diese Ausbildung nicht
oder nur berufsbegleitend absolviert werden.

2.2 Demgegenüber macht das BSV geltend, es treffe zwar zu, dass eine
Berufsausbildung mit der Bezeichnung "Industrieinformatiker" in der Schweiz
nicht angeboten werde. Dies sei indessen nicht massgebend, könne der
Versicherte doch mit einer Ausbildung zum technischen Kaufmann hierzulande
angemessen eingegliedert werden. Wohl fielen bei diesem Beruf gewisse
Führungsaufgaben an, beispielsweise die Ausbildung von Lehrlingen. Es gehe
aber nicht an, den Beruf des technischen Kaufmanns deswegen als Beruf mit
Kaderfunktion zu bezeichnen. Für eine Ausbildung in einem betreuten Rahmen
fehle mangels psychischer Störungen mit Krankheitswert ein Anlass. Zudem
be-stehe nicht Anspruch auf die bestmögliche, sondern lediglich auf die im
Einzelfall notwendigen, aber auch genügenden Massnahmen.

2.3 Gemäss einem Telefonat des Sachbearbeiters der IV-Stelle mit der
städtischen Berufsberatung A.________ vom 14. Juni 1999 wäre der deutsche
Industrieinformatiker in der Schweiz am ehesten einer Aus-bildung im
"TS-Bereich" vergleichbar; einige Schulen böten eine vollzeitliche Ausbildung
an, die meisten jedoch nur eine berufsbegleitende. Angesichts des Alters des
Beschwerdegegners sei eine halbjährige schulische Vorbereitung sicher zu
empfehlen. Auch der Leiter der Technikabteilung des ZbW B.________
befürwortete im Telefonat vom 17. Juni 1999 eine solche Vorbereitung, da die
Ausbildung hohe Ansprüche stelle. In einem weitern Telefonat gab der
ehemalige Arbeitgeber des Beschwerdegegners an, es sei sinnvoll, dass dieser
eine spezifische Ausbildung im Informatikbereich mache. Er könne sich
vorstellen, den Versicherten danach im Servicebereich anzustellen, in welchem
vermehrt Kenntnisse im Softwarebereich nötig seien. Für eine
Verkaufstätigkeit müsste der Beschwerdeführer eine Ausbildung absolvieren. Er
sei indessen "wohl mehr der technische Typ". Dies gab auch der Versicherte am
29. Juni 1999 zu Protokoll: er sehe sich nicht im Verkauf, habe er doch kurze
Zeit selbstständig als Franchisenehmer gearbeitet, sei dabei aber "auf die
Nase gefallen". Am 18. Juni 1999 führte Herr L.________ von der Schule
X.________ gegenüber dem Sachbearbeiter der IV-Stelle aus, seine Institution
biete Ausbildungen in Richtung allgemeine Elektronik und Maschinenbau an; im
engeren Sinne habe diese Ausbildung nichts mit Informatik zu tun; sie dauere
berufsbegleitend drei Jahre.

2.4 Laut Auskunft des Berufsförderungswerks (BFW) vom 4. Juni 1999 sei ein
stationärer Reha-Vorbereitungslehrgang vom 5. Juli bis 3. November 1999
vorgesehen. Daran schliesse sich die Ausbildung zum staatlich anerkannten
Industrieinformatiker an, welche vom 4. November 1999 bis 31. Oktober 2001
dauere. Der Berufsberater der IV-Stelle schrieb in seinem Verlaufsprotokoll,
dass er die Ausbildung des Beschwerdegegners zum Industrieinformatiker auf
Grund von dessen beruflichen Vorkenntnissen und Fähigkeiten voll unterstütze.
Ein auf die spezifische Situation des Versicherten zugeschnittener
Ausbildungsgang (schrittweiser, an Umschuler angepasster Stoffaufbau,
Verknüpfung von Theorie und Praxis) existiere in der Schweiz nicht. Die
vergleichbare Ausbildung zum "Techniker TS Informationstechnik" sei nur
berufsbegleitend möglich. Einen guten Praktikumsplatz für einen 42-jährigen
Grenzgänger zu finden, sei praktisch aussichtslos.

2.5 Laut dem Bericht von K.________, Diplom-Psychologe des Arbeitsamtes
R.________vom 30. November 1999 sei aus psychologischer Sicht eine
Berufsvorbereitung und die Umschulung selbst im BFW sinnvoll und indiziert.
Altersbedingt liege der schulische Lernprozess schon etliche Jahre zurück.
Durch die besonderen und begleitenden Hilfen eines BFW werde das Hineinfinden
in den Lernprozess erleichtert, die Aneignung optimaler Lern- und
Arbeitstechniken gewährleistet und der Umschulungserfolg sichergestellt. Das
hatte der Psychologe bereits im Bericht vom 3. Februar 1999 gesagt.

2.6 Gemäss der Beschreibung der Fachvereinigung für Berufsberatung Schweiz
(FAB) verfügen technische Kaufleute mit Berufsprüfung unter anderem über
technische sowie kaufmännisch- betriebswirtschaftliche Kenntnisse und
Fähigkeiten. Sie nehmen in den Firmen untere bis mittlere Kaderpositionen
ein, können aber auch als qualifizierte Sachbearbeiter/innen in den
Funktionsbereichen Beschaffung, Produktion und Absatz tätig sein oder bei der
Planung, Organisation, Realisation und Kontrolle eingesetzt werden. Sie
beherrschen die verschiedenen Verhandlungs- und Kommunikationstechniken, die
sie bei Verkaufs- und Einkaufsgesprächen oder beim Personal anwenden. Zu den
Berufsanforderungen gehören unter anderem Organisationstalent,
Führungsfähigkeiten, Kommunikationsfähigkeiten und Verhandlungstalent.
Technische Kaufleute arbeiten als Führungskraft im unteren bis mittleren
Kaderbereich, können aber auch als Generalisten oder Projektleiter in den
Bereichen des Verkaufs, der Werbung, Logistik, Produktion oder im
Personalwesen tätig sein.

2.7 Nach dem Gesagten steht fest, dass der Ausbildungsgang zum
Industrieinformatiker in der Schweiz nicht angeboten wird. Entgegen dem BSV
bildet der Beruf des technischen Kaufmanns keine geeignete Alternative. Aus
der entsprechenden Berufsbeschreibung ergibt sich deutlich, dass es sich sehr
wohl um eine Kaderfunktion handelt (vgl. auch Urteil N. vom 1. Februar 2000,
I 618/99, Erw. 3b). Zur entsprechenden Ausbildung gehören mehrere
Schwerpunktbereiche (Kommunikation, Verkaufstechniken, Werbung,
Personalwesen), welche dem Beschwerdegegner nach übereinstimmenden Aussagen
des letzten Arbeitgebers und des Berufsberaters der IV-Stelle nicht liegen.
Die Stärken des Versicherten liegen in der eigentlichen Informatik, nicht in
Kommunikation und Verkauf. Der Berufsberater gibt denn auch an, am ehesten
käme in der Schweiz eine Ausbildung im TS-Bereich in Frage. Hier ergibt sich
jedoch das Problem, dass eine solche in der Schweiz fast nur berufsbegleitend
möglich ist. Sodann weisen mehrere Fachleute darauf hin, dass der
Beschwerdegegner angesichts seines Alters nicht ohne zusätzliche Betreuung
eine Umschulung machen kann; dies selbst dann, wenn keine schwerwiegenden
psychischen Probleme vorhanden wären. Insgesamt kommt den Aussagen des
IV-Berufsberaters und des Diplom-Psychologen als Fachpersonen auf ihren
jeweiligen Gebieten mehr Gewicht zu als der Argumentation des BSV. Daher
stellt die Ausbildung in Y.________ keine Optimalvariante dar, welche von der
IV nicht zu übernehmen wäre, sondern eine geeignete und notwendige
Ausbildung, die auch wirtschaftlich angemessene Perspektiven eröffnet. Die
Voraussetzungen des Art. 23bis Abs. 1 IVV sind vorliegend erfüllt.

3.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Das unterliegende BSV hat dem
Beschwerdegegner eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Das BSV hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1'000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskom-mission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen, der IV-Stelle für Versicherte
im Ausland und der IV-Stelle des Kantons Zürich und der schweizerischen
Ausgleichskasse zugestellt.

Luzern, 10. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: