Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 126/2003
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I 126/03

Urteil vom 23. September 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Lanz

M.________, Beschwerdeführer,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Sozialversicherungsrechtliche Abteilung,
Bern

(Entscheid vom 24. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1947 geborene M.________, gelernter Schriftsetzer, bezog gestützt auf
eine Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 27. November 1996 ab 1.
Oktober 1994 eine ganze Invalidenrente, welche mit Revisionsverfügungen der
mittlerweile zuständigen IV-Stelle Bern vom 24. August 1999 und 3. Februar
2000 bestätigt wurde.

Im Mai 2002 meldete der Versicherte der Verwaltung die per 1. Mai 2002
erfolgte Aufnahme einer Anstellung zu 80% bei der Firma N.________. In dem
daraufhin eingeleiteten Rentenrevisionsverfahren erkannte die IV-Stelle, dass
M.________ bereits vorher - seit 17. Juli 2000 - einer teilzeitlichen
Erwerbstätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber nachgegangen war, welche er
der Verwaltung nicht angezeigt hatte. In dem weiter eingeholten medizinischen
Verlaufsbericht vom 4. Juli 2002 bescheinigte die Klinik S.________ dem
Versicherten eine gesundheitliche Verbesserung und aktuell resp. ab 1. Mai
2002 eine Arbeitsfähigkeit von 80%.

Am 20. August 2002 verfügte die IV-Stelle mit der Begründung, M.________
erziele seit Mai 2002 ein rentenausschliessendes Einkommen, die
revisionsweise Aufhebung der Invalidenrente auf das Ende des der Zustellung
dieses Verwaltungsaktes folgenden Monats, mithin per Ende September 2002. Mit
einer weiteren Verfügung vom 21. August 2002 setzte die Verwaltung den
Leistungsanspruch rückwirkend ab 1. November 2000 auf eine halbe Rente herab,
da der Versicherte seit Juli 2000 ein rentenbeeinflussendes Einkommen erzielt
habe, welches er im Rahmen der Meldepflicht hätte anzeigen müssen.

Am 4. September 2002 ergingen zwei Verfügungen: Mit der ersten setzte die
IV-Stelle die halbe Rente für die Zeit von November 2000 bis September 2002
betraglich fest und verrechnete hievon zugleich Fr. 18'264.- mit in der Zeit
von November 2000 bis August 2002 zu Unrecht bezogenen Rentenleistungen
(Differenz zwischen der ausgerichteten ganzen und der revisionsweise
verfügten halben Invalidenrente). Mit der zweiten Verfügung vom 4. September
2002 wurde von M.________ die Rückerstattung der restlichen im besagten
Zeitraum zuviel ausbezahlten Renten von Fr. 17'432.- verlangt.

B.
Die von M.________ erhobene Beschwerde mit dem sinngemässen Antrag, es sei
von der rückwirkenden Herabsetzung des Rentenanspruchs und der Verrechnung
resp. der Rückforderung bezogener Leistungen abzusehen, wies das
Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Entscheid vom 24. Januar 2003 ab.

C.
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und erneuert sinngemäss sein
vorinstanzliches Rechtsbegehren.

Die IV-Stelle Bern beantragt die Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde,
ohne sich weiter zur Sache zu äussern. Das Bundesamt für Sozialversicherung
hat sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die am 20. August 2002 mit Wirkung per Ende September 2002 verfügte Aufhebung
jeglichen Rentenanspruchs ist nicht angefochten und gibt zu keinen
Bemerkungen Anlass.

Streitig und zu prüfen ist, ob die Verwaltung zu Recht die seit Oktober 1994
bezogene ganze Rente revisionsweise rückwirkend ab 1. November 2000 auf eine
halbe herabgesetzt und vom Versicherten - teils mit Verrechnung, teils als
Rückforderung - die Rückerstattung des demzufolge im Zeitraum bis Ende August
2002 zu Unrecht bezogenen Differenzbetrages zur ganzen Rente verlangt hat.
Dies wird vom kantonalen Gericht bejaht, vom Beschwerdeführer hingegen
verneint.

2.
Wie im angefochtenen Entscheid zutreffend erwähnt wird, ist das am 1. Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des Erlasses der
streitigen Verfügung (hier: 21. August und 4. September 2002) eingetretene
Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).
Richtig wiedergegeben hat das kantonale Gericht auch die Bestimmungen über
die Invaliditätsbemessung bei erwerbstätigen Versicherten nach der
allgemeinen Methode des Einkommensvergleichs (Art. 28 Abs. 2 IVG) und die
rückwirkende revisionsweise Herabsetzung einer Invalidenrente mit
Rückforderung von Leistungen bei Vorliegen einer für deren unrichtige
Ausrichtung kausalen Verletzung der Meldepflicht durch den Versicherten (Art.
41 IVG; Art. 77 und Art. 88bis Abs. 2 lit. b IVV; Art. 49 IVG in Verbindung
mit Art. 47 Abs. 1 AHVG) sowie die dazu ergangene Rechtsprechung. Darauf wird
verwiesen.

3.
Es steht fest, dass der Beschwerdeführer vom 17. Juli 2000 bis 31. Mai 2002
in einem Teilpensum als technischer Leiter Atelier bei der Firma X.________
in B.________ gearbeitet hat. Gemäss Bescheinigung des Arbeitgebers vom 2.
Juli 2002 bezog er in den rund 5 1/2 Anstellungsmonaten des Jahres 2000
insgesamt Fr. 13'477.- Lohn, was auf zwölf Monate hochgerechnet Fr. 29'404.-
entspricht. Im Jahr 2001 betrug der Verdienst Fr. 31'699.-. Dieses
tatsächlich realisierte Einkommen haben Verwaltung und Vorinstanz
zulässigerweise dem vom Versicherten trotz gesundheitlicher Beeinträchtigung
zumutbarerweise noch erzielbaren Einkommen (Invalideneinkommen) gleichgesetzt
(BGE 126 V 76 Erw. 3b/aa mit Hinweisen). Der Vergleich mit dem -
unbestrittenen - Lohn von Fr. 78'000.-, den der Beschwerdeführer im Jahr 2001
ohne invalidisierende Gesundheitsschädigung im erlernten Beruf eines Druckers
mutmasslich erzielt hätte (Valideneinkommen), ergibt einen Invaliditätsgrad
über den eine halbe Rente begründenden 50 % und unter den für eine ganze
Rente erforderliche 66 2/3 % (Art. 28 Abs. 1 IVG).

Bei dieser Ausgangslage sind die Voraussetzungen für die revisionsweise
Herabsetzung der bisherigen ganzen auf eine halbe Invalidenrente erfüllt.
Denn nach der Rechtsprechung zu Art. 41 IVG ist die Invalidenrente nicht nur
bei einer wesentlichen Veränderung des Gesundheitszustandes, sondern auch
dann revidierbar, wenn sich die erwerblichen Auswirkungen des an sich gleich
gebliebenen Gesundheitszustandes erheblich verändert haben (BGE 113 V 275
Erw. 1a mit Hinweisen; siehe auch BGE 112 V 372 Erw. 2b und 390 Erw. 1b), was
hier zutrifft. Ob der Umstand, dass der Beschwerdeführer wieder zur Erzielung
eines Erwerbseinkommens in der Lage war, auch medizinische Gründe im Sinne
einer gesundheitlichen Verbesserung hatte, kann daher offen bleiben.

An diesem Ergebnis vermögen sämtliche, im Wesentlichen gegen die Festsetzung
des Invalideneinkommens gerichteten Einwände nichts zu ändern. Das gilt auch
für das Vorbringen, der Versicherte habe sich damals bei der IV-Stelle
erkundigt, welches Erwerbseinkommen er erzielen dürfe, um dennoch den
Rentenanspruch zu wahren. Zwar kann eine (falsche) behördliche Auskunft nach
dem Grundsatz von Treu und Glauben unter Umständen ein an sich nicht
bestehendes Anrecht auf eine Leistung begründen (vgl. BGE 127 V 258 Erw. 4b
mit Hinweisen; zu Art. 4 Abs. 1 aBV ergangene, weiterhin geltende
Rechtsprechung: BGE 121 V 66 Erw. 2a mit Hinweisen). Daraus liesse sich aber
selbst dann nichts zu Gunsten des Beschwerdeführers ableiten, wenn er bei
einer anderslautenden Information durch die Verwaltung die Arbeitsstelle in
B.________ nicht oder nur in einem weiter eingeschränkten Ausmass angenommen
hätte. Denn mit diesem Verhalten hätte er, da ihm diese Arbeit offenkundig
gesundheitlich zumutbar war, gegen die ihm obliegende
Schadenminderungspflicht (BGE 123 V 233 Erw. 3c, 117 V 278 Erw. 2b, 400, je
mit Hinweisen) verstossen, was keinen Vertrauensschutz rechtfertigt.

4.
Zu prüfen bleibt, ob die IV-Stelle die Herabsetzung der Rente rückwirkend per
1. November 2000 verfügen und die Rückerstattung der Differenz zwischen der
ausgerichteten ganzen und der halben Rente verlangen durfte.

Der Beschwerdeführer hat der Verwaltung die im Juli 2000 erfolgte Aufnahme
der teilzeitlichen Erwerbstätigkeit nicht angezeigt und damit die
Meldepflicht (Art. 77 IVV) verletzt. Diese Unterlassung war unzweifelhaft
kausal dafür, dass die IV-Stelle die Leistung nicht bereits damals
revisionsweise herabsetzte, sondern weiterhin, zu Unrecht, eine ganze Rente
ausrichtete. Damit sind die Voraussetzungen für die rückwirkende Revision der
Rente und die Rückforderung des zu viel ausbezahlten Rentenbetrages erfüllt
(Erw. 2 hievor).

Der Rückforderungsbetrag ist masslich nicht bestritten. Der Beschwerdeführer
beruft sich vielmehr vergeblich darauf, im guten Glauben gehandelt zu haben.
Die revisionsweise rückwirkende Herabsetzung oder Aufhebung einer Rente und
die Rückforderung der zu Unrecht ausbezahlten Leistungen durch die Verwaltung
setzt indessen kein absichtliches Handeln resp. eine Bösgläubigkeit bei der
Meldepflichtverletzung voraus. Der gute Glaube des Rentenbezügers  ist aber
eine der Bedingungen für den hier nicht zu beurteilenden Erlass der
Rückforderung (Art. 49 IVG in Verbindung mit Art. 47 Abs. 1 Satz 2 AHVG). Auf
die Möglichkeit, nach der Zustellung des heutigen Urteils des Eidgenössischen
Versicherungsgerichts ein Erlassgesuch bei der dafür zuständigen Stelle
einzureichen, hat die Verwaltung den Beschwerdeführer in der
Rückerstattungs-Verfügung vom 4. September 2002 hingewiesen. Gegenstand der
Prüfung der grossen Härte, als der zweiten, kumulativ zu erfüllenden
Bedingung für den Erlass, werden auch die in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde geltend gemachten finanziellen Engpässe bilden.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 23. September 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: