Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 123/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


I 123/03

Urteil vom 23. Oktober 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

Y.________, 1962, Beschwerdeführer, vertreten durch Advokat Philippe Zogg,
Henric Petri-Strasse 19, 4051 Basel,

gegen

IV-Stelle Basel-Stadt, Lange Gasse 7, 4052 Basel, Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 11. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
Der 1962 geborene, zuletzt vom 23. März bis zum 15. Mai 1998 als
Bauhandlanger bei der Firma Q.________ AG beschäftigte Y.________ meldete
sich am 28. Dezember 1998 mit Hinweis auf verschiedene gesundheitliche
Beschwerden bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. In der Folge
holte die IV-Stelle Basel-Stadt Berichte des Hausarztes Dr. med. S.________,
Innere Medizin FMH, vom 8. Februar 1999 sowie des Spitals X.________, Bereich
Innere Medizin, vom 2. März 2000 ein. Zusätzlich ordnete sie eine
polydisziplinäre Abklärung durch das Zentrum für Medizinische Begutachtung
(ZMB) an, welches seine Expertise, der neurologische,
internistisch-rheumatologische sowie psychiatrische Untersuchungen zugrunde
lagen, am 22. März 2001 erstattete. Nach Durchführung des
Vorbescheidverfahrens und Einholung von Stellungnahmen des Dr. med.
E.________, Psychiatrische Poliklinik des Spitals X.________, vom 28. Juni
und 31. Juli 2001 sowie eines ergänzenden Berichtes des ZMB vom 29. November
2001 sprach die IV-Stelle dem Versicherten gestützt auf einen
Invaliditätsgrad von 61 % mit Wirkung ab 1. Mai 1999 eine halbe
Invalidenrente zu (Verfügung vom 31. Januar 2002).

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde mit dem Antrag auf Zusprechung einer ganzen
Invalidenrente wies das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt mit Entscheid
vom vom 11. Dezember 2002 ab.

C.
Y.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und sein
vorinstanzliches Rechtsbegehren erneuern; eventualiter sei die Angelegenheit
zur Anordnung eines psychiatrischen Obergutachtens  an das kantonale Gericht
zurückzuweisen. Ferner ersucht er um unentgeltliche Verbeiständung.
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine
Vernehmlassung.

D.
Mit Eingabe vom 25. Februar 2003 reicht Y.________ einen weiteren Bericht des
Dr. med. E.________, Psychiatrie und Psychotherapie FMH, vom 17. Februar 2003
nach.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über den Begriff
der Invalidität (Art. 4 Abs. 1 IVG), die Voraussetzungen und den Umfang des
Rentenanspruches (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG), die Ermittlung des
Invaliditätsgrades bei erwerbstätigen Versicherten nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG; BGE 104 V 136 Erw. 2a und b;
vgl. auch BGE 128 V 30 Erw. 1), die Aufgabe des Arztes oder der Ärztin im
Rahmen der Invaliditätsbemessung (BGE 122 V 159 Erw. 1b mit Hinweisen; vgl.
auch BGE 125 V 261 Erw. 4) sowie die Beweiswürdigung und den Beweiswert
medizinischer Berichte und Gutachten (BGE 122 V 160 Erw. 1c; vgl. auch BGE
125 V 352 Erw. 3a) zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Zu ergänzen
ist, dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im
vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt der
streitigen Verfügung (hier: 31. Januar 2002) eingetretene Rechts- und
Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht berücksichtigt
werden (BGE 127 V 467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Streitig ist vorab, inwieweit beim Beschwerdeführer gesundheitsbedingt eine
verminderte Arbeitsfähigkeit besteht. Einigkeit herrscht unter den
Verfahrensbeteiligten in diesem Zusammenhang gestützt auf die medizinischen
Akten darüber, dass der Versicherte auf Grund seiner somatischen Beschwerden
keine Schwerarbeit mehr verrichten kann und auch im Rahmen von leichteren
Tätigkeiten zu 30 % eingeschränkt ist. Zu prüfen ist im Folgenden jedoch, ob
und bejahendenfalls in welchem Ausmass der Beschwerdeführer in psychischer
Hinsicht in seiner Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt ist.

3.
3.1 Im Gutachten des ZMB vom 22. März 2001, ergänzt durch einen Bericht vom
29. November 2001, auf welches Vorinstanz und Verwaltung zur Hauptsache
abgestellt haben, wird aus psychiatrischer Sicht eine depressive
Fehlentwicklung mit mangelhafter psychischer Anpassung an eine körperliche
Behinderung im Jugendalter bei narzisstischer Persönlichkeit diagnostiziert,
die jedoch nur eine 20%ige Reduktion der Arbeitsfähigkeit zeitige. Zusammen
mit der aus den somatischen Abklärungen resultierenden 30%igen
Leistungseinbusse ergebe sich daher eine Arbeitsunfähigkeit von insgesamt 50
%. Dem Versicherten sei demnach ein entsprechendes Halbtagespensum für
leichte körperliche Tätikgeiten, welche in wechselnden Positionen und ohne
repetitives Heben über 10 kg durchgeführt würden, zumutbar.

3.2 Die Feststellungen im ZMB-Gutachten beruhen auf eingehenden
polydisziplinären Abklärungen und sind in Kenntnis der wesentlichen
medizinischen Vorakten sowie unter Berücksichtigung der geklagten Beschwerden
getroffen worden. Die von den Experten gezogenen Schlussfolgerungen zum
Gesundheitszustand und zur Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers werden
eingehend und, insbesondere auch hinsichtlich der fachübergreifenden
Zusammenhänge, nachvollziehbar begründet. Das kantonale Gericht und die
IV-Stelle haben daher zu Recht die rechtsprechungsgemäss für beweiskräftige
medizinische Entscheidungsgrundlagen erforderlichen Kriterien als erfüllt
betrachtet (vgl. BGE 125 V 352 Erw. 3a mit Hinweis), den Beweiswert des
ZMB-Gutachtens für die sich stellende Frage der Restarbeitsfähigkeit bejaht
und auf weitere medizinische Abklärungen verzichtet.

3.3 An dieser Beurteilung vermögen die Vorbringen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde nichts zu ändern. Im Wesentlichen wird
eingewendet, dass die Arbeitsfähigkeit des Beschwerdeführers auf Grund seines
psychischen Leidens auch für körperlich leichte Tätigkeiten zu 85%
beeinträchtigt sei. Diese in mehreren Arztberichten festgestellte
Einschränkung des erwerblichen Leistungsvermögens sei vom ZMB
fälschlicherweise verneint worden.

3.3.1 Der Hausarzt des Versicherten Dr. med. S.________ bescheinigte dem
Versicherten gestützt auf die Diagnose eines chronischen
Cervicobrachialsyndromes mit Diskushernie und einer Volkmannkontraktur am 8.
Februar 1999 eine 100%ige Arbeitsunfähigkeit. Aus der Erfahrungstatsache,
dass Hausärzte auf Grund ihrer auftragsrechtlichen Vertrauensstellung indes
eher geneigt sind, zu Gunsten ihrer Patienten auszusagen (BGE 125 V 353 Erw.
3b/cc mit Hinweisen), erhellt die in beweisrechtlicher Hinsicht höhere
Aussagekraft des ZMB-Gutachtens vom 22. März 2001, zumal die hausärztliche
Diagnose sowie Arbeitsfähigkeitsbeurteilung zeitlich drei Jahre vor dem für
die Beurteilung der tatsächlichen Verhältnisse massgebenden Zeitpunkt des
Verfügungserlasses (31. Januar 2002; BGE 121 V 366 Erw. 1b mit Hinweisen)
liegt, womit es den Angaben bereits an der geforderten Aktualität mangelt.

3.3.2 Dem Bericht des Spitals X.________, Bereich Innere Medizin, vom 2. März
2000 ist alsdann zu entnehmen, dass dem Beschwerdeführer zufolge einer
mittelschweren Depression, welche durch ein psychosomatisches Untergutachten
evaluiert worden war, eine darzumalige Arbeitsunfähigkeit von mindestens 75 %
bescheinigt wurde. Dieser Einschätzung des noch verbliebenen
Leistungsvermögens kann angesichts der Tatsache, dass es sich letztlich um
eine Wertung durch Internisten und nicht psychiatrische Fachexperten handelt
- das der Beurteilung angeblich zugrunde liegende psychosomatische
Untergutachten befindet sich nicht in den Akten - nicht grössere Beweiskraft
als dem ZMB-Gutachten zuerkannt werden, dessen Schlussfolgerungen auf
umfassenden psychiatrischen Abklärungen beruhen. Ferner machten die Ärzte des
Spitals X.________ die medizinische Prognose von der Therapierbarkeit des
depressiven Beschwerdebildes abhängig und empfahlen eine Reevalutation der
Arbeitsfähigkeit in einem Jahr, sodass zu diesem Zeitpunkt - knapp zwei Jahre
vor Verfügungserlass (vgl. Erw. 3.1.1 hievor) - eine Verbesserung des
Gesundheitszustandes und damit der Arbeitsfähigkeit noch für realistisch
erachtet wurde.

3.3.3 Nicht miteinbezogen in die umfassende Beurteilung durch das ZMB wurden
gemäss Mitteilung des Hausarztes Dr. med. S.________ vom 14. April 2001 die
Diagnosen des behandelnden Psychiaters Dr. med. E.________, welcher unter
anderem auch für die Psychiatrische Abteilung des Spitals X.________ tätig
war. Die IV-Stelle hat diesem in der Folge die Möglichkeit gegeben, zum
ZMB-Gutachten vom 22. März 2001 Stellung zu beziehen. In seinem Schreiben vom
28. Juni 2001 an die Beschwerdegegnerin schloss er eine narzisstische
Persönlichkeitsstörung - wie sie im ZMB-Gutachten diagnostiziert worden sei -
aus und erhob stattdessen den Befund einer schizoiden Persönlichkeitsstörung
(ICD-10: F 60.1), differentialdiagnostisch einer kombinierten
Persönlichkeitsstörung mit schizoiden und psychotischen Anteilen (ICD-10: F
61.0). Gestützt darauf attestierte er dem Versicherten aus psychiatrischer
Sicht eine 85%ige Arbeitsunfähigkeit. Im nachfolgenden Bericht vom 31. Juli
2001 bestätigte Dr. med. E.________ sodann zwar weitgehend seine zuvor
gestellte Diagnose, hielt jedoch zusätzlich fest, dass die Attestierung einer
vollständigen Arbeitsunfähigkeit zu einer Verstärkung der Krankheitssymptome
führen würde, da der Beschwerdeführer auf Grund seines Naturells auf soziale
Kontakte angewiesen sei. Ferner mutete er dem Versicherten in einer
leidensangepassten Tätigkeit nunmehr eine 50%ige Arbeitsfähigkeit zu. Mit
Eingabe vom 25. Februar 2003 lässt der Beschwerdeführer letztinstanzlich
einen weiteren Bericht des Dr. med. E.________ vom 17. Februar 2003 zu den
Akten reichen, in welchem der Arzt dem Versicherten aus psychiatrischer Sicht
eine Arbeitsfähigkeit von maximal 30 % bescheinigt. Widersprüchlich erscheint
nach dieser Aktenlage - nebst den offenkundig differierenden Aussagen zur
Arbeitsfähigkeit - auch der von Dr. med. E.________ in seinem Bericht vom 31.
Juli 2001 geäusserte Vorschlag, mit der Wiedereingliederung des Versicherten
zwei Jahre zuzuwarten. Nach seinen Ausführungen wäre bei einer
Nichtwiederaufnahme einer Erwerbstätigkeit mit einer weiteren
Verschlechterung des Gesundheitszustandes zu rechnen, sodass die Integration
des Beschwerdeführers in die Arbeitswelt konsequenterweise gefördert und
nicht - wie vom Psychiater gefordert - aufgeschoben werden sollte. In seiner
ergänzenden Stellungnahme vom 29. November 2001 widerlegte das ZMB im
Weiteren die von Dr. med. E.________ am 28. Juni 2001 erhobenen Vorwürfe
hinsichtlich der Nichtberücksichtigung von transkulturellen Unterschieden im
Verhalten von Migranten und Migrantinnen durch die Gutachter und verwies
insbesondere auf die vom Psychiater missverständlich interpretierte Diagnose.
Ob dieser den durch das ZMB gestellten Befund einer narzisstischen
Persönlichkeit tatsächlich falsch verstanden hat, kann jedoch dahingestellt
bleiben. In einer umfassenden Auseinandersetzung mit den durch Dr. med.
E.________ erhobenen Einwendungen gelangte das ZMB schliesslich zur
überzeugenden Auffassung, dass jedenfalls an der am 22. März 2001
attestierten 50%igen Arbeitsfähigkeit festzuhalten sei, woran die
Ausführungen des behandelnden Psychiaters, zumal in einer hausarztähnlichen
Funktion abgegeben (vgl. Erw. 3.3.1 hievor), nichts zu ändern vermögen.
Namentlich stellt die Herkunft aus einem bestimmten Kulturkreis insofern ein
rechtlich unbeachtliches invaliditätsfremdes Kriterium dar, als sich daraus
allein kein Anspruch auf eine Invalidenrente ableiten lässt; derartige
soziokulturelle Umstände zählen nicht zu den im Rahmen von Art. 4 Abs. 1 IVG
versicherten Gesundheitsschäden (BGE 127 V 299 Erw. 5a mit Hinweis). Es kann
somit offen bleiben, ob der Bericht des Dr. med. E.________ vom 17. Februar
2003 im letztinstanzlichen Verfahren überhaupt zu berücksichtigen ist (BGE
127 V 353).

3.4 Der Beschwerdeführer ist nach dem Gesagten sowohl aus psychiatrischer
Sicht wie auch in Bezug auf die somatischen Verhältnisse für körperlich
leichte Arbeiten mit einer Gewichtslimite für gelegentliches Heben von
Gewichten bis 10 kg zu 50 % arbeitsfähig. Gestützt auf den von der Vorinstanz
korrekt vorgenommenen Einkommensvergleich, der vom Beschwerdeführer denn auch
nicht beanstandet wird, ergibt sich kein Invaliditätsgrad, der die
Zusprechung einer ganzen Rente rechtfertigen würde. Auf die entsprechenden
Erwägungen im angefochtenen Entscheid kann verwiesen werden.

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Verbeiständung kann entsprochen werden, da die hierfür nach
Gesetz (Art. 152 in Verbindung mit Art. 135 OG) und Rechtsprechung (BGE 125 V
202 Erw. 4a und 372 Erw. 5b, je mit Hinweisen) erforderlichen Voraussetzungen
erfüllt sind. Es wird indessen ausdrücklich auf Art. 152 Abs. 3 OG aufmerksam
gemacht, wonach die begünstigte Partei der Gerichtskasse Ersatz zu leisten
haben wird, wenn sie später dazu im Stande ist.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verbeiständung wird Advokat Philippe
Zogg, Basel, für das Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht
aus der Gerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt,
der Ausgleichskasse Basel-Stadt und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 23. Oktober 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: