Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 116/2003
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I 116/03

Urteil vom 10. November 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Lustenberger und nebenamtlicher Richter
Brunner; Gerichtsschreiber Schmutz

S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch den Rechtsdienst Y.________,

gegen

IV-Stelle Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 6. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Der 1955 geborene S.________ führt als Landwirt einen eigenen Betrieb. Von
1981 bis Ende September 1999 war er im Nebenerwerb als Hilfsmonteur im
Freileitungs- und Kabelbau tätig. Am 22. November 1999 meldete er sich wegen
Rückenbeschwerden bei der Invalidenversicherung zum Bezug von Leistungen an.
Die IV-Stelle Bern holte beim Hausarzt Dr. M.________, Facharzt FMH für
Allgemeine Medizin einen Arztbericht (vom 26. November 1999) und bei der
Firma E.________ AG, einen Arbeitgeberbericht (vom 16. Dezember 1999) ein.
Gestützt auf den Abklärungsbericht Landwirtschaft des
IV-Landwirtschaftsexperten (vom 24. März 2000/10. August 2000) sowie den
Bericht des IV-Berufsberaters (vom 25. Mai 2000) stellte die IV-Stelle
S.________ mit Vorbescheid vom 23. August 2000 die Ablehnung des
Rentenbegehrens in Aussicht. Der von S.________ zu seiner Vertretung berufene
Rechtsdienst für Behinderte legte den Bericht des behandelnden Arztes Dr.
F.________, Spezialarzt FMH für Innere Medizin, vom 18. Dezember 2000 ein,
worauf die IV-Stelle die Abklärung und Begutachtung des Versicherten durch
die Medizinische Abklärungsstelle (MEDAS) des Spitals X.________ veranlasste.
Laut dem Gutachten der MEDAS vom 25. Februar 2002 war dem Versicherten im
Prinzip eine leidensangepasste Tätigkeit vollzeitlich zumutbar. Bei einer
Weiterbewirtschaftung seines Betriebes war ihm ein angepasster Nebenerwerb zu
50 % zumutbar. Mit Verfügung vom 12. April 2002 lehnte die IV-Stelle das
Leistungsbegehren unter Verweis auf den Abklärungsbericht Landwirtschaft und
das MEDAS-Gutachten ab, weil bei einer Erwerbseinbusse von 28 % der
erforderliche Invaliditätsgrad nicht vorliege.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
mit Entscheid vom 6. Januar 2003 ab, weil dem Versicherten ein Berufswechsel
und die Ausübung einer vollzeitigen leidensangepassten Tätigkeit zumutbar
sei.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und es sei ihm ab 1. Juni 2000 eine
halbe Invalidenrente zuzusprechen. Zur Begründung führt er im Wesentlichen
an, dass es ihm nicht zuzumuten sei, auf die Tätigkeit als Landwirt zu
verzichten, dass er aber neben dieser Beschäftigung höchstens während rund
zwei Stunden pro Tag einem Nebenverdienst nachgehen könne. Insgesamt erleide
er so einen Erwerbsausfall von über 50 %.

Die IV-Stelle beantragt Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtsätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 12. April
2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im
vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

2.
Die Vorinstanz hat die massgeblichen gesetzlichen Bestimmungen über den
Invaliditätsbegriff (Art. 4 IVG), die Voraussetzungen, den Umfang und den
Beginn des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und Abs. 1bis IVG, Art. 29 Abs. 1
IVG), die Invaliditätsbemessung bei Erwerbstätigen (Art. 28 Abs. 2 IVG) sowie
die Rechtsprechung zum ausserordentlichen Invaliditätsbemessungsverfahren
(BGE 104 V 136 ff.), zur Aufgabe des Arztes und des Berufsberaters im
Verfahren der Invaliditätsbemessung (BGE 115 V 134 Erw. 2, 114 V 314 Erw. 3c,
105 V 158 Erw. 1; siehe auch BGE 125 V 261 Erw. 4) und zum Grundsatz der
Schadenminderungspflicht (BGE 117 V 278 Erw. 2b, 400; 113 V 28 Erw. 4a je mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden. Zu ergänzen
ist, dass die Invalidität auf der Grundlage desjenigen Erwerbseinkommen zu
berechnen ist, das der Versicherte durch eine ihm zumutbare Tätigkeit
erzielen könnte (ZAK 1964 S. 301). Art und Mass dessen, was einem
Versicherten an Erwerbstätigkeit noch zugemutet werden kann, richtet sich
nach seinen besonderen persönlichen Verhältnissen einerseits und nach den
allgemein herrschenden Anschauungen anderseits. Für die Beurteilung der
Zumutbarkeit ist letztlich insofern eine objektive Betrachtungsweise
massgebend, als es nicht auf eine bloss subjektiv ablehnende Bewertung der in
Frage stehenden Erwerbstätigkeit durch den Versicherten ankommt (BGE 109 V 25
Erw. 3c; Meyer-Blaser, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum IVG, Zürich
1997, S. 202).

3.
3.1 Streitig und zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer ab 1. Juni 2000
Anspruch auf eine Invalidenrente hat. Dabei ist zu klären, ob der Festsetzung
des Invalideneinkommens die bisherige, teilzeitlich ausgeübte Tätigkeit als
Landwirt zu Grunde zu legen ist. Nach der Rechtsprechung hat unter bestimmten
Voraussetzungen auch ein selbstständig erwerbender Landwirt aus der Sicht der
Invalidenversicherung auf Grund der Schadenminderungspflicht seinen Hof
aufzugeben (ZAK 1983 S. 256, 1968 S. 473; Urteil Q. vom 18. Februar 2002, I
287/00, Erw. 3a mit Hinweisen). Auf Grund der einem Versicherten obliegenden
Schadenminderungspflicht (BGE 113 V 28 Erw. 4a) kann die Aufnahme einer
unselbstständigen (Haupt-)Erwerbstätigkeit als zumutbar erscheinen, wenn
hievon eine bessere erwerbliche Verwertung der Arbeitsfähigkeit erwartet
werden kann und der berufliche Wechsel unter Berücksichtigung der gesamten
Umstände (Alter, Aktivitätsdauer, Ausbildung, Art der bisherigen Tätigkeit,
persönliche Lebensumstände) als zumutbar erscheint (ZAK 1983 S. 256; Urteil
F. vom 12. September 2001, I 145/01, Erw. 2b mit Hinweisen).

3.2 Im MEDAS-Gutachten vom 25. Februar 2002 wurde von einer "aufgezwungenen
Aufgabe des Bauernhofes" abgeraten, weil dies zu einer Abnahme der Motivation
und entsprechend zu einer Einbusse der Leistungsfähigkeit des
Beschwerdeführers führen würde. Der Hausarzt Dr. F.________ vertrat in seinem
Schreiben an die Vorinstanz vom 17. Oktober 2002 die Meinung, dem
Beschwerdeführer sei eine "Umschulung in einen neuen Beruf unzumutbar". Für
beide ärztlichen Stellungnahmen war vor allem die fehlende Bereitschaft des
Beschwerdeführers, einen Berufswechsel ins Auge zu fassen, ausschlaggebend.
Zumindest im MEDAS-Gutachten ist aber eine dem Leiden angepasste Tätigkeit
als "prinzipiell" zu 100 % zumutbar bezeichnet worden. Bereits Dr. U.________
Spezialarzt FMH für Innere Medizin, speziell Rheumaerkrankungen, sprach in
seinem Bericht vom 16. August 1999 von einer möglichen beruflichen
Neuorientierung. Dr. F.________ wies in seinem Schreiben an die IV-Stelle vom
18. Dezember 2000 darauf hin, dass die schweren landwirtschaftlichen Arbeiten
für den Gesundheitszustand des Beschwerdeführers eine Belastung darstellten,
weshalb er damals nur eine "getrübte" Prognose stellen konnte. Auch nach dem
MEDAS-Gutachten ist die Tätigkeit in der Landwirtschaft für den
Beschwerdeführer aus somatischer Sicht nur bedingt geeignet. Eine solche
wurde lediglich im Umfang von 50 % als zumutbar erachtet, während andere, dem
Leiden angepasste Beschäftigungen als zu 100 % zumutbar bezeichnet wurden.
Insbesondere die durch das Leiden bedingte Beschränkung des Hebens und
Tragens auf Lasten bis maximal 15 Kilogramm dürfte sich bei einer
landwirtschaftlichen Tätigkeit auswirken, beziehungsweise nicht durchgehend
eingehalten werden können. Demnach sprechen aus medizinischer Sicht
somatische Gründe eher für eine Aufgabe der belastenden landwirtschaftlichen
Tätigkeit. Die Gründe gegen einen Berufswechsel sind hauptsächlich im
psychischen Bereich anzusiedeln.

3.3 Es ist durchaus verständlich, dass der Beschwerdeführer ausserordentlich
stark mit dem bereits von den Eltern geführten Hof verbunden ist. Dies macht
die Aufgabe des landwirtschaftlichen Betriebes aber nicht ohne weiteres
unzumutbar, weil bei der Frage der Zumutbarkeit einer Berufstätigkeit und
damit je nachdem eines Berufswechsels eine objektive Betrachtungsweise Platz
greift (vgl. Erw. 2 hievor). Allerdings wurde ärztlicherseits festgestellt,
die Aufgabe der landwirtschaftlichen Tätigkeit sei für den Beschwerdeführer
aus psychischen Gründen insofern nicht zumutbar, als dadurch die Motivation
und die Leistungsbereitschaft beeinträchtigt würden. Dr. F.________ sieht
laut Arztzeugnis vom 17. Oktober 2002 sogar die Gefahr, dass der
Beschwerdeführer durch die Aufgabe der landwirtschaftlichen Tätigkeit mit
unabsehbaren Folgen psychisch aus dem Gleichgewicht geworfen würde. Die
Gefahr einer psychischen Erkrankung oder auch die konkrete Möglichkeit einer
Beeinträchtigung der Leistungsbereitschaft und damit Leistungsfähigkeit sind
Faktoren, welche bei der Frage der Zumutbarkeit eines beruflichen Wechsels
unter dem Aspekt der persönlichen Lebensumstände zu berücksichtigen sind.
Soweit allerdings Dr. F.________ in dem erwähnten Zeugnis eine depressive
psychische Situation ansprach, stand diese Aussage im Widerspruch zum
MEDAS-Gutachten vom 25. Februar 2002 (dabei vor allem auch zum
Psychiatrischen Teilgutachten vom 4. Februar 2002), wo festgehalten wurde,
dass sich keine Hinweise auf eine psychische Erkrankung und insbesondere
keine Anzeichen für eine Depression finden liessen.

4.
Bei allem Verständnis für die Verwurzelung des Beschwerdeführers in den
Familienbetrieb überwiegen in einer Gesamtwürdigung die Faktoren, welche für
die Zumutbarkeit eines Berufswechsels sprechen. Neben dem bei Weiterführung
der landwirtschaftlichen Tätigkeit bleibenden Gesundheitsschaden und der noch
langen Aktivitätsdauer fällt vor allem auch der Umstand ins Gewicht, dass der
Bauernbetrieb allein kein existenzsicherndes Einkommen zulässt. Zudem war der
Beschwerdeführer vor Eintritt der Invalidität während langer Zeit nur zu
einem kleinen Teil als Landwirt tätig und ging im Umfang von bis zu 80 %
einer unselbstständigen Nebenbeschäftigung nach. Selbst in den letzten Jahren
vor Eintritt des Gesundheitsschadens war er noch zu 40 % als
Freileitungsmonteur tätig. Unter diesen Umständen kann und muss vom
Beschwerdeführer verlangt werden, dass er auch in einer anderen als der
landwirtschaftlichen Tätigkeit eine genügende Motivation entwickelt, zumal
mit einer dem Leiden angepassten, körperlich weniger belastenden Tätigkeit
seiner angeschlagenen Gesundheit besser Rechnung getragen werden kann. Mit
der Vorinstanz ist deshalb von der Zumutbarkeit eines Berufswechsels
auszugehen.

5.
Nach dem Gesagten ist für den Einkommensvergleich der Invalidenlohn so
festzulegen, wie wenn der Beschwerdeführer eine leidensangepasste
Erwerbstätigkeit aufgenommen hätte (vgl. Erw. 2 hievor). In einer solchen
Beschäftigung wäre ihm eine volle Erwerbstätigkeit mit einem Rendement von
mindestens 70 % zumutbar. Der von der Vorinstanz auf dieser Basis
vorgenommene Einkommensvergleich, der einen Invaliditätsgrad ergibt, der
deutlich unter dem rentenbegründenden Mass liegt, wurde vom Beschwerdeführer
nicht bestritten und ist korrekt. Das Leistungsbegehren wurde damit zu Recht
abgewiesen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, der Ausgleichskasse des Kantons Bern
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 10. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: