Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 113/2003
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I 113/03

Urteil vom 12. Mai 2003
II. Kammer

Bundesrichterin Widmer, Bundesrichter Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiber
Widmer

K.________, 1968, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Beat
Hauri, Rennweg 10, 8022 Zürich,

gegen

IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 23. Dezember 2002)

Sachverhalt:

A.
Die 1968 geborene K.________ war von 1995 bis März 1999 als
Office-Mitarbeiterin bei der Confiserie S.________ AG, tätig. Am 6. März 2000
meldete sie sich unter Hinweis auf Atembeschwerden, Knie- und Beinschmerzen
bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an. Nach Abklärungen in
erwerblicher und medizinischer Hinsicht eröffnete die IV-Stelle des Kantons
Zürich der Versicherten mit Vorbescheid vom 17. Januar 2001, es sei
vorgesehen, ihr ab 1. März bis 30. November 2000 eine ganze und anschliessend
ab Dezember 2000 eine halbe Invalidenrente auszurichten. Nachdem K.________
Einwendungen gegen den Vorbescheid erhoben hatte, sprach ihr die IV-Stelle
mit drei Verfügungen vom 23. August 2001 für die Zeit vom 1. März bis 30.
November 2000 eine ganze, vom 1. Dezember 2000 bis 31. Mai 2001 eine halbe
und ab 1. Juni 2001 wiederum eine ganze Invalidenrente zu.

B.
Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich wies die von K.________
hiegegen mit dem Begehren um Zusprechung einer ganzen Invalidenrente für den
Zeitraum vom 1. Dezember 2000 bis 31. Mai 2001 eingereichte Beschwerde ab,
hob gleichzeitig die Verfügung vom 23. August 2001 betreffend die Zusprechung
einer ganzen Rente ab 1. Juni 2001 auf und wies die Sache zu ergänzenden
Abklärungen und neuer Verfügung über den Rentenanspruch ab diesem Zeitpunkt
an die IV-Stelle zurück (Entscheid vom 23. Dezember 2002).

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde lässt die Versicherte beantragen, der
vorinstanzliche Entscheid sei insoweit aufzuheben, als damit die Verfügung
der IV-Stelle vom 23. August 2001 aufgehoben wurde, mit welcher ihr ab 1.
Juni 2001 eine ganze Invalidenrente zugesprochen wurde; eventuell sei der
angefochtene Entscheid vollumfänglich aufzuheben und die Sache sei zur
Gewährung des rechtlichen Gehörs und zu neuer Entscheidung an das kantonale
Gericht zurückzuweisen.

Während die IV-Stelle auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Invalidenversicherungsbereich geändert
worden. Weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 23. August
2001) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b), sind im
vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden Bestimmungen
anwendbar.

2.
2.1 Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über den Begriff der Invalidität (Art.
4 Abs. 1 IVG), den Umfang des Rentenanspruchs (Art. 28 Abs. 1 und 1bis IVG),
die Bemessung des Invaliditätsgrades bei Erwerbstätigen nach der
Einkommensvergleichsmethode (Art. 28 Abs. 2 IVG), die Rentenrevision (Art. 41
IVG und 88a IVV) sowie die Rechtsprechung zur rückwirkenden Zusprechung einer
abgestuften und/oder befristeten Invalidenrente (BGE 125 V 417 f. Erw. 2d mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden.

2.2 Ist bei der rückwirkenden Zusprechung einer abgestuften und/oder
befristeten Invalidenrente durch zwei gleichentags erlassene Verfügungen nach
den Vorbringen der Parteien einzig die Aufhebung der Rente strittig, ist
derjenige Verwaltungsakt der Disposition entzogen, welcher ausschliesslich
den (nach den Parteivorbringen) nicht im Streite liegenden Teil des
Rentenanspruchs betrifft. Mangels Anfechtung ist die separat ergangene
Rentenzusprechungsverfügung in Rechtskraft erwachsen. Die in BGE 125 V 413
präzisierten Grundsätze über den Anfechtungs- und Streitgegenstand setzen
voraus, dass die zuständige Verwaltungsbehörde vorgängig verbindlich - in
Form einer Verfügung - Stellung genommen hat. Insoweit bestimmt die Verfügung
den beschwerdeweise weiterziehbaren Anfechtungsgegenstand. Daran mangelt es,
wenn und insoweit keine Verfügung ergangen ist oder eine solche erlassen und
unangefochten in Rechtskraft erwachsen ist (AHI 2001 S. 279 Erw. 1b). Dagegen
liesse sich, wie das Eidgenössische Versicherungsgericht im nämlichen Urteil
dargelegt hat, einwenden, dass die Verwaltung am gleichen Tag rückwirkend
über die Rentenberechtigung für den gesamten Zeitraum verfügt hat. Ungeachtet
der äusseren Form - allenfalls technisch bedingt oder administrativ darin
begründet, dass die einzelnen Betreffnisse für Invaliden-, Kinder- und
Zusatzrente (bei ganzer und halber Rente) separat zu ermitteln waren - ist
bei materieller Betrachtungsweise von einem Rechtsverhältnis auszugehen,
wofür weiter spricht, dass nur ein Vorbescheid in der Sache ergangen ist. Da
der mit separater, unangefochten gebliebener Verfügung festgelegte
Rentenanspruch materiell rechtlich nicht zu beanstanden war, liess das
Gericht die Frage offen, ob der entsprechende Zeitraum im Sinne dieser
Überlegungen trotz formeller Rechtskraft der separat erlassenen
Rentenverfügung einer Überprüfung zugänglich sei (AHI 2001 S. 279 Erw. 1b).

3.
Im vorliegenden Fall setzte die IV-Stelle die Invalidenrente mit drei
separaten Verfügungen vom 23. August 2001 für die Perioden vom 1. März bis
30. November 2000 (ganze Rente), vom 1. Dezember 2000 bis 31. Mai 2001 (halbe
Rente) und ab 1. Juni 2001 (ganze Rente) fest. Die Beschwerdeführerin focht
lediglich diejenige Verfügung an, mit der ihr für den Zeitraum vom 1.
Dezember 2000 bis 31. Mai 2001 eine halbe Invalidenrente zugesprochen wurde.
Rechtsprechungsgemäss war die Vorinstanz nicht befugt, die rechtskräftige,
unbefristete Rentenzusprechung für die Zeit ab 1. Juni 2001 zu überprüfen. Ob
in Fällen, in welchen bei materieller Betrachtungsweise von einem
Rechtsverhältnis auszugehen ist, obwohl die rückwirkende Rentenzusprechung
mittels mehrerer separater Verfügungen erfolgte, die Rentengewährung
ungeachtet der Rechtskraft einzelner dieser Verwaltungsakte gesamthaft
gerichtlich zu überprüfen ist, kann im vorliegenden Fall offen bleiben.

Dass für die gesamte Periode ab 1. März 2000 nicht ein Rechtsverhältnis
vorliegt und nicht einzig aus administrativen Gründen drei Verfügungen
erlassen wurden, zeigt der Ablauf des Verwaltungsverfahrens. Gemäss
Vorbescheid der IV-Stelle vom 17. Januar 2001 war vorgesehen, der
Beschwerdeführerin für die Zeit ab Dezember 2000 eine unbefristete halbe
Invalidenrente zuzusprechen. Nachdem der Rechtsvertreter der Versicherten
unter Beilage von ärztlichen Attesten dagegen Einwendungen erhoben hatte,
traf die Verwaltung zusätzliche medizinische Abklärungen, worauf sie am 3.
Juli 2001 zum Schluss gelangte, dass die Beschwerdeführerin nach Ausrichtung
einer auf sechs Monate befristeten halben Rente ab 1. Juni 2001 wiederum eine
ganze Invalidenrente bei einem Invaliditätsgrad von 100 % beanspruchen könne.
Am 23. August 2001 ergingen alsdann entgegen der im Vorbescheid vorgesehenen
Erledigung die drei erwähnten separaten Verfügungen, worunter diejenige
betreffend den unbefristeten Anspruch auf eine ganze Invalidenrente ab 1.
Juni 2001, welche unangefochten in Rechtskraft erwachsen und daher einer
Überprüfung durch die Vorinstanz entzogen war. Da der angefochtene Entscheid
aus materiellen Gründen aufzuheben ist, erübrigt sich die Prüfung der in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhobenen formellen Rüge (Verletzung des
rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz).

4.
Das Verfahren ist kostenlos (Art. 134 OG). Dem Prozessausgang entsprechend
hat die obsiegende Beschwerdeführerin Anspruch auf eine Parteientschädigung
(Art. 159 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Dezember 2002
aufgehoben, soweit er die Verfügung der IV-Stelle des Kantons Zürich vom 23.
August 2001 betreffend den Invalidenrentenanspruch ab 1. Juni 2001 zum
Gegenstand hat.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die IV-Stelle des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das Verfahren
vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr.
1500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Ausgleichskasse des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 12. Mai 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Vorsitzende der II. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: