Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen I 106/2003
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I 106/03

Urteil vom 17. August 2004
III. Kammer

Bundesrichter Rüedi, Lustenberger und Kernen; Gerichtsschreiberin Amstutz

Schweizerische Unfallversicherungsanstalt, Fluhmattstrasse 1, 6004 Luzern,
Beschwerdeführerin,

gegen

M.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Oskar Müller,
Wengistrasse 7, 8026 Zürich,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Beschluss vom 24. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Entscheid vom 24. Januar 2003 ist das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich auf die Beschwerde der Schweizerischen
Unfallversicherungsanstalt (SUVA) gegen die Verfügung der IV-Stelle des
Kantons Zürich vom 1. März 2002, mit welcher dem bei der SUVA gegen Berufs-
und Nichtberufsunfälle versicherten M.________ rückwirkend ab 1. Januar 2001
eine halbe Invalidenrente zugesprochen wurde, mangels Beschwerdelegitimation
nicht eingetreten.

B.
Die SUVA führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben und die Vorinstanz anzuweisen, unter
Gewährung der vollen Parteirechte auf die Beschwerde der SUVA gegen die
Verfügung vom 1. März 2002 einzutreten.

Die IV-Stelle und - anwaltlich vertreten - M.________ schliessen auf
Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Streitig und zu prüfen ist einzig die Rechtmässigkeit des vorinstanzlichen
Nichteintretensentscheids, welcher der SUVA ein Beschwerderecht gegen die
Verfügung der IV-Stelle Zürich vom 1. März 2002 abspricht.

2.
Da der Rechtsstreit nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand hat, prüft das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht
verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des Ermessens, oder
ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig, unvollständig
oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt wurde
(Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Der angefochtene Nichteintretensentscheid vom 24. Januar 2003 erging nach
In-Kraft-Treten des am 6. Oktober 2000 erlassenen Bundesgesetzes über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) am 1. Janaur 2003. Nach
der Rechtsprechung sind die Verfahrensnormen des ATSG vorbehältlich anders
lautender Übergangsbestimmungen grundsätzlich mit dem Tag des
In-Kraft-Tretens sofort und in vollem Umfang anwendbar (BGE 129 V 115 Erw.

2.2  mit Hinweisen). Hingegen richten sich der Fristenlauf und die allfällige
Rechtsmittelinstanz nach dem bisherigen Recht, soweit eine Frist im Zeitpunkt
des In-Kraft-Tretens des Gesetzes noch nicht abgelaufen ist (BGE 130 V 4 Erw.

3.2  mit Hinweis). Des Weitern gilt der intertemporalrechtliche Grundsatz der
sofortigen Anwendbarkeit der prozessualen Bestimmungen des ATSG (auch auf
hängige Beschwerdeverfahren; BGE 117 V 93 Erw. 6b) dort nicht, wo
hinsichtlich des verfahrensrechtlichen Systems zwischen altem und neuem Recht
keine Kontinuität besteht und mit dem neuen Recht eine grundlegend neue
Verfahrensordnung geschaffen worden ist (BGE 130 V 4 Erw. 3.2 mit Hinweisen).
Schliesslich tritt er nach der prozessualen Regel der perpetuatio fori auch
insoweit zurück, als sich die örtliche Zuständigkeit aufgrund der Rechtslage
im Zeitpunkt der formgültigen Anhängigmachung der Streitsache bestimmt (BGE
130 V 93 Erw. 3.2; RKUV 2004 Nr. KV 276 S. 143). Beurteilen sich mithin in
den am 1. Januar 2003 hängigen Beschwerdeverfahren grundsätzliche prozessuale
Fragen wie die Wahl des richtigen Rechtsmittels, die ordentliche
Rechtsmittelfrist und die Zuständigkeit der Rechtsmittelinstanz nach
bisherigem Recht, gilt dies a fortiori auch bezüglich der Frage, ob in einem
hängigen Streitfall von Gesetzes wegen überhaupt ein Beschwerderecht besteht
oder nicht. Ob die SUVA im massgebenden Zeitpunkt, als eine fristgerechte
(Art. 69 Abs. 1 IVG in Verbindung mit Art. 84 Abs. 1 AHVG, je in der bis 31.
Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) und insoweit zulässige
Beschwerdeerhebung gegen die ihr eröffnete Verfügung vom 1. März 2002 in
Betracht fiel und auch tatsächlich erfolgte, hierzu legitimiert war, ist
demnach aufgrund der vor In-Kraft-Treten des ATSG gültig gewesenen Rechtslage
zu prüfen.

4.
Nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz hat ein Sozialversicherer
einen von ihm nach ordnungsgemässer Eröffnung nicht angefochtenen Entscheid
eines anderen Versicherers grundsätzlich gegen sich gelten zu lassen (BGE 126
V 294 Erw. 2d). Im Urteil T. vom 13. Januar 2004 (I 564/02) hat das
Eidgenössische Versicherungsgericht mit Blick auf die Rechtslage vor
In-Kraft-Treten des ATSG präzisiert, dass diese Regel gegenüber
Unfallversicherern bei Rentenverfügungen von IV-Stellen nicht zum Zuge kommt,
da es - in prinzipieller Hinsicht - bereits am Beschwerderecht des
Unfallversicherers fehlt (ausführlich hierzu und zum Folgenden Erw. 2-5 des
erwähnten Urteils). So lässt sich eine entsprechende Beschwerdebefugnis weder
aus der in Art. 76 Abs. lit. e IVV (in der bis 31. Dezember 2002 gültig
gewesenen Fassung) statuierten Pflicht der IV-Stelle zur Zustellung ihrer
Rentenverfügung an den (leistungserbringenden) Unfallversicherer ableiten,
noch ergibt sie sich aus der gestützt auf Art. 104 lit. d UVG (in der bis 31.
Dezember 2002 gültig gewesenen Fassung) erlassenen koordinationsrechtlichen
Regelung des Art. 129 Abs. 1 UVV (in der von 1. Januar 1996 bis 31. Dezember
2002 in Kraft gestandenen Fassung), welcher wie folgt lautet:
"Erlässt ein Versicherer oder eine andere Sozialversicherung eine Verfügung,
welche die Leistungspflicht eines anderen Versicherers berührt, so ist die
Verfügung auch dem anderen Versicherer zu eröffnen. Der andere Versicherer
kann die gleichen Rechtsmittel ergreifen wie die versicherte Person".
Der Anwendungsbereich dieser Verordnungsbestimmung ist gemäss ihrer ratio
legis auf jene Fälle zugeschnitten, in welchen der Entscheid des einen
Versicherers - namentlich dessen Verweigerung oder Einstellung von Leistungen
- direkte Auswirkungen auf die Leistungspflicht eines andern
Sozialversicherungsträgers hat. Eine Wechselwirkung dieser Art besteht gemäss
erwähntem Urteil vom 13. Januar 2004 im Verhältnis zwischen Unfallversicherer
und Invalidenversicherung nicht. Wohl hat der Rentenentscheid der IV-Stelle
für den Unfallversicherer eine indirekte Wirkung in dem Sinne, dass er
abgeschlossene Invaliditätsbemessungen der Invalidenversicherung nicht
unbeachtet lassen darf, sondern sie als Indiz für eine zuverlässige
Beurteilung in seine - selbstständig vorzunehmende - Invaliditätsbemessung
miteinzubeziehen hat und ein Abweichen sachlich begründet sein muss (vgl. BGE
126 V 293 f. Erw. 2d). Anders als dies im Verhältnis zur obligatorischen
Berufsvorsorgeversicherung der Fall ist (BGE 129 V 73), präjudiziert indessen
der Rentenentscheid der IV-Stelle weder die Leistungspflicht des
Unfallversicherers als solche noch - im Sinne einer unmittelbaren
Bindungswirkung des von der IV-Stelle festgesetzten Invaliditätsgrades -
deren Umfang. Damit fehlt es dem Unfallversicherer am "Berührtsein" gemäss
Art. 129 Abs. 1 UVV, sodass ein daraus fliessendes Beschwerderecht - und
gestützt auf Art. 103 lit. c OG die Möglichkeit des Weiterzugs an das
Eidgenössische Versicherungsgericht - zu verneinen ist (Urteil T. vom 13.
Januar 2004 [I 564/02] Erw. 3 und 4.2-5). Wie es sich diesbezüglich unter der
Herrschaft des Art. 49 Abs. 4 ATSG verhält, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht bis anhin offen gelassen (Urteil T. vom 13. Januar 2004
[I 564/02] Erw. 4.4 in fine; vgl. Urteil D. vom 7. Juni 2004 [U 186/03] Erw.

3.1 ). Mangels Anwendbarkeit des betreffenden Gesetzes auf die vorliegende
Streitsache (Erw. 3 hievor) besteht auch hier kein Anlass zur Klärung dieser
Frage.

Im Lichte der dargelegten Rechtsprechung ist ein Beschwerderecht der SUVA
gegen die Verfügung der IV-Stelle vom 1. März 2002 zu verneinen, womit der
vorinstanzliche Nichteintretensentscheid standhält.

5.
Dem Prozessausgang entsprechend ist die Beschwerdeführerin kosten- und
entschädigungspflichtig (Art. 134 OG e contrario; Art. 135 in Verbindung Art.
156 Abs. 1 und Art. 159 Abs. 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der SUVA auferlegt und mit dem
geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Die SUVA hat dem Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der IV-Stelle des Kantons Zürich und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 17. August 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Vorsitzende der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: