Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 97/2003
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H 97/03

Urteil vom 10. September 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Ursprung und Kernen; Gerichtsschreiber Flückiger

Gemeinde U.________, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Walter
Schumacher, Usteristrasse 19, 8001 Zürich,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 31. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Nachtragsverfügungen vom 4. Juni 1999 verpflichtete die Ausgleichskasse
des Kantons Zürich die Gemeinde U.________ unter anderem zur Leistung
paritätischer Sozialversicherungsbeiträge auf Entschädigungen an
Feuerwehrleute für die Jahre 1997 bis 1998. Mit Schreiben vom 6. Dezember
1999 ersuchte die Gemeinde die Ausgleichskasse um nochmalige Überprüfung der
Richtigkeit der Nachzahlungsverfügungen. Zur Begründung machte sie geltend,
Vergütungen für geleistete Feuerwehrdienste stellten kein beitragspflichtiges
Erwerbseinkommen dar. Die Ausgleichskasse behandelte dieses Schreiben als
Wiedererwägungsgesuch. Mit Verfügung vom 25. Januar 2000 trat sie auf das
Gesuch ein, lehnte es aber nach Prüfung der Einwände ab, die Verfügungen vom
4. Juni 1999 in Wiedererwägung zu ziehen und hielt fest, sämtliche
Feuerwehrentschädigungen, soweit sie nicht Unkostenvergütungen darstellten,
gehörten zum massgebenden Lohn.

B.
Die gegen die Verfügung vom 25. Januar 2000 erhobene Beschwerde wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich ab (Entscheid vom 31. Januar
2003).

C.
Die Gemeinde U.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem
Rechtsbegehren, es seien der kantonale Entscheid und die Nachtragsverfügungen
vom 4. Juni 1999 aufzuheben und es sei festzustellen, dass Vergütungen an
Feuerwehrsoldaten und Feuerwehrkader der Gemeinde U.________ für Einsätze im
Rahmen des ordentlichen Feuerwehrdienstes (Übungen, Pikettdienst sowie
Ernstfalleinsätze) als soldähnliche Vergütungen gälten und damit nicht
AHV-beitragspflichtig seien.

Die Ausgleichskasse - unter Verweis auf den kantonalen Entscheid - und das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze über die
Beiträge vom Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit (Art. 5 Abs. 1
AHVG), die Definition des massgebenden Lohns (Art. 5 Abs. 2 AHVG; BGE 126 V
222 f. Erw. 4a mit Hinweisen), die beitragsrechtliche Behandlung von
soldähnlichen Vergütungen in öffentlichen Feuerwehren (Art. 6 Abs. 2 lit. a
AHVV) die Voraussetzungen des Zurückkommens auf eine in Rechtskraft
erwachsene Verfügung unter dem Titel der Wiedererwägung (BGE 127 V 469 Erw.
2c mit Hinweisen) sowie die gerichtliche Überprüfbarkeit des Entscheides der
Verwaltung über ein Wiedererwägungsgesuch (BGE 117 V 12 Erw. 2a mit Hinweis)
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass das am 1.
Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts vom 6. Oktober 2000 (ATSG) nach den von der
Rechtsprechung entwickelten intertemporalrechtlichen Grundsätzen (BGE 127 V
467 Erw. 1, 121 V 366 Erw. 1b) auf den vorliegenden Sachverhalt nicht
anwendbar ist.

1.2 Bei der Prüfung der Frage, ob die materiellen Voraussetzungen einer
Wiedererwägung wegen zweifelloser Unrichtigkeit erfüllt sind, ist vom
Rechtszustand auszugehen, wie er im Zeitpunkt des Verfügungserlasses
bestanden hat, wozu auch die seinerzeitige Rechtspraxis gehört; eine
Praxisänderung vermag aber kaum je die frühere Praxis als zweifellos
unrichtig erscheinen zu lassen (BGE 117 V 17 Erw. 2c mit Hinweisen; vgl. auch
BGE 119 V 479 Erw. 1b/cc mit Hinweisen).

2.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Ausgleichskasse das am 6. Dezember 1999
gestellte Gesuch um wiedererwägungsweise Aufhebung der Nachtragsverfügungen
vom 4. Juni 1999 zu Recht abgelehnt hat. Dies hängt davon ab, ob die
Nachtragsverfügungen als zweifellos unrichtig zu qualifizieren sind und ihre
Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist.

2.1 Die mit den streitigen Verfügungen als beitragspflichtiges
Erwerbseinkommen erfassten, vorliegend relevanten Entgelte betreffen
Entschädigungen für den Ernstfalleinsatz sowie für Übungen und Kurse. Nicht
mehr streitig ist, dass die Funktionsentschädigungen beitragspflichtig sind.

2.2 Mit Urteil heutigen Datums in Sachen Bundesamt für Sozialversicherung
gegen Einwohnergemeinde S. (H 335/02) hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht erkannt, gemäss Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV stellten
sowohl Übungssold als auch Ernstfallentschädigungen wie etwa Brandsold kein
beitragspflichtiges Erwerbseinkommen dar. Ziffer 2116 der Wegleitung über den
massgebenden Lohn (WML) sei insoweit verordnungswidrig, als sie bestimmt,
Zuschläge für den Ernstfall stellten im Gegensatz zum Feuerwehrsold
massgebenden Lohn dar.

2.3
2.3.1Die vorliegend zur Diskussion stehenden Bezüge für den Ernstfalleinsatz
und für Übungen stellen somit gemäss der soeben zitierten Rechtsprechung
keine beitragspflichtigen Vergütungen dar. Ob dies auch für die - im
zitierten Urteil S. (H 335/02) nicht behandelten - Kursentschädigungen gilt,
kann offen bleiben, da, wie aus den nachfolgenden Erwägungen hervorgeht, die
Voraussetzungen einer Wiedererwägung nicht erfüllt sind.

2.3.2 Die für die Wiedererwägung einer rechtskräftigen Verfügung
vorausgesetzte zweifellose Unrichtigkeit liegt vor, wenn kein vernünftiger
Zweifel daran möglich ist, dass die Verfügung unrichtig war. Es ist nur ein
einziger Schluss - derjenige auf die Unrichtigkeit - möglich (vgl. BGE 125 V
393 oben; Locher, Grundriss des Sozialversicherungsrechts, 2. Auflage, Bern
1997, S. 362; Kieser, Kommentar ATSG, Ziffer 20 zu Art. 53). Dabei ist nach
dem eingangs Gesagten (Erw. 1.2 hievor) vom Rechtszustand auszugehen, wie er
sich bei Verfügungserlass präsentierte.

2.3.3 Bei Erlass der Verfügungen vom 4. Juni 1999 konnte sich die Verwaltung
nur auf ältere Präjudizien stützen (ZAK 1950 S. 316, 1969 S. 83, 1972 S. 50).
Diese stammen aus der Zeit, bevor die "soldähnlichen Vergütungen der
öffentlichen Feuerwehren" durch die Änderung der Verordnung zur
Erwerbsersatzordnung (EOV) vom Oktober 1987 mit Wirkung per 1. Januar 1988 in
den Text des Art. 6 Abs. 2 lit. a AHVV eingefügt wurden (vgl. ZAK 1987 S. 460
ff., 462). Es liess sich daher die Ansicht vertreten, die früheren Urteile
seien für die Auslegung dieser Bestimmung nicht mehr massgebend. Dies gilt
insbesondere angesichts der Tatsache, dass sich der Feuerwehrdienst in der
Zwischenzeit gewandelt hat. Es ist eine Entwicklung in Richtung vermehrte
Professionalisierung eingetreten, und die Entschädigungen wurden erhöht.
Geändert haben sich, wie die Vorinstanz darlegt, auch die gesetzlichen
Grundlagen zur Feuerwehrpflicht im Kanton Zürich. Unter diesen Umständen
konnte die Auffassung vertreten werden, die ausgerichteten Entschädigungen an
die Feuerwehrleute unterlägen der Beitragspflicht. Die diesbezügliche Praxis
war denn auch offenbar sehr unterschiedlich. Die vom Bundesamt für
Sozialversicherung herausgegebene Wegleitung über den massgebenden Lohn (WML)
beantwortet in Ziffer 2116 die offenen Fragen ebenfalls nicht klar.

Dass die Verfügung nicht zweifellos unrichtig war, wird auch auf Grund des
vorinstanzlichen Entscheids deutlich. Darin werden wesentliche Argumente
genannt, welche für die Beitragspflicht sprechen. Diese Gründe sind durchaus
beachtenswert, auch wenn sie vom Eidgenössischen Versicherungsgericht in
seinem bereits erwähnten neuesten Grundsatzurteil nicht geteilt werden.

2.4 Die Verfügungen vom 4. Juni 1999 entsprechen nach dem Gesagten nicht der
vom Eidgenössischen Versicherungsgericht mit heutigem Urteil festgestellten
Rechtslage. Da sie einer angesichts des Rechtszustandes, wie er sich im
damaligen Zeitpunkt präsentierte, vertretbaren Auslegung der einschlägigen
Bestimmungen entsprechen, sind sie jedoch nicht als klar rechtsfehlerhaft und
damit nicht als zweifellos unrichtig im Sinne der Rechtsprechung zur
Wiedererwägung (BGE 127 V 469 Erw. 2c, 126 V 401 Erw. 2b/bb, je mit
Hinweisen) zu qualifizieren. Das kantonale Gericht hat daher die Ablehnung
des Wiedererwägungsgesuchs vom 6. Dezember 1999 durch die
Verwaltungsverfügung vom 25. Januar 2000 zu Recht bestätigt.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 6000.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 10. September 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: