Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 307/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


H 307/03

Urteil vom 25. Mai 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Lustenberger;
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold

S.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Kugler,
Im Lindenhof, 9320 Arbon,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Thurgau, St. Gallerstrasse 13, 8501 Frauenfeld,
Beschwerdegegnerin

AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau, Weinfelden

(Entscheid vom 3. Oktober 2003)

Sachverhalt:

A.
Die C.________ GmbH war ab März 2000 der Ausgleichskasse des Kantons Thurgau
als Arbeitgeberin angeschlossen. S.________ war Gesellschafter und
Geschäftsführer mit Kollektivunterschrift zu zweien. Am 30. Oktober 2001
wurde über die Firma der Konkurs eröffnet und das Verfahren mangels Aktiven
am 20. November 2001 eingestellt. Mit Verfügung vom 4. Oktober 2002
verpflichtete die Ausgleichskasse S.________ zur Bezahlung von Schadenersatz
für entgangene Beiträge von Fr. 43'415.50.

B.
Nachdem S.________ Einspruch erhoben hatte, reichte die Ausgleichskasse am
21. November 2002 Klage ein mit dem Begehren, S.________ sei zu verpflichten,
ihr Schadenersatz für entgangene Sozialversicherungsbeiträge von Fr.
43'415.50 (Fr. 37'919.05 gestützt auf Bundesrecht und Fr. 5496.45 im Rahmen
der kantonalrechtlichen Familienzulagen) zu bezahlen. Die
AHV/IV-Rekurskommission des Kantons Thurgau hiess die Klage mit Entscheid vom
3. Oktober 2003 vollumfänglich gut.

C.
S.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei bezüglich der AHV/IV-Beiträge aufzuheben und
die Klage der Ausgleichskasse abzuweisen. Die AHV/IV-Rekurskommission des
Kantons Thurgau schliesst auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.
Die Ausgleichskasse enthält sich in ihrer Stellungnahme eines Antrags. Das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist vollumfänglich einzutreten, da
der Beschwerdeführer sich in seiner Verwaltungsgerichtsbeschwerde lediglich
gegen die Bezahlung von Schadenersatz für entgangene Beiträge kraft
Bundesrechts wehrt (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

1.2 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Die Vorinstanz hat die zeitliche Anwendung des seit 1. Januar 2003 in Kraft
stehenden Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG; BGE 130 V 1, 129 V 4 Erw. 1.2, je mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Bestimmungen über die
Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art.
34 ff. AHVV) sowie die hiezu ergangene Rechtsprechung, insbesondere über die
subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 126 V 237, 123 V 15
Erw. 5b, je mit Hinweisen), den zu ersetzenden Schaden (BGE 126 V 444 Erw.
3a, 123 V 15 Erw. 5b, 121 III 384 Erw. 3bb, je mit Hinweisen), die
erforderliche Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 195 Erw. 2a, je mit Hinweisen),
die Voraussetzung des Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 202 Erw. 3a; ZAK
1992 S. 248 Erw. 4b, 1985 S. 620 Erw. 3b, je mit Hinweisen) sowie den
adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 125 V 461 Erw. 5a, 119 V 406 Erw. 4a; AHI
1996 S. 292 Erw. 4, je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

3.
Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, sind die Voraussetzungen des Schadens
und der Organstellung sowie die Widerrechtlichkeit zu bejahen, was auch vom
Beschwerdeführer nicht bestritten wird. Hingegen stellt er sich auf den
Standpunkt, ihn treffe kein Verschulden, und macht Rechtfertigungs- und
Exkulpationsgründe geltend.

3.1 Nicht jede Verletzung der öffentlich-rechtlichen Pflicht einer
Arbeitgeberfirma ist ohne weiteres als qualifiziertes Verschulden ihrer
Organe zu werten; das absichtliche oder grobfahrlässige Missachten von
Vorschriften verlangt vielmehr einen Normverstoss von einer gewissen Schwere.
Dagegen kann beispielsweise eine relativ kurze Dauer des Beitragsausstandes
sprechen (BGE 121 V 244 Erw. 4b mit Hinweisen). Die Rechtsprechung hat
erkannt, dass ein Beitragsausstand von zwei bis drei Monaten als in diesem
Sinne kurz zu werten ist (vgl. etwa Urteil T. und M. vom 8. Juli 2003, H
141/01 mit Hinweisen). Die Ausgleichskasse, die feststellt, dass sie einen
durch Missachtung der Vorschriften entstandenen Schaden erlitten hat, darf
davon ausgehen, dass der Arbeitgeber die Vorschriften absichtlich oder
mindestens grobfahrlässig verletzt hat, sofern keine Anhaltspunkte für die
Rechtmässigkeit des Handelns oder die Schuldlosigkeit des Arbeitgebers
bestehen; im Rahmen der ihr obliegenden Mitwirkungspflicht ist es
grundsätzlich Sache der belangten Person, den Nachweis für allfällige
Rechtfertigungs- oder Exkulpationsgründe zu erbringen (BGE 108 V 187 Erw. 1b;
SVR 2001 AHV Nr. 15 S. 52 Erw. 5).

3.2 Die konkursite Firma hat die Rechnungen für die Monate März bis Juni
2000, Juli bis September 2000 sowie Oktober bis Dezember 2000 beglichen.
Danach hat sie noch Fr. 8140.70 geleistet. Nicht oder nur zu einem Teil
bezahlt hat sie somit die Jahresabrechnung 2000, die Kosten der Betreibungen
sowie fast die gesamten für 2001 geschuldeten Beiträge. Unter diesen
Umständen und in Anbetracht der Tatsache, dass bis und mit August 2001 noch
Löhne ausbezahlt worden sind und der Konkurs erst Ende Oktober 2001 eröffnet
wurde, kann keine Rede von einer nur kurzen Dauer des Beitragsausstandes
sein. Vielmehr ist der Firma und ihren Organen eine andauernde und erhebliche
Verletzung der Beitragszahlungspflicht und somit ein Verschulden anzulasten.
Soweit der Beschwerdeführer sich darauf beruft, er habe die Ereignisse des
11. September 2001 und den dadurch verursachten Einbruch in der Branche nicht
voraussehen können, ist ihm entgegenzuhalten, dass es nicht Sache der
Ausgleichskasse ist, das wirtschaftliche Risiko eines Unternehmens zu tragen,
und ihm auch nicht der Konkurs der Firma, sondern die Nichtbezahlung der
Beiträge vorgeworfen wird. Nach den zutreffenden Erwägungen im
vorinstanzlichen Entscheid hätte es die Liquiditätslage der Firma, selbst bei
Erfüllung des Verkaufsgeschäftes mit dem Magazin X.________, nicht
zugelassen, die ausstehenden Beiträge innert angemessener Frist zu
begleichen. Mit Recht hat die Vorinstanz zudem festgehalten, dass auf Grund
des per Ende Oktober 2001 aufgelaufenen Verlustes und des andauernden
Liquiditätsengpasses seit Anfang des Jahres nicht mehr mit einer Fortführung
der Gesellschaft gerechnet werden konnte; die Bezahlung der stetig
anwachsenden Beitragsschulden erschien als aussichtslos. Daraus folgt, dass
keine Rechtfertigungs- oder Exkulpationsgründe vorliegen, die den
Beschwerdeführer entlasten könnten. Daran vermögen auch die geltend gemachten
persönlichen Verluste nichts zu ändern, da im Einschiessen finanzieller
Mittel kein Bestreben zur Begleichung der ausstehenden Beiträge erblickt
werden kann (Urteil F., S. und B. vom 4. Dezember 2003, H 173/03, mit
Hinweisen).

3.3 Da mit der Vorinstanz auch der adäquate Kausalzusammenhang zwischen dem
Verhalten des Beschwerdeführers und dem Eintritt des Schadens bei der
Ausgleichskasse zu bejahen ist, sind sämtliche Voraussetzungen für eine
Haftung nach Art. 52 AHVG erfüllt. Der Beschwerdeführer ist demnach zu
verpflichten, der Ausgleichskasse Schadenersatz für entgangene
bundesrechtliche Beiträge von Fr. 37'919.05 zu bezahlen.

4.
Die Vorinstanz hat die zeitliche Anwendung des seit 1. Januar 2003 in Kraft
stehenden Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG; BGE 130 V 1, 129 V 4 Erw. 1.2, je mit
Hinweisen) zutreffend dargelegt. Dasselbe gilt für die Bestimmungen über die
Arbeitgeberhaftung (Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art.
34 ff. AHVV) sowie die hiezu ergangene Rechtsprechung, insbesondere über die
subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 126 V 237, 123 V 15
Erw. 5b, je mit Hinweisen), den zu ersetzenden Schaden (BGE 126 V 444 Erw.
3a, 123 V 15 Erw. 5b, 121 III 384 Erw. 3bb, je mit Hinweisen), die
erforderliche Widerrechtlichkeit (BGE 118 V 195 Erw. 2a, je mit Hinweisen),
die Voraussetzung des Verschuldens (BGE 108 V 186 Erw. 1b, 202 Erw. 3a; ZAK
1992 S. 248 Erw. 4b, 1985 S. 620 Erw. 3b, je mit Hinweisen) sowie den
adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 125 V 461 Erw. 5a, 119 V 406 Erw. 4a; AHI
1996 S. 292 Erw. 4, je mit Hinweisen). Darauf wird verwiesen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 3000.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der AHV/IV-Rekurskommission des Kantons
Thurgau und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 25. Mai 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: