Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 298/2003
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H 298/03

Urteil vom 10. Mai 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiberin Riedi Hunold

R.________, 1940, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 29. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Gestützt auf die Steuermeldung vom 15. Dezember 1999 für die Steuerperiode
1995/96 erfasste die Ausgleichskasse des Kantons Zürich R.________ als
Selbstständigerwerbenden und setzte mit Verfügung vom 23. Dezember 1999 die
Beiträge für das Jahr 1994 gemäss dem gemeldeten Einkommen aus
Liegenschaftshandel von Fr. 1'518'089.- und einem investierten Eigenkapital
von Fr. 0.- fest. Gleichentags forderte sie auf diesen Beiträgen
Verzugszinsen von Fr. 43'180.05.

B.
R.________ liess hiegegen Beschwerde erheben und u.a. die Sistierung des
Verfahrens bis zum Vorliegen des bundesgerichtlichen Urteils über die
Steuerveranlagung 1995/96 beantragen. Die Ausgleichskasse schloss sich dem
Sistierungsantrag an. Diesem Begehren kam das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich mit Verfügung vom 6. April 2001 nach. Im Nachgang zum
bundesgerichtlichen Urteil vom 15. Februar 2002 (2A.234/2001), mit welchem
der Entscheid der Bundessteuer-Rekurskommission des Kantons Zürich, wonach
sich der Gewinn aus Liegenschaftshandel auf Fr. 1'870'076.- belaufe,
bestätigt wurde, verfügte die Ausgleichskasse gestützt auf die Steuermeldung
vom 23. April 2002 pendente lite am 13. Mai 2002 persönliche Beiträge für das
Jahr 1994 von Fr. 180'315.-. Dagegen erhob R.________ erneut Beschwerde. Mit
Verfügung vom 30. September 2002 vereinigte das Sozialversicherungsgericht
die beiden Verfahren, hob die Sistierung auf und gab R.________ mit dem
Hinweis auf eine mögliche Schlechterstellung die Gelegenheit zum Rückzug
seiner Beschwerde. R.________ beantragte, es seien unter Berücksichtigung
eines investierten Eigenkapitals in der Höhe des Vermögenswertes der
verkauften Liegenschaft Beiträge von Fr. 131'276.90 zuzüglich Verzugszinsen
von Fr. 7574.30 festzusetzen; im Übrigen ziehe er seine Beschwerde zurück.
Mit Entscheid vom 29. August 2003 wies das Sozialversicherungsgericht die
Beschwerde ab, hiess Beiträge von Fr. 180'315.- gut und erhöhte die
Verzugszinsen auf Fr. 53'192.90.

C.
R.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem sinngemässen Antrag,
der vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben. Die Ausgleichskasse und das
Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf eine Vernehmlassung.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
Die Vorinstanz hat die Grundsätze über die zeitliche Anwendung des am 1.
Januar 2003 in Kraft getretenen Bundesgesetzes über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 (BGE 129 V 4 Erw. 1.2
mit Hinweisen) sowie der massgeblichen Normen der Verzugszinsen (Abs. 4 der
Übergangsbestimmung zur Änderung der Verordnung über die Alters- und
Hinterlassenenversicherung vom 1. März 2000) zutreffend dargelegt. Dasselbe
gilt für die Bestimmungen und die Rechtsprechung über die Festsetzung der
Beiträge Selbstständigerwerbender im ordentlichen Verfahren (Art. 22 AHVV in
der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; AS 2000 1441), die
Massgeblichkeit der Steuermeldung (Art. 23 Abs. 1 und 4 AHVV in der bis 31.
Dezember 2000 geltenden Fassung; AS 2000 1441; AHI 1997 S. 25 Erw. 2b mit
Hinweisen), die Ermittlung des beitragspflichtigen Einkommens (Art. 9 Abs. 2
AHVG), insbesondere des investierten Eigenkapitals (Art. 9 Abs. 2 lit. e
AHVG, Art. 18 AHVV in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; AS 2000
1441), sowie die Pflicht zur Bezahlung von Verzugszinsen (Art. 41bis ff. AHVV
in der bis 31. Dezember 2000 geltenden Fassung; AS 2000 1441). Ebenfalls
richtig ist die Rechtsprechung zu den pendente lite erlassenen Verfügungen
(BGE 127 V 232 Erw. 2b/bb mit Hinweisen), welche auch unter der Herrschaft
des am 1. Januar 2003 in Kraft getretenen Art. 53 Abs. 3 ATSG ihre Geltung
beibehält (nicht veröffentlichtes Urteil K. vom 20. April 2004, I  653/03).
Darauf wird verwiesen.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer macht geltend, das ganze Verfahren sei willkürlich,
weil der Kanton Zürich einerseits Nutzniesser der von ihm zu bezahlenden
Steuern und AHV-Beiträge sowie andererseits verantwortlich für die den
Steuer- und AHV-Beitragsforderungen zugrunde liegende Grundstücksenteignung
sei. Dass ein Gemeinwesen die ihm von der Verfassung und dem Gesetz
übertragenen Aufgaben wahrnimmt, macht dessen Tätigwerden nicht willkürlich.
Inwiefern das Beitragsverfahren als solches willkürlich verlaufen sein soll,
legt der Beschwerdeführer jedoch nicht dar. Sein allgemeiner Einwand ist
somit unbegründet und bedarf keiner weiteren Erörterung.

3.2 Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers war die Ausgleichskasse des
Kantons Zürich zuständig für die Erhebung der Beiträge aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit (Art. 117 Abs. 2 AHVV). Daran ändert auch der Umstand
nichts, dass der Beschwerdeführer im Übrigen seine Beiträge bei einer anderen
Ausgleichskasse abrechnet. Denn das dort erfasste Einkommen ist massgebender
Lohn aus seiner Tätigkeit als angestellter Architekt bei der Firma X.________
AG sowie allenfalls der Y.________ AG; im hier streitigen Fall geht es
hingegen um Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit.

3.3 Gemäss Art. 16 Abs. 1 AHVG verwirken Beiträge innert fünf Jahren nach
Ablauf des Kalenderjahres, für welches sie geschuldet werden. Art. 16 Abs. 1
Satz 2 AHVG in der ab 1. Januar 1997 geltenden Fassung bestimmt, dass für
Beiträge nach Art. 6, Art. 8 Abs. 1 und Art. 10 Abs. 1 AHVG diese Frist erst
ein Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die massgebende
Steuerveranlagung rechtskräftig wurde, endet. Für den hier zu beurteilenden
Fall ist die ab 1. Januar 1997 in Kraft stehende Fassung massgebend (lit. b
Abs. 1 der Schlussbestimmungen der 10. AHV-Revision).
Streitig sind Beiträge für das Jahr 1994, welche gestützt auf die
Steuerveranlagung 1995/96 erhoben werden. Diese Steuerveranlagung wurde erst
mit Urteil des Bundesgerichts vom 15. Februar 2002 rechtskräftig. Demnach
endet die Frist nach Art. 16 Abs. 1 Satz 2 AHVG erst am 31. Dezember 2003.
Bei dieser Rechtslage kann offen bleiben, ob dem Beschwerdeführer die
streitige Verfügung vom 23. Dezember 1999 noch in demselben Jahr oder erst im
Januar 2000 zuging, da die Beiträge so oder anders nicht verwirkt sind, er
offensichtlich in der Lage war, rechtzeitig Beschwerde zu erheben, und ihm
zudem aus der behaupteten unrechtmässigen Zustellung keine Rechtsnachteile
erwachsen sind (BGE 111 V 150 Erw. 4c; ZAK 1992 S. 221 Erw. 5, je mit
Hinweisen).

3.4 Zu prüfen bleibt die massliche Beitragsfestsetzung.

3.4.1 Mit dem kantonalen Gericht ist festzuhalten, dass keine Gründe
ersichtlich sind, die ein Abweichen von dem von den Steuerbehörden gestützt
auf das bundesgerichtliche Urteil vom 15. Februar 2002 gemeldeten
beitragspflichtigen Einkommen von gerundet Fr. 1'870'000.- rechtfertigen
würden. Insbesondere sind Vorinstanz und Verwaltung zu Recht davon
ausgegangen, dass dem gemeldeten Einkommen eine beitragspflichtige
selbstständige Erwerbstätigkeit zugrunde liegt. Das Bundesgericht hat denn
auch in überzeugender Weise dargelegt, weshalb bei der Veräusserung der
Liegenschaft Z.________ von einer selbstständigen Erwerbstätigkeit auszugehen
ist.

3.4.2 Die Beitragsfestsetzung nach Art. 23bis AHVV setzt voraus, dass im
steuerrechtlichen Verfahren (bei einer zweijährigen Steuerperiode) eine
Veranlagung nach Art. 43 BdBSt bzw. ab 1. Januar 1995 nach Art. 47 DBG
stattgefunden hat (vgl. Wegleitung über die Beiträge der
Selbständigerwerbenden und Nichterwerbstätigen [WSN] in der AHV, IV und EO,
Rz 1315 und 1219 ff. in der ab 1. Januar 1994 geltenden Fassung sowie Rz 1337
in der ab 1. Januar 1995 geltenden Fassung). Dies trifft hier nicht zu;
gemäss Urteil vom 15. Februar 2002 handelt es sich um eine ordentliche
Steuerveranlagung. Auf Grund der somit gegebenen nebenberuflichen,
gelegentlich ausgeübten selbstständigen Erwerbstätigkeit haben Vorinstanz und
Verwaltung zu Recht eine Beitragsfestsetzung im ordentlichen Verfahren nach
Art. 22 Abs. 3 AHVV vorgenommen. Daran ändert auch nichts, dass die
Steuerbehörden eine "Z"-Meldung vornahmen (vgl. Rz 1220 WSN in der ab 1.
Januar 1994 geltenden Fassung bzw. Rz 1329 WSN in der ab 1. Januar 1995
geltenden Fassung); denn die Bestimmung des anwendbaren Beitragsverfahrens
obliegt den Ausgleichskassen und nicht dem Steueramt.

3.4.3 Im Rahmen der ordentlichen Beitragsfestsetzung wird zur Ermittlung des
beitragspflichtigen Einkommens u.a. ein Zins auf dem im Betrieb arbeitenden
eigenen Kapital abgezogen (Art. 9 Abs. 2 lit. e AHVG). Das investierte
Eigenkapital wird nach den Grundsätzen der Bundessteuern bemessen (Art. 18
Abs. 1 AHVV). Massgebender Zeitpunkt hiezu ist der 1. Januar nach Ablauf der
Bemessungsperiode (BGE 109 V 162 Erw. 4; AHI 1994 S. 265, 1993 S. 229 Erw.
7a, je mit Hinweisen).
Im hier zu beurteilenden Fall bedeutet dies, dass als Stichtag für die
Ermittlung des investierten Eigenkapitals der 1. Janaur 1995 massgebend ist,
da bei der Beitragsfestsetzung nach Art. 22 Abs. 3 AHVV Bemessungs- und
Beitragsperiode zusammenfallen. Da die selbstständige Erwerbstätigkeit mit
der Veräusserung der Liegenschaft Z.________ im Jahr 1994 endete, betrug das
im Betrieb investierte Kapital am 1. Januar 1995 Fr. 0.-. Somit ist kein
Abzug für das im Betrieb eingesetzte Kapital vorzunehmen.

3.5 Nachdem die reformatio in peius bezüglich der Beitragsverfügung vom 13.
Mai 2002 ordnungsgemäss angedroht wurde und der Beschwerdeführer von seiner
Rückzugsmöglichkeit keinen Gebrauch machte, ist die pendente lite erlassene
Beitragsverfügung nicht zu beanstanden.

4.
In ihrer Verfügung vom 30. September 2002, mit welcher die Vorinstanz dem
Beschwerdeführer das rechtliche Gehör im Rahmen der vorgenommenen reformatio
in peius gewährte, wies sie ihn darauf hin, dass bei einem Rückzug der
Beschwerde nur die Beitragsverfügung in Rechtskraft erwachse, da das
Schreiben der Ausgleichskasse bezüglich der Verzugszinsen vom 23. Dezember
1999 keine formelle Verfügung darstelle. In ihrem Entscheid vom 29. August
2003 schrieb sie diesem jedoch Verfügungscharakter zu und berechnete höhere
Verzugszinsen von neu Fr. 53'192.90.
Zwar ist es zutreffend, dass es sich beim Schreiben vom 23. Dezember 1999
nicht um eine formelle Verfügung handelt; allerdings hätte die Vorinstanz dem
Beschwerdeführer auch diesbezüglich und ungeachtet der Akzessorietät der
Verzugszinsen die Möglichkeit zum Rückzug der Beschwerde geben müssen, bevor
sie eine reformatio in peius vornahm. Indem sie in ihrem Entscheid der
Aufforderung vom 23. Dezember 1999 Verfügungscharakter zuschrieb, wäre bei
einem entsprechenden Rückzug auch dieses von ihr als materielle Verfügung
qualifizierte Schreiben in Rechtskraft erwachsen und eine reformatio in peius
unmöglich geworden. Da sie jedoch in ihrer Verfügung vom 30. September 2002
die Verzugszinsen ausdrücklich von der Rechtskraft ausnahm, hat sie sich in
einer für den Beschwerdeführer irreführenden Weise geäussert und unter
Missachtung der erforderlichen Rückzugsmöglichkeit eine Schlechterstellung
vorgenommen. Auf Grund der Äusserungen des Beschwerdeführers in seiner
vorinstanzlichen Eingabe vom 30. Dezember 2002 muss davon ausgegangen werden,
dass dieser so oder anders an seiner Beschwerde festgehalten hätte, weshalb
die Verletzung des rechtlichen Gehörs geheilt werden könnte. Weil das
Eidgenössische Versicherungsgericht in Beitragsstreitigkeiten aber lediglich
über eingeschränkte Kognition verfügt (oben Erw. 1) und somit Sach- und
Rechtslage nicht frei überprüfen kann (BGE 127 V 437 Erw. 3d/aa mit Hinweis),
ist die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese nach
ordnungsgemässer Androhung der reformatio in peius über die Pflicht zur
Zahlung von Verzugszinsen neu entscheide.

5.
Da es weder um die Bewilligung noch Verweigerung von Leistungen geht, ist das
Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die Gerichtskosten
werden im Ausmass des Unterliegens auf die Parteien aufgeteilt (Art. 156 Abs.
1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In teilweiser Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der
Entscheid des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 29. August
2003 bezüglich der Pflicht zur Zahlung von Verzugszinsen aufgehoben und es
wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen, damit sie im Sinne der
Erwägungen verfahre und hernach über die Pflicht zur Zahlung von
Verzugszinsen neu entscheide; im Übrigen wird die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 7000.- werden zu 4/5 dem Beschwerdeführer unter
Anrechnung des von ihm geleisteten Kostenvorschusses und zu 1/5 der
Ausgleichskasse des Kantons Zürich auferlegt.

3.
Dem Beschwerdeführer wird der Differenzbetrag von Fr. 1400.- zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 10. Mai 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: