Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 267/2003
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H 267/03

Urteil vom 21. Januar 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiberin
Bucher

A.________, 1937, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Stefano
Fabbro, rue du Progrès 1, 1700 Fribourg,

gegen

Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes, Viaduktstrasse 42, 4051
Basel, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg, Givisiez

(Entscheid vom 14. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Der am 8. Juli 1937 geborene A.________ wohnte von seiner Geburt bis 1948 mit
seinen Eltern in Y.________ (Grossbritannien). Von 1948 bis 1955 lebte er,
abgesehen von einem Aufenthalt in Y.________ im Jahr 1951, mit seiner Mutter
in Z.________ (Ägypten). Nach der Trennung seiner Eltern im Frühling 1955
hielt er sich zunächst allein in W.________ auf, um am 2. November 1955
ebenfalls ohne Eltern als britischer Staatsangehöriger in die Schweiz
einzureisen, wo er sich fortan aufhielt und 1981 das Schweizer Bürgerrecht
erlangte.

Nach seiner Einreise in die Schweiz lernte er zunächst Deutsch und bereitete
sich auf die Aufnahmeprüfung der Hochschule X.________ (Schweiz) vor, an
welcher er anschliessend vom 22. Oktober 1957 bis am 24. Juli 1962 sein
Studium absolvierte. Während der Studienzeit wurden keine AHV-Beiträge
entrichtet. Nach Abschluss seines Studiums arbeitete er von Herbst 1962 bis
März 1999 für verschiedene in der Schweiz ansässige Unternehmen. Während
dieser Zeit wurden für den Versicherten aufgrund seiner Arbeitsverhältnisse
Beiträge bezahlt. Von 1999 bis Juli 2002 leistete dieser Beiträge als
Nichterwerbstätiger.

Mit Verfügung vom 27. Juni 2002 sprach die Ausgleichskasse des Basler
Volkswirtschaftsbundes A.________ mit Wirkung ab 1. August 2002 eine
ordentliche Alters-Teilrente aufgrund einer Beitragsdauer von 40 Jahren zu.
Zur Begründung wurde angeführt, der Versicherte sei bis Dezember 1961 der
schweizerischen Sozialversicherung nicht unterstellt gewesen.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Freiburg mit Entscheid vom 14. August 2003 ab.

C.
A.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Rechtsbegehren,
die Sache sei unter Aufhebung des kantonalen Gerichtsentscheides und der
Verwaltungsverfügung an die Ausgleichskasse zurückzuweisen, damit diese die
Rente aufgrund einer Beitragsdauer von 43 Jahren berechne.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das kantonale Gericht hat die einschlägigen Bestimmungen über den Anspruch
auf eine Altersrente im Allgemeinen (Art. 21 AHVG) und den Anspruch auf eine
ordentliche Altersrente in Form einer Voll- oder Teilrente im Besonderen
(Art. 29 AHVG) sowie über die Berechnung der ordentlichen Renten hinsichtlich
der Beitragsdauer (Art. 29bis, 29ter und 38 AHVG), insbesondere Art. 52d AHVV
über die Anrechnung zusätzlicher Beitragsjahre für fehlende Beitragsjahre vor
dem 1. Januar 1979, in der hier anwendbaren, vor Inkrafttreten des ATSG (1.
Januar 2003) geltenden Fassung (vgl. BGE 129 V 356 Erw. 1) zutreffend
wiedergegeben. Darauf wird verwiesen.

2.
Verwaltung und Vorinstanz vertreten die Auffassung, in den Jahren 1958 bis
1961, in welchen der damals nicht mit einer Erwerbstätigkeit verbundene
Aufenthalt in der Schweiz lediglich Studienzwecken gedient habe und daher
kein schweizerischer Wohnsitz begründet worden sei, sei der Beschwerdeführer
weder versichert gewesen noch hätte er sich versichern können, weshalb die
Voraussetzungen für die Anrechnung zusätzlicher Beitragsjahre nach Art. 52d
AHVV nicht erfüllt seien. Der Versicherte macht demgegenüber geltend, er habe
seit seiner Einreise im November 1955 in der Schweiz Wohnsitz gehabt und sei
deshalb während seiner Studienzeit versichert und ab 1958 beitragspflichtig
gewesen, weshalb bei mehr als 40 effektiv zurückgelegten Beitragsjahren in
Anwendung von Art. 52d AHVV zusätzliche Beitragsjahre anzurechnen seien und
die Rente demnach auf der Grundlage einer Beitragszeit von 43 Jahren zu
berechnen sei.

3.
Die Frage, ob der Beschwerdeführer in den Jahren 1958 bis 1961 obligatorisch
versichert war - diesfalls braucht, da dies für die Anwendbarkeit von Art.
52d AHVV genügt, nicht geprüft zu werden, ob er sich im Sinne dieser
Bestimmung hätte versichern können -, ist im Lichte der damals geltenden
Rechtsvorschriften zu beantworten. Obligatorisch versichert waren nach Art. 1
Abs. 1 lit. a AHVG in der damaligen Fassung unter anderem "die natürlichen
Personen, die in der Schweiz ihren zivilrechtlichen Wohnsitz haben"
(Bereinigte Sammlung der Bundesgesetze und Verordnungen 1848-1947
[nachfolgend: BS] Band 8 S. 447), wobei sich das Vorliegen eines
zivilrechtlichen Wohnsitzes mangels gegenteiliger staatsvertraglicher
Bestimmungen nach Art. 23 ff. ZGB beurteilt (ZAK 1990 S. 247 Erw. 3a; SVR
2000 IV Nr. 14 S. 44 Erw. II/3b).

3.1 Gemäss Art. 23 Abs. 1 ZGB befindet sich der Wohnsitz einer Person an dem
Ort, wo sie sich mit der Absicht dauernden Verbleibens aufhält (Art. 23 Abs.
1 ZGB) und den sie sich zum Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen gemacht hat.
Für die Begründung des Wohnsitzes müssen somit zwei Merkmale erfüllt sein:
ein objektives äusseres, der Aufenthalt, sowie ein subjektives inneres, die
Absicht dauernden Verbleibens, wobei es diesbezüglich nicht auf den inneren
Willen, sondern darauf ankommt, auf welche Absicht die erkennbaren Umstände
objektiv schliessen lassen (BGE 127 V 238 Erw. 1). Nicht erforderlich ist die
Absicht, für immer oder für eine unbestimmte Zeitspanne an einem Ort zu
bleiben; die Absicht eines vorübergehenden Aufenthaltes kann für eine
Wohnsitzbegründung genügen, wenn der Aufenthalt auf eine gewisse Dauer
angelegt ist und der Lebensmittelpunkt an den Aufenthaltsort verlegt wird
(RKUV 2000 Nr. KV 101 S. 15 Erw. 3a; ASA 64 S. 405 Erw. 3a). Um den Wohnsitz
einer Person festzustellen, ist die Gesamtheit ihrer Lebensumstände in
Betracht zu ziehen: Der Mittelpunkt der Lebensinteressen befindet sich an
demjenigen Ort bzw. in demjenigen Staat, wo sich die meisten Aspekte des
persönlichen, sozialen und beruflichen Lebens der betroffenen Person
konzentrieren, sodass deren Beziehungen zu diesem Zentrum enger sind als jene
zu einem anderen Ort bzw. Staat (BGE 125 III 102 mit Hinweisen; ZAK 1990 S.
247 Erw. 3a; RDAT 1995 II Nr. 71 S. 198 Erw. 3).

3.2 Gemäss Art. 25 ZGB in der im hier interessierenden Zeitraum noch in Kraft
gestandenen ursprünglichen Fassung (BS Band 2 S. 7) galt der Wohnsitz von
Vater und Mutter als Wohnsitz der unter ihrer Gewalt stehenden Kinder, somit
insbesondere der noch unmündigen Kinder (Art. 273 ZGB in der gleichen Fassung
[BS Band 2 S. 51]), wobei man damals mit der Vollendung des zwanzigsten
Lebensjahres mündig wurde (Art. 14 Abs. 1 ZGB in der gleichen Fassung [BS
Band 2 S. 5]).

3.3 Nach Art. 26 ZGB begründen der Aufenthalt an einem Ort zum Zweck des
Besuches einer Lehranstalt und die Unterbringung einer Person in einer
Erziehungs-, Versorgungs-, Heil- oder Strafanstalt keinen Wohnsitz. Diese
Bestimmung schliesst indessen die Wohnsitznahme am Aufenthaltsort nicht aus,
sondern begründet lediglich die widerlegbare Vermutung, der Lebensmittelpunkt
sei nicht an den fraglichen Ort verlegt worden (BGE 108 V 25 Erw. 2b; ZAK
1984 S. 540 Erw. 2a; Pra 2001 Nr. 131 S. 787 Erw. 4a). Von grosser Bedeutung
für die Frage, ob der Schwerpunkt der Lebensverhältnisse und damit der
Wohnsitz an den Studienort verlegt wurde, ist, ob die studierende Person
regelmässig zu ihren Eltern zurückkehrt: So bleibt bei Studierenden, die
regelmässig an den Wochenenden und in den Semesterferien zu ihren Eltern
zurückkehren, der Wohnsitz der Eltern massgebend (BGE 82 III 13; Pra 2003 Nr.
12 S. 56 Erw. 2.2); demgegenüber wird eine Wohnsitzverlegung an den
Studienort angenommen, wenn zu diesem eine enge Beziehung besteht und die
Beziehungen zum bisherigen Wohnsitz stark gelockert sind, was sich
insbesondere darin zeigen kann, dass die studierende Person nur noch selten,
insbesondere auch nicht mehr in den Semesterferien, zu ihren Eltern, bei
denen sie zuvor gewohnt hatte, zurückkehrt (Bucher, Berner Kommentar, Das
Personenrecht, 2. Abteilung, 1. Teilband, Bern 1976, N 11 zu Art. 26 ZGB;
Hans Michael Riemer, Personenrecht des ZGB, 2. Aufl., Bern 2002, Rz. 203;
Staehelin, Basler Kommentar, Zivilgesetzbuch I, 2. Aufl., Basel 2002, N 4 zu
Art. 26 ZGB).

3.4 Art. 2 Abs. 1 lit. a AHVV in der in den Jahren 1958 bis 1961 geltenden
Fassung (BS Band 8 S. 505) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 lit. c AHVG in der
damaligen Fassung (BS Band 8 S. 448) präzisierte, dass Personen, die sich
ausschliesslich zu Studien- oder sonstigen Ausbildungszwecken in der Schweiz
aufhalten, nicht obligatorisch versichert sind, sofern sie in der Schweiz
keine Erwerbstätigkeit ausüben und keinen Wohnsitz begründen.

4.
Zu prüfen ist demnach, ob der Beschwerdeführer vor 1962 in der Schweiz
Wohnsitz hatte und dadurch obligatorisch versichert war.

4.1 Unbestritten und aufgrund der Akten offensichtlich gegeben ist das von
Art. 23 Abs. 1 ZGB verlangte objektive Merkmal des Aufenthaltes in der
Schweiz ab 2. November 1955.

4.2 Unabhängig davon, ob der Versicherte schon damals den Wunsch hegte, sich
für immer in der Schweiz niederzulassen, ist anzunehmen, dass er spätestens
im Zeitpunkt der Aufnahme des Studiums im Herbst 1957 - als er das 20.
Lebensjahr vollendet hatte und mündig war, sodass Art. 25 ZGB der Begründung
eines eigenen Wohnsitzes jedenfalls nicht mehr entgegen stehen konnte - die
Absicht hatte, bis zum Abschluss der Ausbildung in der Schweiz zu bleiben,
womit sein Aufenthalt auf längere Zeit angelegt war. Von einer regelmässigen
Rückkehr des damaligen Studenten zu seinen Eltern kann keine Rede sein; denn
in Anbetracht der Distanzen, insbesondere jener zum Wohnort seiner Mutter,
bei der er abgesehen von seinem Aufenthalt in W.________ zuletzt gelebt
hatte, liegt zum einen auf der Hand, dass der Beschwerdeführer an den
Wochenenden nicht zu seinen Eltern zurückkehrte, und kommen zum andern keine
Zweifel auf an dessen unwidersprochen gebliebener Behauptung, er sei jeweils
auch in den Ferien nicht zu seiner Familie gereist. Die Beziehungen zum
elterlichen Wohnort bzw. den elterlichen Wohnorten waren daher stark
gelockert. Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass der
Beschwerdeführer während seines Studiums nicht ausschliesslich zu
Ausbildungszwecken in der Schweiz weilte, sondern dass sich die meisten
Aspekte seines Lebens - nicht nur in ausbildungsmässiger Hinsicht, welche bei
Studierenden an die Stelle der beruflichen Interessen zu treten hat, sondern
auch bezüglich der persönlichen und sozialen Gesichtspunkte - in diesem Staat
konzentrierten. Es lag mithin eine Verlegung des Lebensmittelpunktes in die
Schweiz vor, weshalb die Vermutung des Art. 26 ZGB widerlegt und auch die
subjektive Voraussetzung des Art. 23 Abs. 1 ZGB, die Absicht dauernden
Verbleibens in Verbindung mit dem Mittelpunkt der Lebensverhältnisse, erfüllt
und jedenfalls ab Herbst 1957 ein schweizerischer Wohnsitz zu bejahen ist.

4.3 Wegen der Wohnsitzbegründung in der Schweiz griff die in Art. 2 Abs. 1
lit. a AHVV in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 lit. c AHVG vorgesehene Ausnahme
von der Versicherungsunterstellung nicht, sondern der Beschwerdeführer war
jedenfalls ab Herbst 1957 nach Art. 1 Abs. 1 lit. a AHVG obligatorisch
versichert und ab 1. Januar 1958 beitragspflichtig (Beginn der
Beitragspflicht für Nichterwerbstätige am 1. Januar des der Vollendung des
20. Altersjahres folgenden Jahres gemäss Art. 3 Abs. 1 AHVG in der damaligen
Fassung [AS 1957 262]).

5.
Der Versicherte weist daher für die Zeit von 1958 bis 1961 eine Beitragslücke
und damit vier fehlende Beitragsjahre vor dem 1. Januar 1979 auf. Für diese
sind, da der Beschwerdeführer zum einen während der fehlenden Beitragsjahre
nach Art. 1 AHVG versichert war und zum andern effektiv 40 volle
Beitragsjahre zurückgelegt hat, nach Art. 52d AHVV in der im Jahr 2002
geltenden Fassung (AS 1996 675) drei Beitragsjahre (entsprechend dem in
dieser Bestimmung vorgesehenen Maximum) zusätzlich anzurechnen. Da die
Heranziehung der siebenmonatigen Beitragszeit im Jahr der Entstehung des
Rentenanspruchs (Art. 52c AHVV) nicht zu einem weiteren vollen Beitragsjahr
(Art. 50 AHVV in der im Jahr 2002 geltenden Fassung [AS 1996 672]) führt,
sind der Rentenberechnung demnach 43 (volle [vgl. Art. 38 Abs. 2 AHVG in
Verbindung mit Art. 52 Abs. 1 AHVV]) Beitragsjahre zugrunde zu legen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid des
Verwaltungsgerichts des Kantons Freiburg vom 14. August 2003 und die
Verfügung vom 27. Juni 2002 aufgehoben, und es wird die Sache an die
Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes zurückgewiesen, damit sie
die Altersrente aufgrund einer Beitragsdauer von 43 Jahren festsetze.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Die Ausgleichskasse des Basler Volkswirtschaftsbundes hat dem
Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich
Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

4.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg wird über eine
Parteientschädigung für das kantonale Verfahren entsprechend dem Ausgang des
letztinstanzlichen Prozesses zu befinden haben.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Freiburg,
Sozialversicherungsgerichtshof, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 21. Januar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: