Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 255/2003
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H 255/03

Urteil vom 4. Dezember 2003
IV. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Ferrari; Gerichtsschreiber
Flückiger

R.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jost
Schumacher, Alpenstrasse 1, 6004 Luzern,

gegen

Ausgleichskasse Luzern, Würzenbachstrasse 8, 6006 Luzern, Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Luzern, Luzern

(Entscheid vom 5. August 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 5. November 2002 setzte die Ausgleichskasse Luzern die
persönlichen Beiträge von R.________ aus selbstständiger Erwerbstätigkeit für
die Beitragsperiode vom 1. Januar 1998 bis 31. Dezember 1999 fest. Der
Beitragsberechnung wurde das der Kasse am 11. Juli 2002 durch die
Steuerbehörden gemeldete, um die persönlichen Beiträge erhöhte und um den
Zins auf dem im Betrieb eingesetzten Kapital verminderte durchschnittliche
Einkommen der Jahre 1995 und 1996 zu Grunde gelegt.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons
Luzern ab (Entscheid vom 5. August 2003).

C.
R.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, es sei
das beitragspflichtige Einkommen in dem Sinne herabzusetzen, dass die
Geschäftsverluste aus den Vorjahren zum Abzug zugelassen würden.

Die Ausgleichskasse schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Wie das kantonale Gericht zutreffend dargelegt hat, wird das für die
Beitragsbemessung massgebende Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit
gemäss Art. 9 Abs. 2 AHVG ermittelt, indem vom hierdurch erzielten rohen
Einkommen unter anderem die eingetretenen und verbuchten Geschäftsverluste
(Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG) sowie der Zins des im Betrieb eingesetzten
eigenen Kapitals (Art. 9 Abs. 2 lit. f AHVG) abgezogen werden. Richtig ist
auch, dass gemäss Art. 18 Abs. 1 AHVV für die Ausscheidung und das Ausmass
der vom rohen Einkommen zulässigen Abzüge die Vorschriften über die direkte
Bundessteuer massgebend sind. Die Vorinstanz hat ferner mit Recht erwogen,
dass das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im
vorliegenden Fall nicht anwendbar ist, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 29. November 2002) eingetretene
Rechts- und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Streitig sind die vom Beschwerdeführer für die Beitragsjahre 1998 und 1999 zu
entrichtenden persönlichen AHV/IV/EO-Beiträge auf dem Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit. Der Beitragsberechnung ist
unbestrittenermassen das durchschnittliche reine Erwerbseinkommen der
Berechnungsperiode 1995/96 zu Grunde zu legen (vgl. Art. 22 Abs. 1 und 2 AHVV
in der bis 31. Dezember 2000 gültig gewesenen Fassung). Dieses belief sich
unter Berücksichtigung der aufzurechnenden persönlichen Beiträge (BGE 111 V
301 f. Erw. 4g) sowie nach Abzug des Zinses auf dem im Betrieb eingesetzten
eigenen Kapital (Art. 9 Abs. 2 lit. f AHVG), jedoch ohne Abzug eines
Geschäftsverlustes auf Fr. 846'600.--. Diese Zahlen sind aktenmässig erstellt
und durch die Beteiligten anerkannt.

3.
Umstritten ist die Zulässigkeit des Abzugs der in den Jahren 1991 bis 1994
eingetretenen Geschäftsverluste im Rahmen der Ermittlung des
beitragspflichtigen Einkommens der Berechnungsperiode 1995/96, welches die
Grundlage der Beitragsberechnung für die Jahre 1998 und 1999 bildet.

3.1 Art. 31 des seit 1. Januar 1995 geltenden Bundesgesetzes vom 14. Dezember
1990 über die direkte Bundessteuer (DBG) lässt (wie bereits die weitgehend
inhaltsgleiche Vorgängernorm, Art. 41 des Beschlusses über die direkte
Bundessteuer [BdBSt; früher: Wehrsteuerbeschluss, WStB]) für die direkte
Bundessteuer die Verrechnung von in den drei vorangegangenen
Bemessungsperioden erlittenen Verlusten zu, soweit diese bei der Berechnung
des steuerbaren Einkommens der Vorjahre nicht berücksichtigt werden konnten.
Demgegenüber hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in seiner
Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 lit. c AHVG, wonach die eingetretenen und
verbuchten Geschäftsverluste vom rohen Einkommen abzuziehen sind, bereits im
Jahr 1951 (ZAK 1951 S. 461 f.) die Verrechnung eingetretener Verluste über
eine Berechnungsperiode hinaus abgelehnt. Im Jahr 1960 wurde diese Praxis mit
ausführlicher Begründung bestätigt (EVGE 1960 S. 29). Seither hat das Gericht
in mehreren Urteilen am Grundsatz, wonach in einem Geschäftsjahr entstandene
Verluste nur mit dem Einkommen aus einem anderen Jahr verrechnet werden
können, welches in dieselbe Berechnungsperiode fällt, während ein
Verlustvortrag auf künftige Perioden für die Ermittlung des
beitragspflichtigen durchschnittlichen Jahreseinkommens ausgeschlossen ist,
festgehalten (ZAK 1988 S. 452 f. Erw. 6; Urteil K. vom 2. September 2003, H
187/03; nicht veröffentlichte Urteile B. vom 23. Dezember 1997, H 345/95, und
S. vom 27. Januar 1997, H 222/96; vgl. auch BGE 110 V 374 oben Erw. 3b sowie
AHI 1994 S. 140 Erw. 4a). In der Lehre fand diese Praxis Zustimmung (Böhi,
Der unterschiedliche Einkommensbegriff im Steuerrecht und im
Sozialversicherungsrecht und seine Auswirkungen auf die Beitragserhebung,
Diss. Bern 2001, S. 136 mit Fn. 395) oder wurde kommentarlos als der
Rechtslage entsprechend wiedergegeben (Käser, Unterstellung und Beitragswesen
in der obligatorischen AHV, 2. Auflage, Bern 1996, S. 202 Rz. 8.10;
Greber/Duc/Scartazzini, Commentaire des articles 1 à 16 de la loi fédérale
sur l'assurance-vieillesse et survivants [LAVS], Basel 1997, N 111 zu Art.
9).

3.2 Der Beschwerdeführer verlangt eine Änderung der dargelegten
Rechtsprechung. Zur Begründung führt er aus, gemäss Art. 18 Abs. 1 AHVV seien
für die Ausscheidung und das Ausmass der nach Art. 9 Abs. 2 lit. a - e AHVG
zulässigen Abzüge die Vorschriften über die direkte Bundessteuer massgebend.
Diese Norm stelle eine Gesamtverweisung dar, welche das ganze DBG und
insbesondere auch dessen Art. 31 erfasse. Für eine Abweichung von der
steuerrechtlichen Regelung bestehe keine Grundlage. Darüber hinaus erscheine
das resultierende Ergebnis als stossend, habe doch der verweigerte Abzug des
Verlustüberschusses zur Folge, dass der Beschwerdeführer in der
Beitragsperiode 1998/99 einen Grossteil seines Einkommens, welches er gemäss
der Steuerveranlagung erzielt habe, für AHV/IV/EO-Beiträge aufwenden müsse.
Die Rechtsprechung laufe auch dem Grundsatz zuwider, dass bei der Festsetzung
des AHV-pflichtigen Einkommens grundsätzlich mit einigen Korrekturen auf das
steuerrechtlich veranlagte Einkommen abgestellt werden solle. Zudem werde sie
dem Grundgedanken der Festsetzung der AHV-Beiträge nach der wirtschaftlichen
Leistungsfähigkeit nicht gerecht. Verletzt würden ausserdem der klare
Gesetzeswortlaut wie auch das Gebot der Rechtsgleichheit. Insbesondere in der
Immobilienbranche ergäben sich unbillige und offensichtlich unhaltbare
Resultate.

3.3 Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kommt Art. 18 Abs. 1 AHVV
nicht die Bedeutung zu, dass die Regelung des DBG zu den Abzügen vom
Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit für die Belange des
AHV-rechtlichen Beitragswesens integrale Geltung beanspruchen könnte.
Vielmehr beschränkt sich der Verlustabzug und damit auch die Tragweite der
Verweisung auf denjenigen Rahmen, welchen das der Verordnungsbestimmung
übergeordnete Gesetzesrecht vorsieht (ZAK 1986 S. 221 f.; Käser, a.a.O., S.
201 Rz. 8.7). Die Zulässigkeit eines bestimmten Abzugs ist deshalb in erster
Linie durch Auslegung von Art. 9 Abs. 2 AHVG zu beurteilen. Diesbezüglich hat
die Vorinstanz zu Recht erwogen, dass die Beitragsbemessung vom Prinzip der
Periodizität beherrscht wird, welches besagt, dass unter Vorbehalt einer
abweichenden Regelung nur die während der Berechnungsperiode realisierten
Einkommensbestandteile und eingetretenen Verluste berücksichtigt werden. Im
Gegensatz zum DBG enthält das AHVG keine Sonderbestimmung, welche den Abzug
vorgetragener Verluste aus früheren, nicht zur Berechnungsperiode gehörenden
Jahren zuliesse. Wie das kantonale Gericht ferner mit zutreffender Begründung
dargelegt hat, lässt sich die Zulässigkeit des Abzugs periodenfremder
Verluste auch nicht auf das Prinzip der Beitragsbemessung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit - dessen Bedeutung und Tragweite
vorliegend nicht näher zu prüfen ist - abstützen. Ebenso wenig besteht eine
Grundlage für eine diesbezügliche Sonderbehandlung der Immobilienbranche. Den
diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz ist nichts beizufügen. Die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist daher unbegründet.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die
Gerichtskosten sind dem unterliegenden Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art.
156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Luzern,
Abgaberechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 4. Dezember 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: