Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 244/2003
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H 244/03

Urteil vom 8. Oktober 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Meyer und Ursprung; Gerichtsschreiberin
Helfenstein Franke

C.________, Beschwerdeführer,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 9016 St. Gallen,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen

(Entscheid vom 27. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
Die 1994 gegründete X.________ AG war der Ausgleichskasse des Kantons St.
Gallen (nachfolgend: Ausgleichskasse) als beitragspflichtige Arbeitgeberin
angeschlossen. Gemäss Handelsregisterauszug amteten zunächst R.________ und
L.________ als Mitglieder sowie C.________ als Präsident des Verwaltungsrats,
Letztere jedoch nur bis 26. März 1998. Per 29. Juli 1998 erfolgte ein
Sitzwechsel von A.________ nach B.________ sowie eine Firmenänderung in
Y.________ AG. Gleichzeitig amtete R.________ nunmehr als
Verwaltungsratspräsident, während neu K.________ das Mandat des
Vizepräsidenten und Geschäftsführers übernahm. Am 2. Dezember 1999 übernahm
S.________ zusätzlich ein Verwaltungsratsmandat. K.________ und R.________
tauschten per 12. Oktober 2000 ihre Funktion; schliesslich wurde R.________
wie auch S.________ per 17. Januar 2001 im Handelsregister gelöscht.
Am 22. Februar 2002 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet und am
28. Februar 2002 mangels Aktiven wieder eingestellt. Mit Verfügungen vom 17.
Juni 2002 verpflichtete die Ausgleichskasse die Organe der Gesellschaft zur
Leistung von Schadenersatz gemäss Art. 52 AHVG für entgangene
Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verwaltungskostenbeiträge,
Verzugszinsen, Mahngebühren und Betreibungskosten) in unterschiedlicher Höhe,
aber in solidarischer Haftbarkeit mit den anderen für den jeweils sie
betreffenden Betrag: L.________ und C.________ zum Betrag von jeweils Fr.
23'556.75 (bundesrechtlicher Teil: Fr. 20'570.40, kantonalrechtlicher Teil:
Fr. 2'986.35), R.________ und S.________ zum Betrag von jeweils Fr. 64'543.60
(bundesrechtlicher Teil: Fr. 55'984.80, kantonalrechtlicher Teil: Fr.
8'558.80) sowie K.________ zum Betrag von Fr. 78'911.85 (bundesrechtlicher
Teil: Fr. 68'400.70, kantonalrechtlicher Teil: Fr. 10'511.15). Die
Betroffenen erhoben hiegegen Einspruch.

B.
Mit Entscheid vom 27. Juni 2003 hiess das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen die von der Ausgleichskasse im reduzierten Umfang von Fr.
23'556.75 (bundesrechtlicher Teil: Fr. 20'570.40, kantonalrechtlicher Teil
Fr. 2'986.35) erhobene Klage gegen C.________ teilweise gut und verpflichtete
ihn zur Zahlung von Schadenersatz im Betrag von Fr. 4'856.40 für den
bundesrechtlichen und Fr. 700.35 für den kantonalrechtlichen Teil, wobei die
Klägerin Zahlungen der Solidarschuldner R.________, L.________, S.________
und K.________ auf diese Beträge anteilsmässig anzurechnen habe.

C.
C. ________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, der
angefochtene Entscheid sei bezüglich des bundesrechtlichen Teils aufzuheben
und die Klage abzuweisen; eventualiter sei die Sache zur Durchführung des
Beweisverfahrens und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Während die Ausgleichskasse auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine
Vernehmlassung. Die als Mitinteressierte beigeladenen R.________, S.________,
K.________ und L.________ haben sich nicht vernehmen lassen.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Der angefochtene Entscheid hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Wie die Vorinstanz zutreffend ausgeführt hat, findet das auf den 1.
Januar
2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, mit welchem zahlreiche
Bestimmungen im AHV-Recht, insbesondere auch hinsichtlich der
Arbeitgeberhaftung nach Art. 52 AHVG (Art. 52 Abs. 3 und 4 AHVG, eingefügt
durch Anhang Ziff. 7 ATSG), geändert worden sind, vorliegend keine Anwendung,
weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend
sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes
Geltung haben (BGE 130 V 3 Erw. 3, 129 V 4 Erw. 1.2).
2.2  Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die Arbeitgeberhaftung
(Art. 52 AHVG; Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV) sowie
die hiezu ergangene Rechtsprechung, insbesondere über den Eintritt des
Schadens und Zeitpunkt der Kenntnis des Schadens (BGE 119 V 92 Erw. 3), über
die subsidiäre Haftung der Organe eines Arbeitgebers (BGE 126 V 237, 123 V 15
Erw. 5b, je mit Hinweisen), den zu ersetzenden Schaden (BGE 126 V 444 Erw.
3a, 123 V 15 Erw. 5b, je mit Hinweisen), die erforderliche Widerrechtlichkeit
(BGE 118 V 195 Erw. 2a mit Hinweisen), die Haftungsvoraussetzung des
qualifizierten Verschuldens und dem dabei zu berücksichtigenden -
differenzierten - Sorgfaltsmassstab (BGE 108 V 202 Erw. 3a, ZAK 1992 S. 248
Erw. 4b, je mit Hinweisen; vgl. auch Thomas Nussbaumer, Die Haftung des
Verwaltungsrates nach Art. 52 AHVG, in: AJP 9/96, S. 1081) sowie den
adäquaten Kausalzusammenhang (BGE 125 V 461 Erw. 5a) zutreffend
wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob und in welchem Umfang der Beschwerdeführer
Schadenersatz zu leisten hat.

3.1  Wie die Vorinstanz verbindlich festgestellt hat (vgl. Erw. 1 hievor),
umfasst die gegenüber dem Beschwerdeführer klageweise geltend gemachte
Schadenersatzforderung in der Höhe von Fr. 23'556.75 unbezahlt gebliebene
Beiträge zuzüglich Verwaltungskosten, Mahngebühren, Betreibungskosten und
Verzugszinsen für die Monate März bis Juli 1997 (gemäss Kontoauszug Posten
1997/0006-9 sowie 1997/0011) sowie die Lohnnachmeldung für das 1. Semester
1997 (gemäss Kontoauszug Posten 1997/0010). Dabei hat die Vorinstanz unter
Berücksichtigung von Herabsetzungsgründen - die Ausgleichskasse hat die
Ausstände insofern mitzuverantworten, als sie elementare Vorschriften der
Beitragsveranlagung und des Beitragsbezugs verletzt hat (vgl. Erw. 3.2.2
hernach) - den gesamten Betrag um Fr. 18'000.- herabgesetzt, woraus der
Betrag von Fr. 5'556.75 resultiert, abzüglich der kantonalrechtlichen
Forderung von Fr. 700.35. Die konkursite Gesellschaft entrichtete die
geschuldeten Beiträge über Jahre nur schleppend, auf Betreibung hin und
schliesslich gar nicht mehr. Damit verstiess sie grobfahrlässig gegen die
Vorschriften von Art. 14 Abs. 1 AHVG in Verbindung mit Art. 34 ff. AHVV (in
der bis 31. Dezember 2000 gültig gewesenen Fassung), was grundsätzlich die
volle Schadenersatzpflicht gemäss Art. 52 AHVG nach sich zieht (BGE 118 V 195
Erw. 2a mit Hinweisen). Zu prüfen ist deshalb, ob die Vorinstanz dem
Beschwerdeführer das Verschulden der Arbeitgeberin zu Recht als
grobfahrlässiges Verhalten angerechnet hat.

3.2  Der Beschwerdeführer rügt zunächst die Nichtanrechnung von Teilzahlungen
an die zuerst betriebenen bzw. ältesten Beitragsschulden. Er macht dazu
geltend, zwar habe die Vorinstanz richtigerweise den Grundsatz bestätigt,
wonach in Anlehnung an Art. 87 OR nachträgliche Zahlungen vorab zur Tilgung
der ältesten Beitragsschulden zu verwenden seien. Indem sie aber ausführe,
die Teilzahlungen seien an diejenigen Forderungen angerechnet worden, für
welche die Betreibung eingeleitet worden sei, habe sie übersehen, dass gerade
die ihn betreffenden Forderungen allesamt bereits 1997 in Betreibung gesetzt
worden seien. Es habe für die Klägerin keinen Grund gegeben, die
Teilzahlungen zuerst an später fällige und auch später in Betreibung gesetzte
Ausstände, so aus den Jahren 1998 und 1999, anzurechnen.
Zwar trifft es zu, dass nach ständiger Rechtsprechung - in Anlehnung an Art.
87 OR - nachträgliche Zahlungen vorab zur Tilgung der ältesten
Beitragsschulden zu verwenden sind (BGE 114 V 78, 112 V 6, SVR 1995 AHV Nr.
70 S. 213). Der Beschwerdeführer übersieht allerdings, dass es sich bei den
von ihm ins Feld geführten Zahlungen nicht um normale Zahlungen der
Gesellschaft, sondern vielmehr um Erlöse aus Betreibungen und Pfändungen
handelt, welche der Ausgleichskasse direkt vom Betreibungsamt überwiesen
wurden. Diesfalls kommt der vorgenannte Anrechnungsgrundsatz nicht zum
Tragen: Gemäss Art. 110 SchKG bilden sämtliche Gläubiger, die innerhalb der
Anschlussfrist das Fortsetzungsbegehren stellen, zusammen eine
Pfändungsgruppe. Innerhalb der Gruppe wird der Pfändungserlös im Verhältnis
der Forderungsbeiträge verteilt. Es wird ein Verteilplan erstellt und die
Forderungen der betreibenden Gläubiger werden im Umfang des zur Verfügung
stehenden Pfändungserlöses getilgt. Vorliegend wurden die in Frage stehenden
Forderungen, wie sich aus der Pfändungsurkunde vom 21. Juni 2000 und den
Gläubiger-Abrechnungen vom 7. und 28. Mai 2001 ergibt (Posten 1997/0006-11
gemäss Kontoauszug; vgl. Erw. 3.1 hievor), in einer Pfändungsgruppe ("Gruppe
Nr. 00/32") zusammengefasst. Zunächst resultierte ein Pfändungserlös von Fr.
18'285.-, der auf sämtliche einzelnen Beitragsforderungen der Pfändungsgruppe
aufgeteilt wurde. Sodann ergab eine Nachpfändung nochmals einen Erlös von Fr.

848.60 , der in der gleichen Weise aufgeteilt wurde. Unter diesen Umständen
durfte die Ausgleichskasse die Pfändungserlöse nicht auf andere Forderungen
anrechnen; für eine Anrechnungserklärung gemäss Art. 86 OR oder eine
Anrechnungsvermutung nach Art. 87 OR bleibt kein Raum. Daraus erhellt im
Übrigen, dass entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers sehr wohl
Zahlungen im Rahmen der Verwertung auch an die ihn betreffenden Positionen
angerechnet wurden, diese aber für eine volle Deckung nicht ausreichten.

3.2.1  Im Weiteren bringt der Beschwerdeführer erneut vor, das Unternehmen
sei
nach seinem Ausscheiden aus dem Verwaltungsrat aus dem Verkauf von
Umlaufvermögen oder Kapitalbeschaffung zu grösseren Geldbeträgen gekommen,
welches es dem späteren Geschäftsführer K.________ ohne weiteres ermöglicht
hätte, die offenen Beitragsforderungen zu begleichen.
Dieser Einwand ist unbehelflich: Die Gesellschaft musste für die ausstehenden
Beiträge während Jahren betrieben werden. Die Ausstände waren dem
verantwortlichen Organ während langer Zeit bekannt. Der Beschwerdeführer hat
während seiner Amtszeit als Verwaltungsrat nicht dafür gesorgt, dass die
Beiträge bezahlt wurden. Es kann auch nicht davon gesprochen werden, die
Beitragspflicht sei nur vorübergehend - zur Überwindung finanzieller
Schwierigkeiten - verletzt worden. Vielmehr bestanden für den
Beschwerdeführer keine berechtigten Aussichten, die offenen Beiträge innert
vernünftiger Frist zu decken, was indes Voraussetzung für die Rechtfertigung
eines vorübergehenden Beitragsausstandes im Zusammenhang mit einer in
Aussicht stehenden Sanierung der Gesellschaft bildet (BGE 108 V 188 Erw. 2,
bestätigt in BGE 121 V 243). Der Beschwerdeführer war bis  26. März 1998 als
Verwaltungsrat tätig. Zu jenem Zeitpunkt bestanden die Ausstände schon lange.
Es kann daher dahinstehen, ob nach seinem Ausscheiden in der Tat noch
wesentliche finanzielle Mittel in die Gesellschaft flossen. Massgebend ist
allein, dass er während seiner Amtszeit nicht und damit nicht rechtzeitig für
die Begleichung der ausstehenden Beiträge gesorgt hat.

3.2.2  Schliesslich macht der Beschwerdeführer hinsichtlich der von der
Vorinstanz vorgenommenen Herabsetzung (BGE 122 V 189 Erw. 3c, AHI 2002 S. 51)
geltend, die Ausgleichskasse habe auf Grund ihres Verhaltens die Ausstände
für 1997 vollumfänglich selbst zu verantworten, da kein Kausalzusammenhang
mehr zwischen den Pflichtverletzungen und dem eingetretenen Schaden bestehe.
Er führt dazu aus, es sei nicht nachvollziehbar, weshalb sich das kantonale
Gericht bei der Reduktion des Schadenersatzes nur an den zu spät veranlagten
Beiträgen orientiert habe, nicht jedoch an denjenigen, für welche die
Ausgleichskasse die Betreibungen habe verfallen lassen.
Dieser Betrachtungsweise kann ebenfalls nicht gefolgt werden. Zwar trifft es
zu, dass die Beschwerdegegnerin einzelne Betreibungen nach zwei Jahren erneut
erheben musste und mit ihren Veranlagungsverfügungen zur Beseitigung des
Rechtsvorschlages zu lange zugewartet hat. Indessen hätte der
Beschwerdeführer auch dann noch dafür sorgen können und auch müssen, dass die
Ausstände bezahlt werden. Dies hat er indes nicht getan. Vielmehr blieb die
Gesellschaft auch die laufenden Beiträge schuldig und musste weiter betrieben
werden. Es kann daher nicht gesagt werden, bei früherer Geltendmachung der
Beiträge wäre es zu keinerlei Ausständen gekommen, weshalb diesbezüglich kein
Kausalzusammenhang zwischen dem Vorgehen der Ausgleichskasse und dem
eingetretenen Schaden besteht. Unter diesen Umständen ist die Vorinstanz dem
Beschwerdeführer mit der Schadenminderung von Fr. 18'000.- sehr weit
entgegengekommen.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend gehen die Kosten zu Lasten des Beschwerdeführers
(Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen, dem Bundesamt für Sozialversicherung, L.________, K.________,
R.________ und S.________  zugestellt.
Luzern, 8. Oktober 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: