Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 224/2003
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H 224/03

Urteil vom 22. April 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und
Kernen; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold

Z.________, 1947, Beschwerdeführer, vertreten
durch die Widmer Treuhand AG, Bahnhofstrasse 16,
9200 Gossau,

gegen

Ausgleichskasse Grosshandel und Transithandel, Schönmattstrasse 4, 4153
Reinach, Beschwerde-
gegnerin

Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen,
St. Gallen

(Entscheid vom 23. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Z. ________ betrieb als Einzelfirma lange Jahre einen Schweinehandel und war
der Ausgleichskasse Grosshandel und Transithandel (nachfolgend:
Ausgleichskasse) als Selbstständigerwerbender angeschlossen. Per 1. Januar
1997 verkaufte er den Schweinehandel an die Firma X.________ AG, bei welcher
er in der Folge als Arbeitnehmer tätig war. Gemäss eigenen Angaben betrug
sein Einkommen aus selbstständiger Erwerbstätigkeit ab 1. Januar 1997 Fr.
0.-. Z._______ verzichtete auf die Unterstellung seines Nebenerwerbs unter
die Beitragspflicht. Nachdem die kantonale Steuerverwaltung mit Steuermeldung
vom 18. Oktober 2001 für 1997 ein Einkommen aus selbstständiger
Erwerbstätigkeit von Fr. 611'792.- und für 1998 einen Verlust von Fr.
74'672.- gemeldet hatte, holte die Ausgleichskasse weitere Einkünfte bei der
Steuerverwaltung sowie bei Z.________ ein. Mit Verfügungen vom 21. November
2002 setzte die Ausgleichskasse die Beiträge für 1997 auf einem
beitragspflichtigen Einkommen von Fr. 611'700.-, für 1998 auf einem solchen
von Fr. -74'700.- und für 1999 auf einem solchen von Fr. 268'500.-
(Durchschnitt der beiden vorhergehenden Jahre) fest.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons
St. Gallen mit Entscheid vom 23. Mai 2003 bezüglich der Beitragsverfügung für
das Jahr 1997 ab; in Bezug auf die Beitragsverfügung für das Jahr 1999 hiess
es die Beschwerde teilweise gut und wies die Sache an die Verwaltung zurück,
damit diese die Beiträge nach erneuter Abklärung im Rahmen der
Gegenwartsbemessung neu festsetze.

C.
Z.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem Antrag, in
Gutheissung der vorinstanzlichen Beschwerde sei für die persönlichen Beiträge
für 1997 auf das steuerbare Erwerbseinkommen von Fr. 67'449.- abzustellen und
die Ausgleichskasse habe zur Vermeidung eines weiteren Nachlassverfahrens auf
die Erhebung der Beiträge für 1997 und 1999 zu verzichten. Die
Ausgleichskasse enthält sich in ihrer Stellungnahme vom 10. Oktober 2003
eines Antrags. Das Bundesamt für Sozialversicherung verzichtet auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im AHV-Bereich geändert worden. Weil in
zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die
bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben,
und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines
Falles grundsätzlich auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügungen (hier: 21. November 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt,
sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002 geltenden
Bestimmungen anwendbar (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
Die Vorinstanz hat die Bestimmungen über die Festsetzung der Beiträge
Selbstständigerwerbender im ordentlichen (Art. 22 AHVV in der bis 31.
Dezember 2000 geltenden Fassung; AS 2000 1441) und im ausserordentlichen
Verfahren (Art. 25 Abs. 1 AHVV in der bis 31. Dezember 2000 geltenden
Fassung; AS 2000 1441) sowie die hiezu ergangene Rechtsprechung (BGE 106 V 76
Erw. 3a; ZAK 1992 S. 474, je mit Hinweisen) zutreffend dargelegt. Darauf wird
verwiesen.

4.
Streitig ist die Beitragspflicht für die Jahre 1997 und 1999.

4.1 Gemäss der Rechtsprechung stellt die Aufgabe des selbstständigen
Haupterwerbs und Weiterführung der selbstständigen Tätigkeit im Nebenerwerb
eine qualitative Grundlagenänderung im Sinne von altArt. 25 Abs. 1 AHVV dar
(vgl. ZAK 1958 S. 367 = EVGE 1958 S. 17; bestätigt in ZAK 1989 S. 551 Erw. 3
sowie den nicht veröffentlichten Urteilen F. vom 4. Juli 1995, H 29/95, und
T. vom 4. Dezember 1998, H 86/97). Der Versicherte hat den im Rahmen seiner
Einzelfirma betriebenen Schweinehandel an die X.________ AG veräussert und
war in der Folge sowohl bei dieser als auch bei der Y.________ AG als
Unselbstständigerwerbender tätig; die Einzelfirma führte er nach eigenen
Angaben nur noch im Nebenerwerb weiter und verzichtete in der Folge auf die
Erhebung von Beiträgen auf dem angeblich unter Fr. 2000.- liegenden
Nebenerwerbseinkommen. Unter diesen Umständen liegt eine erhebliche Änderung
in der betrieblichen Struktur vor und das qualitative Element der
Grundlagenänderung ist zu bejahen. Nachdem die übrigen Voraussetzungen der
Anwendung des ausserordentlichen Verfahrens (wesentliche Änderung der
Einkommenshöhe, Dauerhaftigkeit der Änderung, Kausalzusammenhang)
unbestritten sind, haben Vorinstanz und Verwaltung zu Recht das
ausserordentliche Verfahren angewendet. Ebenfalls nicht zu beanstanden ist
die Rückweisung durch das kantonale Gericht an die Ausgleichskasse zur
Festsetzung der Beiträge für 1999 auf Grund des in diesem Jahr erzielten
Einkommens; denn nach Art. 22 Abs. 3 AHVV in der bis 31. Dezember 2000
gültigen Fassung werden die Beiträge auf Einkommen aus selbstständigem
Nebenerwerb stets in der Gegenwartsbemessung verfügt. Somit bleibt für die
Beitragsfestsetzung nach altArt. 25 Abs. 3 Satz 2 AHVV, wonach die Bemessung
der Beiträge gestützt auf das durchschnittliche Einkommen der beiden Jahre
vor dem Vorjahr der nächsten ordentlichen Beitragsperiode zu erfolgen hat,
kein Platz.

4.2
4.2.1Im letztinstanzlichen Verfahren bringt der Versicherte erstmals vor, der
ausserordentliche Sanierungsgewinn von Fr. 544'343.- stelle gar kein
beitragspflichtiges Einkommen dar; denn dabei handle es sich nicht um
eigentliches Einkommen aus Erwerb, sondern um eine buchhalterische
Bereinigung der Bilanz, indem steuerlich erfolgswirksame Sanierungsleistungen
(vorliegend Forderungsverzichte der Gläubiger) mit Verlusten, Abschreibung
und Rückstellungen verrechnet würden.

4.2.2 Wie sich aus den vorinstanzlichen Akten ergibt, stammt das der
Beitragspflicht unterstellte Einkommen in der Höhe von Fr. 544'343.- aus
Schulderlassen seitens der Gläubigerbanken (vgl. etwa die Antwort des
Gemeindesteueramtes vom 13. Mai 2002 auf Anfrage der Ausgleichskasse sowie
den Abschluss 1996/97). Demnach fragt sich, ob es sich beim
ausserordentlichen Sanierungsgewinn um beitragspflichtiges Einkommen aus
selbstständiger Erwerbstätigkeit handelt. Diese Frage der rechtlichen
Qualifizierung des Einkommens hätte somit schon die Vorinstanz stellen und
beantworten müssen. Zur Wahrung des zweistufigen Instanzenzugs sowie des
rechtlichen Gehörs seitens der Ausgleichskasse wird die Sache an die
Vorinstanz zur Neubeurteilung und gegebenenfalls notwendigen Aktenergänzung
zurückgewiesen.

5.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Leistungen geht, ist das
Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die unterliegende
Ausgleichskasse hat demnach die Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in
Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons St. Gallen vom 23. Mai 2003
aufgehoben und die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen wird, damit sie im
Sinne der Erwägungen verfahre und über die Beschwerde gegen die Verfügungen
vom 21. November 2002 neu entscheide.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4000.- werden der Ausgleichskasse auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 4000.- wird dem Beschwerdeführer
zurückerstattet.

4.
Die Ausgleichskasse hat dem Beschwerdeführer für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 1000.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons St.
Gallen und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 22. April 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: