Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 215/2003
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H 215/03

Urteil vom 28. November 2005

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Lustenberger,
Ursprung und Frésard; Gerichtsschreiberin Durizzo

M.________, Spanien, Beschwerdeführer,

gegen

Schweizerische Ausgleichskasse, avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 16. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
M.________, geboren 1931, war seit Jahren auf die orthopädische Änderung von
Serienschuhen angewiesen, für deren Kosten jeweils die Invalidenversicherung
aufgekommen war. Nach seiner Pensionierung und Wohnsitznahme in Spanien
wollte er wiederum eine Anpassung in der Schweiz vornehmen lassen und stellte
am 28. Juni 2002 ein Gesuch um Übernahme der Kosten. Die Schweizerische
Ausgleichskasse lehnte es mit Verfügung vom 9. Juli 2002 ab unter Hinweis auf
den ausländischen Wohnsitz.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies die Eidgenössische Rekurskommission der
Alters-, Hinterlassenen- und Invalidenversicherung für die im Ausland
wohnenden Personen mit Entscheid vom 16. Juni 2003 ab.

C.
M.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und erneuert sein Gesuch um
Kostenübernahme durch die AHV.

Die Schweizerische Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung
(BSV) schliessen auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 ist im
vorliegenden Fall nicht anwendbar, da nach dem massgebenden Zeitpunkt des
Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 9. Juli 2002) eingetretene Rechts-
und Sachverhaltsänderungen vom Sozialversicherungsgericht nicht
berücksichtigt werden (BGE 129 V 4 Erw. 1.2, 127 V 467 Erw. 1).

2.
Gemäss Art. 43ter Abs. 1 AHVG und Art. 2 Abs. 1 der Verordnung über die
Abgabe von Hilfsmitteln durch die Altersversicherung (HVA) haben nur in der
Schweiz wohnhafte Bezüger von Altersrenten der AHV einen Leistungsanspruch
(vgl. auch nicht veröffentlichtes Urteil W. vom 23. Januar 1989, H 95/88). Es
ist unbestritten, dass der Beschwerdeführer Wohnsitz in Spanien hat. Die
Voraussetzungen für die beantragte Übernahme der Kosten für die orthopädische
Anpassung seiner Schuhe sind daher nach dieser Bestimmung nicht erfüllt.

3.
Zu prüfen bleibt, ob der Beschwerdeführer gestützt auf das Abkommen vom 21.
Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der
Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten - darunter Spanien -
andererseits über die Freizügigkeit (FZA; SR 0.142.112.681), welches am 1.
Juni 2002 in Kraft getreten ist, Anspruch auf die beantragte Kostenübernahme
hat.

3.1 Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage des Art. 8 FZA ausgearbeiteten
und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 FZA) Anhangs II
("Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit") des FZA in Verbindung
mit Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander
insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur
Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und
Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft
zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung
(EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen
Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, oder
gleichwertige Vorschriften an. Der am 1. Juni 2002 in Kraft getretene neue
Art. 153a AHVG verweist in lit. a auf diese beiden Koordinierungsverordnungen
(AS 2002 687).

3.2
3.2.1 In zeitlicher Hinsicht sind das FZA und die Koordinierungsverordnungen
anwendbar; denn die Verwaltungsverfügung bezieht sich auf einen Zeitraum nach
In-Kraft-Treten des Abkommens (vgl. Art. 94 Abs. 1 und Art. 95 Abs. 1 der
Verordnung Nr. 1408/71).

3.2.2 Der in Spanien niedergelassene Beschwerdeführer, der die schweizerische
Staatsangehörigkeit besitzt, war u. a. als Arbeitnehmer (vgl. Art. 1 Bst. a
Ziff. ii erster Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1408/71) dem
schweizerischen Sozialversicherungssystem angeschlossen, sodass für ihn die
schweizerischen Rechtsvorschriften galten. Auch der persönliche
Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 ist daher erfüllt (Art. 2 Abs. 1
der Verordnung Nr. 1408/71 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 2 von Anhang II des
FZA).

3.2.3 Was den sachlichen Geltungsbereich der Koordinierungsverordnungen
betrifft, so hat die Zuordnung einer Leistung zu einem der in Art. 4 Abs. 1
der Verordnung Nr. 1408/71 aufgezählten Risiken der sozialen Sicherheit
unabhängig von der im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Abgrenzung zwischen
den verschiedenen Sozialversicherungszweigen auf der Grundlage der das
jeweilige Risiko betreffenden Bestimmungen der Verordnung für alle
betroffenen Staaten einheitlich zu erfolgen (vgl. Urteil des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften [nachfolgend: EuGH] vom 10. Januar 1980 in der
Rechtssache 69/79, Jordens-Vosters, Slg. 1980, 75, Randnrn. 6 und 8).
Dementsprechend kann insbesondere eine innerstaatlich im Alters- oder
Invalidenversicherungsrecht geregelte oder von den Trägern dieser
Versicherungszweige auszuzahlende Leistung gemeinschaftsrechtlich als
Leistung bei Krankheit im Sinne von Art. 4 Abs. 1 Bst. a zu qualifizieren
sein (vgl. Urteile des EuGH vom 10. Januar 1980 in der Rechtssache 69/79,
Jordens-Vosters, Slg. 1980, 75, Randnr. 9, und vom 8. März 2001 in der
Rechtssache CB215/99, Jauch, Slg. 2001, I-1901, Randnrn. 27 und 28).
Hilfsmittel wie das im vorliegenden Verfahren streitige werden wegen eines
Gesundheitsschadens abgegeben, indem ihr Gebrauch den Ausfall gewisser Teile
oder Funktionen des Körpers ersetzen soll (BGE 115 V 194 Erw. 2c). Sie
beschlagen das Risiko "Krankheit und Mutterschaft" im Sinne von Art. 4 Abs. 1
Bst. a der Verordnung Nr. 1408/71, dem im Titel III ("Besondere Vorschriften
für die einzelnen Leistungsarten") der Verordnung Nr. 1408/71 das Kapitel 1
mit der Überschrift "Krankheit und Mutterschaft" gewidmet ist. Dieses befasst
sich im Gegensatz zum Kapitel 2 betreffend Invalidität (Urteil des EuGH vom
10. Januar 1980 in der Rechtssache 69/79, Jordens-Vosters, Slg. 1980, 75,
Randnr. 7) und zum Kapitel 3 betreffend Alter (vgl. Überschrift des Kapitels:
"Alter und Tod [Renten]") nicht nur mit Geld-, sondern auch mit
Sachleistungen, zu denen - wie Art. 24 der Verordnung zeigt - auch
Hilfsmittel zählen (vgl. auch Erwähnung orthopädischer Massschuhe im
Beschluss Nr. 115 der Verwaltungskommission der Europäischen Gemeinschaften
für die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer vom 15. Dezember 1982 über
die Gewährung von Körperersatzstücken, grösseren Hilfsmitteln und anderen
Sachleistungen von erheblicher Bedeutung, die unter Artikel 24 Absatz 2 der
Verordnung [EWG] Nr. 1408/71 fallen).
Somit bezieht sich die orthopädische Änderung von Serienschuhen auf eines der
in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 ausdrücklich aufgezählten
Risiken. Zudem räumen die einschlägigen Bestimmungen den Begünstigten bei
Erfüllung der entsprechenden Voraussetzungen einen Rechtsanspruch auf die
Leistung ein. Die Abgabe des streitigen Hilfsmittels gemäss AHVG stellt daher
eine in den sachlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 fallende
Leistung der sozialen Sicherheit (zu diesem Begriff: in BGE 130 V noch nicht
veröffentlichtes Urteil P. vom 26. September 2005, I 728/04, Erw. 3.2 mit
Hinweisen) in Form einer Leistung bei Krankheit und Mutterschaft im Sinne von
Art. 4 Abs. 1 Bst. a der Verordnung dar (vgl. Edgar Imhof, Eine Anleitung zum
Gebrauch des Personenfreizügigkeitsabkommens und der VO 1408/71, in:
Hans-Jakob Mosimann [Hrsg.], Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, Zürich
2001, S. 19 ff., S. 60 und 81). Die Koordinierungsverordnungen sind somit
nicht nur in zeitlicher und persönlicher, sondern auch in materieller
Hinsicht anwendbar.

4.
4.1 Wie sich aus dem vom BSV mit seiner Vernehmlassung eingereichten Schreiben
der Gemeinsamen Einrichtung KVG, Internationale Koordination
Krankenversicherung, vom 27. Mai 2005 ergibt, hat sich der Beschwerdeführer
gemäss Nr. 17 des Schlussprotokolls zum Sozialversicherungsabkommen mit
Spanien von 1969 in Spanien für Sachleistungen bei Krankheit versichert.
Diese Bestimmung gilt nach Art. 7 Abs. 2 Bst. c in Verbindung mit Anhang III
Teil A Spanien-Schweiz Bst. b der Verordnung Nr. 1408/71 in der Fassung
gemäss FZA (Anhang II Abschnitt A Nr. 1 Anpassung i FZA) nach In-Kraft-Treten
des FZA auch im Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1408/71 weiterhin.
Gestützt darauf haben die in Spanien wohnenden Bezüger der verschiedenen von
der schweizerischen Gesetzgebung über Soziale Sicherheit vorgesehenen Renten
auf Antrag und gegen Bezahlung der von der zuständigen spanischen Behörde
jährlich festgesetzten Beiträge wie die Bezüger spanischer Renten Anspruch
auf die von der spanischen Gesetzgebung vorgesehene Übernahme der Kosten für
Sachleistungen.

4.2 Als in Spanien wohnhafter und dort für Sachleistungen bei Krankheit
versicherter Rentner hat der Beschwerdeführer, obwohl er eine Rente der
schweizerischen AHV bezieht, nur dann - im Rahmen der Leistungsaushilfe, für
Rechnung des spanischen Trägers - Anspruch auf Übernahme der Kosten für das
Hilfsmittel durch einen schweizerischen Träger, wenn er die Voraussetzungen
entweder des Art. 31 oder des Art. 22 Abs. 1 Bst. c (in Verbindung mit Abs. 2
Unterabs. 2) der Verordnung Nr. 1408/71 erfüllt. Nach beiden Vorschriften
werden die Sachleistungen vom Träger des Aufenthaltsorts gewährt und diesem
vom Träger des Wohnorts erstattet (Art. 36 der Verordnung Nr. 1408/71 in
Verbindung mit Art. 93 der Verordnung Nr. 574/72).

4.2.1 Art. 31 der Verordnung Nr. 1408/71 regelt den Anspruch von Rentnern auf
Sachleistungen, wenn diese während eines Aufenthalts in einem Mitgliedstaat,
der nicht der Staat ihres Wohnorts ist, erforderlich werden. Der in Art. 31
der Verordnung Nr. 1408/71 garantierte Anspruch auf Sachleistungen ist nicht
Personen vorbehalten, deren Zustand unverzüglich Leistungen während ihres
Aufenthalts in einem anderen Mitgliedstaat erfordert, d. h. nicht auf die
Leistungen beschränkt, deren unverzügliche medizinische Notwendigkeit
festgestellt worden ist und die somit nicht bis zur Rückkehr des betroffenen
Rentners in seinen Wohnstaat aufgeschoben werden könnten. Er ist auch nicht
auf die Fälle beschränkt, in denen die gewährte Sachleistung durch eine
plötzliche Erkrankung erforderlich wurde; insbesondere reicht der Umstand,
dass die durch die Entwicklung des Gesundheitszustands des Rentners während
seines vorübergehenden Aufenthalts in einem anderen Staat erforderliche
Sachleistung möglicherweise mit einer bestehenden und dem Versicherten
bekannten Krankheit - etwa einer chronischen Erkrankung - zusammenhängt,
nicht aus, um den Betroffenen an der Inanspruchnahme des Art. 31 der
Verordnung Nr. 1408/71 zu hindern. Der Bezug von Sachleistungen, die Art. 31
der Verordnung Nr. 1408/71 den Rentnern garantiert, die sich in einem anderen
Mitgliedstaat aufhalten als dem, in dem sie wohnen, hängt demnach nicht davon
ab, dass die Krankheit, die der betreffenden Sachleistung bedurfte, plötzlich
während dieses Aufenthalts aufgetreten ist und die unverzügliche Versorgung
erforderlich gemacht hat. Wenn jedoch der Bezug von Sachleistungen ausserhalb
des Wohnstaats von der betroffenen Person geplant war und deren Aufenthalt
von vornherein dem Zweck des Bezugs dieser Sachleistungen dienen sollte, ist
nicht Art. 31, sondern Art. 22 Abs. 1 Bst. c (in Verbindung mit Abs. 2
Unterabs. 2) der Verordnung Nr. 1408/71 anzuwenden (vgl. Urteil des EuGH vom
25. Februar 2003 in der Rechtssache C-326/00, IKA, Slg. 2003, I-1703,
Randnrn. 26, 28, 40, 41 und 63; dazu Erw. 3.2.2).

Aus Art. 31 dieser Verordnung lässt sich kein Anspruch des Beschwerdeführers
auf Sachleistungen eines schweizerischen Trägers ableiten. Denn indem der
Betroffene erklärte, er werde auch weiterhin beim Aufenthalt in der Schweiz
den bisherigen Schuhmacher konsultieren, brachte er zum Ausdruck, dass die
Aufenthalte in der Schweiz jeweils auch der Beschaffung des streitigen
Hilfsmittels dienten und der Bezug von Sachleistungen während des Aufenthalts
in der Schweiz damit geplant war. Anders verhielte es sich nur, wenn im
Einzelfall die Schuhe gerade während eines Aufenthalts in der Schweiz kaputt
gegangen wären, was sich aber prospektiv nicht beurteilen lässt. Hier ging es
denn auch nicht um die nachträgliche Übernahme von Kosten, sondern der
Beschwerdeführer reichte der Ausgleichskasse ein ärztliches Zeugnis ein zum
Nachweis, dass er - wie schon früher - orthopädische Änderungen seiner Schuhe
benötigen werde.

4.2.2 Art. 22 Abs. 1 Bst. c Ziff. i (in Verbindung mit Abs. 2 Unterabs. 2)
der Verordnung Nr. 1408/71 regelt den Anspruch auf Sachleistungen von
Rentnern, die in einem Mitgliedstaat wohnen und beim "zuständigen" Träger -
hier dem Träger des Wohnorts - die Genehmigung beantragen, sich in das Gebiet
eines anderen Mitgliedstaats zu begeben, um dort eine ihrem Zustand
angemessene Behandlung zu erhalten (vgl. Urteil des EuGH vom 3. Juli 2003 in
der Rechtssache CB156/01, Van der Duin und ANOZ Zorgverzekeringen, Slg. 2003,
IB7045 [v. a. Randnr. 36 mit Hinweisen]).

Da keine Genehmigung eines spanischen Trägers vorliegt, kann der
Beschwerdeführer auch aus Art. 22 Abs. 1 Bst. c der Verordnung Nr. 1408/71
keinen Sachleistungsanspruch gegen einen schweizerischen Träger ableiten.

4.3 Auch nach den Bestimmungen des FZA besteht damit gegenüber der
Schweizerischen Ausgleichskasse kein Anspruch auf die beantragte Erstattung
der Kosten für die orthopädische Anpassung der Schuhe in der Schweiz. Im
Ergebnis sind daher der angefochtene Entscheid der Eidgenössischen
Rekurskommission und die Verfügung der Schweizerischen Ausgleichskasse vom 9.
Juli 2002 zu bestätigen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 28. November 2005

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer: Die Gerichtsschreiberin: