Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 202/2003
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H 202/03

Urteil vom 16. Februar 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Meyer;
Gerichtsschreiber Fessler

X.________, 1973, Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Peter
Sutter, Niedern 117, 9043 Trogen,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin,

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 4. Juni 2003)

Sachverhalt:

A.
X. ________ war ab 1. September 2000 als Vermittlerin von Einzel- und
Kollektiv-Krankenpflegeversicherungen sowie Kollektivtaggeld- und
Unfallversicherungen für die Krankenkasse Y.________ tätig. Grundlage bildete
die «Zusammenarbeits-Vereinbarung (Vermittlervertrag)» vom 18. September
2000. Die Y.________ war der Ausgleichskasse des Kantons Zürich
angeschlossen. Am 9. April 2002 wurde bei der Y.________ eine
Arbeitgeberkontrolle durchgeführt. Dabei stellte der Revisor fest, dass auf
Zahlungen an verschiedene Vermittler im Zeitraum 1998 bis 2001 keine
bundesrechtlichen Sozialversicherungsbeiträge verabgabt worden waren. Am 27.
Juni 2002 erliess die Ausgleichskasse entsprechende Nachzahlungsverfügungen.
Am 4. Juli 2002 teilte die Verwaltung X.________ die sie betreffenden
Beiträge mit. Inklusive Verwaltungskostenbeitrag ergab sich für 2000 und 2001
die Summe von insgesamt Fr. 6017.95.
Auf Grund der Mitteilung vom 4. Juli 2002 beantragte X.________ bei der
Ausgleichskasse ihres Wohnsitzkantons um Anschluss als
Selbstständigerwerbende. Mit Schreiben vom 21. August 2002 bestätigte die
Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen die Mitgliedschaft. Am 23. August 2002
erliess sie auf Grund der Selbstangaben von X.________ Verfügungen über
persönliche Beiträge für die Zeit vom 1. April bis 31. Dezember 2000 sowie
für 2001 und 2002.

B.
Die Beschwerde von X.________ gegen die sie betreffende Beitragsforderung
gemäss Nachzahlungsverfügung vom 27. Juni 2002 wies das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Entscheid vom 4. Juni 2003
ab.

C.
X.________ lässt Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit den Rechtsbegehren,
der kantonale Gerichtsentscheid und die Nachzahlungsverfügung vom 27. Juni
2002, soweit sie davon betroffen ist, seien aufzuheben.

Die Ausgleichskasse und auch die Y.________ als Mitbeteiligte verzichten auf
eine Stellungnahme und einen bestimmten Antrag zur
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung reicht
keine Vernehmlassung ein.
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000
über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) ist nicht
anwendbar, wie auch das kantonale Gericht richtig erkannt hat (BGE 129 V 4
Erw. 1.2).

2.
In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird eine Verletzung des rechtlichen
Gehörs durch die Ausgleichskasse gerügt. Die Verwaltung habe die
Beschwerdeführerin vor Erlass der Nachzahlungsverfügung vom 27. Juni 2002
nicht über die Nachforderung paritätischer Beiträge auf den Zahlungen der
Y.________ in den Jahren 2000 und 2001 informiert. Sie habe daher keine
Gelegenheit gehabt, dazu Stellung zu nehmen, Akten einzusehen oder
Beweisanträge zu stellen. Der Mangel sei nicht heilbar. Es könne nicht
angehen, dass der Rechtsunterworfene im Verwaltungsverfahren erst im Rahmen
eines nachfolgenden Gerichtsverfahrens erstmals angehört werden könne.

2.1
2.1.1Erlässt eine Ausgleichskasse eine Verfügung über paritätische Beiträge,
stellt sie eine Beitragsschuld sowohl des Arbeitgebers wie des Arbeitnehmers
fest (Art. 4 und 5 sowie Art. 12 und 13 AHVG). Arbeitgeber und Arbeitnehmer
sind in gleicher Weise betroffen, weshalb die Verfügung im Hinblick auf die
Wahrung des rechtlichen Gehörs grundsätzlich beiden zu eröffnen ist. Diese
Regel gilt nicht nur, wenn das Beitragsstatut oder die Natur einzelner
Zahlungen streitig ist. In derselben Weise ist allgemein vorzugehen, wenn es
um die nachträgliche Erfassung von Entgelten als massgebender Lohn im Sinne
von Art. 5 Abs. 2 AHVG geht (BGE 113 V 1; vgl. auch BGE 127 V 120 Erw. 1c).

2.1.2 Die bisherige vor In-Kraft-Treten des ATSG ergangene Rechtsprechung hat
sich, soweit ersichtlich, nicht dazu geäussert, ob vor dem Erlass einer
Nachzahlungsverfügung über paritätische Beiträge der mitbetroffene
Arbeitnehmer oder die mitbetroffene Arbeitnehmerin anzuhören sind. Eine
solche Anhörung machte insbesondere dort Sinn, wo auf den fraglichen
Entgelten bereits persönliche Beiträge entrichtet wurden (vgl. BGE 122 V 173
Erw. 4b).
Wird ein Anspruch des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin auf Anhörung vor
Erlass einer Nachzahlungsverfügung über paritätische Beiträge bejaht und geht
die Ausgleichskasse nicht in der Weise vor, ist der Mangel im
erstinstanzlichen Beschwerdeverfahren in der Regel heilbar. Voraussetzung
ist, dass die Verwaltung in der Vernehmlassung die Gründe für die
Nacherfassung von bestimmten Entgelten als massgebender Lohn im Sinne von
Art. 5 Abs. 2 AHVG darlegt und der Arbeitnehmer oder die Arbeitnehmerin
Gelegenheit zur Replik erhält (vgl. BGE 116 V 40 Erw. 4b mit Hinweisen; vgl.
auch BGE 125 I 115 Erw. 2a).

2.2 Im vorliegenden Fall legte die Ausgleichskasse erst in der Vernehmlassung
die Gründe dar, weshalb die 2000 und 2001 von der Y.________ an die
Beschwerdeführerin bezahlten Entgelte für ihre Vermittlertätigkeit als
Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit zu betrachten sind. Das
kantonale Gericht führte keinen zweiten Schriftenwechsel durch. Ebenfalls
nahm die Vorinstanz keine Sachverhaltsabklärungen vor. Das stellt eine
Verletzung des Anspruchs der Beschwerdeführerin auf rechtliches Gehör (Art.
29 Abs. 1 BV) dar. Dieser Mangel ist im letztinstanzlichen Verfahren nicht
heilbar. In Beitragsstreitigkeiten kommt dem Eidgenössischen
Versicherungsgericht lediglich eine eingeschränkte Überprüfungsbefugnis zu
(Art. 132 OG in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie Art. 105 Abs. 2
OG; BGE 127 V 438 Erw. 3d/bb in fine e contrario). Eine Heilung fällt umso
mehr ausser Betracht, als die Beschwerdeführerin noch vor der
vorinstanzlichen Vernehmlassung der Ausgleichskasse rückwirkend ab 1. April
2000 von der Ausgleichskasse ihres Wohnsitzkantons als
Selbstständigerwerbende angeschlossen worden war. Ebenfalls waren schon
persönliche Beiträge für 2000 und 2001 verfügt worden (vgl. BGE 122 V 173
Erw. 4b).

2.3 Die Sache geht an die Vorinstanz zurück, damit sie das Versäumte nachhole
und allenfalls ergänzende Abklärungen vornehme. Danach wird sie über die
streitige Erfassung der von der Y.________ 2000 und 2001 an die
Beschwerdeführerin ausgerichteten Entgelte als Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit neu entscheiden.

3.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Ausgleichskasse
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG). Die
Verwaltung hat zudem der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung für das
letztinstanzliche Verfahren zu bezahlen (Art. 159 Abs. 1 und 2 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid vom 4. Juni 2003 aufgehoben und die Sache an das
Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich zurückgewiesen wird, damit es
im Sinne der Erwägungen verfahre.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 900.- werden der Ausgleichskasse des Kantons
Zürich auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 900.- wird der Beschwerdeführerin
rückerstattet.

4.
Die Ausgleichskasse des Kantons Zürich hat der Beschwerdeführerin für das
Verfahren vor dem Eidgenössischen Versicherungsgericht eine
Parteientschädigung von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu
bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, der Krankenkasse Y.________ und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 16. Februar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: