Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 197/2003
Zurück zum Index Sozialrechtliche Abteilungen 2003
Retour à l'indice Sozialrechtliche Abteilungen 2003


H 197/03

Urteil vom 20. Februar 2004

I. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichterin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi,
Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard; Gerichtsschreiberin
Fleischanderl

P.________, 1934, Beschwerdeführerin,

gegen

Schweizerische Ausgleichskasse, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 13. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 8. November 1996 sprach die Ausgleichskasse Gastrosuisse,
Aarau, der am 9. Oktober 1934 geborenen, aus Deutschland stammenden
P.________, seit dem 2. Juli 1990 in zweiter Ehe verheiratet und seither das
Schweizer Bürgerrecht besitzend, eine ausserordentliche Altersrente in Höhe
von monatlich Fr. 970.-- ab 1. November 1996 zu. Die Versicherte war u.a. von
Oktober bis Dezember 1989 sowie von Januar bis März 1990 in der Schweiz
erwerbstätig gewesen. Mit Schreiben vom 24. November 2002 informierte
P.________ die Verwaltung darüber, dass sie sich per 1. Januar 2003 wieder in
Deutschland niederlassen werde. Die infolge des Wegzugs ins Ausland zuständig
gewordene Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) verfügte am 12. Dezember 2002
die Zusprechung einer ordentlichen einfachen Altersrente ab 1. Januar 2003 in
Höhe von Fr. 168.-- monatlich. Da die ausserordentliche - sich zuletzt auf
Fr. 1'030.-- im Monat belaufende - Rente nur bei Wohnsitz in der Schweiz
hätte weiterausgerichtet werden können, stehe ihr nurmehr die niedrigere
ordentliche Teilrente zu.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde, mit welcher P.________ sinngemäss um
Weitergewährung der bisherigen ausserordentlichen Rente ersuchte, wies die
Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen ab (Entscheid vom 13. Mai 2003).

C.
P.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde und erneuert ihr
vorinstanzliches Rechtsbegehren.

Während die SAK beantragt, die Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei, soweit
darauf überhaupt einzutreten sei, abzuweisen, schliesst das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) auf deren Gutheissung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Soweit die SAK letztinstanzlich vorbringt, auf die
Verwaltungsgerichtsbeschwerde sei zufolge verspäteter Einreichung nicht
einzutreten, kann ihr nicht gefolgt werden. Wie insbesondere dem in den Akten
enthaltenen "Rückschein National" vom 16. Juni 2003 zu entnehmen ist, wurde
der vorinstanzliche Entscheid der Beschwerdeführerin am 13. Juni 2003
ausgehändigt. Die am 1. Juli 2003 datierte, beim Eidgenössischen
Versicherungsgericht am 4. Juli 2003 eingegangene
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erfolgte somit innert der 30-tägigen
Anfechtungsfrist gemäss Art. 106 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 132 OG,
weshalb darauf eingetreten werden kann.

2.
Letztinstanzlich beruft sich die Beschwerdeführerin erstmals darauf, dass das
per 1. Juni 2002 in Kraft getretene Abkommen vom 21. Juni 1999 zwischen der
Schweizerischen Eidgenossenschaft einerseits und der Europäischen
Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten (darunter Deutschland) andererseits
über die Freizügigkeit (nachfolgend: FZA; SR 0.142.112.681) auf ihren Fall
Anwendung finde.

3.
Das FZA ist am 1. Juni 2002 in Kraft getreten. Es fragt sich, ob dieses
Abkommen, insbesondere sein Anhang II, der die Koordinierung der Systeme der
sozialen Sicherheit regelt, im vorliegenden Verfahren zu berücksichtigen ist
und ob der zu beurteilende Sachverhalt in seinen Anwendungsbereich fällt (BGE
128 V 315; vgl. auch das noch nicht in der Amtlichen Sammlung publizierte
Urteil B. vom 9. Dezember 2003, H 132/03).

3.1 Nach Art. 1 Abs. 1 des auf der Grundlage des Art. 8 FZA ausgearbeiteten
und Bestandteil des Abkommens bildenden (Art. 15 FZA) Anhangs II
"Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit" des FZA in Verbindung mit
Abschnitt A dieses Anhangs wenden die Vertragsparteien untereinander
insbesondere die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur
Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und
Selbstständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft
zu- und abwandern (nachfolgend: Verordnung Nr. 1408/71), und die Verordnung
(EWG) Nr. 574/72 des Rates vom 21. März 1972 über die Durchführung der
Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 über die Anwendung der Systeme der sozialen
Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbstständige sowie deren
Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, oder
gleichwertige Vorschriften an. Der am 1. Juni 2002 in Kraft getretene neue
Art. 153a AHVG verweist in lit. a auf diese beiden Koordinierungsverordnungen
(AS 2002 687).

3.2 Die Verfügung der SAK vom 12. Dezember 2002 wurde nach InKraft-Treten des
FZA am 1. Juni 2002 erlassen und beschlägt Rentenleistungen für die Zeit ab
1. Januar 2003. Das Abkommen und die Koordinierungsverordnungen sind somit in
zeitlicher Hinsicht anwendbar. Sie gelten für die Beschwerdeführerin ferner
auch in persönlicher Hinsicht, weil sie Arbeitnehmerin war, für welche die
Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gelten oder galten,
und Staatsangehörige eines Mitgliedstaates ist (Art. 2 Abs. 1 Verordnung Nr.
1408/71). Auch der sachliche Anwendungsbereich ist vorliegend gegeben, da die
Verordnung Nr. 1408/71 für alle Rechtsvorschriften über Zweige der sozialen
Sicherheit gilt, die Leistungen bei Alter betreffen (Art. 4 Abs. 1 Bst. c
Verordnung Nr. 1408/71).

4.
4.1 Gemäss Art. 10 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 dürfen Geldleistungen bei
Invalidität, Alter oder für die Hinterbliebenen, die Renten bei
Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten und die Sterbegelder, auf die nach den
Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten Anspruch erhoben
worden ist, sofern in dieser Verordnung nichts anderes bestimmt ist, nicht
deshalb gekürzt, geändert, zum Ruhen gebracht, entzogen oder beschlagnahmt
werden, weil der Berechtigte im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates als des
Staates wohnt, in dessen Gebiet der zur Zahlung verpflichtete Träger seinen
Sitz hat. Mit dieser Norm wird für bestimmte Leistungen die ungekürzte
Zahlung an Berechtigte mit Wohnsitz im Gebiet eines anderen Mitgliedstaates -
und damit der Leistungsexport - vorgeschrieben und die Anwendung
entgegenstehender mitgliedstaatlicher Regelungen ausgeschlossen, um
insbesondere den mit der Übersiedelung in einen anderen Mitgliedstaat
drohenden Rechtsnachteil des Verlusts von Ansprüchen auf Geldleistungen
auszuschliessen. Durch diese Aufhebung der Wohnortklauseln im
mitgliedstaatlichen Recht wird im Ergebnis eine Gleichstellung der
Staatsgebiete der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Leistungsberechtigung
erreicht. Soweit das Recht der sozialen Sicherheit der Mitgliedstaaten im
Auslandsleistungsrecht nach der Staatsangehörigkeit differenziert, wird der
Leistungsexport ferner auch durch die Gleichbehandlungsregelung in Art. 3
Abs. 1 der Verordnung gewährleistet (Rolf Schuler, in: Maximilian Fuchs
[Hrsg.], Kommentar zum Europäischen Sozialrecht, 3. Aufl., Baden-Baden 2002,
Rz 1 ff. zu Art. 10). Ziel von Art. 10 Abs. 1 der Verordnung ist somit die
uneingeschränkte Auszahlung von Leistungen, ungeachtet dessen, in welchem
Mitgliedstaat eine Person wohnt (sog. Leistungsexportprinzip; Botschaft vom
23. Juni 1999 zur Genehmigung der sektoriellen Abkommen zwischen der Schweiz
und der EG [nachfolgend: Botschaft], BBl 1999 VII 6320; Edgar Imhof, Eine
Anleitung zum Gebrauch des Personenfreizügigkeitsabkommens, in: Hans-Jakob
Mosimann [Hrsg.], Aktuelles im Sozialversicherungsrecht, Zürich 2001, S. 38
unten f.).
4.2 Art. 10a Abs. 1 der Verordnung Nr. 1408/71 sieht - als Ausnahmeregelung
zu Art. 10 und den im Titel III der Verordnung enthaltenen Exportgeboten -
unter der Überschrift "Beitragsunabhängige Sonderleistungen" die Möglichkeit
vor, Sonderleistungen, die nicht auf Beitragszahlungen beruhen, unter
bestimmten Voraussetzungen durch Eintragung in Anhang IIa von der
Exportpflicht auszunehmen, wenn die an der Verordnung mitwirkenden Staaten
damit einverstanden sind. Dies hat zur Folge, dass die entsprechenden
Leistungen nur den im Land wohnhaften Personen gewährt werden müssen
(Botschaft, BBl 1999 VII 6320; Schuler, a.a.O., Rz 1 zu Art. 10a). Im
erwähnten Anhang IIa sind für die Schweiz gemäss FZA (Anpassung h gemäss
Anhang II Abschnitt A Ziff. 1 FZA in der hier massgebenden, vor
In-Kraft-Treten des Beschlusses Nr. 2/2003 des Gemischten Ausschusses
EU-Schweiz vom 15. Juli 2003 zur Änderung des Anhangs II [Soziale Sicherheit]
des Abkommens zwischen der Europäischen Gemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Schweizerischen Eidgenossenschaft
andererseits über die Freizügigkeit, der die Hilflosenentschädigung
hinzugefügt hat, geltenden Fassung) die bundesrechtlich geregelten
Ergänzungsleistungen sowie gleichartige in den kantonalen Rechtsvorschriften
vorgesehene Leistungen, Härtefallrenten der Invalidenversicherung gemäss Art.
28 Abs. 1bis IVG sowie beitragsunabhängige Mischleistungen bei
Arbeitslosigkeit nach den kantonalen Rechtsvorschriften aufgeführt.
Ausserordentliche AHV/IV-Renten sind hingegen weder hier noch andernorts von
der Exportpflicht ausgenommen (Alessandra Prinz, Auswirkungen des
Freizügigkeitsabkommens auf die AHV- und IV-Leistungen, CHSS 2/2002, S. 83 in
fine; Bettina Kahil-Wolff, L'accord sur la libre circulation des personnes
Suisse-CE et le droit des assurances sociales, in: La Semaine Judiciaire,
4/2001 Teil II, S. 126 f. sowie FN 300; vgl. auch das IV-Rundschreiben Nr.
182 des BSV vom 18. Juli 2003, Ziffer 3).
Daraus folgt, dass die - auf Grund des Wegzugs nach Deutschland erfolgte -
Einstellung der der Beschwerdeführerin seit 1. November 1996 ausgerichteten
ausserordentlichen AHV-Altersrente per 1. Januar 2003 zu Unrecht erfolgt ist.
Darauf hinzuweisen bleibt, dass Art. 42 Abs. 1 AHVG, auf welche Bestimmung
die Vorinstanz ihre Leistungsablehnung abgestützt hat und die den Kreis der
Bezügerinnen und Bezüger von ausserordentlichen AHV-Renten auf in der Schweiz
wohnhafte Personen beschränkt, weiterhin Geltung hat für Personen, die dem
FZA oder einem eine analoge Regelung vorsehenden Staatsvertrag nicht
unterstehen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde werden der Entscheid der
Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen vom 13. Mai 2003 sowie die Verfügung der Schweizerischen
Ausgleichskasse vom 12. Dezember 2002 aufgehoben, und es wird festgestellt,
dass die Beschwerdeführerin über den 1. Januar 2003 hinaus Anspruch auf die
bisherige ausserordentliche AHV-Altersrente hat.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 20. Februar 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: