Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 193/2003
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H 193/03

Urteil vom 28. November 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Ursprung;
Gerichtsschreiber Hadorn

1. X.________ AG,

2. R.________,

3. M.________,
Beschwerdeführende, alle vertreten durch Rechtsanwalt Robert Harmann, Alte
Landstrasse 74, 8702 Zollikon,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich,
Beschwerdegegnerin

Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, Winterthur

(Entscheid vom 23. Mai 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Nachzahlungsverfügungen vom 5. August 1998 verpflichtete die
Ausgleichskasse des Kantons Zürich die Firma X.________ AG zur Bezahlung von
Sozialversicherungsbeiträgen inklusive Verzugs-zinsen im Ausmass von Fr.
43'857.05 für 1995, Fr. 51'800.65 für 1996 und Fr. 73'964.45 für 1997.

B.
Hiegegen liessen die X.________ AG sowie deren Verwaltungsräte R.________ und
M.________ Einspruch erheben. Beanstandet wurde, dass die Kasse die zwei
Verwaltungsräte in Bezug auf die genannte Firma als unselbstständig
Erwerbstätige erfasst hatte. Am 4. Juni 1999 trafen die Einsprecher mit der
Ausgleichskasse eine Vereinbarung und zogen hierauf ihre Einsprüche
vorbehaltlos zurück. Das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich
schrieb den Prozess mit Entscheid vom 14. Juni 1999 als durch
Beschwerderückzug erledigt vom Geschäftsverzeichnis ab.

C.
Mit Verfügung vom 4. April 2000 stellte die Ausgleichskasse fest, dass die
Nachzahlungsverfügungen vom 5. August 1998 in Rechtskraft erwachsen seien.

D.
Die von der X.________ AG, R.________ und M.________ dagegen geführte
Beschwerde hiess das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, soweit es
darauf eintrat, mit Entscheid vom 24. Januar 2002 in dem Sinne gut, dass der
"Nichteintretensentscheid vom 4. April 2000" aufgehoben und die
Ausgleichskasse verpflichtet wurde, auf das "Wiedererwägungsgesuch betreffend
die Nachzahlungsverfügungen vom 5. August 1998" einzutreten. Im Übrigen wurde
die Beschwerde abgewiesen.

E.
Auf Verwaltungsgerichtsbeschwerde der Firma und ihrer Verwaltungsräte hin
wies das Eidgenössische Versicherungsgericht die Sache mit Urteil vom 25.
September 2002 an das kantonale Gericht zurück, damit es im Sinne der
Erwägungen verfahre.

F.
Mit Entscheid vom 23. Mai 2003 wies das Sozialversicherungsgericht des
Kantons Zürich die Beschwerde gegen die Verfügung vom 4. April 2000 ab.

G.
Die X.________ AG, R.________ und M.________ lassen
Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen und beantragen, es sei festzustellen,
dass die aussergerichtlich geschlossene Vereinbarung vom 4. Juni 1999, wonach
R.________ und M.________ in Aufhebung der Nachzahlungsverfügungen vom 5.
August 1998 (Periode 1995-1997) im Verhältnis zur X.________ AG nicht schon
ab 1. Januar 1995, sondern erst ab 1. Januar 1998 als unselbstständig
Erwerbende zu betrachten seien, auch für die Ausgleichskasse Gültigkeit habe.
Eventuell sei die Sache zur Durchführung eines Beweisverfahrens an das
kantonale Gericht zurückzuweisen.

Die Ausgleichskasse und das Bundesamt für Sozialversicherung verzichten auf
eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Im Urteil vom 25. September 2002 erwog das Eidgenössische
Versicherungsgericht, nach Unterzeichnung der Vereinbarung vom 4. Juni 1999
sei Unklarheit darüber entstanden, ob die Nachzahlungsverfügungen vom 5.
August 1998 mit der Vereinbarung aufgehoben worden seien oder nicht. Ein
aufmerksames Studium des Vereinbarungstextes ergebe jedoch, dass sich die
Beschwerdeführenden nicht einfach zu exakt den selben Zahlungen verpflichtet
hätten, die ihnen bereits mit den Nachzahlungsverfügungen auferlegt worden
seien. Die Kasse habe dies anders gesehen, weshalb sie die Verfügung vom 4.
April 2000 erlassen habe, in welcher es ihr gerade darum gegangen sei, die in
Zweifel geratene Rechtslage zu klären und festzuhalten, dass die
Nachzahlungsverfügungen durch die Vereinbarung nicht aufgehoben worden seien.
Die Vorinstanz, welche auf die Beschwerde gegen die Verfügung vom 4. April
2000 nicht eingetreten war, wurde angewiesen zu prüfen, ob die Vereinbarung
zwischen den Beschwerdeführenden und der Ausgleichskasse zu Stande gekommen
sei, und gegebenenfalls, welche Wirkungen diese - auch in Bezug auf die
Nachzahlungsverfügungen vom 5. August 1998 - entfalte.

2.2 Die Vorinstanz führte einen doppelten Schriftenwechsel durch und kam im
Entscheid vom 23. Mai 2003 zum Schluss, dass die Nachzahlungsverfügungen vom
5. August 1998 weder durch die Vereinbarung vom 4. Juni 1999 noch in der
Folgezeit bis zum Erlass der Feststellungsverfügung vom 4. April 2000
aufgehoben worden seien. Da die Beschwerdeführenden die Rechtsmittel gegen
die Nachzahlungsverfügungen vorbehaltlos zurückgezogen hätten, seien diese in
Rechtskraft erwachsen. Die Feststellungsverfügung der Ausgleichskasse vom 4.
April 2000 sei daher richtig.

2.3 Hieran üben die Beschwerdeführenden Kritik. Die Vorinstanz habe den
Anordnungen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts gemäss Urteil vom 25.
September 2002 nicht nachgelebt. Statt die Parteien nach dem Inhalt der
Vereinbarung zu fragen, habe sie sich nur erkundigt, ob und gegebenenfalls
wie die Punkte der Vereinbarung vollzogen worden seien. Den
Beschwerdeführenden sei es seinerzeit darum gegangen, ein Stichdatum zu
finden, ab welchem die für die Verwaltungsratstätigkeit bei der X.________ AG
ausgerichteten Honorare als Entgelt für unselbstständige Erwerbstätigkeit
erfasst werden sollten, nachdem sie diese Verdienste bislang stets als
selbstständiges Einkommen deklariert hätten. Der Inhalt der Vereinbarung vom
4. Juni 1999 könne aus dem Kontext des ganzen Streites nur dahin verstanden
werden, dass dieser Statutwechsel erst ab 1. Januar 1998 und nicht schon in
den mit den Nachzahlungsverfügungen erfassten Perioden beginnen solle. Selbst
wenn die Vorinstanz ausführe, die Frage des korrekten Beitragsstatuts könne
nicht mittels Vereinbarungen geregelt werden, stelle sich die Frage des
Grundsatzes von Treu und Glauben, nachdem die Kasse die Vereinbarung
unterzeichnet habe. Falls hinsichtlich des der Vereinbarung zu Grunde
liegenden wirklichen Parteiwillens weiterhin Unklarheit bestehe, sei die
Vorinstanz anzuweisen, die mehrmals beantragte Einvernahme der damals
involvierten Personen als Zeugen vorzunehmen.

2.4 Im Urteil vom 25. September 2002 wies das Eidgenössische
Versicherungsgericht die Vorinstanz an abzuklären, ob eine Vereinbarung
zwischen den Parteien zu Stande gekommen sei und gegebenenfalls, welche
Wirkungen diese - auch in Bezug auf die Nachzahlungsverfügungen vom 5. August
1998 - entfalte. Hierauf forderte die Referentin der Vorinstanz die Kasse am
18. Dezember 2002 auf, "schriftlich und im Doppel darzulegen, ob und wie die
Punkte der Vereinbarung vom 4./8. Juni 1999 vollzogen worden sind (Punkt für
Punkt), und falls nicht, weshalb nicht". Die Kasse kam dem umgehend nach. Der
zur Stellungnahme eingeladene Rechtsvertreter der Beschwerdeführenden rügte
hierauf das Vorgehen des kantonalen Gerichts, indem er geltend machte, es
genüge nicht zu fragen, wie die Vereinbarung vollzogen worden sei; vielmehr
sei vorgängig darüber Klarheit zu schaffen, was überhaupt Inhalt dieser
Vereinbarung gewesen sei. Hiezu sei die Einvernahme der am Vertragsabschluss
beteiligten Personen als Zeugen zu veranlassen.

2.5 Mit der erwähnten Fragestellung kam die Vorinstanz den Auflagen gemäss
dem Urteil vom 25. September 2002 nicht nach. Eine Vereinbarung, deren Inhalt
unklar ist, kann normalerweise nicht oder jedenfalls nicht vollständig gemäss
übereinstimmendem Willen beider Parteien vollzogen werden. Solange
verschiedene Auffassungen über den Vertragsinhalt bestanden, war ein Vollzug
umso weniger zu erwarten, als die Vorinstanz gerade gehalten war, den
streitigen Inhalt der Vereinbarung abzuklären. Es wäre daher nicht nach der
Art des Vollzugs zu fragen gewesen, sondern vielmehr nach dem beabsichtigten
Vertragsinhalt. Es bleibt weiterhin unklar und vorliegend nach wie vor
streitig, ob eine Vereinbarung zu Stande gekommen ist, was die Parteien bei
ihrem Abschluss effektiv beabsichtigt hatten und welches Schicksal den
Nachzahlungsverfügungen vom 5. August 1998 zugedacht war. Da die
Beschwerdeführenden ihre damaligen Rekurse gegen die Nachzahlungsverfügungen
zurückgezogen hatten, mussten sie in der streitigen Vereinbarung, so wie sie
sie verstanden hatten, die Veranlassung dazu gesehen haben. Ebenso wenig hat
die Vorinstanz geprüft, ob und allenfalls inwiefern der Grundsatz von Treu
und Glauben die Beschwerdeführenden in ihrem Vertrauen auf die Vereinbarung
schützen könnte, falls denn eine Abmachung über das Beitragsstatut verabredet
worden sein sollte und diese rechtlich unzulässig gewesen wäre. Unter diesen
Umständen ist die Sache erneut an das kantonale Gericht zurückzuweisen, damit
es den im Urteil vom 25. September 2002 gestellten Auflagen nachkomme.

3.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen
geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Einem
Kanton, der nicht Partei ist, dürfen grundsätzlich keine Gerichtskosten und
Parteientschädigungen überbunden werden. In Anwendung von Art. 156 Abs. 2 OG
sowie Art. 159 Abs. 5 in Verbindung mit Art. 156 Abs. 6 OG rechtfertigt sich
vorliegend indessen eine Ausnahme von dieser Regel, weil der angefochtene
Entscheid in qualifizierter Weise die Pflicht zur Justizgewährleistung
verletzt und den Parteien Kosten verursacht hat (Urteil B. vom 13. Juli 2000,
H 290/98, mit Hinweisen). Die Gerichtskosten und die Parteientschädigung für
die anwaltlich vertretenen, obsiegenden Beschwerdeführenden sind deshalb dem
Kanton Zürich aufzuerlegen.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 23. Mai 2003 aufgehoben,
und die Sache wird an dieses Gericht zurückgewiesen, damit es im Sinne der
Erwägungen verfahre.

2.
Die Gerichtskosten von total Fr. 6000.- werden dem Kanton Zürich auferlegt.

3.
Die Kostenvorschüsse von dreimal je Fr. 6000.- werden den Beschwerdeführenden
zurückerstattet.

4.
Der Kanton Zürich hat den Beschwerdeführenden für das Verfahren vor dem
Eidgenössischen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung von Fr. 2500.-
(einschliesslich Mehrwertsteuer) zu bezahlen.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons
Zürich, dem Bundesamt für Sozialversicherung und dem Kanton Zürich
zugestellt.
Luzern, 28. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: