Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 148/2003
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H 148/03

Urteil vom 10. November 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Ferrari und Frésard; Gerichtsschreiberin Riedi Hunold

Ausgleichskasse Wirtschaftskammer 114, Viaduktstrasse 42, 4002 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

M.________ AG, Beschwerdegegnerin

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 31. März 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Schreiben vom 2. Februar 2001 stellte die Ausgleichskasse
Wirtschaftskammer 114 (nachfolgend: Ausgleichskasse) der ihr angeschlossenen
M.________ AG die Jahresabrechnung der Lohnbeiträge für das Jahr 2000 zu. Mit
Valuta vom 1. März 2001 beglich die M.________ AG diese Rechnung. Der
geschuldete Betrag wurde am 6. März 2001 auf dem Konto der Ausgleichskasse
gutgeschrieben. Mit Verfügung vom 5. Oktober 2001 verlangte die
Ausgleichskasse Verzugszinsen in der Höhe von Fr. 117.20.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft
mit Entscheid vom 31. März 2003 insofern gut, als es die Ausgleichskasse
anwies, die Verzugszinsen für 32 statt 34 Tage zu verfügen.

C.
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Begehren, der
kantonale Entscheid sei aufzuheben. Die Vorinstanz enthält sich in ihrer
Vernehmlassung eines Antrags. Die M.________ AG verzichtet auf eine
Stellungnahme. Das Bundesamt für Sozialversicherung (nachfolgend: BSV)
schliesst auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Alters- und
Hinterlassenenversicherung geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung
des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben, und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung eingetretenen
Sachverhalt abstellt, sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002
geltenden Bestimmungen anwendbar (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

3.
3.1 Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden Fassung
beauftragt den Bundesrat zum Erlass von Vorschriften über die Erhebung von
Verzugszinsen und die Ausrichtung von Vergütungszinsen. Dabei kommt ihm ein
weiter Ermessensspielraum zu (AHI 2003 S. 144 Erw. 3.3 mit Hinweisen). Von
dieser Kompetenz hat der Bundesrat Gebrauch gemacht und die hier
massgebenden, seit 1. Januar 2001 in Kraft stehenden Art. 41bis ff. AHVV
erlassen. Verzugszinsen sind auf auszugleichenden Lohnbeiträgen zu
entrichten, die nicht innert 30 Tagen ab Rechnungsstellung geleistet werden
(Art. 41bis Abs. 1 lit. c AHVV). Der Zinsenlauf beginnt mit der
Rechnungsstellung durch die Ausgleichskasse (Art. 41bis Abs. 1 lit. c AHVV)
und endet mit der vollständigen Bezahlung der Beiträge (Art. 41bis Abs. 2
AHVV). Als bezahlt gelten die Beiträge mit Zahlungseingang bei der
Ausgleichskasse (Art. 42 Abs. 1 AHVV). Die Zinsen werden tageweise berechnet;
ganze Monate werden zu 30 Tagen gerechnet (Art. 42 Abs. 3 AHVV). Das
Eidgenössische Versicherungsgericht hat Art. 42 Abs. 1 AHVV als mit Gesetz
und Verfassung vereinbar beurteilt (AHI 2003 S. 143). Zu prüfen bleiben
Inhalt sowie Gesetzes- und Verfassungskonformität von Art. 42 Abs. 3 AHVV.

3.2 Nach der Rechtsprechung kann das Eidgenössische Versicherungsgericht
Verordnungen des Bundesrates grundsätzlich, von hier nicht in Betracht
fallenden Ausnahmen abgesehen, auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüfen. Bei
(unselbstständigen) Verordnungen, die sich auf eine gesetzliche Delegation
stützen, prüft es, ob sie sich in den Grenzen der dem Bundesrat im Gesetz
eingeräumten Befugnisse halten. Wird dem Bundesrat durch die gesetzliche
Delegation ein sehr weiter Spielraum des Ermessens für die Regelung auf
Verordnungsebene eingeräumt, muss sich das Gericht auf die Prüfung
beschränken, ob die umstrittenen Verordnungsvorschriften offensichtlich aus
dem Rahmen der dem Bundesrat im Gesetz delegierten Kompetenzen herausfallen
oder aus andern Gründen verfassungs- oder gesetzwidrig sind. Es kann jedoch
sein eigenes Ermessen nicht an die Stelle desjenigen des Bundesrates setzen
und es hat auch nicht die Zweckmässigkeit zu untersuchen. Die vom Bundesrat
verordnete Regelung verstösst allerdings dann gegen Art. 8 Abs. 1 BV, wenn
sie sich nicht auf ernsthafte Gründe stützen lässt, wenn sie sinn- oder
zwecklos ist oder wenn sie rechtliche Unterscheidungen trifft, für die sich
ein vernünftiger Grund nicht finden lässt. Gleiches gilt, wenn die Verordnung
es unterlässt, Unterscheidungen zu treffen, die richtigerweise hätten
berücksichtigt werden sollen (BGE 129 II 164 Erw. 2.3, 128 V 98 Erw. 5a, 105
Erw. 6a, 219 Erw. 2, je mit Hinweisen).

3.3 In seinen Erläuterungen zur Änderung der AHVV auf den 1. Januar 2001
führte der Bundesrat zum neuen Art. 42 Abs. 3 wie folgt aus (AHI 2000 S.
133):
"Aus Praktikabilitätsgründen wurden die Zinsen bisher monatsweise berechnet.
Dies lässt sich angesichts der heutigen technischen Möglichkeiten nicht mehr
rechtfertigen. Um eine einfache und praktische Berechnung zu ermöglichen,
werden der Monat zu 30 Tagen und dementsprechend das Kalenderjahr zu 360
Tagen gerechnet."
Gemäss dem Kreisschreiben über Verzugs- und Vergütungszinsen (KSVZ) in der
AHV, IV und EO (gültig ab. 1. Januar 2001) werden die Zinsen tageweise
berechnet, wobei ganze Monate mit 30 Tagen und das Kalenderjahr mit 360 Tagen
zu rechnen sind. Massgebend ist die deutsche Zinsusanz. Danach folgen einige
Berechnungsbeispiele, u.a. auch Fälle mit Rechnungsstellung am 10. Januar
2001 und Zahlungseingang am 28. Februar 2001 sowie Rechnungsstellung am 27.
Februar 2001 und Zahlungseingang am 1. Juni 2001. Im ersten Fall errechnet
das BSV den Zins für 50 (20 + 30) Tage, im zweiten für 94 (3 + 90 + 1) Tage
(Rz 4014 KSVZ).
In seiner Vernehmlassung führt das BSV aus, dass die der Verordnungsnorm
zugrunde gelegte Methode im kaufmännischen Rechnen in Deutschland, den
skandinavischen Ländern und der Schweiz üblich sei; sie stelle auf das
Handelsjahr ab, welches 360 Tage umfasse. Im kaufmännischen Rechnen würden
somit gemäss der deutschen Usanz bei ganzen Monaten immer 30 Tage
berücksichtigt, unabhängig davon, wie viele Tage der Monat zähle. Seien nur
für einen Teil des Monats Zinsen geschuldet, so würden die Zinsen tageweise
berechnet. Dabei werde berücksichtigt, dass im Handelsjahr jeder Monat 30
Tage umfasse. Diese Regelung gelte auch für den Monat Februar. Seien für den
ganzen Monat Februar Zinsen geschuldet, d.h. vom 1. bis 28. Februar in
normalen und vom 1. bis 29. Februar in Schaltjahren, so würden 30 Tage
gezählt. Mit anderen Worten gelte in normalen Jahren der 28. als letzter Tag
des Monats, in Schaltjahren der 29. Seien nur für einen Teil des Monats
Februar Zinsen geschuldet, so würden diese tageweise berechnet. Dabei werde
so vorgegangen, als ob der Februar 30 Tage zählen würde. Als Beispiel werden
unter Hinweis auf Grünig/Sigrist/Wiedmer (Rechnungswesen 2, 7. Aufl., Bern
2000) die Tage vom 27. Februar bis 3. August berechnet, was für den Februar 3
Tage, für den März bis Juli je 30 Tage und für den August 3 Tage, insgesamt
also 156 Tage ausmache. Da die deutsche Usanz im kaufmännischen Verkehr der
Schweiz üblich sei und insbesondere von den Banken angewendet und in der
kaufmännischen Ausbildung gelehrt werde, sei es sinnvoll, sie auch im Bereich
der Vergütungs- und Verzugszinsen der AHV, IV und EO zu verwenden.

3.4 Wie das BSV zutreffend ausführt, wird die deutsche Usanz der Zinsrechnung
in der Bundesrepublik Deutschland, Belgien, Skandinavien und der Schweiz im
kaufmännischen Verkehr angewendet (Boemle/Gsell/Jetzer/Nyffeler/Thalmann,
Geld-, Bank- und Finanzmarkt-Lexikon der Schweiz, Zürich 2002, S. 1148; vgl.
auch Albisetti/ Boemle/Ehrsam/Gsell/Nyffeler/Rutschi, Handbuch des Geld-,
Bank- und Börsenwesens der Schweiz, 4. Aufl., Thun 1987, S. 718). Dabei
beläuft sich das Jahr auf 360 und der Monat auf 30 Tage. Die deutsche Usanz
wird auch als 360/360 bezeichnet. Demgegenüber heisst das Vorgehen, wonach
die Laufzeit der Zinsen nach Kalendertagen berechnet und dem Jahr 360 Tage
zugrunde gelegt werden, französische Usanz oder auch 365/360; sie ist
gebräuchlich in Frankreich, den USA sowie verschiedenen anderen Ländern und
findet am Euromarkt unter der Bezeichnung internationale Usanz Anwendung
(vgl. auch BGE 127 V 163 Erw. 6). Art. 42 Abs. 3 AHVV stützt sich jedoch auf
die deutsche Usanz ab (vgl. oben Erw. 3.3), womit ein Berechnen der Laufzeit
nach Kalendertagen ausscheidet.

3.5 Nachdem die in Art. 42 Abs. 3 AHVV vorgesehene Regelung den
kaufmännischen Gepflogenheiten in der Schweiz entspricht, eine rechtsgleiche
Anwendung gewährt und das Eidgenössische Versicherungsgericht sein Ermessen
nicht an die Stelle des vom Gesetzgeber gewährten weiten bundesrätlichen
Ermessen setzt, ist Art. 42 Abs. 3 AHVV sowie dessen Umsetzung gemäss den
Anweisungen des BSV im Kreisschreiben nicht zu beanstanden.

4.
Vorliegend geht es um Verzugszinsen für die Zeit von der Rechnungsstellung am
2. Februar 2001 bis zum Eingang der ausstehenden Beiträge bei der
Ausgleichskasse am 6. März 2001. Somit fallen auf den Februar 2001 28 (30 -
2) und auf den März 6 Tage, insgesamt deren 34. Demnach ist die Berechnung
der Ausgleichskasse korrekt und der kantonale Entscheid aufzuheben.

5.
Nachdem es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG
e contrario). Die Beschwerdegegnerin hat als unterliegende Partei die
Gerichtskosten zu tragen (Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 31. März 2003 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 500.-- wird der Ausgleichskasse
Wirtschaftskammer 114 zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.
Luzern, 10. November 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: