Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 141/2003
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H 141/03

Urteil vom 8. Oktober 2003
III. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Meyer und Kernen; Gerichtsschreiber Schmutz

L.________, 1936, Jugoslawien, Beschwerdeführer, vertreten durch V.________,

gegen

Schweizerische Ausgleichskasse, Avenue Edmond-Vaucher 18, 1203 Genf,
Beschwerdegegnerin

Eidgenössische Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden
Personen, Lausanne

(Entscheid vom 5. März 2003)

Sachverhalt:

A.
Die Fremdenpolizei X.________ erteilte dem 1936 geborenen, in Serbien
wohnenden L.________ in den Jahren 1974 bis 1976 jeweils für ein Jahr die
Aufenthaltsbewilligung für die Arbeit in der Landwirtschaft auf den Betrieben
von S.________ (1974 und 1975), und F.________ (1976). Am 19. September 2001
meldete L.________ sich zum Bezug einer schweizerischen Altersrente an und
machte im Gesuch detaillierte Angaben zu einer insgesamt dreijährigen
Erwerbstätigkeit in der Schweiz. Mit Verfügung vom 29. April 2002 lehnte die
Schweizerische Ausgleichskasse (SAK) das Rentengesuch ab, weil L.________ die
Mindestbeitragsdauer von einem Jahr nicht erfülle.

B.
Die von L.________ dagegen erhobene Beschwerde wies die Eidgenössische
Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen
(Rekurskommission) mit Entscheid vom 5. März 2003 ab.

C.
L.________ lässt dagegen durch seinen Sohn V.________
Verwaltungsgerichtsbeschwerde führen mit dem durch verschiedene
Beweisanerbieten unterstützten Begehren, "dass die ihm zustehende AHV-Rente
vollständig ausbezahlt" werde.

Die SAK beantragt Abweisung der Beschwerde. Das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Das am 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen
Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000, mit welchem
zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Alters-, Hinterlassenen- und
Invalidenversicherung geändert worden sind, ist im vorliegenden Fall nicht
anwendbar, weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen Rechtssätze
massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen führenden
Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw. 1), und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung (hier: 29. April
2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V 366 Erw. 1b).

2.
Die Versicherten haben das Recht, bei jeder Ausgleichskasse, die für sie ein
individuelles Konto führt, einen Auszug über die darin gemachten Eintragungen
zu fordern und eine Berichtigung zu verlangen. Wird kein Kontoauszug oder
keine Berichtigung verlangt, oder wird das Berichtigungsbegehren abgewiesen,
so kann bei Eintritt des Versicherungsfalles die Berichtigung von
Eintragungen im individuellen Konto nur verlangt werden, soweit deren
Unrichtigkeit offenkundig ist oder dafür der volle Beweis erbracht wird (Art.
141 Abs. 1-3 AHVV). Das gilt nicht nur für unrichtige, sondern auch für
unvollständige Eintragungen im individuellen Konto, wie beispielsweise die
Nichtregistrierung tatsächlich geleisteter Zahlungen (BGE 117 V 262 f. Erw.
3a mit Hinweisen).

Der Beschwerdeführer hat früher nie Auszüge verlangt und dagegen Einspruch
erhoben, weshalb er heute eine Berichtigung von Eintragungen im individuellen
Konto nur noch verlangen kann, soweit deren Unrichtigkeit offenkundig ist
oder dafür der volle Beweis erbracht wird.

3.
Streitig und zu prüfen ist, ob entgegen den Entscheiden von SAK und
Rekurskommission die Voraussetzungen für die Kontenbereinigung erfüllt sind.

3.1 Gemäss Art. 138 Abs. 1 AHVV sind die von einem Arbeitnehmer erzielten
Erwerbseinkommen, von welchen der Arbeitgeber die gesetzlichen Beiträge
abgezogen hat, in das individuelle Konto einzutragen, selbst wenn der
Arbeitgeber die entsprechenden Beiträge der Ausgleichskasse nicht entrichtet
hat. Die gleiche Ordnung gilt auch dann, wenn Arbeitgeber und Arbeitnehmer
eine Nettolohnvereinbarung getroffen haben, d.h. wenn der Arbeitgeber
sämtliche Beiträge zu seinen Lasten übernimmt. Diese beiden Sondertatbestände
müssen aber einwandfrei nachgewiesen sein. Ist der Nachweis nicht erbracht,
dass der Arbeitgeber tatsächlich die Beiträge vom Lohn seines Arbeitnehmers
abgezogen hat oder lässt sich eine behauptete Nettolohnvereinbarung nicht
eindeutig feststellen, so dürfen die entsprechenden Einkommen nicht ins
individuelle Konto eingetragen werden (BGE 117 V 262 Erw. 3a mit Hinweisen).

Dabei schliesst die Beweisregelung von Art. 141 Abs. 3 AHVV, wonach die
Kontoberichtigung bei Eintritt des Versicherungsfalles den vollen Beweis
voraussetzt (vgl. Erw. 2), den Untersuchungsgrundsatz nicht aus. Der volle
Beweis ist nach dem Untersuchungsgrundsatz zu erbringen, wobei der
Mitwirkungspflicht des Betroffenen erhöhtes Gewicht zukommt, indem dieser von
sich aus alles ihm Zumutbare zu unternehmen hat, um die Verwaltung oder den
Richter in der Beschaffung des Beweismaterials zu unterstützen. Der Sinn und
Zweck von Art. 141 Abs. 3 AHVV erschöpft sich somit darin, dass wohl für die
Kontoberichtigung bei Eintritt des Versicherungsfalles eine qualifizierte
Beweisanforderung aufgestellt wird und dafür der volle Beweis erbracht sein
muss; diese Norm schreibt aber nicht vor, dass der Versicherte selber den
geforderten Beweis zu erbringen hat (BGE 117 V 265 Erw. 3d).

3.2 Der Beschwerdeführer hat seit Beginn des Verfahrens detaillierte Angaben
zu seinen schweizerischen Arbeitsstellen gemacht und Beweisanträge zur
Klärung der noch offenen Fragen gestellt (Nachforschungen bei Polizei- und
Steuerbehörden, Befragung genau bezeichneter früherer Arbeitgeber). Er hat
mit der Verwaltungsgerichtsbeschwerde die schriftliche Erklärung der
damaligen Ehefrau des Arbeitgebers S.________ eingelegt, die sich daran
erinnern will, dass er in den Jahren 1974 und 1975 im betreffenden
Landwirtschaftsbetrieb tätig war. Der Beschwerdeführer ist damit seiner
Mitwirkungspflicht im Rahmen des Zumutbaren nachgekommen.

3.3 Auf Grund der Untersuchungsmaxime haben die SAK und die Rekurskommission
dem Beschwerdeführer bei der Beschaffung des Beweismaterials Unterstützung zu
leisten, was bisher nicht geschehen ist. Die SAK nahm ausser dem Zusammenzug
der individuellen Konten keine weiteren Untersuchungshandlungen vor. Zur
Beweisführung hinsichtlich der Fragen, ob Arbeitgeber die gesetzlichen
Beiträge vom Lohn abzogen und nicht entrichteten oder ob entrichtete Beiträge
nicht (korrekt) verbucht wurden, ist der Zusammenruf ungenügend, denn
solcherart ausgefallene Beiträge scheinen in den individuellen Konten nicht
auf. Die Rekurskommission hat zu den Vorbringen des Beschwerdeführers
lediglich konstatiert, er habe keine weiteren Einzahlungen nachweisen können.
Damit hat die Vorinstanz dem Beschwerdeführer eine Beweisführungslast
überbunden, welche es im Sozialversicherungsrecht nicht gibt (BGE 117 V 264
Erw. 3b mit Hinweisen; Fritz Gygi, Bundesverwaltungsrechtspflege, Bern 1983,
S. 210 und 280 f.), auch nicht im Rahmen von Art. 141 Abs. 3 AHVV (Erw. 3.1).

4.
Zufolge unzureichender Sachverhaltsermittlung sind die angefochtenen
Entscheide aufzuheben. Bei den erforderlichen Abklärungen wird die Verwaltung
zu berücksichtigen haben, dass sich im fraglichen Zeitraum die vom
Beschwerdeführer behaupteten Arbeitsverhältnisse mit hoher Wahrscheinlichkeit
nach dem vom Regierungsrat des Kantons Y.________ am 12. Dezember 1972
beschlossenen Normalarbeitsvertrag für landwirtschaftliche Arbeitnehmer
gestalteten. Dieser wurde durch den heute geltenden Normalarbeitsvertrag vom
16. Dezember 1986 abgelöst, welcher die Arbeitgeberpflichten direkt oder
unter Hinweis auf weitere Gesetzgebungen im Detail regelt. Wenn der
Beschwerdeführer heute geltend macht, dass ihm der Lohn direkt bar ausbezahlt
worden sei, dann ist die Vermutung nicht ohne weiteres von der Hand zu
weisen, dass die damaligen Arbeitgeber zumindest die Regelungen des
Normalarbeitsvertrages beachtet haben, und die gesetzlichen Naturallohn-,
Sozialversicherungs- und Steuerabzüge korrekt handhabten, bevor sie dem
Beschwerdeführer den (Netto-)Barlohn auszahlten.

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird in dem Sinne gutgeheissen, dass der
Entscheid der Eidgenössischen Rekurskommission der AHV/IV für die im Ausland
wohnenden Personen vom 5. März 2003 und die Ablehnungsverfügung vom 29. April
2002 aufgehoben werden und die Sache an die Schweizerische Ausgleichskasse
zurückgewiesen wird, damit diese, nach erfolgten Abklärungen im Sinne der
Erwägungen, über den Rentenanspruch neu verfüge.

2.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Eidgenössischen Rekurskommission der
AHV/IV für die im Ausland wohnenden Personen und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 8. Oktober 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der III. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: