Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 138/2003
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H 138/03

Urteil vom 6. November 2003
II. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichterin Widmer und Bundesrichter Frésard;
Gerichtsschreiber Flückiger

Z.________ AG, Beschwerdeführerin,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Bern, Chutzenstrasse 10, 3007 Bern,
Beschwerdegegnerin

Verwaltungsgericht des Kantons Bern, Bern

(Entscheid vom 11. März 2003)

Sachverhalt:

A.
Anlässlich einer am 30. März 2001 durchgeführten Arbeitgeberkontrolle bei der
Firma Z.________ AG wurde festgestellt, dass im Jahr 1999 W.________ (ab 29.
August 2000 einzeln zeichnungsberechtigter Verwaltungsrat der Gesellschaft)
ein Beraterhonorar von Fr. 642'055.- gutgeschrieben worden war, auf welchem
die Firma keine Sozialversicherungsbeiträge entrichtet hatte.  In der Folge
verpflichtete die Ausgleichskasse des Kantons Bern die Z.________ AG mit
Nachtragsverfügung vom 24. Juli 2001 zur Bezahlung von Beiträgen auf diesem
Honorar (einschliesslich Beiträge an die Familienausgleichskasse und
Verwaltungskosten) in Höhe von insgesamt Fr. 82'328.50.

B.
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern
ab (Entscheid vom 11. März 2003).

C.
Die Z.________ AG führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, es
seien der kantonale Entscheid und die Verfügung vom 24. Juli 2001 aufzuheben.

Die Ausgleichskasse des Kantons Bern schliesst auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde. Das Bundesamt für Sozialversicherung
verzichtet auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten werden,
als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im
vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der
Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen
verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

2.
2.1 Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.2 Im Rahmen von Art. 105 Abs. 2 OG ist die Möglichkeit, im Verfahren vor
dem Eidgenössischen Versicherungsgericht neue tatsächliche Behauptungen
aufzustellen oder neue Beweismittel geltend zu machen, weitgehend
eingeschränkt. Nach der Rechtsprechung sind nur jene neuen Tatsachen und
Beweismittel zulässig, welche die Vorinstanz von Amtes wegen hätte erheben
müssen und deren Nichterheben eine Verletzung wesentlicher
Verfahrensvorschriften darstellt (BGE 121 II 99 Erw. 1c, 120 V 485 Erw. 1b,
je mit Hinweisen).

3.
Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen über die für die
sozialversicherungsrechtliche Beitragspflicht relevante Abgrenzung zwischen
selbstständiger und unselbstständiger Erwerbstätigkeit (Art. 5 und 9 AHVG
sowie Art. 6 ff. AHVV; vgl. auch BGE 123 V 162 f. Erw. 1 mit Hinweisen)
zutreffend dargelegt. Darauf wird verwiesen. Richtig ist auch, dass das am 1.
Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 im vorliegenden Fall
nicht anwendbar ist, da die streitige Verwaltungsverfügung vor dem 1. Januar
2003 erging (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

4.
Streitig und zu prüfen ist, ob die Ausgleichskasse mit der vorinstanzlich
bestätigten Verfügung vom 24. Juli 2001 zu Recht paritätische
Sozialversicherungsbeiträge auf der im Jahr 1999 vorgenommenen
Honorargutschrift erhoben hat.

5.
Die Beschwerdeführerin macht zunächst geltend, das Honorar stelle kein
Einkommen aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit dar.

5.1 Das kantonale Gericht gelangte zum Ergebnis, es sei mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit erstellt, dass W.________ bereits vor dem formellen
Antritt des Amts als einzeln zeichnungsberechtigter Verwaltungsrat per 29.
August 2000 eine Stellung als faktisches Organ der Beschwerdeführerin
zugekommen sei, und dass die fragliche, im Jahr 1999 erfolgte Gutschrift ein
Entgelt für diese - als unselbstständig zu qualifizierende - Tätigkeit
dargestellt habe.

5.2 Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kommt einer Person faktische
Organstellung zu, wenn sie in eigener Verantwortung eine dauernde
Zuständigkeit für gewisse das Alltagsgeschäft übersteigende und das
Geschäftsergebnis beeinflussende Entscheide wahrnimmt (BGE 128 III 33 Erw.
3c).

Den Akten ist zu entnehmen, dass die Beschwerdeführerin dieselbe Adresse
verzeichnet wie W.________ und dass bereits in früheren Jahren Post an diesen
mit der Anschrift der Beschwerdeführerin versandt wurde. W.________ ist seit
29. August 2000 einziger Verwaltungsrat der Beschwerdeführerin; zuvor hatte
ab Dezember 1997 seine Ehefrau dieses Amt inne gehabt. Gemäss Darstellung der
Beschwerdeführerin umfasst die im Jahr 1999 erfolgte Gutschrift gleich hohe
Honoraransprüche verschiedener Jahre. Diese Kontinuität sowie die Höhe des
Entgelts weisen auf eine dauerhafte Tätigkeit in verantwortlicher Stellung
hin. Unter diesen Umständen konnte die Vorinstanz ohne Verletzung von
Bundesrecht zum Ergebnis gelangen, W._______ habe während des relevanten
Zeitraums als faktisches Organ der Beschwerdeführerin fungiert und die
Honorargutschrift im Jahr 1999 sei als Entschädigung für diese Tätigkeit
erfolgt. Dies gilt umso mehr, da es die Beschwerdeführerin während des
gesamten Verfahrens unterliess, hinreichend konkret darzulegen, auf welcher
anderen rechtlichen Grundlage die Gutschrift basieren und für welche
Leistungen sie erfolgt sein sollte.

5.3 Bei Leistungen einer Gesellschaft an eine Person, welcher die Stellung
eines geschäftsführenden Organs zukommt, gilt die Vermutung, es handle sich
um Entschädigungen für die Organtätigkeit und damit um Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit (ZAK 1983 S. 23; vgl. Art. 7 lit. h AHVV
[in der seit 1. Januar 1999 geltenden Fassung]; Rz 2028 ff. der
bundesamtlichen Wegleitung über den massgebenden Lohn [WML]). Diese Vermutung
wird durch die Vorbringen der Beschwerdeführerin nicht widerlegt.
Insbesondere ist die Darstellung in der Verwaltungsgerichtbeschwerde,
W.________ habe schon seit Jahren eine selbstständige Erwerbstätigkeit
(zunächst als Anwalt, ab 1989 als Immobilienpromotor) ausgeübt und diese zu
keinem Zeitpunkt aufgegeben, für die Qualifikation der konkret zur Diskussion
stehenden Entgelte nicht entscheidend; denn nach der Rechtsprechung ist bei
einem Versicherten, der gleichzeitig mehrere Tätigkeiten ausübt, jedes
Erwerbseinkommen dahingehend zu prüfen, ob es aus selbstständiger oder
unselbstständiger Erwerbstätigkeit stammt (BGE 122 V 172 Erw. 3b mit
Hinweisen). Die Gutschrift von Fr. 642'055.- ist als Entgelt für die
Tätigkeit als geschäftsführendes Organ einer Aktiengesellschaft dem Einkommen
aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit zuzuordnen.

6.
6.1 Die Beschwerdeführerin lässt ferner - wie bereits vor dem kantonalen
Gericht - geltend machen, das fragliche Entgelt sei nicht ausbezahlt und in
der Zwischenzeit zurückgebucht worden. Diese Rückbuchung beruhe auf einem
Gesellschaftsbeschluss vom 22. Januar 2002, welchem W.________ ausdrücklich
zugestimmt habe.

6.2 Für die Entstehung der Beitragsschuld und die Beantwortung der Frage,
wann Beiträge vom massgebenden Einkommen zu entrichten sind, kommt es nach
der Rechtsprechung auf den Zeitpunkt an, in welchem das Erwerbseinkommen
realisiert worden ist (BGE 111 V 166 Erw. 4a mit Hinweisen; ZAK 1989 S. 308
Erw. 3c, 1985 S. 43; Urteile A. vom 4. März 2002, H 364/00, sowie S. und K.
vom 18. Dezember 2001, H 257/00; vgl. auch BGE 115 V 163 Erw. 4b). Wird der
Lohn nicht ausbezahlt, sondern lediglich in den Büchern des Arbeitgebers
gutgeschrieben, darf die Ausgleichskasse vermutungsweise davon ausgehen, dass
das Einkommen im Zeitpunkt der Lohngutschrift realisiert ist (EVGE 1957 S. 36
und 125, je Erw. 2). Dem Arbeitgeber und den betroffenen Arbeitnehmern steht
der Gegenbeweis offen, dass eine blosse Anwartschaft auf Vergütung und Lohn
vorliegt (EVGE 1957 S. 36 und 125, je Erw. 2; Käser, Unterstellung und
Beitragswesen in der obligatorischen AHV, 2. Aufl., S. 112 Rz 4.9). Eine
blosse Anwartschaft auf Lohn kann beispielsweise dann gegeben sein, wenn die
finanziellen Verhältnisse des Arbeitgebers zur Zeit der Gutschrift sehr
schlecht sind und deshalb die künftige Auszahlung des betreffenden Lohnes in
zeitlicher wie masslicher Hinsicht von einer Besserung des Geschäftsganges
abhängig ist (ZAK 1976 S. 86 mit Hinweisen; Urteil A. vom 4. März 2002, H
364/00, Erw. 2b).

6.3 Nach dem Gesagten hat das W.________ im Jahr 1999 gutgeschriebene Honorar
als zu diesem Zeitpunkt realisiertes Erwerbseinkommen zu gelten, falls nicht
erstellt ist, dass es sich um eine blosse Anwartschaft handelte. Die Akten
enthalten diesbezüglich keine hinreichenden Anhaltspunkte. Insbesondere ist
nicht dargetan, dass die finanzielle Situation der Z.________ AG im Jahr 1999
eine Auszahlung des Honorars nicht erlaubt hätte. Die finanziellen
Verhältnisse waren gemäss den Ausführungen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde auch im April 2003 noch nicht klar. Verwaltung
und Vorinstanz haben daher das Vorliegen eines im Jahr 1999 realisierten
Einkommens aus unselbstständiger Erwerbstätigkeit zu Recht bejaht. Mit der
Realisierung entstand auch die entsprechende Beitragsforderung, welche die
Ausgleichskasse korrekterweise mit der Nachtragsverfügung vom 24. Juli 2001
geltend gemacht hat. Daran vermag der Umstand nichts zu ändern, dass zu einem
späteren Zeitpunkt (im Jahr 2002) allenfalls die im Jahr 1999 vorgenommene
Gutschrift zu Gunsten W._______s wieder rückgängig gemacht wurde.

7.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die
Gerichtskosten sind der unterliegenden Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art.
156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 4500.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Bern,
Sozialversicherungsrechtliche Abteilung, und dem Bundesamt für
Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 6. November 2003
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: