Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 127/2003
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H 127/03

Urteil vom 29. Oktober 2003

I. Kammer

Präsident Schön, Bundesrichter Borella, Bundesrichterin Leuzinger,
Bundesrichter Ferrari und Ursprung; Gerichtsschreiber Fessler

D.________, 1939, Beschwerdeführerin,

gegen

Ausgleichskasse des Kantons Solothurn, Allmendweg 6, 4528 Zuchwil,
Beschwerdegegnerin

Versicherungsgericht des Kantons Solothurn, Solothurn

(Entscheid vom 19. März 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 26. Februar 2002 sprach die Ausgleichskasse der Aarg.
Industrie- und Handelskammer der am 5. Februar 1939 geborenen, in S.________
wohnhaften D.________ ab 1. März 2002 eine Altersrente in der Höhe von Fr.
1545.- zu. Auf denselben Zeitpunkt wurde die Altersrente ihres Ehegatten neu
festgesetzt. Auf entsprechende Aufforderung der Verbandsausgleichskasse
meldete sich D.________ am 6. März 2002 bei der Ausgleichskasse des Kantons
Solothurn als Nichterwerbstätige an. Gemäss ihren Angaben war sie bis Ende
1998 erwerbstätig gewesen. Nach Abklärungen verfügte die kantonale
Ausgleichskasse am 8. Mai 2002 Beiträge für Nichterwerbstätige
(einschliesslich Verwaltungskostenbeitrag) in der Höhe von insgesamt Fr.
15'263.80 für 1997, 1999 und 2000 sowie provisorisch für 2001 und
Januar/Februar 2002. Auf der am folgenden Tag zugestellten Abrechnung waren
überdies Verzugszinsen von Fr. 833.- aufgeführt.

B.
D.________ reichte beim Versicherungsgericht des Kantons Solothurn
Beschwerde ein und beantragte, die Verfügung der Ausgleichskasse der Aarg.
Industrie- und Handelskammer vom 26. Februar 2002 sei zu respektieren und
alle nachträglich gestellten Forderungen der kantonalen Ausgleichskasse seien
abzulehnen.

Die Ausgleichskasse des Kantons Solothurn schloss auf Abweisung des
Rechtsmittels. In den weiteren Rechtsschriften hielten die Parteien an ihren
Standpunkten fest.

Mit Entscheid vom 19. März 2003 wies das solothurnische Versicherungsgericht
die Beschwerde ab.

C.
D.________ führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Rechtsbegehren, die
Beschwerde gegen die Verfügungen der Ausgleichskasse des Kantons Solothurn
vom 8. Mai 2002 sei gutzuheissen und die Rentenverfügung der Ausgleichskasse
der Aarg. Industrie- und Handelskammer vom 26. Februar 2002 sei zu
respektieren; eventualiter sei die Sache zur Abklärung der Zuständigkeit "für
Beiträge und Renten meiner AHV und/oder Entscheid über Rentenhöhe ohne
Nachzahlung" zurückzuweisen.

Die kantonale Ausgleichskasse beantragt die Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde, während das Bundesamt für Sozialversicherung
auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz vom 6. Oktober 2000 über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Alters- und
Hinterlassenenversicherung geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung
des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 127 V 467 Erw.
1), und weil ferner das Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines
Falles in der Regel auf den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen
Verfügung (hier: 8. Mai 2002) eingetretenen Sachverhalt abstellt (BGE 121 V
366 Erw. 1b), sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002
geltenden Bestimmungen anwendbar.

2.
2.1 Das kantonale Gericht hat mit zutreffender Begründung die Beitragspflicht
der Beschwerdeführerin als Nichterwerbstätige im Sinne von Art. 10 AHVG und
Art. 28bis Abs. 1 AHVV für 1997, 1999 und 2000 sowie für 2001 und
Januar/Februar 2002 bejaht. Es kann ohne weiteres auf die im Grundsatze
unbestrittenen Erwägungen im angefochtenen Entscheid verwiesen werden.
Ebenfalls ausser Frage steht die Bemessung der Beiträge. Es besteht kein
Anlass zu einer näheren Prüfung dieses Punktes (BGE 125 V 415 Erw. 1b und 417
oben).

2.2 Im Weitern hat die Vorinstanz unter Hinweis auf die gesetzliche Ordnung
der Zuständigkeit für den Beitragsbezug bei Versicherten, welche vor dem
Kalenderjahr, in welchem sie das 60. Altersjahr vollenden, als
Nichterwerbstätige gelten (vgl. Art. 64 Abs. 2 und Abs. 4 zweiter Satz AHVG,
Art. 118 Abs. 1 erster Teilsatz und Abs. 2 AHVV e contrario), entschieden,
dass die am Recht stehende kantonale Ausgleichskasse zur Beitragserhebung
befugt war. Das ist richtig. Was hiegegen in der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde vorgebracht wird, ist unbehelflich. Namentlich
ist grundsätzlich ohne Belang, dass die Ausgleichskasse der Aarg. Industrie-
und Handelskammer bis 1998 die paritätischen Beiträge für die
Beschwerdeführerin abgerechnet hatte. Ebenfalls ist für die Frage der
Kassenzugehörigkeit nicht entscheidend, dass die Verbandsausgleichskasse am
26. Februar 2002, mithin vor den Verfügungen vom 8. Mai 2002 über die
Beiträge als Nichterwerbstätige ab 1. Januar 1997 die Altersrente festgesetzt
hatte. Nach Art. 64a Abs. 1 erster Satz AHVG war sie dafür zuständig, da sie
die Altersrente des im Ruhestand befindlichen Ehemannes der Versicherten
auszahlte. Im Übrigen wird nicht geltend gemacht und es fehlen Hinweise in
den Akten, dass die Ausgleichskasse der Aarg. Industrie- und Handelskammer
für 1997, 1999 bis 2001 sowie Januar/ Februar 2002 Beiträge für
Nichterwerbstätige erhoben hatte.

3.
In ihrer Eingabe vom 24. Juni 2002 an die Vorinstanz erwähnte die
Beschwerdeführerin, ihr Ehemann habe nach seiner Pensionierung 1991 bis 1998
weitere AHV-Beiträge einbezahlt. Gemäss dem in diesem Verfahren aufgelegten
Schreiben vom 3. April 2003 an die Ausgleichskasse der Aarg. Industrie- und
Handelskammer waren es für 1997 Fr. 3121.-.
3.1 Nach Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG gelten bei nichterwerbstätigen Ehegatten
von erwerbstätigen Versicherten die eigenen Beiträge als bezahlt, sofern
diese Beiträge von mindestens der doppelten Höhe des Mindestbeitrages (Fr.
324.- [vgl. Art. 8 Abs. 2 und Art. 10 Abs. 1 AHVG]) bezahlt haben.

Versichert im Sinne von Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG sind u.a. die natürlichen
Personen, die Wohnsitz in der Schweiz haben oder hier eine Erwerbstätigkeit
ausüben (Art. 1 Abs. 1 lit. a und b AHVG ). Die Versicherten sind
beitragspflichtig, solange sie eine Erwerbstätigkeit ausüben (Art. 3 Abs. 1
erster Satz AHVG).

3.2 Zu prüfen ist, ob Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG auch anwendbar ist, wenn der
erwerbstätige Ehegatte der nichterwerbstätigen Person Anspruch auf eine
Altersrente hat.

3.2.1 Das Gesetz ist in erster Linie nach seinem Wortlaut auszulegen. Ist der
Text nicht ganz klar und sind verschiedene Auslegungen möglich, so muss nach
seiner wahren Tragweite gesucht werden unter Berücksichtigung aller
Auslegungselemente, namentlich des Zwecks, des Sinnes und der dem Text zu
Grunde liegenden Wertung. Wichtig ist ebenfalls der Sinn, der einer Norm im
Kontext zukommt. Vom klaren, d.h. eindeutigen und unmissverständlichen
Wortlaut darf nur ausnahmsweise abgewichen werden, u.a. dann nämlich, wenn
triftige Gründe dafür vorliegen, dass der Wortlaut nicht den wahren Sinn der
Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der
Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Grund und Zweck oder aus dem
Zusammenhang mit andern Vorschriften ergeben (BGE 129 II 118 Erw. 3.1, 129 V
103 Erw. 3.2, je mit Hinweisen).

3.2.2 Eine am Wortlaut orientierte Interpretation von Art. 3 Abs. 3 lit. a
AHVG (in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 erster Satz AHVG)
spricht dafür, dass die eigenen Beiträge einer nichterwerbstätigen Person
auch als bezahlt gelten, wenn deren erwerbstätiger Ehegatte Anspruch auf eine
Altersrente hat und Beiträge von mindestens der doppelten Höhe des
Mindestbeitrages entrichtet. Diese Auslegung trägt indessen dem Umstand nicht
Rechnung, dass gemäss Art. 29quinquies Abs. 3 lit. a und Abs. 4 lit. a AHVG e
contrario die nach Eintritt des Versicherungsfalles Alter beim zuerst
rentenberechtigten Ehegatten erzielten beitragspflichtigen Einkommen nicht
der Teilung und gegenseitigen je hälftigen Anrechnung ("Splitting")
unterliegen (vgl. BGE 127 V 361, insbesondere S. 366 Erw. 5; ferner BGE 129 V
124). Gälten auch für diese Zeiten die Beiträge der nichterwerbstätigen
Person als durch den erwerbstätigen Ehegatten bezahlt, würden ihr zwar nach
Art. 29ter Abs. 2 lit. b AHVG die entsprechenden Jahre als Beitragsjahre
angerechnet. Es könnten ihr indessen keine rentenbildenden Erwerbseinkommen
im Sinne von Art. 29quater lit. a AHVG (durch Splitten des vom anderen
Ehegatten erzielten Einkommens) gutschrieben werden.

Das entspräche indessen nicht der mit der Einführung des Splitting im Rahmen
der 10. AHV-Revision verfolgten Zielsetzung, dass im Unterschied zu früher
alle Nichterwerbstätigen grundsätzlich beitragspflichtig sein sollen.
Insbesondere kann die Ehe als solche nicht zur Beitragsbefreiung des
nichterwerbstätigen Ehegatten führen (anders noch für Ehefrauen alt Art. 3
Abs. 2 lit. b AHVG). Lediglich wenn und solange die Voraussetzungen für die
Teilung und hälftige Anrechnung des vom erwerbstätigen Ehegatten erzielten
Einkommens gegeben sind, ist die nichterwerbstätige Person von der
Beitragspflicht befreit, sofern dessen Beiträge mindestens die doppelte Höhe
des Mindestbeitrages erreichen (vgl. Amtl. Bull. 1993 N 213 und 248, 1994 S.
546).

Nichterwerbstätige, deren Ehegatten Anspruch auf eine Altersrente haben, sind
somit ihrem Statut gemäss beitragspflichtig. Art. 3 Abs. 3 lit. a AHVG ist
nicht anwendbar.

3.3 Nach dem Gesagten haben vorliegend die Beitragszahlungen ab 1997 des eine
Altersrente beziehenden Ehemannes der Beschwerdeführerin keine Bedeutung für
ihre Beitragspflicht als Nichterwerbstätige und deren Bemessung. Der
angefochtene Entscheid ist auch unter diesem Gesichtspunkt rechtens.

4.
Die Beschwerdeführerin bestreitet eine Verzugszinspflicht mit dem Hinweis
darauf, es handle sich um erstmalige Rechnungen für Nachzahlungen von
AHV-Beiträgen, von deren Schuld sie keine Ahnung gehabt habe. Diese
Argumentation verkennt, dass die Pflicht zur Bezahlung von Verzugszinsen, ab
dem 1. Januar nach Ablauf des Kalenderjahres, für welches die Beiträge
geschuldet sind, gestützt auf Art. 41bis Abs. 2 lit. b (in der bis 31.
Dezember 2000 geltenden Fassung) resp. Art. 41bis Abs. 1 lit. b AHVV (in der
ab 1. Januar 2001 gültigen Fassung) je in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 lit.
e AHVG grundsätzlich unabhängig davon besteht, ob die beitragspflichtige
Person oder die Ausgleichskasse ein Verschulden an der Verzögerung der
Beitragsfestsetzung oder -zahlung trifft (ZAK 1992 S. 168 Erw. 4b mit
Hinweisen; vgl. auch AHI 2000 S. 128 ff.). In masslicher Hinsicht ist die mit
Rechnung vom 8. Mai 2002 formlos verfügte Verzugszinspflicht nicht
angefochten. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde ist auch in diesem Punkt
unbegründet.

5.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem
Prozessausgang entsprechend sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin
aufzuerlegen (Art. 156 Abs. 1 OG in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.

Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 1400.- werden der Beschwerdeführerin auferlegt und
mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons
Solothurn und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 29. Oktober 2003

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der I. Kammer:   Der Gerichtsschreiber: