Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 114/2003
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H 114/03

Urteil vom 11. Oktober 2004
IV. Kammer

Präsident Ferrari, Bundesrichter Rüedi und Bundesrichterin Widmer;
Gerichtsschreiberin Helfenstein Franke

Ausgleichskasse Basel-Stadt, Wettsteinplatz 1, 4058 Basel,
Beschwerdeführerin,

gegen

Konkursmasse der P.________ AG, vertreten durch das Konkursamt X.________,
Beschwerdegegner

Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, Basel

(Entscheid vom 25. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
Die P.________ AG war der Ausgleichskasse Basel-Stadt (nachfolgend:
Ausgleichskasse) als beitragspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen. Am
...... 2002 wurde über sie der Konkurs eröffnet. Die Ausgleichskasse erliess
am 10. April 2002 auf Grund einer Arbeitgeberkontrolle betreffend die
Beitragsperiode vom 1. Mai 2000 bis ...... 2002 eine Nachzahlungsverfügung
für das Jahr 2001 in der Höhe von Fr. 721.55 basierend auf einer nicht
abgerechneten Lohnsumme von Fr. 4'841.70. Die Verfügung war adressiert an
P.________ AG in Liquidation, c/o Konkursamt X.________.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde, mit welcher das Konkursamt des Kantons
X.________ (nachfolgend: Konkursamt) die Aufhebung der Verfügung beantragte
mit der Begründung, die Ausgleichskasse hätte nach Konkurseröffnung keine
Verfügung mehr erlassen dürfen, hiess das Sozialversicherungsgericht
Basel-Stadt mit Entscheid vom 25. Februar 2003 gut und hob die Verfügung vom
10. April 2002 auf.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides.

Während das Konkursamt auf Abweisung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde
schliesst, verzichtet das Bundesamt für Sozialversicherung (BSV) auf eine
Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Die strittige Verfügung hat nicht die Bewilligung oder Verweigerung von
Versicherungsleistungen zum Gegenstand. Das Eidgenössische
Versicherungsgericht prüft daher nur, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzte, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt wurde (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b sowie
Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Das auf den 1. Januar 2003 in Kraft getretene Bundesgesetz über den
Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000
findet keine Anwendung, weil in zeitlicher Hinsicht grundsätzlich diejenigen
Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung des zu Rechtsfolgen
führenden Tatbestandes Geltung haben (BGE 130 V 3 Erw. 3, 129 V 4 Erw. 1.2).
2.2
2.2.1Erhält die Ausgleichskasse Kenntnis davon, dass ein Beitragspflichtiger
keine Beiträge oder zu niedrige Beiträge bezahlt hat, so hat sie die
Nachzahlung der geschuldeten Beiträge zu verfügen. Vorbehalten bleibt Artikel
16 Abs. 1 AHVG (Art. 39 AHVV in der hier massgebenden, bis 31. Dezember 2000
gültig gewesenen Fassung).

Die Arbeitgeber sind periodisch, in der Regel alle vier Jahre, sowie bei
Kassenwechsel und bei Auflösung des Unternehmens an Ort und Stelle durch eine
Revisionsstelle im Sinne von Artikel 68 Abs. 2 und 3 AHVG zu kontrollieren.
Soweit die Einhaltung der Vorschriften durch den Arbeitgeber durch andere
Massnahmen zuverlässig überprüft wird, kann von der Kontrolle an Ort und
Stelle abgesehen werden (Art. 162 Abs. 1 AHVV).

2.2.2 Gemäss Art. 204 Abs. 1 SchKG sind Rechtshandlungen, welche der
Schuldner nach der Konkurseröffnung in bezug auf Vermögensstücke, die zur
Konkursmasse gehören, vornimmt, den Konkursgläubigern gegenüber ungültig.

Nach Art. 232 SchKG macht das Konkursamt die Eröffnung des Konkurses
öffentlich bekannt, sobald feststeht, ob dieser im ordentlichen oder im
summarischen Verfahren durchgeführt wird (Abs. 1). Die Bekanntmachung enthält
neben der Bezeichnung des Schuldners und seines Wohnortes sowie des
Zeitpunktes der Konkurseröffnung (Abs. 2 Ziff. 1) die Aufforderung an die
Gläubiger des Schuldners und an alle, die Ansprüche auf die in seinem Besitz
befindlichen Vermögensstücke haben, ihre Forderungen oder Ansprüche samt
Beweismitteln (Schuldscheine, Buchauszüge usw.) innert einem Monat nach der
Bekanntmachung dem Konkursamt einzugeben (Abs. 2 Ziff. 2).

Die Konkursverwaltung entscheidet über die Anerkennung der Forderungen. Sie
ist hiebei an die Erklärung des Gemeinschuldners nicht gebunden (Art. 245
SchKG). Ein Gläubiger, der den Kollokationsplan anfechten will, weil seine
Forderung ganz oder teilweise abgewiesen oder nicht im beanspruchten Rang
zugelassen worden ist, muss innert 20 Tagen nach der öffentlichen Auflage des
Kollokationsplanes beim Richter am Konkursort gegen die Masse klagen (Art.
250 Abs. 1 SchKG).

Gemäss Art. 207 SchKG werden mit Ausnahme dringlicher Fälle Zivilprozesse, in
denen der Schuldner Partei ist und die den Bestand der Konkursmasse berühren,
eingestellt. Sie können im ordentlichen Konkursverfahren frühestens zehn Tage
nach der zweiten Gläubigerversammlung, im summarischen Konkursverfahren
frühestens 20 Tage nach der Auflegung des Kollokationsplanes wieder
aufgenommen werden (Abs. 1). Unter den gleichen Voraussetzungen können
Verwaltungsverfahren eingestellt werden (Abs. 2).

3.
In Frage steht, ob die Ausgleichskasse bei der Geltendmachung der anlässlich
der nach der Konkurseröffnung durchgeführten Arbeitgeberkontrolle
festgestellten Beitragsforderung richtig vorgegangen ist, indem sie eine
Nachzahlungsverfügung für die nicht abgerechneten Beiträge gegenüber dem
Konkursamt erliess.

Vorinstanz und Konkursamt vertreten - allerdings mit unterschiedlicher
Begründung - den Standpunkt, die Ausgleichskasse hätte nach Konkurseröffnung
keine Verfügung mehr erlassen dürfen, sondern hätte ihre Forderung lediglich
im Konkurs anmelden müssen. Während die Vorinstanz dazu auf BGE 120 III 32
verweist, wonach die Kollokationsgerichtsbarkeit zur Ordnung des
Konkursverfahrens gehöre und als zwingend zu betrachten sei und daraus
schliesst, die Ausgleichskasse könne, nachdem der Konkurs eröffnet worden
sei, nicht mehr in einem die Konkursverwaltung bindenden Sinne verfügen mit
der Konsequenz, dass das Sozialversicherungsgericht gar nicht dazu komme,
eine auf dem Beschwerdeweg angefochtene Verfügung zu überprüfen, stützt sich
das Konkursamt auf Art. 207 SchKG, wonach Verwaltungsverfahren einzustellen
seien, und macht geltend, dies gelte auch für das nichtstreitige
Verwaltungsverfahren, weshalb die Ausgleichskasse gar keine Verfügung habe
erlassen können.

Demgegenüber hält die beschwerdeführende Ausgleichskasse an ihrem Vorgehen
fest und bringt dazu vor, das Bundesgericht habe in konstanter Rechtsprechung
den Entscheid über Bestand und Höhe einer öffentlichrechtlichen Forderung den
zuständigen Verwaltungsbehörden überlassen und deren Entscheid als für die
Kollokation verbindlich bezeichnet. Bereits 1955 habe das Eidgenössische
Versicherungsgericht erklärt, die Ausgleichskasse habe geschuldete
Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbeiträge - nachdem der Konkurs über den
Arbeitgeber eröffnet worden sei - nicht dem Arbeitgeber, sondern dem
zuständigen Konkursamt gegenüber durch eine mit Rechtsmittelbelehrung
versehene Verfügung geltend zu machen, weshalb sie korrekt vorgegangen sei.

3.1 Stellt die Ausgleichskasse fest, dass eine Arbeitgeberin zu wenig
Beiträge abgerechnet hat - was in der Regel auf Grund einer
Arbeitgeberkontrolle der Fall ist - hat sie entsprechend Art. 39 AHVV eine
Nachzahlungsverfügung zu erlassen. Nachdem die Arbeitgeberkontrolle gemäss
Art. 162 AHVV auch bei der Auflösung eines Unternehmens, also beispielsweise
nach Konkurseröffnung über eine Aktiengesellschaft, vorgesehen ist (vgl. Erw.
2.2.1 hievor), ist im Lichte des AHVG davon auszugehen, dass der Erlass einer
Nachzahlungsverfügung durch die Ausgleichskasse auch nach Konkurseröffnung
beabsichtigt ist.

Nun ist die Situation nach Konkurseröffnung insofern eine andere, als die
Ausgleichskasse nicht mehr einfach gegenüber ihrem Schuldner verfügen kann,
um ihren Anspruch festzusetzen, was allenfalls - im Bestreitungsfall - die
Beurteilung der Forderung vor dem Sozialversicherungsgericht zur Folge hätte.
Vielmehr hat sie wie auch die anderen Gläubiger ihre Forderung im Konkurs
geltend zu machen (Art. 232 Abs. 2 Ziff. 2 SchKG, vgl. Erw. 2.2.2 hievor).
Während der Erlass einer Beitrags- bzw. Nachzahlungsverfügung dazu dient, die
geschuldeten Beiträge festzusetzen und eine Möglichkeit zu eröffnen, Bestand
oder Nichtbestand dieser Forderung durch das zuständige
Sozialversicherungsgericht überprüfen zu lassen, geht es im Rahmen einer
erfolgten Konkurseröffnung um die Frage der materiellen Anerkennung oder
Nichtanerkennung der Beitragsforderung - ebenso wie für die anderen
Forderungen gegenüber dem Gemeinschuldner - im Konkurs, was in der Regel die
Konkursverwaltung - im Bestreitungsfall der Konkursrichter - zu entscheiden
hat.

3.2 Zum entsprechenden von der Ausgleichskasse zu befolgenden Verfahren hat
das Eidgenössische Versicherungsgericht seit jeher entschieden, dass auch im
Falle einer Konkurseröffnung über eine Arbeitgeberin die Ausgleichskasse eine
Verfügung zu erlassen hat, wenn diese auch nicht mehr dem Gemeinschuldner,
sondern der Konkursverwaltung zuzustellen ist, da der Gemeinschuldner
diesbezüglich mit Blick auf Art. 204 SchKG keine verbindlichen
Rechtshandlungen mehr vornehmen kann und die Masse ihrer Rechte dennoch nicht
verloren gehen soll, weshalb ihr, allenfalls vertreten durch das Konkursamt,
die Beschwerdelegitimation zukommt. Dazu im Einzelnen:

- Bereits in BGE 48 III 67 entschied das Bundesgericht die Frage, wer über
die Kollokation einer öffentlich-rechtlichen Forderung zu urteilen hat,
dahingehend, dass öffentlich-rechtliche Forderungen nicht zum Gegenstand
einer Kollokationsverfügung zu machen, sondern nur pro memoria vorzumerken
und erst nach Massgabe des darüber ergehenden Entscheids der zuständigen
Verwaltungs- oder Verwaltungsgerichtsbehörde definitiv einzustellen sind.

- In ZAK 1951 S. 378 stellte das Eidgenössische Versicherungsgericht bereits
klar, dass für die materielle Anerkennung im Konkurs der Entscheid des
zuständigen AHV-Rechtspflegeorgans massgebend ist. Gleichzeitig entschied es,
dass zur Wahrung der Rechte der Konkursmasse die Konkursverwaltung zur
Anfechtung einer im Konkurs eingegebenen Beitragsverfügung legitimiert sein
muss.

- In ZAK 1956 S. 211 entschied es sodann, dass im Falle einer
Konkurseröffnung über einen Arbeitgeber die Ausgleichskasse nicht berechtigt
ist, sich zur Nachforderung von Beiträgen an den Gemeinschuldner zu halten,
sondern verpflichtet ist, ihre Forderung in Form einer mit
Rechtsmittelbelehrung versehenen Verfügung beim zuständigen Konkursamt im
Sinne einer - allenfalls - nachträglichen Konkurseingabe geltend zu machen.

Diese Rechtsprechung wurde in der Folge immer wieder bestätigt, so unter
anderem auch in BGE 116 V 289 und SVR 1998 AHV Nr. 29 S. 89 (vgl. Erw. 3.3
hernach), wie auch im Zusammenhang mit dem Schadenersatzverfahren nach Art.
52 AHVG (statt vieler AHI 1993 S. 172, Urteil B. vom 28. Januar 2002, H
313/00).

3.3 Entgegen der Auffassung von Vorinstanz und Konkursamt besteht keine
Veranlassung, von dieser jahrzehntelangen Rechtsprechung und
Verwaltungspraxis (vgl. Rz. 5041ff. der Wegleitung des Bundesamtes für
Sozialversicherung über den Bezug der Beiträge, WBB) abzuweichen:

Insbesondere ändert entgegen der Auffassung der Vorinstanz BGE 120 III 32
daran nichts, wie die Ausgleichskasse zutreffend vorbringt. Zwar wurde im
erwähnten Urteil die Rechtsprechung dahingehend geändert, dass unter
bestimmten Umständen auch für eine öffentlich-rechtliche Forderung ein
Kollokationsprozess gemäss Art. 250 SchKG angestrengt werden kann. Es ging in
diesem Falle allerdings um die Sicherung der Forderung durch ein Pfandrecht.
Bereits in BGE 120 III 174 wurde im Falle einer Verrechnungssteuerfrage
präzisiert, dass der Konkursrichter nicht befugt ist, über das Bestehen einer
öffentlichrechtlichen Forderung im Rahmen der Anfechtung des
Kollokationsplans zu entscheiden, sofern ein spezialgesetzliches Verfahren
vorgesehen ist. Schliesslich wurde in SVR 1998 AHV Nr. 29 S. 89 für den
Bereich der AHV klargestellt, dass auf Grund des bis 31. Dezember 2002 in
Art. 84 AHVG (vgl. Erw. 2.1 hievor) vorgesehenen Beschwerdeverfahrens die
Beitragsforderung definitiv festgelegt wird und entsprechend kolloziert
werden muss, also vorgängig durch die Ausgleichskasse gegenüber dem
Konkursamt eine Verfügung zu erlassen ist. An dieser Stelle ist im Übrigen zu
erwähnen, dass entgegen den Ausführungen der Vorinstanz auch BGE 116 V 289
einschlägig ist, ging es dort doch durchaus auch um eine erst nach
Konkurseröffnung erlassene Verfügung und wurde klar festgehalten, dass in
casu die während des Konkursverfahrens erlassene Verfügung angesichts Art.
204 SchKG der Konkursverwaltung und nicht der Gemeinschuldnerin hätte
eröffnet werden müssen.

Schliesslich kann auch nicht mit dem Konkursamt davon ausgegangen werden, auf
Grund einer Verfahrenseinstellung gemäss Art. 207 SchKG sei eine Verfügung
gegenüber dem Konkursamt nicht mehr möglich. Entgegen den Vorbringen des
Konkursamtes ist im Falle der nachträglichen Verwaltungsrechtspflege ein im
Sinne von Art. 207 Abs. 1 SchKG einzustellender Sozialversicherungsprozess
erst als angehoben zu betrachten, wenn im Zeitpunkt der Konkurseröffnung eine
Verfügung bereits zugestellt und damit der Beschwerdeweg eröffnet worden ist
(BGE 116 V 289 mit Verweis auf Ulrich Meyer, Die Rechtspflege in der
Sozialversicherung, BJM 1989, S. 3 unten). Daran hat die Neufassung von Art.
207 Abs. 2 SchKG per 1. Januar 1997 nichts geändert, wurde doch lediglich die
bisherige Praxis, dass dieses Vorgehen auch für Verwaltungsverfahren gilt, im
Gesetz verankert.

4.
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Dem Ausgang des
Verfahrens entsprechend gehen die Kosten zu Lasten der Beschwerdegegnerin
(Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird der Entscheid des
Sozialversicherungsgerichts Basel-Stadt vom 25. Februar 2003 aufgehoben.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der Kostenvorschuss von Fr. 500.- wird der Beschwerdeführerin
zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt
und dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.

Luzern, 11. Oktober 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der IV. Kammer:  Die Gerichtsschreiberin: