Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 113/2003
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H 113/03

Urteil vom 14. April 2004
III. Kammer

Präsidentin Leuzinger, Bundesrichter Rüedi und Kernen; Gerichtsschreiber
Attinger

Ausgleichskasse des Kantons Zug, Baarerstrasse 11, 6300 Zug,
Beschwerdeführerin,

gegen

A.________ AG, Beschwerdegegnerin, vertreten durch die Treuhand X.________ AG

Verwaltungsgericht des Kantons Zug, Zug

(Entscheid vom 30. Januar 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügungen vom 14. Juni 2002 verpflichtete die Ausgleichskasse des
Kantons Zug die ihr als Arbeitgeberin angeschlossene Firma A.________ AG
unter verschiedenen Titeln zur Nachzahlung ausstehender
Sozialversicherungsbeiträge (einschliesslich Verwaltungskosten und
Verzugszinsen) für das Jahr 2000, so u.a. auf einem Lohnbestandteil im Wert
von Fr. 674.--, welcher einem aus der Arbeitgeberfirma austretenden
Mitarbeiter in Form eines Schmuckstücks zugewendet worden sei.

B.
Das Verwaltungsgericht des Kantons Zug hiess die gegen die gesamte
Nachzahlung erhobene Beschwerde insofern teilweise gut, als es die Sache zur
Neuberechnung des Nachzahlungsbetrages unter Ausserachtlassung des erwähnten
Naturalgeschenks an die Verwaltung zurückwies (Dispositiv-Ziffer 1 des
Entscheids vom 30. Januar 2003 mit Verweisung auf die Erwägungen).

C.
Die Ausgleichskasse führt Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Entscheid sei aufzuheben, soweit dieser das streitige
Austrittsgeschenk von der Beitragspflicht ausnimmt ("der Wert ebendieses
Geschenks sei als massgebender Lohn zu betrachten").
Während die Firma A.________ AG vernehmlassungsweise beantragt, in Aufhebung
des angefochtenen Entscheids sei "voll und ganz unseren Anträgen" gemäss
vorinstanzlicher Beschwerde "zu entsprechen", schliesst das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) auf Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Auf die Verwaltungsgerichtsbeschwerde kann nur so weit eingetreten
werden, als Sozialversicherungsbeiträge kraft Bundesrechts streitig sind. Im
vorliegenden Verfahren ist daher nicht zu prüfen, wie es sich bezüglich der
Beitragsschuld gegenüber der Ausgleichskasse für kantonale Familienzulagen
verhält (BGE 124 V 146 Erw. 1 mit Hinweis).

1.2 Da keine Versicherungsleistungen streitig sind, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob der vorinstanzliche Entscheid
Bundesrecht verletzt, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).
Ferner ist Art. 114 Abs. 1 OG zu beachten, wonach das Eidgenössische
Versicherungsgericht in Abgabestreitigkeiten an die Parteibegehren nicht
gebunden ist, wenn es im Prozess um die Verletzung von Bundesrecht oder um
die unrichtige oder unvollständige Feststellung des Sachverhalts geht.

2.
Mit Blick auf den Antrag der Beschwerde führenden Ausgleichskasse (die
Arbeitgeberfirma hat gegen den kantonalen Entscheid nicht innert Frist
Verwaltungsgerichtsbeschwerde erhoben) ist letztinstanzlich nur mehr die
Frage zu beantworten, ob das Austrittsgeschenk an den ausscheidenden
Mitarbeiter massgebenden Lohn darstellt, was von Beschwerdegegnerin und
Vorinstanz verneint, von Verwaltung und BSV hingegen bejaht wird.

3.
3.1 Nach Art. 5 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 AHVG werden vom Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit, dem massgebenden Lohn, Beiträge erhoben.
Als massgebender Lohn gemäss Art. 5 Abs. 2 AHVG gilt jedes Entgelt für in
unselbstständiger Stellung auf bestimmte oder unbestimmte Zeit geleistete
Arbeit. Zum massgebenden Lohn gehören begrifflich sämtliche Bezüge der
Arbeitnehmerin und des Arbeitnehmers, die wirtschaftlich mit dem
Arbeitsverhältnis zusammenhängen, gleichgültig, ob dieses Verhältnis
fortbesteht oder gelöst worden ist und ob die Leistungen geschuldet werden
oder freiwillig erfolgen. Als beitragspflichtiges Einkommen aus
unselbstständiger Erwerbstätigkeit gilt somit nicht nur unmittelbares Entgelt
für geleistete Arbeit, sondern grundsätzlich jede Entschädigung oder
Zuwendung, die sonst wie aus dem Arbeitsverhältnis bezogen wird, soweit sie
nicht kraft ausdrücklicher gesetzlicher Vorschrift von der Beitragspflicht
ausgenommen ist (BGE 128 V 180 Erw. 3c, 126 V 222 Erw. 4a, 124 V 101 Erw. 2,
je mit Hinweisen).

3.2 Gestützt auf die ihm in Art. 5 Abs. 4 AHVG eingeräumte Befugnis,
Sozialleistungen sowie anlässlich besonderer Ereignisse erfolgende
Zuwendungen eines Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer vom Einbezug in den
massgebenden Lohn auszunehmen, hat der Bundesrat Art. 8 AHVV erlassen. Nicht
zum massgebenden Lohn gehören nach lit. c dieser Bestimmung u.a. Zuwendungen
des Arbeitgebers beim Tod Angehöriger von Arbeitnehmern, an Hinterlassene von
Arbeitnehmern, bei Firmenjubiläen, Verlobung, Hochzeit oder Bestehen von
beruflichen Prüfungen. Nach der Verwaltungspraxis (Rz 2134 der Wegleitung des
BSV über den massgebenden Lohn [WML] in der seit 1. Januar 2002 gültigen
Fassung) gelten ferner als vom massgebenden Lohn ausgenommene Zuwendungen
Naturalgeschenke, wie sie anlässlich besonderer Ereignisse, so zu Weihnachten
oder Neujahr üblicherweise gewährt werden, sofern deren Wert Fr. 500.-- im
Jahr nicht übersteigt. Massgebend sind dafür die Gestehungskosten des
Arbeitgebers. Gold- und Silbergeschenke (einschliesslich Münzen und Barren)
gelten als Naturalgeschenke. Bargeschenke gelten als Gratifikationen und
gehören zum massgebenden Lohn. Obwohl derartige Naturalgeschenke in Art. 8
AHVV nicht erwähnt sind, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE
101 V 4 Erw. 2b die damals anwendbare, der heute geltenden Verwaltungspraxis
entsprechende Weisung des BSV als rechtskonform erachtet und diese
Rechtsprechung in der Folge bestätigt (SVR 1997 AHV Nr. 135 S. 413 Erw. 4a).

3.3 Im Zusammenhang mit Dienstaltersgeschenken, welche gemäss Art. 8 lit. c
AHVV in der bis Ende 1983 gültig gewesenen Fassung nicht zum massgebenden
Lohn gehörten, betonte das Eidgenössische Versicherungsgericht in BGE 107 V
201 f. Erw. 3b den Ausnahmecharakter der Beitragsbefreiung und knüpfte diese
an eng umschriebene, leicht zu prüfende Kriterien. Des Weitern erachtete das
Gericht die in der (früheren Fassung der) WML vorgeschriebene Beschränkung
der Beitragsbefreiung von Jubiläumsgaben auf "das übliche Mass nicht
übersteigende" (heute: "den üblichen Wert nicht übersteigende") Zuwendungen
als gesetzmässig und mit der Rechtsprechung im Einklang stehend (BGE 111 V 78
Erw. 2b mit Hinweisen).

4.
Gerade im Hinblick auf die unter Erw. 3.3 hievor dargelegte, den
Gesichtspunkt des Ausnahmecharakters der Beitragsbefreiung und die hiefür
erforderliche Beschränkung auf das übliche Ausmass der Zuwendung
herausstreichende Gerichtspraxis besteht im hier zu beurteilenden Fall kein
Anlass, von der in vorstehender Erw. 3.2 angeführten, auf der
Verwaltungspraxis beruhenden Rechtsprechung zu den Naturalgeschenken
abzuweichen. Die Beendigung des langjährigen Arbeitsverhältnisses durch den
Austritt des Mitarbeiters aus der Arbeitgeberfirma kann unbestrittenermassen
als besonderes Ereignis im Sinne von Art. 5 Abs. 4 AHVG betrachtet werden.
Hingegen wurde der von der Verwaltungs- und Gerichtspraxis auf Fr. 500.-- im
Jahr festgesetzte Höchstbetrag durch das Naturalgeschenk der
Beschwerdegegnerin an den ausscheidenden Angestellten im Wert von Fr. 674.--
(wenn auch knapp) überschritten. Die von der Ausgleichskasse diesbezüglich
verfügte Nachzahlung ist somit nicht zu beanstanden.
An dieser Betrachtungsweise vermögen sämtliche im angefochtenen Entscheid zum
Ausdruck gelangenden Überlegungen des kantonalen Gerichts nichts zu ändern.
Soweit die Vorinstanz u.a. auf Art. 8ter AHVV verweist (wonach
Abgangsentschädigungen für langjährige Dienstverhältnisse, Abfindungen,
Leistungen im Rahmen einer Vorruhestandsregelung und Entschädigungen bei
Entlassungen im Falle von Betriebsschliessung oder Betriebszusammenlegung
unter bestimmten Voraussetzungen nicht zum massgebenden Lohn gehören),
übersieht sie, dass diese Verordnungsbestimmung ausschliesslich
Sozialleistungen bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Gegenstand hat.
Hiezu kann das streitige Schmuckstück nicht gezählt werden. Im Übrigen wurde
Art. 8ter AHVV erst mit Wirkung ab 1. Januar 2001 in Kraft gesetzt, wogegen
sich der vorliegende Rechtsstreit um eine Frage hinsichtlich der
Nachzahlungspflicht für das Jahr 2000 dreht. Des Weitern wurde im
unveröffentlichten Urteil G. vom 24. August 1992 (H 34/92) der im hier
angefochtenen Entscheid ebenfalls vertretene Standpunkt verworfen, wonach
Austrittsgeschenke im Hinblick auf ihren einmaligen Charakter von der
Beitragspflicht ausgenommen seien. Soweit die Vorinstanz schliesslich
ausführt, es erschiene "stossend, wenn dem beschenkten Arbeitnehmer mit der
letzten Lohnabrechnung - oder gar im Nachhinein mit besonderer Rechnung -
noch die Sozialversicherungsbeiträge in Rechnung gestellt würden und damit
(...) der Lohn real gekürzt würde", ist festzustellen, dass es der
Arbeitgeberfirma unbenommen bleibt, die auf das Naturalgeschenk entfallenden
Arbeitnehmerbeiträge im Sinne einer "Nettolohnzuwendung" zu übernehmen (Art.
7 lit. p zweiter Satzteil AHVV).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
In Gutheissung der Verwaltungsgerichtsbeschwerde, soweit darauf einzutreten
ist, wird der Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Zug vom 30.
Januar 2003 insoweit aufgehoben, als damit das Austrittsgeschenk vom
massgebenden Lohn ausgenommen wird.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 300.-- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Der geleistete Kostenvorschuss von Fr. 600.-- wird der Ausgleichskasse des
Kantons Zug zurückerstattet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Verwaltungsgericht des Kantons Zug und
dem Bundesamt für Sozialversicherung zugestellt.
Luzern, 14. April 2004

Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Die Präsidentin der III. Kammer:  Der Gerichtsschreiber: