Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Sozialrechtliche Abteilungen H 111/2003
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H 111/03

Urteil vom 25. Juni 2004
II. Kammer

Präsident Borella, Bundesrichter Rüedi und Frésard; Gerichtsschreiberin
Helfenstein Franke

Ausgleichskasse der Wirtschaftskammer Baselland, Viaduktstrasse 42, 4002
Basel, Beschwerdeführerin,

gegen

Firma S.________ AG, Beschwerdegegnerin

Kantonsgericht Basel-Landschaft, Liestal

(Entscheid vom 13. Februar 2003)

Sachverhalt:

A.
Mit Verfügung vom 17. Oktober 2002 verpflichtete die Ausgleichskasse
Wirtschaftskammer 114 (nachfolgend: Ausgleichskasse) die Firma S.________ AG
zur Zahlung von Verzugszinsen in der Höhe von Fr. 4'412.75 auf unbezahlt
gebliebenen Beiträgen über Fr. 147'091.10 für die Dauer vom 1. Januar bis 6.
August 2002.

B.
Die hiegegen erhobene Beschwerde hiess das Kantonsgericht Basel-Landschaft
mit Entscheid vom 13. Februar 2003 gut und legte gemäss Dispositiv in
Abänderung der angefochtenen Verfügung vom 17. Oktober 2002 die
Verzugszinspflicht wie folgt fest: Verzugszins von 5 % auf Fr. 931.- für die
Dauer vom 1. Januar 2002 bis 3. Februar 2003 sowie auf Fr. 147'091.10 für die
Dauer vom 4. Februar 2002 bis 23. Juli 2002.

C.
Mit Verwaltungsgerichtsbeschwerde beantragt die Ausgleichskasse die Aufhebung
des angefochtenen Entscheides.

Während die Firma S.________ AG auf Abweisung der
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliesst, verzichtet das Bundesamt für
Sozialversicherung (BSV) auf eine Vernehmlassung.

Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:

1.
Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht um die Bewilligung oder
Verweigerung von Versicherungsleistungen handelt, hat das Eidgenössische
Versicherungsgericht nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht
Bundesrecht verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Missbrauch des
Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachverhalt offensichtlich unrichtig,
unvollständig oder unter Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen
festgestellt worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und b
sowie Art. 105 Abs. 2 OG).

2.
2.1 Am 1. Januar 2003 ist das Bundesgesetz über den Allgemeinen Teil des
Sozialversicherungsrechts (ATSG) vom 6. Oktober 2000 in Kraft getreten. Mit
ihm sind zahlreiche Bestimmungen im Bereich der Alters- und
Hinterlassenenversicherung geändert worden. Weil in zeitlicher Hinsicht
grundsätzlich diejenigen Rechtssätze massgebend sind, die bei der Erfüllung
des zu Rechtsfolgen führenden Tatbestandes Geltung haben, und weil ferner das
Sozialversicherungsgericht bei der Beurteilung eines Falles grundsätzlich auf
den bis zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Verfügung eingetretenen
Sachverhalt abstellt, sind im vorliegenden Fall die bis zum 31. Dezember 2002
geltenden Bestimmungen anwendbar (BGE 129 V 4 Erw. 1.2 mit Hinweisen).

2.2
2.2.1Gemäss Art. 36 AHVV (in der seit 1. Januar 2001 gültigen Fassung)
enthalten die Abrechnungen der Arbeitgeber die nötigen Angaben für die
Verbuchung der Beiträge und für die Eintragung in die individuellen Konten
(Abs. 1). Die Arbeitgeber haben die Löhne innert 30 Tagen nach Ablauf der
Abrechnungsperiode abzurechnen (Abs. 2). Die Abrechnungsperiode umfasst das
Kalenderjahr. Werden die Beiträge nach Art. 35 Abs. 3 entrichtet, so
entspricht die Abrechnungsperiode der Zahlungsperiode (Abs. 3). Die
Ausgleichskasse nimmt den Ausgleich zwischen den geleisteten Akontobeiträgen
und den tatsächlich geschuldeten Beiträgen auf Grund der Abrechnung vor.
Ausstehende Beiträge sind innert 30 Tagen ab Rechnungsstellung zu bezahlen.
Überschüssige Beiträge werden von der Ausgleichskasse zurückerstattet oder
verrechnet (Abs. 4).

2.2.2 Art. 14 Abs. 4 lit. e AHVG in der bis 31. Dezember 2002 geltenden
Fassung beauftragt den Bundesrat zum Erlass von Vorschriften über die
Erhebung von Verzugszinsen und die Ausrichtung von Vergütungszinsen. Dabei
kommt ihm ein weiter Ermessensspielraum zu (AHI 2003 S. 144 Erw. 3.3 mit
Hinweisen). Von dieser Kompetenz hat der Bundesrat Gebrauch gemacht und die
hier massgebenden, seit 1. Januar 2001 in Kraft stehenden Art. 41bis ff. AHVV
erlassen. Verzugszinsen sind auf auszugleichenden Lohnbeiträgen zu
entrichten, für die der Arbeitgeber nicht innert 30 Tagen nach Ablauf der
Abrechnungsperiode eine ordnungsgemässe Abrechnung eingereicht hat (Art.
41bis Abs. 1 lit. d AHVV). Der Zinsenlauf beginnt am 1. Januar nach Ablauf
der Abrechnungsperiode (Art. 41bis Abs. 1 lit. d AHVV) und endet mit
Einreichung der ordnungsgemässen Abrechnung oder bei deren Fehlen mit der
Rechnungsstellung (Art. 41bis Abs. 2 AHVV). Als bezahlt gelten Beiträge mit
Zahlungseingang bei der Ausgleichskasse (Art. 42 Abs. 1 AHVV). Die Zinsen
werden tageweise berechnet; ganze Monate werden zu 30 Tagen gerechnet (Art.
42 Abs. 3 AHVV). Das Eidgenössische Versicherungsgericht hat Art. 42 Abs. 1
AHVV als mit Gesetz und Verfassung vereinbar beurteilt (AHI 2003 S. 143).

Verzugszinsen haben den Zweck, einen Ausgleich dafür zu schaffen, dass der
Schuldner bei verspäteter Bezahlung einen Zinsvorteil geniessen kann, während
der Gläubiger einen Zinsnachteil erleidet (BGE  109 V 8 Erw. 4a). Sie stellen
- jedenfalls im Rahmen der ausdrücklich geregelten Verzugszinsen im
AHV-Beitragsbereich - analog den obligationenrechtlichen Verzugszinsen auf
Geldschulden (Art. 104 f. OR) einen vereinfachten Schadens - und
Vorteilsausgleich dar, der weder einen Schadens- und Bereicherungsnachweis
noch ein Verschulden am Verzug voraussetzt (Bucher, Schweizerisches
Obligationenrecht, Allgemeiner Teil, 2. Aufl. 1988, S. 362; von Tuhr/Escher,
Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, S. 142 Anm.
57 und S. 146 Anm. 22; Schenker, Die Voraussetzungen und die Folgen des
Schuldnerverzugs im schweizerischen Obligationenrecht, Diss. Freiburg 1988,
S. 128 N. 337 ff.). Mit den Verzugszinsen soll unbekümmert um den
tatsächlichen Nutzen und Schaden der Zinsverlust des Gläubigers einerseits
und der Zinsgewinn des Schuldners anderseits in pauschalierter Form
ausgeglichen werden. Weder für die Verzugszinspflicht als solche noch für
deren Dauer kommt es deshalb darauf an, ob den Beitragspflichtigen oder die
Ausgleichskasse ein Verschulden an der Verzögerung der Beitragsfestsetzung
oder -zahlung trifft. Dies im Gegensatz zum Leistungsbereich, wo die
Verzugszinspflicht neben der Rechtswidrigkeit auch ein schuldhaftes Verhalten
der Verwaltung (oder der Rekursbehörde) voraussetzt (BGE 113 V 50 Erw. 2a,
108 V 19 Erw. 4b; ZAK 1992 S. 167 Erw. 4b, 1990 S. 42 Erw. 3).

3.
Streitig und zu prüfen ist die Verzugszinspflicht der Beschwerdegegnerin.

3.1 Während die Ausgleichskasse in ihrer Verfügung die Verzugszinsen für die
gesamte Dauer vom 1. Januar bis 6. August 2002 über einen Betrag von Fr.
147'091.10 festgesetzt hatte, erwog die Vorinstanz, für die Zeit vom 1.
Januar bis 3. Februar 2002 könne ein Verzugszins nicht über den Betrag von
Fr. 147'091.10 erhoben werden. Vielmehr habe die Ausgleichskasse auf Grund
der im Januar 2002 eingereichten Lohnbescheinigung für 2001, welche sich im
Nachhinein als unvollständig erwies, den Betrag von Fr. 146'159.30 mit Valuta
vom 4. Februar 2002 zurückerstattet, weshalb ein Verzugszins für die
fragliche Zeitspanne nur auf der Differenz zwischen dem rückvergüteten Betrag
und der Nachforderung zum Ausgleich des Jahresbeitrages 2001 von Fr.
147'091.10 erhoben werden könne. Zudem ende der Zinsenlauf mit Einreichung
der vollständigen Lohnbescheinigung und nicht, wie die Ausgleichskasse
angenommen habe, mit der erneuten Beitragsabrechnung. Entsprechend setzte die
Vorinstanz gemäss Dispositiv ihres Entscheides einen Verzugszins von 5 % auf
Fr. 931.- für die Dauer vom 1. Januar 2002 bis 3. Februar 2003 sowie einen
solchen auf Fr. 147'091.10 für die Dauer vom 4. Februar 2002 bis 23. Juli
2002 fest.

3.2 Zunächst ist zu festzuhalten, dass es sich bei der Jahreszahl 2003 in
Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheides offensichtlich um einen
Verschrieb handelt, kann doch gestützt auf die übrigen Daten in dieser
Dispositiv-Ziffer und die Erwägungen im Entscheid ohne Weiterungen davon
ausgegangen werden, dass es richtigerweise "bis 3. Februar 2002" heissen
sollte.

3.3 Wie das kantonale Gericht verbindlich festgestellt hat (vgl. Erw. 1
hievor), erstellte die Ausgleichskasse auf Grund der am 23. Januar 2002
eingereichten Lohnbescheinigung 2001 am 29. Januar 2002 die Jahresabrechnung
2001 für die Firma S.________ AG. Die Abrechnung ergab auf Grund der
Jahreslohnsumme von Fr. 641'509.05 gegenüber den während des Jahres bereits
bezahlten Pauschalbeiträgen von Fr. 230'902.60 einen Saldo zu Gunsten der
Gesellschaft von Fr. 146'159.30. Dieser Betrag wurde der Beschwerdegegnerin
mit Valuta vom 4. Februar 2002 auf ihrem PC-Konto gutgeschrieben. Auf Grund
einer Anfrage der Ausgleichskasse anlässlich der Verbuchung der Löhne auf dem
Individuellen Konto der Arbeitnehmer im Juli 2002 stellte die Gesellschaft
der Ausgleichskasse mit Schreiben vom 23. Juli 2002 erneut eine
Lohnbescheinigung für das Jahr 2001 zu, welche nunmehr drei Seiten umfasste
und eine AHV-pflichtige Lohnsumme von Fr. 1'763'531.20 aufwies. Daraufhin
erstellte die Ausgleichskasse am 31. Juli 2002 einen "Nachtrag zu Ausgleich
der Jahresbeiträge 2001" auf der noch nicht abgerechneten Lohnsumme über Fr.
1'122'022.15 mit einem Total an geschuldeten Beiträgen über Fr. 147'091.10
plus Verzugszinsen für Beiträge von Fr. 147'091.10 für die Dauer vom 1.
Januar bis 6. August 2002 in der Höhe von Fr. 4'412.75.
3.4 Die Vorinstanz hat zutreffend ausgeführt, dass die Gesellschaft die
Lohnbescheinigung 2001 am 23. Januar 2002 unvollständig eingereicht hat,
weshalb Art. 41bis Abs. 1 lit. d AHVV zur Anwendung gelangt und damit die
Verzugszinspflicht anders als im Falle von Art. 41bis Abs. 1 lit. c AHVV
(Verzugszins auf auszugleichenden Lohnbeiträgen, die nicht innert 30 Tagen ab
Rechnungsstellung geleistet werden; vgl. dazu Urteil S. vom 18. Dezember
2003, H 147/03) nicht mit der Rechnungsstellung durch die Ausgleichskasse,
sondern ab dem 1. Januar nach Ablauf der Abrechnungsperiode läuft (vgl. Erw.
2.2.2 hievor). Der diesbezüglich erneut vorgebrachte Einwand der
Beschwerdegegnerin, wonach die Unterlagen rechtzeitig und komplett an die
Ausgleichskasse gegangen seien und die Rückerstattung auf Grund eines Fehlers
der Ausgleichskasse erfolgt sei, ist nicht haltbar. Aus den Akten ergibt sich
klar, dass zwar im Januar 2002 und damit rechtzeitig eine Lohnbescheinigung
für 2001 eingereicht wurde, diese indes - im Gegensatz zur 3-seitigen
Lohnbescheinigung vom Juli 2002 - lediglich eine Seite mit den Mitarbeitern
A-H umfasste und deshalb nicht als vollständig gelten kann, gehört doch zu
einer vollständigen Lohnbescheinigung jedenfalls, dass alle beschäftigten
Mitarbeiter und die ihnen ausbezahlten Löhne aufgeführt werden (vgl. Erw.
2.2.1 hievor).

Eine Verzugszinspflicht kann per definitionem allerdings nur auf Beiträgen
entstehen, die unbezahlt geblieben sind. Von unbezahlt gebliebenen Beiträgen
in der Höhe von Fr. 147'091.10 kann, wie die Vorinstanz zu Recht festgestellt
hat, für die Dauer vom 1. Januar bis 3. Februar 2002 nicht ausgegangen
werden. Die Gesellschaft hatte im Rahmen des Pauschalverfahrens für das Jahr
2001 bereits Fr. 230'902.60 bezahlt; es ging also nicht etwa um eine gar
nicht abgelieferte Beitragsschuld (vgl. dazu ZAK 1992 S. 166 f.). Vielmehr
stand dieser Betrag der Ausgleichskasse bis zur Rückerstattung per 4. Februar
2002 zur Verfügung (sofern die Pauschalbeiträge rechtzeitig bezahlt wurden,
wovon mangels anderweitiger Hinweise in den Akten auszugehen ist) und gilt
damit bis zu diesem Zeitpunkt als bezahlt. Erst mit der Rückerstattung per 4.
Februar 2002 von Fr. 146'159.30 konnte dieser Teilbetrag als unbezahlt
gelten, und die Beschwerdegegnerin konnte auf diesem ihr nun wieder zur
Verfügung stehenden Betrag gegenüber der Ausgleichskasse einen Zinsvorteil
geniessen, worauf es mit Blick auf den Vorteilsausgleichscharakter der
Verzugszinsforderung (vgl. Erw. 2.2.2 hievor) allein ankommt. Es kann deshalb
bis zum Zeitpunkt der Rückerstattung lediglich ein Verzugszins auf der
Differenz zwischen den tatsächlich noch geschuldeten (Fr. 147'091.10) und den
zurückerstatteten Beiträgen (Fr. 146'159.30) in der Höhe von Fr. 931.80
erhoben werden. Dabei ist angesichts der rechnerischen Unerheblichkeit nicht
zu beanstanden, dass die Vorinstanz den Differenzbetrag auf Fr. 931.-
gerundet hat. Für die Zeit ab 4. Februar 2002 ergibt sich eine
Verzugszinspflicht auf dem gesamten Fehlbetrag von Fr. 147'091.10.

Was schliesslich das Ende der Verzugszinspflicht betrifft, hat die Vorinstanz
in Anwendung von Art. 41bis Abs. 2 AHVV zu Recht auf den Zeitpunkt der
Einreichung der vollständigen Lohnbescheinigung per 23. Juli 2002 abgestellt.

4.
Da es nicht um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleistungen
geht, ist das Verfahren kostenpflichtig (Art. 134 OG e contrario). Die
Beschwerdeführerin hat als unterliegende Partei die Gerichtskosten zu tragen
(Art. 156 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 135 OG).

Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:

1.
Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen abgewiesen.

2.
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden der Ausgleichskasse Wirtschaftskammer
114 auferlegt und mit dem geleisteten Kostenvorschuss verrechnet.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft,
Abteilung Sozialversicherungsrecht, und dem Bundesamt für Sozialversicherung
zugestellt.

Luzern, 25. Juni 2004
Im Namen des Eidgenössischen Versicherungsgerichts

Der Präsident der II. Kammer:   Die Gerichtsschreiberin: