Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.80/2003
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7B.80/2003 /min

Urteil vom 1. Juli 2003
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichterin Escher, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Levante.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons
Basel-Landschaft, Dreierkammer des Kantonsgerichts, Gerichtsgebäude,
Bahnhofplatz 16, 4410 Liestal.

Pfändung (Rechtsstillstand),

SchKG-Beschwerde gegen den Entscheid der Aufsichtsbehörde über
Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons Basel-Landschaft, Dreierkammer des
Kantonsgerichts, vom 11. März 2003 (Verf. 36-02/776; D 02/317).

Sachverhalt:

A.
Am 13. Mai 2002 bewilligte das Betreibungsamt Arlesheim dem
Betreibungsschuldner X.________ gestützt auf ein Arztzeugnis Rechtsstillstand
nach Art. 61 SchKG (schwere Erkrankung) bis zum 15. Juni 2002. Während des
Rechtsstillstandes, am 21. Mai 2002, wurden dem Schuldner verschiedene
Zahlungsbefehle zugestellt. Mit Verfügung vom 17. Juni 2002 stellte das
Betreibungsamt nach Beanstandung seitens des Schuldners fest, dass der
Rechtsstillstand zu Unrecht gewährt worden sei, demnach keine Wirkung habe
und daher die Zustellung der Zahlungsbefehle am 21. Mai 2002 rechtmässig sei.
X.________ erhob gegen diese Verfügung Beschwerde, welche die
Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons
Basel-Landschaft, Dreierkammer des Kantonsgerichts, mit Entscheid vom 19.
August 2002 abwies. Das Bundesgericht trat auf die hiergegen eingelegte
Beschwerde gemäss Art. 19 SchKG nicht ein mit der Begründung, dass in
Anbetracht des tatsächlich erhobenen Rechtsvorschlages ein schutzwürdiges
Interesse an der Aufhebung der rechtswirksamen Zustellung der Zahlungsbefehle
fehle (Urteil 7B.173/2002 vom 6. Dezember 2002).

B.
Am 30. Mai 2002, ebenfalls während des Rechtsstillstandes, vollzog das
Betreibungsamt gegenüber X.________ eine Pfändung. Am 1. Juli 2002 stellte
das Amt die Pfändungsurkunde zu und ersetzte diese - während des dagegen
erhobenen (und später zufolge Gegenstandslosigkeit abgeschriebenen)
Beschwerdeverfahrens (Entscheid der Aufsichtsbehörde vom 3. September 2002) -
durch die Pfändungsurkunde vom 5. August 2002 (versandt am 28. August 2002).
Hiergegen erhob der Schuldner Beschwerde und rügte den Pfändungsvollzug vom
30. Mai 2002. Die Aufsichtsbehörde trat mit Entscheid vom 11. März 2003 auf
die Beschwerde wegen Verspätung nicht ein und verneinte die Nichtigkeit der
betreffenden Betreibungshandlung.

C.
X.________ hat den Entscheid der Aufsichtsbehörde vom 11. März 2003 mit
Beschwerdeschrift vom 3. April 2003 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs-
und Konkurskammer des Bundesgerichts weitergezogen und beantragt im
Wesentlichen, sämtliche Betreibungshandlungen zwischen dem 15. Mai 2002 und
15. Juni 2002 (Zustellung der Zahlungsbefehle am 21. Mai 2002;
Pfändungsvollzug vom 30. Mai 2002) als ungültig zu erklären.
Die Aufsichtsbehörde hat anlässlich der Aktenüberweisung keine
Gegenbemerkungen (Art. 80 OG) angebracht.

Das Betreibungsamt sowie die Pfändungsgläubiger als Beschwerdegegner haben
auf eine Stellungnahme verzichtet.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer verlangt vergeblich die Ungültigerklärung der am 21. Mai
2002 durchgeführten Zustellung der Zahlungsbefehle. Dieser Antrag ist bereits
Gegenstand der Beurteilung im Verfahren 7B.173/2002 gewesen.

2.
2.1 Die Aufsichtsbehörde hat zur Begründung ihres Nichteintretensentscheides
im Wesentlichen festgehalten, dass die Beschwerde vom 15. September 2002, die
sich gegen die am 5. August 2002 erlassene Pfändungsurkunde richtete,
verspätet sei, soweit damit die Durchführung des Pfändungsvollzugs vom 30.
Mai 2002, mitgeteilt mit Pfändungsurkunde am 1. Juli 2002, angefochten werden
soll.

2.2 Aus den Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Entscheid (Art. 63
Abs. 2 i.V.m. Art. 81 OG) und den kantonalen Akten geht hervor, dass die
Pfändungsurkunde vom 1. Juli 2002 im Beschwerdeverfahren vom Betreibungsamt
am 5. August 2002 in Wiedererwägung gezogen worden ist (vgl. Art. 17 Abs. 4
SchKG). In der korrigierten Pfändungsurkunde wurde - wie mit Beschwerde
beantragt - die Betreibung [recte] Nr. ... von der Teilnahme an der Pfändung
ausgeschlossen. Die Aufsichtsbehörde hat im Wesentlichen ausgeführt, gegen
die in Wiedererwägung gezogene, korrigierte Pfändungsurkunde könne keine
Beschwerde mehr geführt werden, soweit bereits die ursprüngliche Verfügung
Anlass dazu geboten hätte. Der Beschwerdeführer legt indessen nicht dar,
inwiefern die Vorinstanz mit ihrer Schlussfolgerung, er hätte bezüglich der
Durchführung des Pfändungsvollzugs bereits gegen die am 1. Juli 2002
versandte Pfändungsurkunde Beschwerde führen sollen und die entsprechenden
Rügen seien daher verspätet, gegen die Regeln über die Rechtzeitigkeit der
Beschwerdeführung (vgl. Art. 17 Abs. 2 SchKG) oder andere Bundesrechtssätze
verstossen habe. Insoweit genügt die Eingabe den Begründungsvoraussetzungen
von Art. 79 Abs. 1 OG nicht, wonach in der Beschwerdeschrift darzulegen ist,
welche Bundesrechtssätze und inwiefern diese durch den angefochtenen
Entscheid verletzt worden sind (BGE 119 III 49 E. 1). Auf die Beschwerde kann
insoweit nicht eingetreten werden.

3.
3.1 Die Aufsichtsbehörde hat im Weiteren in der Sache erwogen, der Vollzug der
Pfändung während des Rechtsstillstandes nach Art. 61 SchKG sei rechtens, weil
das Betreibungsamt im konkreten Fall den Rechtsstillstand am 17. Juni 2002
ohnehin rückwirkend aufheben durfte. Nach den Ausführungen der Vorinstanz
soll die rückwirkende Aufhebung eines Rechtsstillstandes nach Art. 61 SchKG
möglich sein, wenn sich nachträglich wie im konkreten Fall herausstelle, dass
die ärztlich bescheinigte Krankheit des Beschwerdeführers nicht die für einen
Rechtsstillstand nach Art. 61 SchKG erforderliche Schwere aufweise. Dem hält
der Beschwerdeführer im Wesentlichen entgegen, im Falle eines zu Unrecht
gewährten Rechtsstillstandes hätte das Betreibungsamt allenfalls neu, aber
nicht rückwirkend verfügen dürfen.

3.2 Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts kann ein
Betreibungs- oder Konkursamt eine von ihm getroffene Verfügung selber nur
solange wieder aufheben, als die Beschwerdefrist noch nicht abgelaufen ist;
nachher ist dies nur noch bei einer nichtigen Verfügung möglich (BGE 97 III 3
E. 2 S. 5; vgl. Pierre-Robert Gilliéron, Commentaire de la loi fédérale sur
la poursuite pour dettes et la faillite, N. 256 zu Art. 17 SchKG; vgl. ferner
Thomas Bauer, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, N. 13 zu Art. 61 SchKG). Nichtig sind Verfügungen, wenn sie gegen
Vorschriften verstossen, die im öffentlichen Interesse oder im Interesse von
am Verfahren nicht beteiligten Personen erlassen worden sind (Art. 22 SchKG).
Dass die Gewährung des einmonatigen Rechtsstillstandes durch das
Betreibungsamt am 13. Mai 2002 keine nichtige Verfügung im erwähnten Sinn
darstellt, steht ausser Frage. Folglich wäre der Widerruf dieser Verfügung
nur bei noch laufender Beschwerdefrist (Art. 17 Abs. 2 SchKG) oder bis zur
Vernehmlassung eines allfälligen Beschwerdeverfahrens (Art. 17 Abs. 4 SchKG)
möglich gewesen.

Ob das Betreibungsamt diese Verfahrensvorschriften beachtet hat und somit am
17. Juni 2002 den am 13. Mai 2002 (bis zum 15. Juni 2002) gewährten
Rechtsstillstand widerrufen durfte, kann hier nur unter dem Gesichtspunkt der
Nichtigkeit (Art. 22 SchKG) geprüft werden, da die Beschwerdefrist gegen die
Widerrufsverfügung vom 17. Juni 2002 längst abgelaufen ist (und die Frage der
Rechtmässigkeit im dagegen erhobenen Beschwerdeverfahren 7B.173/2002 offen
gelassen wurde). Anhaltspunkte dafür, dass das Betreibungsamt den
Rechtsstillstand widerrufen hat, währenddem gegen die Gewährung ein
Beschwerdeverfahren hängig war, bestehen nicht. Nach der Rechtsprechung
verstösst eine Wiedererwägung dann gegen öffentliche Interessen bzw. ist
diese nichtig (Art. 22 SchKG), wenn sie in die Entscheidungsbefugnis der
Aufsichtsbehörde eingreift (BGE 97 III 3 E. 2 S. 5 f.). In vergleichbarem
Masse stellt der Widerruf einer begünstigenden Verfügung wie diejenige des
Rechtsstillstandes wegen Krankheit nach Ablauf der Beschwerdefrist einen
schwerwiegenden Verstoss gegen den Vertrauensschutz, aber auch insbesondere
gegen die Rechtssicherheit und Ordnungsmässigkeit des Verfahrens und damit
die öffentlichen Interessen im Sinne von Art. 22 SchKG dar. Ob die
Nichtigkeitsfolge des rückwirkenden Widerrufs auch im Falle eines
rechtsmissbräuchlich erwirkten Rechtsstillstandes gerechtfertigt wäre,
braucht vorliegend nicht entschieden zu werden. Weder wirft die Vorinstanz
dem Beschwerdeführer Rechtsmissbrauch vor, noch bestehen Anhaltspunkte für
entsprechendes Verhalten (z.B. Fälschung eines Arztzeugnisses), zumal die
Aufsichtsbehörde einzig erkannt hat, dass sich die Gewährung des
Rechtsstillstandes nachträglich als unrichtige Verfügung erwiesen hat.
Folglich ist die Nichtigkeit der Verfügung vom 17. Juni 2002 des
Betreibungsamtes Arlesheim festzustellen, soweit damit der am 13. Mai 2002
bewilligte Rechtsstillstand nach Art. 61 SchKG rückwirkend aufgehoben worden
ist.

3.3 Nach dem Dargelegten gilt die Pfändung vom 30. Mai 2002 als während des
Rechtsstillstandes zufolge schwerer Krankheit erfolgt. Die Rechtsfolge von
Betreibungshandlungen, die gegen den gewährten Rechtsstillstand verstossen,
ist in der Lehre umstritten. Da in diesem Zusammenhang weder öffentliche
Interessen noch die Interessen von am Verfahren nicht beteiligten Personen
zur Diskussion stehen (vgl. Art. 22 SchKG), können Betreibungshandlungen
während des Rechtsstillstandes nach Art. 61 SchKG indessen lediglich
anfechtbar sein (Gilliéron, a.a.O., N. 7 zu Art. 61 SchKG). Vor diesem
Hintergrund ist nicht zu beanstanden, wenn die Aufsichtsbehörde zum Ergebnis
gelangt ist, der Beschwerdeführer hätte bezüglich der Durchführung des
Pfändungsvollzugs bereits gegen die am 1. Juli 2002 versandte
Pfändungsurkunde Beschwerde führen sollen (vgl. E. 2.2).
3.4 Die Aufsichtsbehörde hat weiter festgehalten, die unterlassene
Pfändungsankündigung habe keine Nichtigkeit der am 30. Mai 2002 vollzogenen
Pfändung zur Folge. Die Verletzung der Vorschrift von Art. 90 SchKG, wonach
die Pfändung dem Schuldner angekündigt werden soll, stellt in der Tat keinen
Nichtigkeitsgrund im Sinne von Art. 22 SchKG dar (Gilliéron, a.a.O., N. 18 zu
Art. 90 SchKG). Die erwähnte Bestimmung dient dem Schutz des Schuldners, und
die mangelhafte Pfändungsankündigung ist lediglich anfechtbar, und auch dies
nur, sofern der Schuldner (oder sein Vertreter) dem Pfändungsakt nicht
beiwohnte (BGE 115 III 41 E. 1 S. 42 f.). Vor diesem Hintergrund ist entgegen
der Auffassung des Beschwerdeführers nicht zu beanstanden, wenn die
Aufsichtsbehörde geschlossen hat, die unterlassene Pfändungsankündigung hätte
durch Anfechtung der Pfändungsurkunde vom 1. Juli 2002 vorgebracht werden
müssen (vgl. E. 2.2).
3.5 Nach dem Dargelegten ist die Nichtigkeit der Widerrufsverfügung vom 17.
Juni 2002 festzustellen und die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf
eingetreten werden kann.

4.
Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich kostenlos (Art. 20a Abs. 1 SchKG),
und es darf keine Parteientschädigung zugesprochen werden (Art. 62 Abs. 2
GebV SchKG).

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Es wird die Nichtigkeit der Verfügung vom 17. Juni 2002 des Betreibungsamtes
Arlesheim festgestellt, soweit damit der am 13. Mai 2002 bewilligte
Rechtsstillstand nach Art. 61 SchKG rückwirkend aufgehoben worden ist.

2.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, den Beschwerdegegnern (Kanton
Basel-Landschaft, vertreten durch Steuerverwaltung Basel-Landschaft, Abt.
Staatssteuer und Abt. Direkte Bundessteuer, 4410 Liestal; Einwohnergemeinde
Z.________, vertreten durch Gemeindeverwaltung), dem Betreibungsamt Arlesheim
und der Aufsichtsbehörde über Schuldbetreibung und Konkurs des Kantons
Basel-Landschaft, Dreierkammer des Kantonsgerichts, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 1. Juli 2003

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin:  Der Gerichtsschreiber: