Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.214/2003
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7B.214/2003 /rov

Sitzung vom 3. Dezember 2003
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichterin Escher, Präsidentin,
Bundesrichter Meyer, Bundesrichterin Hohl,
Gerichtsschreiber Levante.

Z. ________,
Beschwerdeführerin,
vertreten durch Rechtsanwältin Barbara Schnitter Weber,

gegen

Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und
Konkursamt des Kantons Basel-Stadt,
Bäumleingasse 5, Postfach 964, 4001 Basel.

Konkursverfahren/Akteneinsicht,

SchKG-Beschwerde gegen das Urteil der Aufsichtsbehörde über das Betreibungs-
und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt vom 27. Juli 2003 (AB 2003/20).

Sachverhalt:

A.
Am 29. September 1988 wurde der Konkurs über Z.________ eröffnet. Am 22.
August 1990 wurde das vom Konkursamt Basel-Stadt durchgeführte Verfahren
geschlossen. Im März 2003 gelangte Z.________ an das Konkursamt mit dem
Begehren um Akteneinsicht. Am 7. März 2003 beanstandete sie mit Beschwerde,
dass sie vom Konkursamt für die Akteneinsicht auf später vertröstet worden
sei. Die Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt Basel-Stadt
wies die Beschwerde mit Urteil vom 27. Juli 2003 ab.

B.
Z.________ hat das Urteil der Aufsichtsbehörde mit Beschwerdeschrift vom 12.
September 2003 (rechtzeitig) an die Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des
Bundesgerichts weitergezogen und beantragt, das angefochtene Urteil sei
aufzuheben und es sei festzustellen, dass das Akteneinsichtsrecht in das
Verfahren über ihren eigenen Konkurs weiterhin bestehe. Weiter ersucht sie um
unentgeltliche Rechtspflege.

C.
Die Aufsichtsbehörde hat auf Gegenbemerkungen verzichtet. Das Konkursamt
schliesst auf Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
Die Aufsichtsbehörde hat im Wesentlichen festgehalten, dass einerseits keine
Pflicht des Konkursamtes bestehe, die Akten über den seit fast 13 Jahren
geschlossenen Konkurs der Beschwerdeführerin aufzubewahren, und andererseits
kein Interesse der Beschwerdeführerin an der Einsichtnahme in die offenbar
noch vorhandenen Akten erkennbar sei. Das Recht auf Akteneinsicht der
Beschwerdeführerin sei untergegangen, weil die Akten des erledigten Konkurses
gemäss Art. 5 der Verordnung des Bundesgerichts über die Aufbewahrung der
Betreibungs- und Konkursakten vom 5. Juni 1996 (VABK; SR 281.33) in
Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Verordnung des Bundesgerichts über die
Geschäftsführung der Konkursämter vom 5. Juni 1996 (KOV; SR 281.32) nach
Ablauf von zehn Jahren vernichtet werden dürfen. Die Aufsichtsbehörde hat
geschlossen, dass das Konkursamt mit der Nichtgewährung der Akteneinsicht
keine gesetzlich vorgeschriebene Amtshandlung verweigere oder verzögere.

Demgegenüber macht die Beschwerdeführerin geltend, die Frist, innert der um
Akteneinsicht ersucht werden könne, sei mehrmals unterbrochen worden, weil
laufend und bis noch vor wenigen Monaten Akten ediert worden seien; folglich
sei das Recht auf Akteneinsicht nicht verjährt und eine plötzliche
Verweigerung rechtsmissbräuchlich. Sodann hätten die meisten, insbesondere
strafrechtlichen Verfahren, welche sie (die Beschwerdeführerin) in Gang
gesetzt habe, in irgendeinem Zusammenhang mit ihrem Konkurs gestanden; sie
brauche (offenbar für einen weiteren Prozess) noch "einige wenige Akten zu
einer lückenlosen Beweiskette".

2.
Die Beschwerdeführerin bringt zunächst vor, es sei rechtsmissbräuchlich, wenn
das Konkursamt rückwirkend per 22. August 2000 ein Recht auf Akteneinsicht
verweigere, obwohl noch bis vor wenigen Monaten Konkursakten herausgegeben
worden seien. Soweit sich die Beschwerdeführerin mit diesen Vorbringen darauf
beruft, das Konkursamt sei nach dem Grundsatz von Treu und Glauben weiter zur
Gewährung der Akteneinsicht verpflichtet, rügt sie eine Verletzung des
verfassungsmässigen Anspruchs des Bürgers gegenüber der Verwaltung auf Schutz
des berechtigten Vertrauens (Art. 9 BV). Damit kann sie nicht gehört werden,
denn im Beschwerdeverfahren gemäss Art. 19 SchKG kann ein Verstoss gegen
Normen mit Verfassungsrang nicht gerügt werden (Art. 43 Abs. 1 i.V.m. Art. 81
OG; BGE 122 III 34 E. 1 S. 35).

3.
3.1 Das Konkursverfahren über die Beschwerdeführerin ist nach den
vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen (Art. 63 Abs. 2 i.V.m. Art. 81
OG) am 22. August 1990 geschlossen worden (vgl. Art. 268 SchKG). Die Akten
dieses Konkurses, auf welche sich das Einsichtsgesuch der Beschwerdeführerin
bezieht, darf das Konkursamt nach Ablauf von zehn Jahren, vom Tage der
Erledigung an gerechnet, vernichten (Art. 5 VABK i.V.m. Art. 14 Abs. 1 KOV).
Wenn die Aufsichtsbehörde vor diesem Hintergrund festgehalten hat, die
zehnjährige amtliche Aufbewahrungspflicht der Akten des fast seit 13 Jahren
geschlossenen Konkurses sei abgelaufen, und gefolgert hat, die fraglichen
Konkursakten seien vernichtbar, ist dies nicht zu beanstanden. Die
Beschwerdeführerin geht fehl, soweit sie der Ansicht ist, dass ihre
Einsichtnahme in die Akten über den eigenen erledigten Konkurs im Sinne einer
"Fristunterbrechung" die amtliche Aufbewahrungsfrist der Akten verlängert
habe.

3.2 Das Recht Dritter, in die Protokolle und Register der Betreibungs- und
Konkursämter einzusehen und sich Auszüge daraus geben zu lassen, erlischt
fünf Jahre nach Abschluss des Verfahrens (Art. 8a Abs. 4 SchKG). Von dieser
Regel sind die einstigen Parteien des Zwangsvollstreckungsverfahrens
ausgenommen. Hier wird nach der Rechtsprechung das - ein ausgewiesenes
Interesse voraussetzende - Einsichtsrecht durch die Dauer der amtlichen
Pflicht zur Aufbewahrung der Akten begrenzt (BGE 110 III 49 E. 4 S. 51). Hat
das Betreibungs- oder Konkursamt auch nach Ablauf dieser Fristen die Akten
noch nicht vernichtet, so ist es ihm nicht verwehrt, auch dann noch
Einsichtnahme zu gewähren, allerdings ohne dass der Gesuchsteller einen
Anspruch geltend machen kann (BGE 99 III 41 E. 3 S. 45). Mit ihrer Beschwerde
wendet sich die Beschwerdeführerin gegen diese von der Aufsichtsbehörde
angewendete Regel, wonach kein Anspruch auf Einsicht in die vernichtbaren,
aber nicht vernichteten Akten des eigenen Konkurses bestehe.

3.2.1 Die erwähnte Rechtsprechung ist insoweit zu überdenken, als damit ein
Anspruch auf Akteneinsicht einstiger Parteien des
Zwangsvollstreckungsverfahrens nach Ablauf der amtlichen Aufbewahrungsfrist
verneint wird. In der Literatur wird die entsprechende Verbindung von
Aufbewahrungsfrist und Einsichtsrecht nicht begründet, wohl aber bestätigt
(James T. Peter, in Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, N. 31 zu Art. 8a SchKG; Pierre-Robert Gilliéron, Commentaire de la
loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, N. 59 zu Art. 8a
SchKG). Art. 8a Abs. 1 SchKG verankert indessen das Recht, bei vorhandenem
Auskunftsinteresse die Protokolle und Register der Betreibungs- und
Konkursämter einzusehen und sich Auszüge daraus geben zu lassen. Das Gesetz
spricht einzig vom Erlöschen des Einsichtsrechts Dritter (fünf Jahre nach
Abschluss des Verfahrens); eine zeitliche Begrenzung des Einsichtsrechts des
Schuldners lässt sich dem Wortlaut von Art. 8a Abs. 4 SchKG nicht entnehmen.
Im Rahmen der SchKG-Revision beschränkte sich der Bundesrat auf einen Hinweis
auf die bisherige Rechtsprechung, indem er in der Botschaft ausführte, das
Einsichtsrecht für die einstigen Parteien des Zwangsvollstreckungsverfahrens
werde zeitlich durch die amtlichen Aufbewahrungsfristen begrenzt (BBl 1991
III 33). Das Parlament konzentrierte sich auf die Regelung des
Einsichtsrechts Dritter, währenddem dasjenige des Schuldners nicht weiter
Anlass zur Beratung gab. Demnach hindern weder Wortlaut noch
Entstehungsgeschichte daran, Art. 8a SchKG betreffend das Einsichtsrecht des
Schuldners im Einklang mit der verfassungsrechtlichen Rechtsprechung
auszulegen (vgl. BGE 128 V 20 E. 3a S. 24). Nach der Rechtsprechung zu Art.
29 Abs. 2 BV kann eine umfassende Wahrung der Rechte gebieten, dass ein
Betroffener Akten eines abgeschlossenen Verfahrens einsehe, wobei dieser
Anspruch davon abhängig ist, dass der Rechtsuchende ein besonderes
schutzwürdiges Interesse glaubhaft machen kann; zudem findet das
Akteneinsichtsrecht seine Grenzen an überwiegenden öffentlichen Interessen
des Staates oder an berechtigten Interessen Dritter (BGE 129 I 249 E. 3 S.
253). Betrachtet man Art. 8a Abs. 1 und 4 SchKG unter diesem Gesichtswinkel,
erscheint es nicht gerechtfertigt, der Beschwerdeführerin als
Gemeinschuldnerin das Recht auf Einsicht in die Akten des erledigten eigenen
Konkurses mit dem blossen Argument des Ablaufs der amtlichen
Aufbewahrungsfrist bzw. der Vernichtbarkeit der Akten zu verweigern. Vielmehr
ist zu prüfen, ob die Beschwerdeführerin ein schutzwürdiges Interesse an der
Einsicht in die wohl vernichtbaren, aber vorhandenen Akten hat und
(gegebenenfalls) andere Interessen einer Einsicht entgegenstehen.

3.2.2 Die Aufsichtsbehörde hat erwogen, dass allfällige
Schadenersatzansprüche nach Art. 6 SchKG verjährt seien und mit Beschluss vom
24. März 2003 der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt festgestellt worden sei, die
von der Beschwerdeführerin gegen das Konkursamt zur Anzeige gebrachten und
behaupteten Straftaten seien spätestens am 22. August 2000 verjährt, weshalb
das Strafverfahren eingestellt worden sei; ein Interesse der
Beschwerdeführerin an der Einsicht in die Konkursakten sei nicht ersichtlich.
Die Rechtsprechung hat indessen in der Absicht, ein Verfahren zur Erlangung
eines Ausgleichs - z.B. im Sinne von Schadenersatz - anzustrengen, ein
schutzwürdiges Interesse für die Akteneinsicht erblickt (BGE 129 I 249 E. 5.2
S. 259; vgl. BGE 58 III 118 S. 120). Entgegen der vorinstanzlichen Ansicht
ist es grundsätzlich nicht Sache der Behörden, anstelle des Betroffenen über
den allenfalls einzuschlagenden Weg und die Erfolgschancen zu befinden und
die Akteneinsicht davon abhängig zu machen. Die Aufsichtsbehörde hat demnach
der Beschwerdeführerin, die offenbar einen Prozess gegen das Konkursamt bzw.
den Kanton anstrengt, zu Unrecht ein schutzwürdiges Interesse an der
Akteneinsicht abgesprochen. Im Weiteren werden im angefochtenen Urteil keine
öffentlichen Interessen des Staates oder Interessen Dritter genannt, welche
einer Einsichtnahme der Beschwerdeführerin in die Akten ihres Konkurses
entgegenstehen würden. Vor diesem Hintergrund erweist sich die Beschwerde als
begründet, was zur Aufhebung des angefochtenen Urteils führt, und es bleibt
festzustellen, dass die Beschwerdeführerin das Recht hat, beim Konkursamt
Einsicht in die vernichtbaren Akten des erledigten Konkurses zu nehmen,
solange diese noch vorhanden sind.

4.
Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich kostenlos (Art. 20a Abs. 1 SchKG),
so dass das Gesuch der Beschwerdeführerin um Befreiung von Gerichtskosten
gegenstandslos ist. Eine Parteientschädigung darf nicht zugesprochen werden
(Art. 62 Abs. 2 GebV SchKG). Die Voraussetzungen, um der Beschwerdeführerin
für das bundesgerichtliche Verfahren einen unentgeltlichen Rechtsbeistand
beizugeben, erscheinen erfüllt (Art. 152 Abs. 1 und 2 OG; BGE 122 III 392 E.
3 S. 393).

Demnach erkennt die Kammer:

1.
1.1 Die Beschwerde wird, soweit darauf einzutreten ist, gutgeheissen und das
Urteil der Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons
Basel-Stadt vom 27. Juli 2003 aufgehoben.

1.2 Es wird festgestellt, dass die Beschwerdeführerin das Recht hat, beim
Konkursamt Einsicht in die Akten des erledigten Konkurses zu nehmen, solange
diese nicht vernichtet worden sind.

2.
Das Gesuch der Beschwerdeführerin um Gewährung eines unentgeltlichen
Rechtsbeistandes wird gutgeheissen.

3.
Rechtsanwältin Barbara Schnitter Weber wird aus der Bundesgerichtskasse ein
Honorar von Fr. 800.-- ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Konkursamt Basel-Stadt und der
Aufsichtsbehörde über das Betreibungs- und Konkursamt des Kantons Basel-Stadt
schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 3. Dezember 2003

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Die Präsidentin:  Der Gerichtsschreiber: