Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Schuldbetreibungs- und Konkurskammer 7B.130/2003
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7B.130/2003 /min

Urteil vom 6. August 2003
Schuldbetreibungs- und Konkurskammer

Bundesrichter Meyer, präsidierendes Mitglied,
Bundesrichterin Hohl, Bundesrichter Marazzi,
Gerichtsschreiber von Roten.

X. ________ Leasing AG,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Rechtsanwalt Peter Schatz, Hess
Dallafior, Rechtsanwälte, Rämistrasse 5, Postfach, 8024 Zürich,

gegen

Kantonsgericht St. Gallen als kantonale Aufsichts-behörde für Konkurs,
Klosterhof 1, 9001 St. Gallen.

Einstellung des Konkurses über eine juristische Person mangels Aktiven /
Verwertung eines Pfandes,

SchKG-Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen als
kantonaler Aufsichtsbehörde für Konkurs vom 12. Mai 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 27. September 2002 wurde über die Y.________ AG, in W.________, der
Konkurs eröffnet. Im Besitz der Konkursitin befand sich unter anderem ein VW
Passat, den das Konkursamt in das Inventar über das zur Konkursmasse
gehörende Vermögen aufnahm. Gestützt auf einen Leasingvertrag beanspruchte
die X.________ Leasing AG das Eigentum an dem Fahrzeug und verlangte dessen
Herausgabe. Unter Hinweis auf ihren Mietvertrag mit der Konkursitin erhob die
G.________ AG Retentionsansprüche auf die inventarisierten Gegenstände, unter
anderem auf den VW Passat. Der Konkurs wurde am 17. Oktober 2002 mangels
Aktiven eingestellt.

Innert angesetzter Frist stellte die Vermieterin das Begehren um
Spezialliquidation der Retentionsgegenstände. Mit Schreiben vom 9. Dezember
2002 anerkannte die Konkursverwaltung das Eigentum der X.________ Leasing AG
am VW Passat, wies auf das Retentionsrecht der Vermieterin hin und teilte
mit, ohne gerichtliches Urteil oder rechtsgültige Vereinbarung zwischen den
Ansprechern bleibe der VW Passat vorderhand unter Konkursbeschlag.

Im Spezialliquidationsverfahren wurde der Kollokationsplan samt Inventar
aufgelegt und darin der VW Passat aufgenommen mit entsprechendem Vermerk
betreffend Eigentumsansprache und Retentionsrecht. Bezüglich des VW Passat
setzte das Konkursamt die Retentionsverfügung aus und wies darauf hin, es sei
Sache zwischen dem Eigentümer und dem Retentionsgläubiger, die Ansprüche
ausserhalb des Konkurses bzw. Spezialliquidationsverfahrens zu regeln
(Verfügung vom 13. März 2003).

B.
Die X.________ Leasing AG reichte gegen die Inventarisierung bzw. die
Verfügung vom 13. März 2003 Beschwerde ein und verlangte die Entlassung des
Fahrzeugs aus dem Inventar bzw. der Konkursmasse des
Spezialliquidationsverfahrens. Das Kantonsgericht St. Gallen als kantonale
Aufsichtsbehörde für Konkurs wies die Beschwerde ab (Entscheid vom 12. Mai
2003).

C.
Vor der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer des Bundesgerichts erneuert die
X.________ Leasing AG ihre im kantonalen Verfahren gestellten Begehren und
beantragt die Aufhebung des Entscheids vom 12. Mai 2003. Das Konkursamt
schliesst auf Abweisung der Beschwerde. Den selben Antrag stellt die
G.________ AG (hiernach: Beschwerdegegnerin). Gestützt auf eine Vereinbarung
der Beschwerdeparteien hat das Konkursamt den VW Passat inzwischen an die
Beschwerdeführerin herausgegeben. In einer Zusatzeingabe erläutert die
Beschwerdeführerin diese Herausgabe dahin gehend, der VW Passat sei durch
einen Auslösungsbetrag ersetzt worden, weshalb das Beschwerdeverfahren
fortgeführt und über die Beschwerdeanträge entschieden werden müsse.

Die Kammer zieht in Erwägung:

1.
Befinden sich in der Konkursmasse einer juristischen Person verpfändete Werte
und ist der Konkurs mangels Aktiven eingestellt worden, so kann gemäss Art.
230a Abs. 2 SchKG jeder Pfandgläubiger trotzdem beim Konkursamt die
Verwertung seines Pfandes verlangen (Satz 1). Das Amt setzt dafür eine Frist
(Satz 2). Im Einzelnen ergibt sich zu dieser Bestimmung in rechtlicher
Hinsicht, was folgt:
1.1 Art. 230a Abs. 2 SchKG nimmt die Regelung des aufgehobenen Art. 134 VZG
auf und dehnt deren Geltungsbereich aus, indem neu der Konkursit irgendeine
juristische Person sein kann und nicht bloss eine Aktiengesellschaft und
indem nicht mehr nur der Grundpfandgläubiger die Verwertung seines
Grundpfandes, sondern neu jeder Pfandgläubiger die Verwertung seines Pfandes
verlangen kann (Botschaft, BBl. 1991 III 1, S. 141 f.; Urteile 7B. 51/2000
vom 22. März 2000, E. 1, zusammengefasst in JdT 2000 II S. 124, und 5C.
125/1999 vom 14. September 1999, E. 3a). Mit der Einführung des
Spezialliquidationsverfahrens gemäss Art. 230a Abs. 2 SchKG konnte Art. 134
VZG in der Revision von 1996/97 gestrichen werden (Weyermann, Die
Verordnungen des Bundesgerichts zum SchKG in ihrer geänderten Fassung, AJP
1996 S. 1370 ff., S. 1374, 1. Spalte, zweiter Absatz).

1.2 Pfandgläubiger im Sinne von Art. 230a Abs. 2 SchKG ist auch der
Retentionsberechtigte. Um die Verwertung des Pfandes zu erlangen, genügt es,
dass er sein Retentionsrecht - hier: gemäss Art. 268 ff. OR - durch Vorlegung
des Mietvertrags glaubhaft macht. Entgegen der Annahme der Beschwerdeführerin
ist bei Einleitung des Verfahrens die Pfandberechtigung nicht strikte
nachzuweisen. Über Bestand, Umfang und Rang des Pfandrechts wird im erst
später durchzuführenden Kollokationsverfahren entschieden. Die
Beschwerdegegnerin hat diesen Mietvertrag für Geschäftsräume unstreitig
vorgelegt, so dass das Konkursamt das Verfahren gemäss Art. 230a Abs. 2 SchKG
zu Recht eröffnet hat (vgl. Lorandi, Einstellung des Konkurses über
juristische Personen mangels Aktiven (Art. 230a SchKG), AJP 1999 S. 41 ff.,
S. 42 f. Ziffer III/C und D; Gasser, Die Liquidation nach Artikel 230a SchKG,
in: FS Schuldbetreibung und Konkurs im Wandel, Basel 2000, S. 51 ff., S. 60
f.; Vouilloz, La suspension de la faillite faute d'actif, AJP 2001 S. 81 ff.,
S. 87 f. Ziffer III/B/2 und 3).

1.3 Am Pfandverwertungsverfahren gemäss Art. 230a Abs. 2 SchKG sind der
Pfandgläubiger und der Schuldner sowie allfällige Drittansprecher im Sinne
von Art. 242 SchKG beteiligt. Es gelten die Regeln über das summarische
Konkursverfahren (Lorandi, a.a.O., S. 43 Ziffer III/D; Vouilloz, a.a.O., S.
88 Ziffer III/B/3) und deshalb keine Besonderheiten, wenn - wie hier -
Eigentums- und Pfandansprüche an einem Gegenstand der Konkursmasse
konkurrieren.

2.
Nach Art. 242 SchKG trifft die Konkursverwaltung eine Verfügung über die
Herausgabe von Sachen, die von einem Dritten beansprucht werden (Abs. 1).
Hält die Konkursverwaltung den Anspruch für unbegründet, so setzt sie dem
Dritten eine Frist von 20 Tagen, innert der er beim Richter am Konkursort
Klage einreichen kann. Hält er diese Frist nicht ein, so ist der Anspruch
verwirkt (Abs. 2). Beansprucht die Masse bewegliche Sachen, die sich im
Gewahrsam oder Mitgewahrsam eines Dritten befinden, oder Grundstücke, die im
Grundbuch auf den Namen eines Dritten eingetragen sind, als Eigentum des
Schuldners, so muss sie gegen den Dritten klagen (Abs. 3). Das damit
vorgesehene Aussonderungsverfahren wird durch die Art. 45 ff. der Verordnung
über die Geschäftsführung der Konkursämter (SR 281.32, KOV) näher ausgeführt.

2.1 "Konkursverwaltung" ist hier das Konkursamt, zumal im summarischen
Konkursverfahren eine ausseramtliche Konkursverwaltung nicht eingesetzt
werden darf (BGE 121 III 142 Nr. 30; Lorandi, a.a.O., S. 42 Ziffer III/B;
Vouilloz, a.a.O., S. 87 Ziffer III/B/1). Das strittige Fahrzeug hat sich von
Beginn an in der Masse befunden, so dass das Konkursamt gemäss Art. 242 SchKG
zwei Möglichkeiten hatte, nämlich entweder die Eigentumsansprache des Dritten
(hier: der Beschwerde-führerin) zu bestreiten oder den Anspruch anzuerkennen
(vgl. zum Vorgehen bei Anerkennung: Art. 47 und Art. 49 KOV). Hat das
Konkursamt den Eigentumsanspruch des Dritten rechtswirksam anerkannt, so ist
die Sache an den Dritten herauszugeben. Gemäss Art. 53 KOV ist ein
allfälliger Streit zwischen dem Eigentums- und dem Pfandansprecher nicht im
Konkursverfahren auszutragen, wenn der Eigentumsanspruch im Konkurs anerkannt
wird. Die Auffassung der Beschwerdeführerin trifft somit grundsätzlich zu.

2.2 Immerhin dürfen vor der Herausgabe dem Konkursamt bekanntgewordene
Retentionsrechte nicht ausser Acht bleiben, soll deren Durchsetzung nicht
illusorisch werden. Unter diesem Blickwinkel verletzt es nach der
Rechtsprechung der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer kein Bundesrecht,
wenn das Konkursamt sich weigert, anerkanntermassen im Eigentum Dritter
stehende Sachen herauszugeben mit der Begründung, dass daran ein
Retentionsrecht geltend gemacht worden ist (vgl. zum Grundsatz: BGE 42 III 46
Nr. 11; aus der kantonalen Praxis: z.B. PKG 1997 Nr. 34 S. 130 f.). Die
erkennende Kammer hat diese Grundsätze erst kürzlich wieder angewendet und
ausgeführt: Wenn eine andere Person an der herauszugebenden Sache ebenfalls
Rechte haben könnte und vorab wenn die Rechtslage nicht klar ist, wird das
Konkursamt die Sache mit Vorteil hinterlegen und die daran Interessierten -
den Eigentums- und den Pfandansprecher - einladen, einen allfälligen Streit
ausserhalb des Konkursverfahrens auszutragen (Urteil 7B.20/2002 vom 27.
Februar 2002). Die von der Beschwerdeführerin zitierten Kommentare vertreten
in der geschilderten Verfahrenslage keinen abweichenden Standpunkt, sei es,
dass sie eine Hinterlegung der herauszugebenden Sache empfehlen
(Russenberger, in: Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und
Konkurs, III, Basel 1998, N. 17, und Jaeger/Walder/ Kull/Kottmann,
Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, II, 4.A. Zürich 1997/99, N.
16, je zu Art. 242 SchKG), sei es, dass sie eine Herausgabepflicht des
Konkursamtes vor Erledigung des Rechtsstreites verneinen (Gilliéron,
Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite,
Lausanne 2001, N. 53 f. zu Art. 242 SchKG, mit weiteren Beispielen).

2.3 Aus den dargelegten Gründen hat das Konkursamt bzw. die Aufsichtsbehörde
kein Bundesrecht verletzt, indem es die Herausgabe des VW Passat vorderhand
verweigert hat. Die Beschwerdeführerin gesteht dem Konkursamt die Befugnis
denn auch ausdrücklich zu, die Sache nicht herauszugeben, wenn es nicht
ausschliessen kann, dem Retentionsgläubiger wegen der Herausgabe haftbar zu
werden (S. 10 Ziffer 23). Ob diese Befugnis ihre Grundlage im
Obligationenrecht statt im Vollstreckungsrecht haben soll, kann nun aber
offenkundig nichts an der Rechtmässigkeit des konkursamtlichen Vorgehens
ändern. Entgegen der Darstellung der Beschwerdeführerin hat sich das
Konkursamt nur "vorderhand" und nicht in zeitlicher Hinsicht unbegrenzt
geweigert, den VW Passat herauszugeben. Der Kollokationsplan im Verfahren
gemäss Art. 230a Abs. 2 SchKG hat aufgelegen. Sobald das Retentionsrecht der
Beschwerdegegnerin rechtskräftig geworden ist, können die Parteien ihre
Zivilansprüche geltend machen. Sollte dies nicht innert angemessener Frist
geschehen, wird das Konkursamt die Herausgabe des VW Passat nicht länger
verweigern können.

3.
Das Beschwerdeverfahren ist grundsätzlich kostenlos (Art. 20a Abs. 1 SchKG),
und es darf keine Parteientschädigung zugesprochen werden (Art. 62 Abs. 2
GebV SchKG, SR 281.35). Der Antrag der Beschwerdeführerin, unter Kosten- und
Entschädigungsfolgen zu Lasten des Konkursamtes zu entscheiden, muss
abgewiesen werden.

Demnach erkennt die Kammer:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin und der Beschwerdegegnerin
(G.________ AG, vertreten durch Rechtsanwalt Leo Gehrer, asg.advocati,
Pestalozzistrasse 2, 9000 St. Gallen) sowie dem Konkursamt des Kantons St.
Gallen und dem Kantonsgericht St. Gallen als kantonaler Aufsichtsbehörde für
Konkurs schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 6. August 2003

Im Namen der Schuldbetreibungs- und Konkurskammer
des Schweizerischen Bundesgerichts

Das präsidierende Mitglied:  Der Gerichtsschreiber: