Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.94/2003
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6S.94/2003 /pai

Urteil vom 10. September 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Verbotenes Waffentragen (Tragen eines Schlagrings),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
I. Strafkammer, vom 18. November 2002.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde am 18. Januar 2002 in einem Park in Zürich einer
Polizeikontrolle unterzogen, als er dabei war, zwei Schülern
Kampfsportunterricht zu erteilen. Bei der Kontrolle kam neben mehreren
Messern auch ein Gegenstand aus Hartplastik (eine Art "Schlagring") zum
Vorschein, den X.________ offenbar in einer Sporttasche mit sich führte.

B.
Mit Urteil vom 11. September 2002 sprach der Einzelrichter in Strafsachen am
Bezirksgericht Zürich X.________ des verbotenen Waffentragens (Tragens eines
Schlagrings) gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1
lit. c und Art. 4 Abs. 1 lit. d Waffengesetz schuldig und verurteilte ihn zu
einer Busse von Fr. 200.--, bedingt löschbar im Strafregister nach einer
Probezeit von einem Jahr. Mit gleichem Entscheid wurde X.________ des
verbotenen Tragens von Dolchen freigesprochen, weil die Dolche vom
Waffengesetz nicht erfasst waren (Länge und Beschaffenheit der Klingen).

Das Obergericht des Kantons Zürich bestätigte das angefochtene Urteil am 18.
November 2002 im Schuld- und Strafpunkt.

C.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben, soweit er wegen Tragens eines
Schlagringes verurteilt worden sei.

Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf
Stellungnahmen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten, soweit der Beschwerdeführer Willkür
und überspitzten Formalismus rügt sowie sich gegen die Auferlegung von
Verfahrenskosten zu wenden scheint. Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte
hätte der Beschwerdeführer nach Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
mit staatsrechtlicher Beschwerde vorbringen müssen (Art. 269 Abs. 2 BStP).

2.
Der sich selbst vertretende Beschwerdeführer macht geltend, der fragliche
Schlüsselanhänger könne schon deshalb keine Waffe sein, weil er bei der
Einfuhr in die Schweiz von den Zollbehörden nicht beschlagnahmt und hier in
einem Ladengeschäft frei erworben worden sei. Aufgrund dessen habe er in
guten Treuen annehmen dürfen, der Schlüsselanhänger könne legal getragen
werden bzw. es handle sich dabei nicht um eine Waffe. Die Vorinstanz belege
denn auch nicht, dass und inwiefern es die Absicht des Herstellers und der
Vertreiber des Gegenstandes gewesen sei, diesen als Waffe in den Verkehr zu
bringen.

2.1 Nach den Feststellungen des Bezirksgerichts, auf dessen Erwägungen die
Vorinstanz im Wesentlichen verweist, handelt es sich beim fraglichen
Gegenstand um einen Schlüsselanhänger aus durchsichtigem Hartplastik in
^-Form mit einem zweiten Querbalken in der Mitte des Längsbalkens und einer
Öse für den Schlüsselbund. Die Balken sind alle rund 1 cm dick. Die Spitze
des Längsbalkens ist verstärkt bzw. verbreitert. Der Gegenstand misst in der
Länge 7,5 cm und in der Breite 5 cm. Er lässt sich so in die Hand nehmen,
dass der untere Querbalken in die Handfläche zu liegen kommt, während bei
geballter Faust die Finger den oberen Querbalken umschliessen und vom
abgerundeten Ende mit der Spitze um rund 1,5 cm überragt werden. Mit der
Spitze gegen oben gleicht der Gegenstand einer stilisierten schlanken Figur
im Lotussitz mit ausgestreckten Armen.

2.2 Gemäss Art. 4 Abs. 1 lit. d des Bundesgesetzes über Waffen, Waffenzubehör
und Munition vom 20. Juni 1997 (Waffengesetz, WG; SR 514.45) gelten als
Waffen im Sinne des Gesetzes "Geräte, die dazu bestimmt sind, Menschen zu
verletzen, namentlich Schlagringe, Schlagruten, Schlagstöcke, Wurfsterne,
Wurfmesser und Hochleistungsschleudern". Die Aufzählung ist nicht
abschliessend, was durch das Wort "namentlich" verdeutlicht wird. Das WG
zählt an anderer Stelle Geräte hinzu, die einen Gebrauchsgegenstand
vortäuschen (Art. 5 Abs. 1 lit. d WG).

Die in Art. 4 Abs. 1 lit. d WG genannten Waffen dürfen nach Art. 5 Abs. 1
lit. c WG nicht erworben, getragen, an Empfänger im Inland vermittelt oder in
die Schweiz eingeführt werden. Gemäss Art. 33 Abs. 1 lit. a WG in der
ursprünglichen, bis Ende Februar 2002 geltenden Fassung (vgl. AS 1998 2535)
wird mit Gefängnis oder Busse bestraft, wer vorsätzlich ohne Berechtigung
Waffen, wesentliche Waffenbestandteile, Waffenzubehör, Munition oder
Munitionsbestandteile überträgt, vermittelt, erwirbt, herstellt, abändert,
trägt oder ein-, aus- oder durchführt (vgl. die neue Fassung der Bestimmung
vom 22. Juni 2001, in Kraft seit dem 1. März 2002 [AS 2002 248, 257; BBl 2000
3369]: "Mit Gefängnis oder Busse wird bestraft, wer vorsätzlich ohne
Berechtigung Waffen, wesentliche oder besonders konstruierte
Waffenbestandteile, Waffenzubehör, Munition oder Munitionsbestandteile
überträgt, vermittelt, erwirbt, herstellt, abändert, trägt oder einführt").

Bei den in Art. 4 Abs. 1 lit. d WG genannten Beispielen handelt es sich um
Hieb-, Stoss- und Wurfgeräte. Nach der Botschaft des Bundesrates zum
Bundesgesetz über Waffen, Waffenzubehör und Munition vom 24. Januar 1996 (BBl
1996 I 1053-1092, 1058 f.) sollten unter anderem Armbrüste, Pfeilbögen und
Steinschleudern vom Gesetz bzw. vom Begriff der Waffe ausgenommen werden. Die
Hochleistungsschleudern wurden erst im Gesetzgebungsverfahren vom Nationalrat
ausdrücklich ins Gesetz aufgenommen (AB N 1997 I 24).

2.3 Der hier zu beurteilende Gegenstand lässt sich nicht unter die in Art. 4
Abs. 1 lit. d WG aufgezählten Geräte einordnen. Er weist keine Ringe auf, in
welche die Finger für eine bessere Schlagkraft und zum Schutz vor eigenen
Verletzungen geführt werden könnten. Er gilt deshalb nicht als Schlagring. Zu
prüfen bleibt, ob er im Sinne des Waffengesetzes dazu bestimmt ist, Menschen
zu verletzen.

Der Wortlaut von Art. 4 Abs. 1 lit. d WG lässt offen, ob die Zweckbestimmung
der Geräte rein objektiv zu verstehen ist oder auch subjektive Momente
massgebend sein sollen bzw. können. Die Botschaft schweigt sich dazu und zur
Tragweite der Norm überhaupt aus (Botschaft, BBl 1996 I 1058 f.). Die Lehre
geht übereinstimmend von einem objektiven Verständnis der Zweckbestimmung aus
(Philippe Weissenberger, Die Strafbestimmungen des Waffengesetzes, AJP 2000,
S. 153-171, 158; Hans Wüst, Schweizer Waffenrecht, Zürich 1999, S. 44 f., 58
f.).
Das Abstellen auf die nach dem Erscheinungsbild und der allgemeinen
Verkehrsanschauung objektiv erkennbare Zweckbestimmung der Gegenstände
entspricht angesichts der im Gesetz beispielhaft aufgezählten Waffenarten,
deren Beschaffenheit keine Zweifel an ihrer objektiven Zweckbestimmung lässt,
eindeutig den Intentionen des Gesetzgebers. Damit stellt das Gesetz auf das
einzige verhältnismässig verlässliche Abgrenzungskriterium ab. Subjektive
Momente sind somit unbeachtlich. Wollte man anders entscheiden, würde etwa
der Wille einer Person, einen Alltagsgegenstand wie zum Beispiel ein
Küchenmesser (gegebenenfalls) zweckwidrig zur Verletzung von Menschen
einzusetzen, den Gegenstand zu einer Waffe im Sinne des Waffengesetzes werden
lassen. Damit könnte bei entsprechendem Willen des Betroffenen fast jeder
Gegenstand von Art. 4 Abs. 1 lit. d WG erfasst werden. Das würde aber dem
Tatbestand jegliche Konturen nehmen und insbesondere gegen das
Bestimmtheitsgebot und das Verhältnismässigkeitsprinzip verstossen. Das
Gesetz wäre zudem nicht mehr praktikabel. Das gilt angesichts der
Beweisschwierigkeiten auch in den umgekehrten Konstellationen, in denen
jemand angibt, mit einer Waffe keine Menschen verletzen zu wollen, sondern
sie etwa zum Schutz gegen Hunde auf sich zu tragen.

Abzustellen ist somit auf die objektiv erkennbare Zweckbestimmung von
Gegenständen. Dabei brauchen diese nicht ausschliesslich dazu bestimmt zu
sein, Menschen zu verletzen, d.h. Verletzungen im Sinne der Art. 122 und 123
StGB zuzufügen (zum letzten Kriterium Weissenberger, a.a.O., S. 158).
Vielmehr genügt es, wenn dies wesensgemäss und nach objektiven Kriterien
betrachtet ihrer zentralen oder zumindest überwiegenden Zweckbestimmung
entspricht (vgl. Weissenberger, a.a.O., S. 158).

2.4 Der Gegenstand lässt sich auf den ersten Blick nicht als Waffe im Sinne
von Art. 4 Abs. 1 lit. d WG einordnen. Auf Grund der Unbestimmtheit des
Tatbestandes und der laut der Botschaft ausgenommenen "Waffen" wie Pfeilbogen
und Armbrust (vgl. oben E. 2.2 Abs. 3) ist Art. 4 Abs. 1 lit. d WG mit Blick
auf Art. 1 StGB restriktiv auszulegen. Das bedeutet, dass nur Gegenstände als
Waffen gelten können, die mit den im Gesetz beispielhaft genannten Geräten
unter dem Aspekt der klaren Zweckbestimmung vergleichbar sind. Das ist hier
der Fall.

Wie die Vorinstanzen richtig ausführen, lässt sich der Gegenstand so in die
Hand nehmen, dass der obere Querbalken in die Handfläche zu liegen kommt,
während das andere Ende mit der Spitze bei zur Faust geformter Hand die
Finger um ca. 1,5 cm überragt. Die Wucht eines mit dem Gerät ausgeführten
Faustschlags konzentriert sich somit auf die verstärkte Spitze des
Längsbalkens. Es können mit seiner Hilfe gefährlichere Verletzungen zugefügt
werden als mit blosser Hand. Angesichts seiner sperrigen und unbequemen Form
ist die Verwendung ausschliesslich als Schlüsselanhänger nicht real oder
steht zumindest nicht im Vordergrund. Form und ersichtliche Hauptfunktion
lassen objektiv keinen anderen Schluss zu, als dass der Gegenstand zu dem in
Art. 4 Abs. 1 lit. d WG genannten Zweck konzipiert und hergestellt wurde.
Insofern unterscheidet er sich von anderen Geräten wie zum Beispiel
Hotelschlüsselanhängern oder Kugelschreibern, die bloss dazu geeignet, aber
nicht objektiv dazu bestimmt sind, Menschen zu verletzen. Die Vorinstanz hat
den Gegenstand daher zutreffend unter die genannte Norm eingeordnet.

Der Beschwerdeführer verstiess somit gegen das Waffentragverbot nach Art. 5
Abs. 1 lit. c WG. Im Übrigen hat er auch subjektiv den Tatbestand des Art. 33
Abs. 1 lit. a WG erfüllt. Seine Verurteilung ist bundesrechtlich nicht zu
beanstanden.

3.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege.
Angesichts seiner ausgewiesenen Mittellosigkeit und seiner nicht von
vornherein aussichtslosen Begehren ist das Gesuch gutzuheissen (Art. 152 Abs.
1 OG). Da ihm keine Anwaltskosten entstanden sind, ist keine
Parteientschädigung auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Es werden keine Kosten erhoben und keine Parteientschädigung ausgerichtet.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 10. September 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: