Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.8/2003
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6S.8/2003 /kra

Urteil vom 19. März 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiberin Krauskopf.

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Bezirke Zürich und Dietikon, 8026
Zürich,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Werner Meier, Postfach
1931, 8026 Zürich.

Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer, vom 31. Oktober 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 13. Mai 2001 verursachte eine von X.________ begleitete unbekannte Frau in
Zürich an der A.________strasse mit einem Personenwagen einen Unfall, bei dem
Sachschaden entstand. X.________ übernahm darauf das Steuer und fuhr weiter,
wobei er ein Rechtsabbiegeverbot missachtete. Weder er noch seine Beifahrerin
meldeten den Unfall.

B.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte X.________ am 5. Juni 2002 wegen
einfacher Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 1 SVG) zu einer Busse
von Fr. 400.--.

C.
Auf Berufung der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich bestätigte das
Obergericht des Kantons Zürich das erstinstanzliche Urteil am 31. Oktober
2002.

D.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das Urteil des Obergerichts sei
aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

Der Beschwerdegegner wurde nicht zur Vernehmlassung eingeladen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Beschwerdeführerin macht geltend, der Tatbestand von Art. 91 Abs. 3 SVG
sei erfüllt. Unter Berufung auf BGE 100 IV 258 führt sie aus, diese
Bestimmung erfasse alle Personen, welche sich nach Art. 55 Abs. 2 SVG einer
Blutprobe zu unterziehen hätten. Ob die Lenkerin fahrunfähig gewesen sei, sei
irrelevant. Vielmehr komme es darauf an, ob der Beschwerdegegner die Umstände
kannte, welche mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer Blutprobe geführt
hätten. Da die Lenkerin gegen Wirtschaftsschluss ohne erkennbaren Grund gegen
eine Traminsel gefahren sei, habe er damit rechnen müssen, dass sie beide
einer Blutprobe unterzogen würden: Sie als Lenkerin und er, weil der Verdacht
nahe gelegen sei, er habe einer fahrunfähigen Person das Auto überlassen.
Indem der Beschwerdegegner dennoch den Unfall nicht meldete, habe er sich der
Vereitelung einer Blutprobe schuldig gemacht.

2.
Die von der Beschwerdeführerin angeführte Rechtsprechung (BGE 100 IV 258)
beruht auf der Anwendung von Art. 55 Abs. 1 aSVG (der dem heute geltenden
Art. 55 Abs. 2 SVG entspricht) in Verbindung mit Art. 91 Abs. 3 aSVG. Diese
Rechtsprechung geht davon aus, dass nicht nur Fahrzeugführer einer Blutprobe
unterzogen werden können, sondern auf Grund von Art. 55 Abs. 1 SVG alle an
einem Unfall beteiligten Strassenbenützer. Im damals zu beurteilenden Fall
war der Halter insofern am Unfall beteiligt, als er sein Fahrzeug einer
angetrunkenen Person überliess und während des Unfallvorgangs als Beifahrer
direkt ins Lenkrad griff.

In seiner späteren Rechtsprechung weist der Kassationshof darauf hin, dass
der Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe, der ein Erfolgsdelikt
normiert, durch Unterlassung nur erfüllt werden kann, wenn den Betroffenen
eine Rechtspflicht zur Vornahme der unterlassenen Handlung trifft. Die
Unterlassung der sofortigen Meldung an die Polizei erfüllt daher den
Tatbestand der Vereitelung einer Blutprobe nur, wenn kumulativ (1) der
Fahrzeuglenker gemäss einer gesetzlichen Bestimmung zur sofortigen Meldung
verpflichtet ist, (2) die Benachrichtigung der Polizei möglich ist und wenn
(3) bei objektiver Betrachtung aller Umstände die Polizei bei Meldung des
Unfalls mit hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe anordnen würde (BGE 109
IV 137 E. 2 S. 139). Diese Rechtsprechung wurde auch für die neue Fassung des
Art. 91 Abs. 3 SVG bestätigt. Präzisierend hält der Kassationshof zudem fest,
dass die verletzte Meldepflicht der Abklärung des Unfalls und des Zustands
des Fahrzeuglenkers dienen muss. Dies trifft für die Meldepflicht nach Art.
51 Abs. 1 SVG nicht zu (BGE 126 IV 53 E. 2a S. 55 mit Hinweisen).

Art. 55 Abs. 2 SVG begründet keine Meldepflicht. Vielmehr ermächtigt diese
Bestimmung die zuständige Behörde, die in Art. 55 Abs. 2 SVG beschriebenen
Handlungen vorzunehmen.

Zu prüfen bleibt, ob dem Beschwerdegegner eine Meldepflicht nach Art. 51 Abs.
3 SVG oblag. Gemäss dieser Bestimmung hat der Schädiger bei einem Unfall, der
nur Sachschaden zur Folge hatte, sofort den Geschädigten zu benachrichtigen
und Namen und Adresse anzugeben. Wenn dies nicht möglich ist, hat er
unverzüglich die Polizei zu verständigen. Im Gegensatz zu Art. 51 Abs. 2 SVG
spricht Art. 51 Abs. 3 SVG nicht vom Beteiligten, sondern vom Schädiger
(l'auteur, l'autore). Zweck dieser Bestimmung ist es, dass in Fällen, in
denen polizeiliche Erhebungen sich aufdrängen oder vom Geschädigten verlangt
werden, ein rasches Eingreifen der Polizei ermöglicht wird (BGE 91 IV 22 E. 1
S. 23). Dadurch soll auch dem Geschädigten die Geltendmachung seiner
Ansprüche erleichtert werden (Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen
Strassenverkehrsrechts, Band I, 2. Aufl., N. 1006). Schädiger im Sinne von
Art. 51 Abs. 3 SVG ist jeder, dessen Verhalten für den Unfall ursächlich war,
selbst wenn er nur und sogar schuldlos eine Teilursache setzte und auch wenn
er selber durch den Unfall geschädigt wurde (BGE 90 IV 219 E. 2 S. 223;
Urteil 6S.275/1995 vom 22. August 1995, E. 3b/aa, zit. in Pra 1996 177 647;
vgl. auch Schultz, zit. in Schaffhauser, a.a.O., N. 1005).
Es ist aus den Feststellungen der Vorinstanz nicht ersichtlich und die
Beschwerdeführerin behauptet auch nicht, dass der Beschwerdegegner in die
Fahrweise der Lenkerin eingegriffen habe. Insofern unterscheidet sich der
vorliegende Fall von dem in BGE 100 IV 258 massgebenden Sachverhalt. Die
Vorinstanz stellt fest, dass es keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die
Lenkerin unter Alkoholeinfluss gestanden habe. Auch andere Anhaltspunkte
dafür, dass der Beschwerdegegner eine Ursache zum Unfall gesetzt habe und
somit als Schädiger im Sinne von Art. 51 Abs. 3 SVG zu bezeichnen wäre,
liegen nicht vor. Ihn traf daher keine Meldepflicht. Im Übrigen ist nicht
anzunehmen, dass die Polizei, wäre sie zur Unfallstelle gerufen worden, mit
hoher Wahrscheinlichkeit eine Blutprobe beim Beifahrer angeordnet hätte. Die
Vorinstanz verletzte somit kein Bundesrecht, als sie ihn vom Vorwurf der
Vereitelung einer Blutprobe (Art. 91 Abs. 3 SVG) freisprach.

Schliesslich ist im bundesgerichtlichen Verfahren nicht mehr umstritten, dass
sich der Beschwerdegegner auch nicht der Gehilfenschaft zur Vereitelung einer
Blutprobe der Lenkerin, welche die Kollision verursachte, schuldig gemacht
hat, weil er mit dem Auto von der Unfallstelle wegfuhr.

3.
In Anwendung von Art. 278 Abs. 2 BStP werden keine Kosten erhoben. Dem
Beschwerdegegner wird mangels Umtrieben keine Parteientschädigung
ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. März 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: