Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.84/2003
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6S.84/2003 /bmt

Urteil vom 28. Mai 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Garré.

Generalprokurator des Kantons Bern, 3001 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

U.________,
Beschwerdegegner.

Widerruf des bedingten Strafvollzuges,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2.
Strafkammer,
vom 18. Juni 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 1. Juni 1999 erklärte das Kreisgericht X Thun U.________  der mehrfachen
Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz schuldig und verurteilte ihn
zu 14 Monaten Gefängnis unter Gewährung des bedingten Strafvollzuges bei
einer Probezeit von 3 Jahren.

B.
Am 6. Dezember 1999 wurde U.________ an der niederländisch-deutschen Grenze
mit ungefähr 5'000 Ecstasy-Tabletten festgenommen. Das Amtsgericht Bad
Kreuznach (D) verurteilte ihn mit Urteil vom 26. Januar 2000 zu einer
Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 6 Monaten wegen Einfuhr von
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Handeltreiben mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.

Nach Verbüssung von zwei Dritteln dieser Strafe wurde er am 4. August 2001
aus dem Strafvollzug bedingt entlassen bei einer Bewährungszeit von 3 Jahren.

C.
Mit Urteil vom 26. Februar 2002 entschied das Kreisgericht X Thun, den am 1.
Juni 1999 gewährten bedingten Strafvollzug für die Strafe von 14 Monaten
Gefängnis nicht zu widerrufen. U.________ wurde aber verwarnt und die
Probezeit um 1 ½ Jahre verlängert. Das Gericht erlegte ihm überdies die
Weisung auf, die beabsichtigte Psychotherapie bis spätestens Ende März 2002
aufzunehmen und so lange weiterzuführen, als dies fachlich erforderlich sei.

D.
Auf Appellation des Generalprokurators hin bestätigte die 2. Strafkammer des
Obergerichts des Kantons Bern am 18. Juni 2002 das erstinstanzliche Urteil.

E.
Gegen den obergerichtlichen Entscheid erhebt der Generalprokurator des
Kantons Bern eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das
angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückzuweisen.

F.
Die Einladung zur Vernehmlassung wurde dem Beschwerdegegner  zugestellt. Er
hat aber den eingeschriebenen Brief nicht abgeholt. Die amtliche
Verteidigerin, Frau Fürsprecherin Babette Gerber Baumann, hat sich innert
Frist nicht gemeldet.

Die Strafkammer des Obergerichts verzichtet auf Gegenbemerkungen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf einen leichten
Fall i. S. V. Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB erkannt. Das Vorliegen einer guten
Prognose wird hingegen nicht bestritten.

2.
Die Vorinstanz führt zur Begründung ihres Entscheids aus, der
Beschwerdegegner wäre in der Schweiz für die Rückfalltat mit einer Strafe von
ca. 7 Monaten bestraft worden. Man könne daher noch von einem leichten Fall
ausgehen.

3.
3.1 Begeht der Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen oder Vergehen,
handelt er trotz förmlicher Mahnung des Richters einer ihm erteilten Weisung
zuwider, entzieht er sich beharrlich der Schutzaufsicht oder täuscht er in
anderer Weise das auf ihn gesetzte Vertrauen, so lässt der Richter die Strafe
vollziehen (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB). Wenn begründete Aussicht auf
Bewährung besteht, kann der Richter in leichten Fällen stattdessen, je nach
den Umständen, den Verurteilten verwarnen, zusätzliche Massnahmen nach Art.
41 Ziff. 2 StGB anordnen und die im Urteil bestimmte Probezeit um höchstens
die Hälfte verlängern (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB). Nach der Rechtsprechung
ist ein leichter Fall im Sinne von Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB in der Regel
bei Freiheitsstrafen bis zu 3 Monaten anzunehmen. Ausnahmen sind möglich bei
besonderen (objektiven oder subjektiven) Umständen, die nicht bereits für den
Schuldspruch oder die Bemessung der Strafe bestimmend waren. Für die Annahme
eines leichten Falles trotz einer Strafe von mehr als 3 Monaten kann
beispielsweise sprechen, dass der nachträgliche Vollzug der aufgeschobenen
Strafe für den Täter eine unverhältnismässige Härte bedeuten würde (BGE 117
IV 97 E. 3c S. 102). Die Annahme eines leichten Falles kommt jedoch nur in
Betracht, wenn die Freiheitsstrafe in der Nähe von 3 Monaten liegt. Das
Bundesgericht hat deshalb einen leichten Fall bei einer Gefängnisstrafe in
der Grössenordnung von 7 Monaten verneint (BGE 122 IV 156 E. 3c).

3.2 Der Beschwerdegegner wurde für die Rückfalltat in Deutschland zu einer
Strafe von 2 Jahren und 6 Monaten verurteilt. Ob und in welchem Ausmass für
die gleiche Tat in der Schweiz eine kürzere Strafe ausgefällt worden wäre,
kann hier offen gelassen werden, da selbst die von der Vorinstanz
hypothetisch angenommene Gefängnisstrafe von 7 Monaten erheblich über der
zulässigen Grenze für die Annahme eines leichten Falls liegt. Eine auslegende
Berücksichtigung der Revision des Strafgesetzbuches ist bei einer so hohen
Strafe ausgeschlossen (vgl. Urteil 6S.167/2002, in BGE 128 IV 237 nicht
publizierte E. 3.2). Die Vorinstanz hat Bundesrecht verletzt. Die Beschwerde
ist gutzuheissen.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Bern aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 28. Mai 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: