Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.70/2003
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6S.70/2003 /kra

Urteil vom 8. Mai 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiberin Arquint.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Landesverweisung,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau,
1. Strafkammer, vom 16. Januar 2003.

Sachverhalt:

A.
Das Bezirksgericht Aarau verurteilte X.________ am 26. Juni 2002 wegen
mehrfachen Menschenhandels, mehrfachen Erleichterns des illegalen
Aufenthaltes in der Schweiz, versuchter Erpressung sowie  Nichtabgabe des
Fahrzeugausweises und der Kontrollschilder zu einer unbedingten
Gefängnisstrafe von 11 Monaten und einer Busse von Fr. 3'000.--. Ferner
verwies es ihn für die Dauer von 5 Jahren des Landes, wobei der bedingte
Strafaufschub nicht gewährt wurde. Im Weiteren widerrief das Bezirksgericht
den bedingten Vollzug zweier Gefängnisstrafen von 10 und 14 Tagen, die das
Obergericht des Kantons Aargau und das Bezirksamt Kulm am 14. Dezember 1998
bzw. am 18. März 1999 je wegen Urkundenfälschung ausgesprochen hatten.

Eine Berufung von X.________ gegen dieses Urteil wies das Obergericht des
Kantons Aargau am 16. Januar 2003 ab.

B.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts teilweise aufzuheben und den bedingten Vollzug der
Landesverweisung, unter Ansetzung einer angemessenen Probezeit,
auszusprechen.

Das Obergericht des Kantons Aargau verzichtet auf Gegenbemerkungen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde in Strafsachen ist kassatorischer
Natur und führt im Falle einer Gutheissung zur Aufhebung des angefochtenen
Urteils und Rückweisung der Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
(Art. 277ter Abs. 1 BStP), nicht aber zu einer neuen Entscheidung des
Bundesgerichts in der Sache selbst. Soweit der Beschwerdeführer mehr als die
Aufhebung des angefochtenen Urteils verlangt, ist auf die Beschwerde nicht
einzutreten.

2.
Das Bundesgericht ist an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Ausführungen, die sich gegen die
tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Entscheides richten, das
Vorbringen neuer Tatsachen, neue Einreden, Bestreitungen und Beweismittel
sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

Der Beschwerdeführer reicht erstmals im Verfahren vor Bundesgericht ein
Arztzeugnis ein. Dieses besagt, dass er an einer chronischen Erkrankung
leide, welche eine monatliche ärztliche Kontrollbehandlung erfordere. Seine
optimale Behandlung sei nur in der Schweiz gewährleistet. Eine allfällige
Umsiedlung ins Ausland würde die Verschlechterung seines Gesundheitszustandes
bewirken. Soweit sich der Beschwerdeführer auf das von ihm eingereichte
Arztzeugnis zur Begründung seiner Anträge beruft, kann er nicht gehört
werden. Der Kassationshof prüft die Anwendung des Bundesrechts
ausschliesslich auf der Grundlage des von der Vorinstanz festgestellten
Sachverhaltes (BGE 126 IV 65 E. 1). Auf die Beschwerde ist insoweit nicht
einzutreten.

3.
Der Beschwerdeführer beanstandet den ergangenen Schuldspruch und die
Anordnung der Landesverweisung als solche nicht. Hingegen rügt er die
Verweigerung des bedingten Strafvollzuges der Nebenstrafe und macht insoweit
eine Verletzung von Art. 55 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 41 Ziff. 1
StGB geltend.

3.1 Gemäss Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB kann der Richter den Vollzug einer
Nebenstrafe, in casu der Landesverweisung, aufschieben, wenn Vorleben und
Charakter des Verurteilten erwarten lassen, er werde dadurch von weiteren
Verbrechen oder Vergehen abgehalten.
Ob die Landesverweisung bedingt aufgeschoben werden soll, hängt einzig von
der Prognose über das zukünftige Verhalten des Verurteilten in der Schweiz
ab; nicht von Bedeutung ist dabei die Frage, ob die Aussichten der
Wiedereingliederung in der Schweiz oder im Heimatland besser sind. Ob der
Vollzug geeignet sei, den Angeklagten von der Begehung weiterer Straftaten
abzuhalten, muss auf Grund einer Gesamtwürdigung entschieden werden. In die
Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen das Vorleben und der
Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter
des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen. Es ist unzulässig,
unter den nach Art. 41 Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu berücksichtigenden Umständen
einzelnen eine vorrangige  Bedeutung beizumessen und andere zu
vernachlässigen oder überhaupt ausser Acht zu lassen (BGE 123 IV 107 E. 4a
mit Hinweisen).

Bei der Frage der Anordnung bzw. Verweigerung des bedingten Vollzuges der
Landesverweisung steht dem kantonalen Gericht ein erheblicher Spielraum des
Ermessens zu, bei dessen Ausübung es sich auf sachlich haltbare Gründe
stützen muss. Diese Gründe müssen im Urteil so wiedergegeben werden, dass
sich die richtige Anwendung des Bundesrechts nachprüfen lässt (BGE 119 IV 195
E. 3).

3.2 Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz habe bei seiner Beurteilung
nicht allen zentralen Elementen hinreichend Rechnung getragen. Sie habe sich
insbesondere bei der Würdigung seiner gesundheitlichen Situation auf drei
Worte beschränkt. Im Weiteren habe sie das Gesetz nicht richtig angewendet,
wenn sie seine Verwurzelung in der Schweiz verneine, obwohl er seit 30 Jahren
mit seiner Familie hier lebe.

3.3 Die Vorinstanz verweist bei der Beurteilung des bedingten Aufschubs der
Landesverweisung auf ihre Ausführungen zum bedingten Strafvollzug der
Gefängnisstrafe (angefochtener Entscheid, S. 22 ff. Ziff. 10b, S. 18 ff.
Ziff. 8c und d, S. 20 ff. Ziff. 10a).
Sie betont dabei namentlich, dass sich der Beschwerdeführer weder durch die
zahlreichen Vorstrafen noch die bedingt ausgesprochenen Freiheitsstrafen habe
beeindrucken lassen; vielmehr habe er selbst während des laufenden Verfahrens
in erheblicherem Rahmen weiter delinquiert. Aus seinem Verhalten und der
Tatsache, dass er alles bestreite und weiterhin in einschlägigen Kreisen
verkehre, müsse auf fehlende Einsicht und fehlendes Unrechtsbewusstsein
geschlossen werden (angefochtener Entscheid, S. 18 ff. Ziff. 8c).
Im Weiteren geht die Vorinstanz sowohl auf die Beziehungen des
Beschwerdeführers zum Heimatland als auch auf seine Integration in der
Schweiz ein. Überdies würdigt sie seine Ehe- und Familienverhältnisse. Im
Einzelnen stellt die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdeführer weiterhin
Beziehungen zu seiner türkischen Heimat habe, da er dort zumindest bis Ende
2000 Eigentümer einer Liegenschaft gewesen sei. Zudem lebe auch ein Sohn des
Beschwerdeführers in der Türkei, und er habe eigenen Angaben zufolge keine
Freunde in der Schweiz. Das Verhältnis zu seiner Ehefrau wird im Blick auf
die aussereheliche Beziehung des Beschwerdeführers zu einer jungen Slowakin
als nicht allzu gut beurteilt. Diese Umstände sowie die Tatsachen, dass der
Beschwerdeführer seit längerem nicht in der Arbeitswelt integriert ist und
auch nach rund 20 Jahren nur über schlechte Deutschkenntnisse verfügt, zeigen
nach Auffassung der Vorinstanz eine mangelhafte Verwurzelung des
Beschwerdeführers in der Schweiz (angefochtener Entscheid, S. 21 Ziff. 10a).

Schliesslich berücksichtigt die Vorinstanz auch den Gesundheitszustand des
Beschwerdeführers und qualifiziert seine Strafempfindlichkeit in der Folge
als durchschnittlich. Gestützt darauf wird eine Rückkehr des
Beschwerdeführers in die Türkei als zumutbar erachtet, da ihm auch IV-Rente
und Beiträge der Pensionskasse weiterhin ausbezahlt würden (angefochtener
Entscheid, S. 22 Ziff. 10a).

3.4 Wenn die Vorinstanz dem Beschwerdeführer unter diesen Umständen keine
günstige Prognose für sein künftiges Wohlverhalten in der Schweiz stellt,
verletzt dies kein Bundesrecht. Vielmehr genügt die vorinstanzliche
Begründung den bundesrechtlichen Anforderungen ohne weiteres, da alle
wesentlichen Aspekte, die bei der Gewährung des bedingten Strafvollzuges der
Landesverweisung zu prüfen sind, in die Beurteilung miteinbezogen und
nachvollziehbar gewürdigt worden sind.

Dass die Vorinstanz wohl versehentlich von einer rund 20- anstatt 30-jährigen
Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Schweiz ausgeht, ändert am Ergebnis
nichts. Denn es steht fest, dass der Beschwerdeführer - trotz seiner langen
Aufenthaltsdauer in der Schweiz - hier nicht gut integriert ist und immer
noch Beziehungen zum Heimatland pflegt. Gerade in dieser Hinsicht
unterscheidet sich der vorliegende Fall von einem früheren Urteil des
Bundesgerichts, auf dessen Anwendung sich der Beschwerdeführer beruft (BGE
104 IV 222 E. 1b). Im zitierten Präjudiz handelte es sich um einen Ausländer,
der - anders als der Beschwerdeführer - in der Schweiz verwurzelt war und
kaum mehr Beziehungen zum Ausland hatte. Unter diesem Blickwinkel steht die
lange Anwesenheit des Beschwerdeführers in der Schweiz der Anordnung einer
unbedingten Landesverweisung nicht entgegen.
Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet, soweit darauf eingetreten
werden kann.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Mit dem
Entscheid in der Sache wird das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. Mai 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: