Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.439/2003
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6S.439/2003 /pai

Urteil vom 11. August 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Schönknecht.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Till Gontersweiler,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwältin Brigitta Maag.

Nichtzulassung der Anklage (Ehrverletzung),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, vom 3. November 2003.

Sachverhalt:

A.
X.  ________ reichte am 16. Februar 2001 wegen Drohung und Missbrauchs des
Telefons Strafanzeige gegen Y.________ ein, aktueller Lebenspartner seines
früheren Freundes A.________. Am 9. April 2001 erhob er beim Bezirksgericht
zudem Privatstrafklage gegen Y.________, worin er dessen Bestrafung wegen
Beschimpfung beantragte.
Zuvor - am 29. Januar 2001 - hatten A.________ und seine Schwester B.________
ihrerseits Strafanträge wegen Drohung und Missbrauchs des Telefons gegen
X.________ gestellt, zogen diese am 13. bzw. 25. September 2001 aber
schriftlich zurück. Am 30. Oktober 2001 wurde X.________ von der
Bezirksanwaltschaft V für den Kanton Zürich nochmals als Angeschuldigter
befragt. In der entsprechenden Einvernahme erklärte er auf die Aufforderung
des Bezirksanwalts, endlich einen Schlussstrich unter die Angelegenheit zu
ziehen: "Das sehe ich schon ein. In bin dazu bereit. Ich ziehe den
Strafantrag gegen Y.________ zurück, aber nur, wenn die andere Seite ihre
Strafanträge ebenfalls zurückzieht. Die Sache soll erledigt sein. Der Rückzug
der Anträge muss schriftlich sein." In der Folge stellte die
Bezirksanwaltschaft V für den Kanton Zürich die Verfahren gegen X.________
und Y.________ wegen Drohung und Missbrauchs des Telefons mit Verfügungen vom

30. Oktober 2001 ein.

B.
In dem von X.________ angestrengten Privatstrafklageverfahren liess der
Bereichsvertreter des Einzelrichteramts in Zivil- und Strafsachen des Bezirks
Zürich die Anklage wegen Beschimpfung am 7. Januar 2003 vorerst zu. Am 18.
März 2003 zog er seine Verfügung in Wiedererwägung und liess die Anklage
wegen Fehlens eines Strafantrags definitiv nicht zu.
Gegen diesen Entscheid erhob X.________ Rekurs, welchen das Obergericht des
Kantons Zürich mit Beschluss vom 3. November 2003 abwies.

C.
X. ________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der
vorinstanzliche Beschluss sei aufzuheben und die Ehrverletzungsklage sei
zuzulassen.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde
von X.________ verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist kassatorischer Natur (Art.
277ter BStP). Soweit der Beschwerdeführer verlangt, seine Ehrverletzungsklage
sei zuzulassen, ist auf die Beschwerde daher nicht einzutreten.

2.
Die Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass die
angefochtene Entscheidung eidgenössisches Recht verletze. Die
staatsrechtliche Beschwerde wegen Verletzung verfassungsmässiger Rechte
bleibt vorbehalten (Art. 269 BStP). In der Beschwerdeschrift soll kurz
dargelegt werden, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den
angefochtenen Entscheid verletzt sind. Ausführungen, die sich gegen die
tatsächlichen Feststellungen des Entscheides richten, das Vorbringen neuer
Tatsachen, neue Einreden, Bestreitungen und Beweismittel, sowie Erörterungen
über die Verletzung kantonalen Rechts sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b
BStP).

2.1  Wenn der Beschwerdeführer beanstandet, die Vorinstanz habe ihm das
rechtliche Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verweigert, seinen Anspruch auf faire
Behandlung (Art. 29 Abs. 1 BV) verletzt sowie das Willkürverbot und die
Pflicht zu Handeln nach Treu und Glauben (Art. 9 BV) missachtet, macht er die
Verletzung verfassungsmässiger Rechte geltend. Da er die entsprechenden
Einwände mit staatsrechtlicher Beschwerde hätte vorbringen können, sind diese
im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde unzulässig, soweit
damit nicht zugleich auch eine Verletzung des eidgenössischen Strafrechts
geltend gemacht wird. Eine Behandlung der betreffenden Rügen als
staatsrechtliche Beschwerde kommt nicht in Betracht, denn aus der
Beschwerdeschrift erhellt, dass sich der durch einen Rechtsanwalt vertretene
Beschwerdeführer bewusst für die Nichtigkeitsbeschwerde entschieden hat (vgl.
BGE 129 IV 276 E. 1.1.4; 120 II 270 E. 2).
Gleiches gilt für die Rüge, die Vorinstanz habe aktenwidrige
Tatsachenfeststellungen getroffen. Zwar sieht Art. 277bis Abs. 1 Satz 3 BStP
vor, dass der Kassationshof offensichtlich auf Versehen beruhende
Feststellungen von Amtes wegen zu berichtigen hat. Der Anwendungsbereich der
Bestimmung ist jedoch sehr eng. Sobald die kantonale Behörde eine Tatsache
wie in casu gestützt auf die Beweiswürdigung festgestellt hat, fällt sie
ausser Betracht (vgl. BGE 118 IV 88 E. 2b). Der Beschwerdeführer hätte den
entsprechenden Einwand daher mit staatsrechtlicher Beschwerde wegen Willkür
in der Beweiswürdigung vortragen müssen.

2.2  Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit der Beschwerdeführer
die
Verletzung von kantonalem Recht rügt. Dies ist der Fall, wenn er anführt, im
zürcherischen Ehrverletzungsverfahren könne ein gültiger Rückzug des
Strafantrags nur durch Fallenlassen der Anklage erfolgen; Form und Adressat
der Rückzugserklärung bestimmen sich allein nach kantonalem Recht (BGE 89 IV
57 E. 3; Christof Riedo, Basler-Kommentar, N. 6 zu Art. 31 StGB; vgl. auch
BGE 103 IV 131 E. 1). Unzulässig ist ferner die Rüge, die Vorinstanz habe im
Zusammenhang mit der Nichtzulassung der Anklage das Legalitätsprinzip
verletzt, begründet er diese doch damit, Bestimmungen des kantonalen
Prozessrechts seien missachtet worden.
Auf kantonales Recht beruft sich der Beschwerdeführer schliesslich insoweit,
als er vorbringt, die Voraussetzungen für eine polizeiliche Vorführung zu
seiner Einvernahme vom 30. Oktober 2001 hätten nach zürcherischem
Prozessrecht nicht vorgelegen. Auf diesen Einwand ist nicht einzutreten.
Dasselbe gilt, soweit der Beschwerdeführer geltend macht, der Rückzug des
Strafantrags sei wegen der angeblichen Prozessrechtsverletzung nichtig. Beim
Rückzug des Strafantrags handelt es sich wie beim Antrag selbst um eine
Willensäusserung (BGE 89 IV 57 E. 3a). Auch wenn mit der neueren Lehre davon
ausgegangen wird, dass zumindest Täuschung und Furchterregung nicht
unberücksichtigt bleiben dürfen (Christof Riedo, a.a.O., N. 18 zu Art. 31
StGB mit Hinweisen), erscheint der Rückzug gültig. Denn der Beschwerdeführer
tut nicht dar, inwiefern seine in der Einvernahme geäusserte
Rückzugserklärung auf eine Täuschung oder Drohung zurückzuführen ist. Die
gerügte Druckausübung durch den Bezirksanwalt erfolgte jedenfalls erst, als
der Beschwerdeführer den Strafantrag schon zurückgezogen hatte.

3.
Der Beschwerdeführer stellt nicht in Frage, dass das Vorliegen eines gültigen
Strafantrags eine Prozessvoraussetzung für die Durchführung des
Privatstrafklageverfahrens gegen den Beschwerdegegner darstellt. Er
bestreitet aber, den mit Einreichung der Klage erklärten Antrag in seiner
bezirksanwaltschaftlichen Einvernahme vom 30. Oktober 2001 rechtswirksam
zurückgezogen zu haben.

4.
Nach Auffassung des Beschwerdeführers war die Rückzugserklärung an eine
Bedingung geknüpft, weshalb sie von vornherein keine Rechtswirkungen habe
zeitigen können.
Es trifft zu, dass ein an eine suspensive Bedingung geknüpfter Rückzug des
Strafantrags nach der Rechtsprechung ungültig ist (BGE 79 IV 97 E. 2; 106 IV
174 E. 2). Eine Bedingung im Rechtssinne liegt indes nur vor, wenn der
Rückzug vom Eintritt eines zukünftigen, ungewissen Ereignisses abhängig
gemacht wird (vgl. Art. 151 Abs. 1 OR). Dies war vorliegend nicht der Fall.
Denn der Beschwerdeführer machte seinen Rückzug davon abhängig, dass
A.________ und B.________ die gegen ihn gestellten Strafanträge ebenfalls
zurückziehen würden. Diese hatten gegenüber dem Bezirksanwalt aber bereits
entsprechende Erklärungen abgegeben, womit das fragliche Ereignis zum
Zeitpunkt des Rückzugs bereits eingetreten war (vgl. Peter Gauch/Walter R.
Schluep/Jörg Schmid/Heinz Rey, Schweizerisches Obligationenrecht -
Allgemeiner Teil, Band II, 8. Aufl., Zürich 2003, N. 4260 ff.). Der Einwand
des Beschwerdeführers, seine Erklärung sei von vornherein ungültig gewesen,
geht daher fehl.

5.
Weiter stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, seine
Rückzugserklärung habe sich nur auf das Verfahren wegen Drohung und
Missbrauchs des Telefons und nicht auf dasjenige wegen Beschimpfung bezogen.
Indem die Vorinstanz die gegenteilige Ansicht vertrete, verletze sie
Bundesrecht.

5.1  Gemäss Art. 31 Abs. 1 StGB kann der Berechtigte seinen Antrag
zurückziehen, solange das Urteil erster Instanz noch nicht verkündet ist.
Verlangt ist eine auf Rückzug gerichtete Willenserklärung, wobei der
entsprechende Wille unmissverständlich zum Ausdruck kommen muss (BGE 89 IV 57
E. 3a mit Hinweisen). Ob dies der Fall ist, stellt eine Rechtsfrage dar, die
vom Bundesgericht im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde geprüft werden kann
(BGE 79 IV 97 E. 1 mit Hinweisen).

5.2  Nach den verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz lag
den gegen den Beschwerdegegner gerichteten Verfahren wegen Drohung sowie
Missbrauchs des Telefons und dem Ehrverletzungsverfahren wegen Beschimpfung
der gleiche Lebenssachverhalt zugrunde. Dies bedeutet indes nicht, dass der
Strafantrag nur für beide Verfahren gemeinsam zurückgezogen werden konnte.
Nach der Rechtsprechung ist es zulässig, den Antrag auf bestimmte rechtliche
Aspekte des Täterverhaltens zu beschränken (BGE 115 IV 1 E. 2a; Christof
Riedo, a.a.O., N. 10 zu Art. 30 StGB; ausführlich Walter Huber, Die
allgemeinen Regeln über den Strafantrag im schweizerischen Recht [StGB
28-31], Diss. Zürich 1967, S. 37 ff.). Entsprechendes muss nach zutreffender
Auffassung für den Rückzug des Antrags gelten (Christof Riedo, a.a.O., N. 36
zu Art. 31 StGB).
Da der Beschwerdeführer seine Rückzugserklärung vom 30. Oktober 2001 nicht
ausdrücklich auf das Verfahren wegen Drohung und Missbrauchs des Telefons
beschränkte, ist zu prüfen, ob die Äusserung allenfalls aufgrund der
konkreten Umstände als Teilrückzug verstanden werden musste.

5.3  Zusammen mit der Rückzugserklärung gab der Beschwerdeführer in seiner
Einvernahme vom 30. Oktober 2001 zu Protokoll, er sei bereit, einen
Schlussstrich unter die "Angelegenheit" zu ziehen; die "Sache" solle erledigt
sein. Wie die Vorinstanz überzeugend ausführt, konnte darunter mangels
inhaltlicher Konkretisierung nur der Lebenssachverhalt verstanden werden, der
beiden Verfahren gemeinsam zugrunde lag. Eine inhaltliche Beschränkung der
Erklärung kann auch nicht aus dem Umstand geschlossen werden, dass der
Beschwerdeführer ausführte, er ziehe "den" Strafantrag zurück. Hätte er auf
diese Weise tatsächlich deutlich machen wollen, dass er nur einen der beiden
Anträge zurückziehe, hätte er anschliessend wohl ausgeführt, auf welches
Verfahren er sich bezog. Dass er gleichwohl den Singular verwendete, liesse
sich unter anderem damit erklären, dass er sich als juristischer Leihe unter
Umständen gar nicht bewusst war, zwei Strafanträge gestellt zu haben.
Somit stellt sich lediglich die Frage, ob sich der Rückzug des Strafantrags
auf das Privatstrafklageverfahren beziehen konnte, obwohl der Bezirksanwalt -
nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz - von diesem gar keine
Kenntnis hatte. Da sich nach kantonalen Recht beurteilt, bei welcher Behörde
und in welcher Form die Rückzugserklärung abzugeben ist, hat die Vorinstanz
für das Verfahren der Nichtigkeitsbeschwerde zwar verbindlich festgestellt,
dass der Bezirksanwalt die entsprechende Willensäusserung entgegennehmen
konnte (vgl. E. 2.2). Dies bedeutet indes nicht, dass die Erklärung auch aus
dessen Sicht auszulegen wäre. Denn mit dem Rückzug des Strafantrags gibt der
Antragsteller seinen Willen kund, dass die Strafverfolgung nicht
weitergeführt werden soll. Die Erklärung richtet sich somit an diejenige
Behörde, welche für die Prüfung der Prozessvoraussetzungen zuständig ist
(vgl. Walter Huber, a.a.O., S. 58 a.E.). Darf der Rückzug wie im vorliegenden
Fall bei einer Behörde erklärt werden, die mit der in der Sache zuständigen
nicht identisch ist, kann es bei der Auslegung der Erklärung folglich allein
auf das Wissen der letzteren ankommen.
Zusammenfassend ergibt sich, dass der Beschwerdeführer mit seiner Äusserung
gegenüber dem Bezirksanwalt unmissverständlich den Willen zum Ausdruck
brachte, im Sinne einer Gesamtbereinigung zu bewirken, dass beide gegen den
Beschwerdegegner gerichteten Verfahren nicht weitergeführt werden sollten.
Die Kritik an der entsprechenden Auffassung der Vorinstanz erweist sich somit
als unbegründet.

6.
Nicht stichhaltig ist die Beschwerde schliesslich insoweit, als der
Beschwerdeführer geltend macht, der Rückzug des Strafantrags hätte vom
Bereichsvertreter des Einzelrichteramts nur auf Einrede des Beschwerdegegners
berücksichtigt werden dürfen. Als Prozessvoraussetzung ist das Vorliegen
eines gültigen Strafantrags von Amtes wegen zu prüfen (BGE 116 IV 80 E. 2a;
Niklaus Schmid, a.a.O., N. 532). Die Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach
abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig
(Art. 278 Abs. 1 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 11. August 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: