Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.426/2003
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6S.426/2003 /pai

Urteil vom 1. März 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Schönknecht.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Roland Schaub,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Mittäterschaft (Art. 24 StGB), Gefährdung des Lebens (Art. 129 StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer, vom 12. September 2003.

Sachverhalt:

A.
Nachdem X.________ von A.________ gebeten worden war, ihm beim Eintreiben von
Fr. 100'000.-- behilflich zu sein, forderte ihn A.________ am 25. Mai 2000
telefonisch auf, in ein Restaurant zu kommen. Von dort fuhren die Männer an
den Wohnort von B.________. Nach dem Tatplan wollten sie diesem in der
Sammelgarage seiner Wohnliegenschaft auflauern, ihn mit einem geladenen
Revolver gemeinsam überwältigen, mit Klebeband fesseln und anschliessend in
das Auto von A.________ verladen.
Als X.________ und A.________ in der Garage hinter einem Auto auf B.________
warteten, entfernte A.________ auf X.________s Verlangen die erste Patrone
aus der Revolvertrommel, damit sich nicht ungewollt ein Schuss lösen könne.
Gegen 21.50 Uhr fuhr B.________ in die Garage, parkierte sein Auto und stieg
aus. In diesem Augenblick stürmten A.________ und X.________ nacheinander aus
ihrem Versteck und rannten auf B.________ zu, wobei A.________ den Revolver
in der rechten Hand hielt. B.________ ergriff sofort die Flucht, wurde aber
von A.________ im Bereich des Garagentors eingeholt. In der Folge kam es zu
einem Handgemenge zwischen den beiden Männern, bei dem X.________ im
Hintergrund blieb. B.________ gelang es dabei, sich loszureissen. Vor dem
Hauseingang der Liegenschaft holte ihn A.________ erneut ein, und es kam zu
einem weiteren Gerangel. In dessen Verlauf versuchte B.________ A.________s
rechten Arm wegzuschlagen, woraufhin sich ein Schuss aus A.________s Revolver
löste und B.________ an der linken Schulter verletzte.

B.
Mit Urteil vom 12. September 2003 verurteilte das Obergericht des Kantons
Zürich X.________ in zweiter Instanz wegen Gefährdung des Lebens, versuchter
Freiheitsberaubung sowie weiterer Delikte zu einer Freiheitsstrafe von 4
Jahren Zuchthaus. Als Nebenstrafe sprach es eine Landesverweisung von 7
Jahren aus, deren Vollzug nicht aufgeschoben wurde.

C.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, Ziffer
1 des vorinstanzlichen Urteilsdispositivs sei aufzuheben und der
Beschwerdeführer vom Vorwurf der Gefährdung des Lebens freizusprechen.
Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.
Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf Gegenbemerkungen.
Ebenso verzichtet die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich auf eine
Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist kassatorischer Natur (Art.
277ter BStP). Soweit der Beschwerdeführer verlangt, er sei vom Vorwurf der
Gefährdung des Lebens freizusprechen, ist auf die Beschwerde nicht
einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe ihn in Bezug auf den
Tatbestand der Gefährdung des Lebens zu Unrecht als Mittäter qualifiziert, da
es an dem für die Mittäterschaft erforderlichen gemeinsamen Tatentschluss
fehle.

2.1 Mittäter ist nach der Rechtsprechung, wer bei der Entschliessung, Planung
oder Ausführung eines Delikts vorsätzlich und in massgebender Weise mit
anderen Tätern zusammenwirkt, so dass er als Hauptbeteiligter dasteht. Dabei
kommt es darauf an, ob der Tatbeitrag nach den Umständen des konkreten Falles
und dem Tatplan für die Ausführung des Deliktes so wesentlich ist, dass sie
mit ihm steht oder fällt. In subjektiver Hinsicht setzt Mittäterschaft einen
gemeinsamen Tatentschluss voraus, wobei dieser nicht ausdrücklich bekundet
werden muss; es genügt, wenn er konkludent zum Ausdruck kommt. Dabei ist
nicht erforderlich, dass der Mittäter bei der Entschlussfassung mitwirkt,
sondern es reicht aus, dass er sich später den Vorsatz seiner Mittäter zu
eigen macht. Dies kann auch erst im Laufe der Tatausführung geschehen (BGE
125 IV 134 E. 3a mit Hinweisen).

2.2 Nach Art. 129 StGB wird mit Zuchthaus bis zu fünf Jahren oder mit
Gefängnis bestraft, wer einen Menschen in skrupelloser Weise in unmittelbare
Lebensgefahr bringt.
In der bis zum 31. Dezember 1989 geltenden Fassung setzte Art. 129 Abs. 1
StGB in subjektiver Hinsicht voraus, dass der Täter die unmittelbare
Lebensgefahr "wissentlich" herbeiführte, was nach der Rechtsprechung des
Kassationshofs zu bejahen war, wenn der Täter die Gefahr kannte und trotzdem
handelte (BGE 106 IV 12 E. 2b). Dabei musste er sich bewusst sein, dass sein
Handeln die Gefährdung notwendig zur Folge hat. Eventualvorsatz genügte nicht
(BGE 94 IV 60 E. 3b).
Wie sich aus den Gesetzesmaterialien zweifelsfrei ergibt, sollte durch den
Verzicht auf den Begriff "wissentlich" in der neuen Fassung von Art. 129 StGB
keine Änderung der Rechtslage herbeigeführt werden. So hielt der Bundesrat
fest, der Begriff sei entbehrlich und könne gestrichen werden. Dass ein
eventualvorsätzliches Verhalten den Tatbestand nicht erfüllen könne, ergebe
sich bereits daraus, dass der Täter eine "unmittelbare" Lebensgefahr schaffen
müsse (Botschaft, BBl 1985 II 1037; AB 1989 N 685). Somit rechtfertigt es
sich, auch nach der revidierten Fassung am Erfordernis des direkten Vorsatzes
in Bezug auf die Herbeiführung der Lebensgefahr festzuhalten. Ein solcher ist
nach der Rechtsprechung gegeben, wenn der Täter den deliktischen Erfolg, mag
ihm dieser auch gleichgültig oder sogar unerwünscht sein, als notwendige
Folge oder als Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks in seinen
Entschluss miteinbezogen hat. Er braucht nicht das vom Täter erstrebte Ziel
zu sein; es genügt, dass er mitgewollt ist (BGE 119 IV 193 E. 2b cc).
Demgegenüber liegt Eventualvorsatz vor, wenn der Täter den Eintritt des
Erfolgs bzw. die Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch
handelt, weil er den Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt (BGE
125 IV 242 E. 3c mit Hinweisen).

2.3 Setzt der Tatbestand von Art. 129 StGB direkten Vorsatz in Bezug auf die
Herbeiführung der Lebensgefahr voraus, so muss auch der gemeinsame
Tatentschluss der Mittäter von einem solchen getragen sein. Wohl hat das
Bundesgericht mehrfach ausgeführt, dass Eventualvorsatz zur Annahme von
Mittäterschaft ausreiche (BGE 115 IV 161 E. 2 letztmals bestätigt in 126 IV
84 E. 2c aa). Dies kann aber nur insoweit gelten, als der jeweilige
Straftatbestand eventualvorsätzlich erfüllt werden kann. Denn das Erfordernis
des gemeinsamen Tatentschlusses kann nicht als selbständige subjektive
Strafbarkeitsvoraussetzung verstanden werden. Es stellt lediglich klar, dass
auch der Täter, der ein Delikt mit anderen Tätern gemeinsam verübt, in Bezug
auf sämtliche objektiven Tatbestandsmerkmale vorsätzlich handeln muss (vgl.
Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht, Allgemeiner Teil I, 2. Auflage, §
13 N 49).

2.4 Aufgrund der verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
steht fest, dass der Beschwerdeführer dem Tatentschluss A.________s insoweit
beitrat, als dieser plante, B.________ mit einem geladenen Revolver gemeinsam
mit dem Beschwerdeführer zu überwältigen, mit Klebeband zu fesseln und
anschliessend in sein Auto zu verladen. Widersprüchlich bleibt das Urteil
indessen in Bezug auf die Frage, ob die Herbeiführung einer unmittelbaren
Lebensgefahr nach Massgabe des gemeinsamen Tatplans vom Beschwerdeführer
gewollt war oder ob er sie nur in Kauf genommen hat.
Auf der einen Seite geht die Vorinstanz davon aus, die Gefahr einer
Schussauslösung mit tödlichen Folgen habe unter den Umständen des
vorliegenden Falls so nahe gelegen, dass zwingend der Schluss zu ziehen sei,
der Beschwerdeführer habe diese Gefahr gekannt und sie als sehr
wahrscheinliche, kaum vermeidbare Begleiterscheinung seiner Handlung auch
gewollt.
Auf der anderen Seite gelangt sie aufgrund einer ausführlichen Würdigung der
Aussagen des Beschwerdeführers zum Schluss, dass dieser mit der Gefahr einer
Schussauslösung gerechnet und diese in Kauf genommen habe. Die Gefahr sei
dadurch entstanden, dass sich A.________ mit dem geladenen Revolver in der
Hand auf eine handgreifliche Auseinandersetzung mit B.________ eingelassen
habe. Dem habe der Beschwerdeführer zugestimmt. Seine Behauptung, er sei
völlig überzeugt gewesen, B.________ werde beim Anblick der Waffe stehen
bleiben und sich widerstandslos fesseln lassen, sei unglaubhaft. Denn es sei
lebensfremd anzunehmen, dass das Opfer bei einem Überfall keinerlei
Widerstand leiste. Gerade der Umstand, dass der Beschwerdeführer A.________
aufgefordert habe, die erste Kammer des Revolvers leer zu lassen, beweise,
dass er mit der Möglichkeit eines nicht reibungslosen Tatablaufs gerechnet
habe. Auf diese Weise habe er nämlich eine ungewollte Schussauslösung
verhindern wollen, womit vernünftigerweise nur in einem Handgemenge zu
rechnen gewesen sei.

2.5 Im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde ist der
Kassationshof an die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörde
gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP). Leidet eine Entscheidung in einer
bundesrechtlich erheblichen Tatfrage indessen an einem unauflösbaren
Widerspruch, so hebt sie der Kassationshof gemäss Art. 277 BStP auf und weist
die Sache an die kantonale Behörde zurück; denn dadurch bleibt offen,
gestützt auf welche Tatvariante Bundesrecht anzuwenden ist (BGE 102 IV 62 E.
2a).
Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, ist Tatfrage und kann im
Rahmen der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde nicht überprüft werden (BGE
125 IV 242 E. 3c mit Hinweisen). Im vorliegenden Fall wurde der innere
Sachverhalt jedoch nicht widerspruchsfrei festgestellt. Dabei ist die Frage,
ob der Beschwerdeführer die Gefahr einer Schussauslösung mit tödlichen Folgen
kannte und wollte oder nur in Kauf nahm, für dessen Strafbarkeit nach Art.
129 StGB von entscheidender Bedeutung. Nahm er die Gefahr nach dem Tatplan
lediglich in Kauf, läge nämlich Eventualvorsatz vor. Da ein solcher für den
Straftatbestand von Art. 129 StGB nicht ausreicht, wäre der Beschwerdeführer
insoweit nicht als Mittäter zu qualifizieren. Demnach kann aufgrund der
widersprüchlichen Feststellungen der Vorinstanz nicht überprüft werden, ob
die Verurteilung des Beschwerdeführers wegen Gefährdung des Lebens
Bundesrecht verletzt.

3.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist somit gestützt auf Art. 277 BStP gutzuheissen,
soweit darauf einzutreten ist, das vorinstanzliche Urteil in Bezug auf die
Verurteilung wegen Gefährdung des Lebens aufzuheben und zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

4.
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend werden keine Kosten erhoben (Art. 278
Abs. 1 BStP). Dem Beschwerdeführer ist eine Entschädigung aus der
Bundesgerichtskasse auszurichten (Art. 278 Abs. 3 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gemäss Art. 277 BStP gutgeheissen, soweit
darauf einzutreten ist, das Urteil des Obergerichts Zürich, II. Strafkammer,
vom 12. September 2003 in Bezug auf die Verurteilung wegen Gefährdung des
Lebens aufgehoben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Kosten erhoben.

3.
Dem Beschwerdeführer wird eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der
Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 1. März 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: