Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.386/2003
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6S.386/2003 /pai

Urteil vom 18. Mai 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly,
Ersatzrichter Killias,
Gerichtsschreiber Monn.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Benedikt Holdener,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich,
Y.________,
Beschwerdegegner.

Einfache Körperverletzung; Strafzumessung,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer, vom 27. Juni 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 31. Dezember 2002 reiste der italienische Staatsangehörige X.________
zusammen mit A.________ und B.________ sowie weiteren Personen von Italien
nach Zürich, um an einer Silvesterparty in der ABB-Halle teilzunehmen. Gegen
23.30 Uhr sprachen die beiden Frauen den ihnen unbekannten Y.________ an. Sie
entwendeten dessen Natel und rannten damit zu X.________, der in der Nähe in
einer Gruppe von Italienern stand. Y.________ folgte ihnen und verlangte das
Natel zurück. X.________, der vom Diebstahl nichts mitbekommen hatte, schlug
ihm heftig mit der Faust ins Gesicht. Der Schlag rief bei Y.________
Schmerzen und Schwindelgefühl hervor.

B.
Das Obergericht des Kantons Zürich sprach X.________ am 27. Juni 2003 im
Berufungsverfahren der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff.
1 Abs. 1 und 2 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer Strafe von 42 Tagen
Gefängnis, voll erstanden durch 48 Tage Untersuchungshaft und bedingt
aufgeschoben bei einer Probezeit von zwei Jahren.

Eine dagegen gerichtete kantonale Nichtigkeitsbeschwerde wurde durch das
Kassationsgericht des Kantons Zürich am 23. Februar 2004 abgewiesen, soweit
darauf eingetreten werden konnte.

C.
X.________ führt mit Eingabe vom 28. Oktober 2003 fristgerecht eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das Urteil des Obergerichts sei
aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz
zurückzuweisen. Es seien ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und
Rechtsanwalt Benedikt Holdener als amtlicher Verteidiger zu bestellen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Mit der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde kann nur die Verletzung des
materiellen Strafrechts des Bundes gerügt werden (Art. 269 Abs. 1 BStP). In
Bezug auf Verfassungsverletzungen steht die staatsrechtliche Beschwerde zur
Verfügung (Art. 269 Abs. 2 BStP; Art. 84 Abs. 1 lit. a OG). Bei der
Behandlung einer Nichtigkeitsbeschwerde ist das Bundesgericht an die
tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz gebunden (Art. 277bis Abs. 1 Satz
2 BStP). Ausführungen, die sich dagegen richten, sind nicht zulässig (Art.
273 Abs. 1 lit. b BStP). Soweit in der Beschwerdeschrift unzulässige Rügen
erhoben werden, ist darauf nicht einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer bemängelt, da es ihm darum gegangen sei, seine Freundin
A.________ zu schützen, habe die Vorinstanz zu Unrecht nicht auf echte oder
zumindest unverschuldet vermeintliche Notwehrhilfe erkannt (vgl. Beschwerde
S. 4 Ziff. 3A). Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der
Beschwerdeführer jedoch im kantonalen Verfahren nie geltend gemacht, er sei
subjektiv der Auffassung gewesen, seine Freundin aus einer Notlage retten zu
müssen. Vielmehr habe er durchblicken lassen, dass ihn Eifersucht und
Besitzdenken motiviert hätten (angefochtener Entscheid S. 12). Diese
Ausführungen erlauben es dem Bundesgericht entgegen dem Vorbringen des
Beschwerdeführers, die Gesetzesanwendung durch die Vorinstanz zu überprüfen,
und von Putativnotwehrhilfe kann aufgrund der Feststellungen im angefochtenen
Entscheid nicht die Rede sein.

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, es liege keine einfache Körperverletzung,
sondern nur eine Tätlichkeit im Sinne von Art. 126 StGB vor (vgl. Beschwerde
S. 4/5 Ziff. 3B). Nach den Feststellungen der kantonalen Richter versetzte
der Beschwerdeführer seinem Gegner einen harten Faustschlag ins Gesicht, der
beim Geschädigten Schwindelgefühl und Schmerzen auslöste (erstinstanzliches
Urteil S. 6, worauf im angefochtenen Entscheid S. 9 verwiesen wird). Bei
derartigen Beeinträchtigungen der körperlichen Integrität ist die Abgrenzung
zwischen der blossen Tätlichkeit im Sinne von Art. 126 StGB und der einfachen
Körperverletzung im Sinne von Art. 123 StGB schwierig, weshalb sich das
Bundesgericht bei der Prüfung eine gewisse Zurückhaltung auferlegt und einen
Beurteilungsspielraum der kantonalen Behörden anerkennt (BGE 125 II 265 S.
272 E. 2e/bb mit Hinweisen). Das Bundesgericht hat einen Faustschlag ins
Gesicht, der einen Bluterguss unterhalb des linken Auges zur Folge hatte, als
einfache Körperverletzung eingestuft (BGE 119 IV 25). Indem die kantonalen
Richter bei einem harten Faustschlag ins Gesicht, der Schmerzen unterhalb des
Auges (Beschwerde S. 4 unten) und ein Schwindelgefühl zur Folge hatte, auf
einen leichten Fall der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123
Ziff. 1 Abs. 2 StGB erkannten, hielten sie sich im Rahmen des ihnen
zustehenden Ermessensspielraums. Daran ändert nichts, dass der Geschädigte
nach dem Vorfall keinen Arzt aufsuchte (Beschwerde S. 4 unten).

4.
Die Vorinstanz hat die einfache Körperverletzung als leichten Fall im Sinne
von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB eingestuft (angefochtener Entscheid S. 12).
Der Beschwerdeführer rügt, sie habe jedoch kein Wort darüber verloren, warum
sie von der in Art. 123 Ziff. 1 Abs. 2 StGB eingeräumten Befugnis, die Strafe
gemäss Art. 66 StGB nach freiem Ermessen zu mildern, keinen Gebrauch gemacht
habe (vgl. Beschwerde S. 6 Ziff. 3C). Die Rüge ist insoweit von vornherein
unbegründet, als die kantonalen Richter ausdrücklich darauf hingewiesen
haben, dass die Strafe im vorliegenden Fall gestützt auf Art. 66 StGB nach
freiem Ermessen gemildert werden könne (erstinstanzliches Urteil S. 7, worauf
im angefochtenen Entscheid S. 12 verweisen wird). Obwohl der Richter beim
Vorliegen eines Strafmilderungsgrundes nicht mehr an den für das betreffende
Delikt geltenden unteren Strafrahmen gebunden ist, muss er den
Milderungsgrund nur mindestens strafmindernd berücksichtigen (BGE 116 IV 300
E. 2a S. 302; 119 IV 280 E. 1a S. 282). Entgegen der Ansicht des
Beschwerdeführers (Beschwerde S. 5) war die Vorinstanz folglich nicht
verpflichtet, wegen der Anwendbarkeit von Art. 66 StGB nur auf eine Busse zu
erkennen. Welche Strafe im Ergebnis als angemessen erscheint, ist aufgrund
aller Strafzumessungsfaktoren zu prüfen (s. dazu unten E. 5).

5.
Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, die Strafe sei aus
verschiedenen Gründen zu hart ausgefallen (vgl. Beschwerde S. 5 - 7 Ziff. 3D
und 3E).

Gemäss Art. 63 StGB misst der Richter die Strafe nach dem Verschulden des
Täters zu; er berücksichtigt die Beweggründe, das Vorleben und die
persönlichen Verhältnisse des Schuldigen. Nach der Praxis des Bundesgerichts
bezieht sich der Begriff des Verschuldens im Sinne von Art. 63 StGB auf den
gesamten Unrechts- und Schuldgehalt der konkreten Straftat. Zu beachten sind
unter anderem das Ausmass des verschuldeten Unrechts, die Art und Weise der
Deliktsbegehung, die Willensrichtung, mit der der Täter gehandelt hat, und
dessen Beweggründe. Einerseits hat sich der Strafrichter an diese
gesetzlichen Vorgaben zu halten. Andererseits steht ihm bei der Gewichtung
der einzelnen Strafzumessungskomponenten innerhalb des jeweiligen
Strafrahmens ein erheblicher Ermessensspielraum zu. Das Bundesgericht kann
daher auf Nichtigkeitsbeschwerde hin in das Ermessen des Sachrichters nur
eingreifen, wenn die kantonale Vorinstanz den gesetzlichen Strafrahmen über-
oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht massgebenden Kriterien
ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche Gesichtspunkte ausser Acht gelassen
bzw. in Überschreitung oder Missbrauch ihres Ermessens falsch gewichtet hat
(BGE 129 IV 6 E. 6.1 S. 20 f. mit Hinweisen).

Der Strafrahmen reicht im vorliegenden Fall von einer Busse bis zu drei
Jahren Gefängnis. Die kantonalen Richter gingen zu Recht von einem
erheblichen Verschulden aus. Das Verhalten des Beschwerdeführers sei
rücksichtslos, brutal und primitiv gewesen, denn er habe sich nicht darum
gekümmert, aus welchem Grund der Geschädigte seiner Freundin nachgeeilt war,
sondern sei sofort handgreiflich geworden (erstinstanzliches Urteil S. 7).
Dieser Würdigung ist zuzustimmen, hat der Geschädigte dem Beschwerdeführer
doch keinen Anlass gegeben, ihm ohne weiteres einen harten Faustschlag ins
Gesicht zu versetzen. Da bei der Frage, ob ein leichter Fall der einfachen
Körperverletzung vorliegt, auch die Schwere des Verschuldens und das
Verhalten des Geschädigten zu berücksichtigen sind (vgl. BGE 127 IV 59 E.
2a/bb), liegt hier ein Grenzfall vor, bei dem die Vorinstanz offensichtlich
nicht auf eine sehr geringe Strafe oder gar nur auf eine Busse erkennen
musste.

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz hätte Art. 64 al. 9 StGB
zur Anwendung bringen und die Strafe deshalb mildern müssen (Beschwerde S.
5). Die genannte Bestimmung ist jedoch nur anwendbar, wenn der junge Täter
noch nicht die volle Einsicht in das Unrecht seiner Tat besass (Urteil
6S.130/2003 vom 30. Mai 2003 E. 2 mit Hinweis auf BGE 115 IV 180). Die
kantonalen Richter gingen davon aus, der 1983 geborene Beschwerdeführer habe
fraglos die Einsicht in das Unrecht eines Faustschlags besessen
(erstinstanzliches Urteil S. 7). Aus welchem Grund diese Auffassung unrichtig
sein sollte, ergibt sich aus der Beschwerde nicht und ist auch nicht
ersichtlich. Die Rüge, die Vorinstanz hätte dazu weitere Abklärungen
vornehmen müssen und habe in diesem Punkt deshalb das rechtliche Gehör des
Beschwerdeführers verletzt (Beschwerde S. 6), ist nach dem oben in E. 1
Gesagten im vorliegenden Verfahren zudem unzulässig.

Der Beschwerdeführer rügt, die Strafe von 42 Tagen Gefängnis sei nach der
Erfahrung seines Verteidigers unüblich hoch (Beschwerde S. 5). Er nennt
jedoch keinen vergleichbaren Fall, in dem nur eine Busse ausgesprochen worden
wäre. Angesichts der Brutalität seines Vorgehens gegen einen Gegner, der ihm
dazu keinen Anlass gegeben hat, haben die kantonalen Richter bei der
Strafzumessung jedenfalls das ihnen zustehende weite Ermessen nicht
überschritten oder missbraucht.

Der Beschwerdeführer hatte sich 48 Tage in Untersuchungshaft befunden. Er
macht geltend, die kantonalen Richter hätten die Strafe nur deshalb nicht
tiefer angesetzt, um eine höhere Entschädigung für Überhaft zu vermeiden
(Beschwerde S. 6). Dafür spricht nichts, zumal keine Strafe von 48 Tagen
ausgesprochen und der Beschwerdeführer für die restlichen sechs Tage Haft mit
Fr. 600.-- entschädigt wurde (angefochtener Entscheid S. 15).

6.
Gesamthaft gesehen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist in Anwendung von Art. 152
OG abzuweisen, weil die Rechtsbegehren von vornherein aussichtslos waren.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich, dem Beschwerdegegner und dem Obergericht des Kantons Zürich, II.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 18. Mai 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: