Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.375/2003
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6S.375/2003 /kra

Urteil vom 26. Januar 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly,
Gerichtsschreiber Garré.

X. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Appenzell I.Rh., Unteres Ziel 20, 9050
Appenzell.

Widerruf des bedingten Strafvollzugs
(Art. 41 Ziff. 3 StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Kantonsgerichts Appenzell
I.Rh., Abteilung Zivil- und Strafgericht, vom 18. September 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 21. April 1998 sprach das Bezirksgericht Appenzell X.________  schuldig
des gewerbs- und bandenmässigen Diebstahls, des mehrfachen Diebstahls, der
Gehilfenschaft zu Diebstahl, des mehrfachen Betruges, der Gehilfenschaft zu
Betrug, der mehrfachen Veruntreuung, der Hehlerei und der Sachbeschädigung.
Das Gericht bestrafte ihn mit 18 Monaten Gefängnis (bedingt aufgeschoben bei
einer Probezeit von zwei Jahren) und einer Busse von Fr. 1000.--.

B.
Mit Strafverfügung vom 27. Juli 2001 wurde X.________ vom Fürstlichen
Landgericht in Vaduz (FL) nach liechtensteinischem Recht wegen Einführung und
Besitz von gefährlichen Waffen zu einer Geldstrafe von 30 Tagessätzen
verurteilt. Die Tatbegehung dauerte vom 30. April 1999 bis am 11. April 2001.
Am 29. November 2002 wurde er zudem vom Fürstlichen Landgericht wegen
gewerbsmässigen schweren Betrugs und Untreue nach liechtensteinischem
Strafgesetzbuch zu einer Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren verurteilt. Am 12.
Februar 2003 bestätigte das Fürstliche Obergericht das erstinstanzliche
Urteil. Die beurteilten Verbrechen erfolgten von Mai 1998 bis Frühjahr 2002.
Aufgrund dieser Rückfalltaten ordnete das Bezirksgericht Appenzell mit
Bescheid vom 10. Juni 2003 den Vollzug der am 21. April 1998 bedingt
aufgeschobenen Gefängnisstrafe an. Mit Zirkularbeschluss vom 18. September
2003 bestätigte das Kantonsgericht Appenzell Innerrhoden im
Berufungsverfahren den erstinstanzlichen Entscheid.

C.
X.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt die
Aufhebung der Entscheidungen der unteren Gerichte sowie den Verzicht auf den
Vollzug der bedingt aufgeschobenen Freiheitsstrafe.

D.
Das Kantonsgericht verzichtet auf Gegenbemerkungen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
1.1 Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist rein kassatorischer Natur
(Art. 277ter Abs. 1 BStP). Soweit der Beschwerdeführer mehr verlangt als die
Aufhebung des angefochtenen Entscheids, ist auf sein Rechtsmittel nicht
einzutreten (BGE 129 IV 276 E. 1.2 S. 279 mit Hinweis).

1.2 Anfechtbar ist nur das letztinstanzliche Urteil (Art. 268 Ziff. 1 BStP).
Auf das Begehren, der Entscheid des Bezirksgerichts Appenzell sei aufzuheben,
kann daher nicht eingetreten werden.

1.3 Die Beschwerdeschrift muss die Begründung der Anträge enthalten und damit
kurz darlegen, welche Bundesrechtssätze und inwiefern sie durch den
angefochtenen Entscheid verletzt sind (Art. 273 Abs. 1 lit. a BStP). Soweit
der Beschwerdeführer sich mit einem vagen Hinweis auf seine Ausführungen in
der kantonalen Berufung begnügt, ist auf die Nichtigkeitsbeschwerde mangels
rechtsgenügender Begründung nicht einzutreten (BGE 129 IV 6 E. 5.1 mit
Hinweisen).

2.
2.1 Die einzige Rüge, die in der Beschwerdeschrift rechtsgenügend
substanziiert ist, betrifft Art. 41 Ziff. 3 StGB. Nach Meinung des
Beschwerdeführers fällt die überwiegende Zahl der schweren Rückfalltaten in
einen Zeitraum ausserhalb der Probezeit. Die in der Probezeit begangenen
Taten seien daher als leichter Fall i.S.v. Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB zu
betrachten.

2.2 Die Vorinstanz führt aus, der Beschwerdeführer habe nach der Eröffnung
des Urteils des Bezirksgerichts Appenzell vom 21. April 1998 praktisch ohne
Unterbruch im Bereich der Vermögensdelikte weitere Straftaten in grossem
Umfang verübt. Das Fürstliche Obergericht habe ihn dafür zu einer
Freiheitsstrafe von 4 ½ Jahren verurteilt. Selbst wenn man annehme, dass ein
Teil der Straftaten ausserhalb der Probezeit begangen worden sei, sei von
einer Freiheitsstrafe für die in die Probezeit fallenden Delikte von weit
über 7 Monaten auszugehen, womit ein leichter Fall generell zu verneinen sei
(angefochtenes Urteil S. 4).

2.3 Begeht der Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen oder
Vergehen, handelt er trotz förmlicher Mahnung des Richters einer ihm
erteilten Weisung zuwider, entzieht er sich beharrlich der Schutzaufsicht
oder täuscht er in anderer Weise das auf ihn gesetzte Vertrauen, so lässt der
Richter die Strafe vollziehen (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 1 StGB). Wenn begründete
Aussicht auf Bewährung besteht, kann der Richter in leichten Fällen
stattdessen, je nach den Umständen, den Verurteilten verwarnen, zusätzliche
Massnahmen nach Art. 41 Ziff. 2 StGB anordnen und die im Urteil bestimmte
Probezeit um höchstens die Hälfte verlängern (Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB).

2.3.1 Nach der Rechtsprechung ist ein leichter Fall im Sinne von Art. 41
Ziff. 3 Abs. 2 StGB in der Regel bei Freiheitsstrafen von bis zu 3 Monaten
anzunehmen. Ausnahmen sind möglich bei besonderen (objektiven oder
subjektiven) Umständen, die nicht bereits für den Schuldspruch oder die
Bemessung der Strafe bestimmend waren. Für die Annahme eines leichten Falles
trotz einer Strafe von mehr als 3 Monaten kann beispielsweise sprechen, dass
die Strafe auch Taten umfasst, die ausserhalb der Probezeit begangen wurden
und deshalb für den Widerruf unerheblich sind (BGE 117 IV 97 E. 3c, S. 103).
Der Richter hat dabei durch Erläuterung seines Urteils bekannt zu geben,
welche Strafe er einzig für die in der Probezeit begangenen Delikte verhängt
hätte (BGE 101 Ib 154 E. c).

2.3.2 Die dem Beschwerdeführer auferlegte Freiheitsstrafe beträgt 4 ½ Jahre,
wobei in dieser Strafe auch Taten inbegriffen sind, die ausserhalb der
Probezeit begangen wurden. Man kann daher nicht einfach auf die Höhe dieser
Strafe abstellen. Vielmehr muss für die Straftaten innerhalb der Probezeit
eine fiktive Strafe bestimmt werden  (Peter Albrecht, Der Widerruf des
bedingten Strafvollzuges wegen neuer Delikte, BJM 1975, S. 65 f.), dies wie
bei der Anwendung von Art. 38 Ziff. 4 StGB (BGE 129 IV 209). Die Vorinstanz
hat sich mit dieser Problematik nur knapp auseinandergesetzt. Es ist
insbesondere nicht ersichtlich, welche konkreten Taten als widerrufsrelevant
eingestuft wurden. Auch die Schwere des Verschuldens bei der Begehung solcher
Taten ergibt sich nicht aus dem angefochtenen Urteil. Es ist daher schwer
nachvollziehbar, aus welchen Überlegungen die Vorinstanz erwägt, dass  "von
einer Freiheitsstrafe für die in die Probezeit fallenden Delikte von weit
über 7 Monaten" auszugehen sei (angefochtenes Urteil S. 4). Die
vorinstanzliche Begründung ist in diesem Punkt lückenhaft.

2.3.3 Dieser Umstand führt aber nicht zur Aufhebung des angefochtenen
Entscheids. Gemäss Art. 41 Ziff. 3 Abs. 2 StGB ist der Verzicht auf den
Widerruf an zwei kumulative Bedingungen geknüpft: Es bedarf nicht nur eines
leichten Falles, sondern zusätzlich der begründeten Aussicht auf Bewährung.
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz hat der Beschwerdeführer
schon kurz nach Bekanntgabe der bedingten Verurteilung vom 21. April 1998
eine verbrecherische Tätigkeit gleicher Art aufgenommen und ohne Unterbruch
sowie in grossem Umfang bis Frühjahr 2002 fortgesetzt. Der Gesamtschaden
beträgt ungefähr Fr. 3'500'000.--. Bei einer solchen Stärke und Kontinuität
der kriminellen Energie besteht keine begründete Aussicht auf dauernde
Bewährung. Daran ändert die Mitberücksichtigung der möglichen Warnungswirkung
der neuen zu vollziehenden Strafe nichts.
Aus diesen Gründen kann von einer Verletzung von Art. 41 Ziff. 3 StGB keine
Rede sein. Die entsprechende Rüge geht fehl und die Nichtigkeitsbeschwerde
ist daher abzuweisen.

3.
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die Kosten zu tragen
(Art. 278 Abs. 1 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Appenzell I.Rh. und dem Kantonsgericht Appenzell I.Rh., Abteilung Zivil- und
Strafgericht, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. Januar 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: