Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.364/2003
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6S.364/2003 /kra

Urteil vom 10. März 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Borner.

Generalprokurator des Kantons Bern, 3001 Bern,
Beschwerdeführer,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Andreas Maurer,

Verkehrsregelverletzung (Art. 90 Ziff. 2 statt Ziff. 1 SVG),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, vom 12. August 2003.

Sachverhalt:

A.
B. ________ ist Garagist und hatte das Fahrzeug einer Kundin zu reparieren,
das ab einer Geschwindigkeit von 120 km/h im Armaturenbrett Geräusche
entwickelte. Nach erfolgter Reparatur entschloss er sich, die "Testfahrt" auf
der Ausserortsstrecke zwischen Schüpbach und Häleschwand zu machen. Dabei
überschritt er am 31. Juli 2002 die Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h um 39
km/h.

B.
Der Gerichtspräsident 1 des Gerichtskreises VI Signau-Trachselwald büsste
B.________ am 14. November 2002 wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit
Fr. 200.--.

Auf Appellation des Generalprokurators des Kantons Bern bestätigte das
Obergericht des Kantons Bern am 12. August 2003 den erstinstanzlichen
Schuldspruch und setzte die Busse auf Fr. 800.-- fest.

C.
Der Generalprokurator führt Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, der
angefochtene Entscheid sei aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung
respektive Verurteilung des Beschwerdegegners an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

B. ________ schliesst auf Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Vorinstanz erwägt, es stehe kein alltäglicher Fall von Widerhandlung
gegen die Geschwindigkeitsvorschriften zur Beurteilung. Nicht alltäglich
seien die Höhe der Überschreitung und insbesondere der Umstand, dass der
Beschwerdegegner ganz bewusst, ja gleichsam überlegt und geplant gegen die
Vorschrift verstossen habe. Der objektive Tatbestand von Art. 90 Ziff. 2 SVG
sei zwar erfüllt, doch liege es auf der Hand, dass der Beschwerdegegner eine
mindestens ernstliche abstrakte Gefährdung Dritter weder gewollt noch bewusst
in Kauf genommen habe. Obschon er die gesetzlich vorgeschriebene
Höchstgeschwindigkeit vorsätzlich überschritten habe, stehe darum eine
vorsätzlich begangene grobe Verkehrsregelverletzung nicht zur Diskussion. In
der Folge argumentiert die Vorinstanz, dass aufgrund der konkreten
Besonderheiten die subjektiven Voraussetzungen eines rücksichtslosen oder
grobfahrlässigen Handelns nicht erfüllt seien.

Der Beschwerdeführer macht geltend, der Beschwerdegegner sei sich der
allgemeinen Gefährlichkeit seiner krass verkehrswidrigen Fahrweise klar
bewusst gewesen. Wer wie er bei regnerischen Strassen- und Sichtverhältnissen
und Gegenverkehr einen Tempoexzess auf nicht richtungsgetrennter Autostrasse
von 39 km/h bewusst einkalkuliere, handle auch subjektiv grobfahrlässig im
Sinne von Art. 90 Ziff. 2 SVG.

Da der Beschwerdegegner die massive Geschwindigkeitsüberschreitung ganz
bewusst, ja gleichsam überlegt und geplant in die Tat umsetzte, ist zunächst
zu prüfen, ob er vorsätzlich gehandelt hat. Eine solche Prüfung bleibt im
Rahmen des Antrags des Beschwerdeführers, wenn dieser geltend macht, die
Vorinstanz habe zu Unrecht nicht auf Art. 90 Ziff. 2 SVG erkannt (Art. 277bis
Abs. 1 BStP). Dass der Antrag mit grobfahrlässiger Begehung begründet wird,
steht dem nicht entgegen (Abs. 2).

2.
Der Beschwerdegegner hat die Höchstgeschwindigkeit ausserorts von 80 km/h um
39 km/h überschritten. Damit hat er den Tatbestand des Art. 90 Ziff. 2 SVG
objektiv erfüllt (BGE 124 II 259 E. 2c S. 263), was unbestritten ist.

Subjektiv erfordert der Tatbestand, dass sich der Täter rücksichtslos oder
sonst wie schwerwiegend regelwidrig verhalten hat. Vorausgesetzt ist ein
schweres Verschulden. Ein solches liegt vor, wenn sich der Täter der
Gefährlichkeit seiner Fahrweise bewusst ist. Bei fahrlässigem Handeln muss
zumindest grobe Fahrlässigkeit gegeben sein (BGE 123 IV 88 E. 4a und c S. 93
f., 123 II 37 E. 1b, 106 E. 2a). Wer die Höchstgeschwindigkeit massiv
überschreitet, tut das in der Regel vorsätzlich, mindestens aber
grobfahrlässig (BGE 126 II 202 E. 1b, 122 IV 173 E. 2e S. 178, 121 IV 230 E.
2c S. 234).

2.1 Der Beschwerdegegner war sich im klaren darüber, dass er das Fahrzeug auf
der "Testfahrt" auf über 120 km/h beschleunigen musste, um prüfen zu können,
ob die Reparatur erfolgreich war. Damit war ihm auch bewusst, dass er die
Höchstgeschwindigkeit von 80 km/h nicht nur ein wenig, sondern massiv
überschreiten werde. Die vorinstanzliche Annahme, es liege auf der Hand, dass
der Beschwerdegegner eine mindestens ernstliche abstrakte Gefährdung Dritter
weder gewollt noch bewusst in Kauf genommen habe, geht von einem falschen
rechtlichen Ansatz aus. Es stellt sich zunächst vielmehr die Frage, ob sich
der Beschwerdegegner bewusst war, er werde durch seine "Testfahrt" auf über
120 km/h andere Verkehrsteilnehmer zumindest abstrakt ernstlich gefährden.
Dass mit einer derart massiven Geschwindigkeitsüberschreitung regelmässig
eine nahe liegende Möglichkeit einer konkreten Gefährdung oder Verletzung
einher geht, kann allgemein als bekannt vorausgesetzt werden. Dieses Wissen
muss auch dem Beschwerdegegner zugerechnet werden:

Im Februar 2001 hatte der Beschwerdegegner die Höchstgeschwindigkeit
ausserorts von 80 km/h um 27 km/h überschritten. Diese
Geschwindigkeitsüberschreitung führte wegen (mittelschwerer)
Verkehrsgefährdung (Art. 16 Abs. 2 Satz 1 SVG) zu einem einmonatigen
Warnungsentzug. Um die Testfahrt erfolgreich durchführen zu können, musste
der Beschwerdegegner die frühere Geschwindigkeitsüberschreitung nach seiner
Vorstellung um gut etwa die Hälfte überbieten. Dass damit auch eine
entsprechend höhere Gefährdung verbunden sein werde, konnte ihm nicht
entgangen sein. Zudem fuhr er die "Teststrecke" zuerst mit normaler
Geschwindigkeit ab, um sich zu vergewissern, dass am Radarort keine Autos
standen, die er bei ihrem Einbiegen in die Hauptstrasse hätte gefährden
können. Er wartete überdies den Gegenverkehr ab, bevor er seine "Testfahrt"
begann. Das heisst aber auch, dass er sich bewusst war, durch seine
"Testfahrt" entgegenkommende Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Die Vorinstanz
hält fest, der genaue Verlauf und die Beschaffenheit des betreffenden
Strassenstücks (Breite etc.) seien im Detail nicht aktenkundig. Nachdem der
Beschwerdegegner zunächst entgegenkommende Fahrzeuge abgewartet hatte und
dann auf der "Testfahrt" unmittelbar vor der Geschwindigkeitsmessung einen
Personenwagen kreuzte, muss geschlossen werden, dass er bei Beginn seiner
Fahrt jedenfalls nicht die gesamte Länge der "Teststrecke" überblicken
konnte. Sonst hätte er auch den erwähnten Personenwagen abgewartet.

Im Zeitpunkt der "Testfahrt" regnete es und die Fahrbahn war nass. Dass die
Sichtverhältnisse bei Regen und die Haftung der Reifen auf nasser Fahrbahn
beeinträchtigt sind, ist allgemein bekannt. Solche Umstände sind gerade bei
weit übersetzter Geschwindigkeit besonders gefahrenträchtig (u.a. Gefahr des
Aquaplanings ab Geschwindigkeiten von 80 km/h), was dem Beschwerdegegner als
Garagist nicht unbekannt sein konnte.

Aus dem Gesagten erhellt, dass sich der Beschwerdegegner bewusst war, er
werde durch das Beschleunigen des Fahrzeugs auf mehr als 120 km/h unter den
konkreten Voraussetzungen zumindest eine erhöhte abstrakte Gefahr schaffen.
Ob der Beschwerdegegner diese Umschreibung der schweren
Verkehrsregelverletzung durch die Rechtsprechung kannte, ist dabei nicht von
Belang. Entscheidend ist vielmehr sein Wissen darum, dass die geplante
massive Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit unter den konkreten
Bedingungen auch eine entsprechende Gefährdung des Verkehrs mit sich bringen
wird.

2.2 Indem der Beschwerdegegner in Kenntnis der Gefahrenträchtigkeit seines
Manövers die Höchstgeschwindigkeit massiv überschritt, brachte er auch seinen
diesbezüglichen Willen zum Ausdruck. Das zeigt sich nicht zuletzt im Umstand,
dass er seine "Testfahrt" selbst beim Anblick des entgegenkommenden
Personenwagens nicht abbrach und diesen kreuzte, ohne seine Fahrt auch nur
ein wenig verlangsamt zu haben.

2.3 Ziel des Beschwerdegegners war es zu prüfen, ob die Reparatur am Fahrzeug
der Kundin erfolgreich war. Dazu war es unumgänglich, das Fahrzeug auf über
120 km/h zu beschleunigen. Indem der Beschwerdegegner diese Fahrt "überlegt
und geplant" auf der fraglichen Ausserortsstrecke unternahm, hat er die
erhöhte abstrakte Gefährdung als notwendige Folge seiner Handlung in seinen
Entschluss miteinbezogen. Damit hat der Beschwerdegegner vorsätzlich eine
schwere Verkehrsregelverletzung begangen, was auch als "einfacher Vorsatz"
bzw. "direkter Vorsatz zweiten Grades" bezeichnet wird (Rehberg/ Donatsch,
Strafrecht I, 7. Auflage, S. 87 lit. b). Der vorinstanzliche Schuldspruch der
einfachen Verkehrsregelverletzung verstösst somit gegen Bundesrecht.

3.
Nach dem Gesagten ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache an
die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese den Beschwerdegegner wegen
vorsätzlicher schwerer Verkehrsregelverletzung schuldig spreche und das
Strafmass neu bestimme.

Ausgangsgemäss hat der Beschwerdegegner die bundesgerichtlichen Kosten zu
tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Eine Entschädigung an den Beschwerdeführer
entfällt (Abs. 3).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts des
Kantons Bern vom 12. August 2003 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung
an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 10. März 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: