Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.353/2003
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6S.353/2003 /kra

Urteil vom 17. Mai 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

AX.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwältin lic. iur. Elisabeth Ernst,

gegen

BX.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Raymond Caliezi,
Beethovenstrasse 24, 8002 Zürich,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Vernachlässigung von Unterhaltspflichten (Art. 217 Abs. 1 i.V.m. Art. 28
StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer, vom 13. Juni 2003.

Sachverhalt:

A.
Die Einzelrichterin in Ehesachen am Bezirksgericht Zürich regelte mit
Verfügung vom 17. April 2000 das Getrenntleben der Ehegatten X.________. Sie
verpflichtete AX.________ unter anderem, seiner Ehefrau ab Eintritt der
Rechtskraft monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr. 14'300.-- zuzüglich
allfälliger Kinderzulagen zu bezahlen. Der Betrag setzte sich aus Fr.
2'000.-- für jedes der drei Kinder und Fr. 8'300.-- für die Ehefrau
persönlich zusammen.

Mit Beschluss vom 27. Februar 2001 hiess das Obergericht das Kantons Zürich,
I. Zivilkammer, einen Rekurs von AX.________ und den Anschlussrekurs seiner
Ehefrau je teilweise gut. Es verpflichtete AX.________ unter anderem, seiner
Ehefrau rückwirkend ab dem 1. Januar 2000 monatliche Unterhaltsbeiträge von
Fr. 7'800.-- zu bezahlen, nämlich Fr. 2'000.-- für jedes der drei Kinder und
Fr. 1'800.-- für die Ehefrau persönlich, jeweils auf den Ersten eines jeden
Monats.

Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hiess die gegen den Beschluss des
Obergerichts gerichtete Nichtigkeitsbeschwerde der Ehefrau am 7. Juli 2001
gut und wies die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurück.

Mit neuem Beschluss vom 2. April 2002 verpflichtete das Obergericht des
Kantons Zürich, I. Zivilkammer, AX.________ unter anderem, seiner Ehefrau
rückwirkend ab dem 1. Januar 2000 monatliche Unterhaltsbeiträge von Fr.
7'700.-- zu bezahlen, nämlich bis 15. März 2001 Fr. 2'000.-- für jedes der
drei Kinder und Fr. 1'700.-- für die Ehefrau persönlich, und danach je Fr.
2'000.-- für die beiden gemeinsamen Söhne und Fr. 3'700.-- für die Ehefrau
persönlich, jeweils auf den Ersten eines jeden Monats.

B. Das Obergericht des Kantons Zürich verurteilte AX.________ in zweiter
Instanz am 13. Juni 2003 wegen Vernachlässigung von Unterstützungspflichten
(Tatzeiträume: 1. Mai 2001 bis 1. Juli 2001 sowie 1. Mai 2002 bis 1. Juni
2002) zu einer bedingten Gefängnisstrafe von 10 Tagen. Vom Vorwurf der
Vernachlässigung von Unterstützungspflichten für die weiteren angeklagten
Zeiträume sprach das Gericht AX.________ frei.
Mit Zirkulationsbeschluss vom 24. Dezember 2003 wies das Kassationsgericht
des Kantons Zürich eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde des Verurteilten ab,
soweit es darauf eintrat.

C.
AX.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Juni 2003 aufzuheben und
die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Obergericht und die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichten auf
eine Stellungnahme zur Beschwerde. Die Beschwerdegegnerin hat sich innert
Frist nicht vernehmen lassen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht geltend, es sei kein gültiger Strafantrag gestellt
worden. Im Zeitpunkt, als der Strafantrag am 27. Juni 2001 gestellt worden
sei, habe zwar der Beschluss der I. Zivilkammer des Obergerichts vom 27.
Februar 2001 vorgelegen. Auch sei der gegen diesen Beschluss eingereichten
kantonalen Nichtigkeitsbeschwerde keine aufschiebende Wirkung zugekommen.
Doch sei der Beschluss der I. Zivilkammer des Obergerichts vom 27. Februar
2001 mit Beschluss des Kassationsgerichts am 7. Juli 2001 mit Wirkung ex tunc
aufgehoben worden. Damit habe im Zeitpunkt des Strafantrags kein gültiger,
zivilrechtlicher Entscheid über die Unterhaltspflicht des Beschwerdeführers
vorgelegen. Das sei umso beachtlicher, als seine damalige Ehefrau am 16. Juni
2002 lediglich bestätigt habe, sie halte am Strafantrag fest. Ihr
Rechtsvertreter habe ergänzt, dass der Strafantrag "bis heute ausgedehnt"
werde. Da kein gültiger Strafantrag gestellt worden sei, habe er jedoch auch
nicht aufrecht erhalten oder ausgedehnt werden können. Der Entscheid der
Vorinstanz verletze Art. 217 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 28 Abs. 1
StGB (Beschwerde, S. 5 f.).

Die Einwände des Beschwerdeführers sind offensichtlich unbegründet. Der
Beschwerdeführer stellt zu Recht nicht in Frage, dass er damals von Gesetzes
wegen eine Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau und den gemeinsamen
Kindern hatte. Besteht eine solche Verpflichtung, bedarf sie nach der
Rechtsprechung nicht der Bestätigung durch ein Gerichtsurteil, um den Schutz
des Art. 217 StGB zu geniessen (vgl. BGE 100 IV 174 E. 3 mit Hinweis). Das
Antragsrecht nach Abs. 2 dieser Bestimmung steht den Berechtigten somit
unabhängig davon zu, ob ein Gericht über die Höhe der Unterhaltsbeiträge
(rechtskräftig) entschieden hat. Daraus folgt, dass die damalige Ehefrau des
Beschwerdeführers für sich selbst und die gemeinsamen unmündigen Kinder im
Sinne von Art. 217 StGB berechtigt war, Strafantrag wegen Vernachlässigung
von Unterhaltspflichten zu stellen.

2.
Der Beschwerdeführer bringt vor, die persönlichen Unterhaltsbeiträge an seine
Ehefrau seien damals vom Obergericht nur deshalb um Fr. 2'000.-- erhöht
worden, damit die Ehefrau der Unterhaltspflicht gegenüber der am 15. März
2001 mündig gewordenen Tochter habe nachkommen können. Er habe deshalb die
nach der Mündigkeit der Tochter direkt an sie erbrachten Leistungen von den
Unterhaltsbeiträgen an seine Ehefrau abziehen bzw. eine Verrechnung vornehmen
dürfen. Bis zum Zeitpunkt, in dem die I. Zivilkammer des Obergerichts am 2.
April 2002 entschieden und den Entscheid den Parteien zugestellt habe, habe
der Beschwerdeführer nicht wissen können oder auch nur annehmen müssen, dass
das Obergericht den Unterhaltsbeitrag der inzwischen mündig gewordenen
Tochter nicht für die Tochter selber aussetzen, sondern in den persönlichen
Unterhaltsbeitrag der Ehefrau einrechnen werde (Beschwerde, S. 7 ff.).
2.1 Die Vorinstanz erwägt, die vom Beschwerdeführer in den Tatzeiträumen
direkt an die Tochter geleisteten Zahlungen für Taschengeld, Mietzins und
Wohnungseinrichtung seien unbeachtlich. Es treffe zwar zu, dass die
persönlichen Unterhaltsbeiträge für die Ehefrau des Beschwerdeführers vom
Zeitpunkt der Mündigkeit der Tochter an gerechnet gemäss dem Beschluss des
Obergerichts des Kantons Zürich vom 2. April 2002 nur deshalb erhöht worden
seien, damit sie deren Unterhaltsforderung habe erfüllen können. Dem
Beschwerdeführer sei es jedoch nach der gerichtlichen Festsetzung der
Unterhaltsbeiträge nicht mehr erlaubt gewesen, Verpflichtungen der Ehefrau
gegenüber Dritten - und somit auch gegenüber der Tochter - direkt zu
erbringen und dann diese Leistungen mit den geschuldeten Unterhaltsbeiträgen
zu verrechnen. Allfällige Änderungen bezüglich der Unterhaltsbeiträge, welche
sich aus dem Wegzug der Tochter aus der Wohnung der Ehefrau ergeben hätten,
hätte der Beschwerdeführer im obergerichtlichen Rekursverfahren geltend
machen müssen. Da er darauf verzichtet habe, sei es nicht in seinem Belieben
gestanden, die Unterhaltsregelung eigenmächtig durch direkte Zahlungen an
seine Tochter bzw. durch die Verrechnung solcher Leistungen mit den
geschuldeten Unterhaltsbeiträgen abzuändern (angefochtenes Urteil, S. 10).

2.2 Diese Erwägungen vermögen vor Bundesrecht nicht standzuhalten. Die
Tochter des Beschwerdeführers wurde am 15. März 2001 18 Jahre alt und damit
mündig (Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 2.
April 2002, S. 13). Ab diesem Zeitpunkt stand ihr gegen den Beschwerdeführer
und gegen ihre Mutter ein eigener Unterhaltsanspruch zu (Art. 277 ZGB, Art.
289 Abs. 1 ZGB).

Wie der Beschwerdeführer zutreffend geltend macht, verpflichtete ihn der
erste Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Zivilkammer, vom 27.
Februar 2001 als Eheschutzmassnahme gemäss Art. 145 ZGB unter anderem dazu,
für jedes der drei Kinder monatlich Fr. 2'000.-- zuzüglich allfälliger
Kinderzulagen zu bezahlen. Auf die bevorstehende Mündigkeit der Tochter geht
der Beschluss nicht ein. Er wurde vom Kassationsgericht am 7. Juli 2001
aufgehoben, also nachdem die Tochter mündig geworden war. Der von der
Vorinstanz berücksichtigte erste Tatzeitraum vom 1. Mai 2001 bis 1. Juli 2001
liegt nach dem Zeitpunkt der Mündigkeit der Tochter. Gemäss Art. 289 Abs. 1
ZGB kommt die Gläubigerstellung für Kinderunterhaltsbeiträge dem Kind zu,
wobei bis zur Mündigkeit die Leistung an den gesetzlichen Vertreter zu
erfolgen hat. Indem der Beschwerdeführer zwischen dem 1. Mai und 1. Juli 2001
die Unterhaltsbeiträge direkt seiner Tochter zukommen liess, leistete er der
Gläubigerin und verletzte damit kein anders lautendes verbindliches Urteil.
Die Vorinstanz hat Bundesrecht verletzt, indem sie insoweit eine
Vernachlässigung der Unterhaltspflichten bejahte.

Das gilt auch für den Tatzeitraum vom 1. Mai 2002 bis 1. Juni 2002. Der
zweite Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich vom 2. April 2002
verpflichtet den Beschwerdeführer, seiner Ehefrau während des ganzen
Verfahrens Fr. 2'000.-- mehr an Unterhalt zu bezahlen, damit sie ihren
Verpflichtungen gemäss Art. 277 Abs. 2 ZGB nachkommen kann. Wie der
Begründung des genannten Beschlusses zu entnehmen ist, sprach das Obergericht
der Ehefrau des Beschwerdeführers diesen Betrag zu als Vergütung für die
angenommenen erbrachten "täglichen Aufwendungen" zu Gunsten der Tochter
(erwähnter Beschluss, S. 13). In der Sache handelt es sich somit um Unterhalt
für das Kind. Da diesem ab seiner Mündigkeit selbst gegenüber dem Vater
Gläubigerstellung für seinen Unterhalt zukam, konnte der Beschwerdeführer den
Tatbestand des Art. 217 StGB nicht erfüllen, indem er zwischen 1. Mai und 1.
Juni 2002 den Unterhalt direkt seiner Tochter erbrachte. Angesichts der
gesetzlichen Regelung (Art. 289 Abs. 1 und Art. 277 ZGB) vermag daran der
Umstand nichts zu ändern, dass der Strafrichter an rechtskräftige Urteile
über Unterhaltsbeiträge gebunden ist (BGE 73 IV 178; 93 IV 1).

2.3 Zusammenfassend ergibt sich, dass der angefochtene Entscheid Bundesrecht
verletzt, soweit der Beschwerdeführer der Vernachlässigung von
Unterhaltspflichten schuldig gesprochen wurde, weil er die Unterhaltsbeiträge
für seine mündige Tochter direkt ihr zukommen liess.

3.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht Tatvorsatz
bejaht (Beschwerde, S. 9 ff.).
3.1 Soweit der Beschwerdeführer im Zusammenhang mit diesem Einwand von den
verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz zu den von ihm
direkt erbrachten Leistungen in den fraglichen Tatzeiträumen abweicht
(angefochtenes Urteil, S. 9 f.), ist er nicht zu hören.

3.2 Die Vorinstanz hat gestützt auf die Rechtsprechung des Bundesgerichts
(BGE 106 IV 36) zutreffend angenommen, dass es dem Unterhaltsverpflichteten
nicht frei steht, die vom Gericht in Geld festgesetzte Leistung direkt
Gläubigern der Ehefrau zu erbringen und dann einen solchen Betrag vom
geschuldeten Unterhaltsbeitrag abzuziehen. Strafrechtlich ist auch die Form
der Begleichung des geschuldeten Unterhalts geschützt. Allerdings gilt dies
erst, wenn ein zivilrechtliches Urteil gefällt ist und diese Form festgelegt
wird. Insofern hat die Vorinstanz zu Recht nur die fünf Monate
berücksichtigt, für welche ein vollstreckbares Urteil bestand.

Das ändert aber nichts daran, dass der Beschwerdeführer mit zuvor zu viel
geleistetem Unterhalt verrechnen konnte, sofern er eine Rückforderung
gegenüber seiner Ehefrau wegen ungerechtfertigter Bereicherung hatte. Die
Vorinstanz hätte abklären müssen, wie viel der Beschwerdeführer zu viel an
Unterhalt (auch direkt an Dritte) gezahlt hatte und wie hoch die nach Art.
125 Ziff. 2 OR unverrechenbare Quote der Unterhaltsbeiträge bzw. umgekehrt
der verrechenbare Anteil war (dazu BGE 115 III 97 E. 4d S. 102). Indem die
Vorinstanz dies unterlassen und die Zahlungen an die Privatschule des einen
Sohnes gänzlich ausser Betracht liess (angefochtenes Urteil, S. 9 f.), hat
sie Bundesrecht verletzt. Bei der Neubeurteilung wird die Vorinstanz
insbesondere beachten müssen, den fraglichen Zeiträumen eine um den Unterhalt
der Tochter von Fr. 2'000.-- verringerte Unterhaltspflicht gegenüber der
Ehefrau zugrunde zu legen.

3.3 Die Vorinstanz äussert sich einzig zum objektiven Tatbestand des Art. 217
StGB, nicht aber auch zur subjektiven Tatbestandsseite. Soweit der objektive
Tatbestand überhaupt erfüllt ist, wäre dies angesichts der vom
Beschwerdeführer direkt gegenüber Gläubigern seiner Ehefrau erbrachten
Leistungen, womit diese mehrheitlich einverstanden war (vgl. angefochtenes
Urteil, S. 10), zwingend erforderlich gewesen. Da sich die Vorinstanz dazu
ausschweigt, lässt sich die Gesetzesanwendung nicht nachprüfen. Die
Beschwerde ist deshalb in diesem Punkt gestützt auf Art. 277 BStP
gutzuheissen.

4.
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf einzutreten ist. Bei diesem
Verfahrensausgang sind keine Kosten zu erheben und ist dem Beschwerdeführer
eine Parteientschädigung aus der Bundesgerichtskasse auszurichten.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird, teilweise in Anwendung von
Art. 277 BStP, gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 13. Juni 2003
aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückgewiesen.

2.
Es werden keine Gerichtsgebühren erhoben.

3.
Dem Beschwerdeführer wird für das Verfahren vor Bundesgericht eine
Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 17. Mai 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: