Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.278/2003
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6S.278/2003 /pai

Urteil vom 26. August 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen, Zünd,
Gerichtsschreiber Schönknecht.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. Thomas Brack,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph M. Pestalozzi.

Nichteintretensbeschluss (Ehrverletzung; Art. 29 StGB),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons
Zürich, III. Strafkammer, vom 20. Juni 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde Ende Mai 2002 von seiner Arbeitgeberin mit der Begründung
entlassen, verschiedene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, deren Namen ihm
nicht mitgeteilt wurden, hätten ihn der sexuellen Belästigung bezichtigt.
X.________ liess die Arbeitgeberin umgehend wissen, dass er die Kündigung als
missbräuchlich erachte, den Kündigungsgrund als ehrverletzend empfinde und
sich rechtliche Schritte vorbehalte.
Am 3. Juli 2002 wurde dem Rechtsvertreter von X.________ Einsicht in die
internen Unterlagen der Arbeitgeberin gewährt, aus welchen er die Namen der
Personen, welche die Vorwürfe erhoben hatten, ersehen konnte. Er musste sich
jedoch dazu verpflichten, seinem Klienten die entsprechenden Namen nicht
bekannt zu geben, woran er sich hielt.
Spätestens am 26. Juli 2002 bevollmächtigte X.________ seinen Rechtsvertreter
zur vollumfänglichen Wahrung seiner Interessen, einschliesslich der Stellung
eines Strafantrages wegen Ehrverletzung gegen die ihn beschuldigenden
Personen. Gleichentags ersuchte der Rechtsvertreter die Arbeitgeberin
schriftlich darum, seinem Klienten die Namen der entsprechenden Personen
bekannt geben zu dürfen, wozu diese mit Schreiben vom 13. August 2003
einwilligte.

B.
Am 13. November 2002 reichte X.________ beim Bezirksgericht Zürich
Ehrverletzungsklage gegen Y.________ ein. Mit Beschluss vom 7. Februar 2003
trat das Gericht auf die Klage infolge Verspätung nicht ein. Einen dagegen
erhobenen Rekurs wies das Obergericht des Kantons Zürich mit Beschluss vom
20. Juni 2003 ab.
Auf eine gegen den Entscheid des Obergerichts eingereichte kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde ist das Kassationsgericht des Kantons Zürich mit
Beschluss vom 7. Mai 2004 nicht eingetreten.

C.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, der
Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich sei aufzuheben.

Y. ________ beantragt in ihrer Stellungnahme vom 26. Juli 2004 die
vollumfängliche Abweisung der Nichtigkeitsbeschwerde, soweit darauf
eingetreten werden könne.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Im Verfahren der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde ist der Kassationshof
an die tatsächlichen Feststellungen der kantonalen Behörde gebunden (Art.
277bis Abs. 1 BStP). Ausführungen, die sich dagegen richten, sind unzulässig
(Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).
Der Beschwerdeführer kritisiert die Sachverhaltsermittlung durch die
Vorinstanz als willkürlich. So hält er insbesondere fest, das Gericht sei zu
Unrecht davon ausgegangen, dass er seinen Rechtsvertreter bereits vor dem 26.
Juli 2002 zur Stellung von Strafanträgen gegen die ihn beschuldigenden
Personen mandatiert habe. Entgegen der Auffassung der Beschwerdegegnerin kann
aus seinen Ausführungen indes nicht geschlossen werden, dass er vom
Bundesgericht verlangt, den vorinstanzlichen Entscheid aus diesem Grund
aufzuheben. Wie aus der Beschwerdebegründung klar erhellt, will er damit
lediglich darlegen, weshalb er gegen den Beschluss auch kantonale
Nichtigkeitsbeschwerde beim Kassationsgericht des Kantons Zürich eingereicht
hat. Seiner rechtlichen Argumentation legt er in der Folge ausdrücklich den
Sachverhalt zugrunde, wie ihn die Vorinstanz festgestellt hat. Auf sein
Rechtsmittel ist daher vollumfänglich einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe Art. 29 StGB
verletzt, indem sie davon ausgegangen sei, zum Zeitpunkt der Einreichung
seiner Klage sei die Frist, um Strafantrag zu stellen, bereits abgelaufen
gewesen. Für den Beginn des Fristenlaufs könne frühestens auf das Datum der
Entbindung seines Rechtsvertreters von der Stillhaltevereinbarung, mithin auf
den 13. August 2002, abgestellt werden.

2.1 Die dreimonatige Strafantragsfrist beginnt mit dem Tag, an welchem dem
Antragsberechtigten der Täter bekannt wird (Art. 29 StGB). Die
Antragsberechtigung richtet sich dabei nach dem Träger des angegriffenen
Rechtsgutes; bei höchstpersönlichen Rechtsgütern wie der Ehre ist Verletzter
nur der Träger des Rechtsgutes selbst (Art. 28 Ziff. 1 StGB; BGE 121 IV 258
E. 2b).
Das Recht, Strafantrag zu stellen, ist grundsätzlich höchstpersönlicher Natur
und unübertragbar (BGE 122 IV 207 E. 3c). Daraus hat das Bundesgericht
gefolgert, dass unter dem Antragsberechtigten nur der Verletzte persönlich
und nicht auch sein bevollmächtigter Vertreter zu verstehen ist, sodass die
Antragsfrist erst zu laufen beginnt, wenn der Verletzte persönlich die Tat
und den Täter kennt und nicht schon, wenn sein bevollmächtigter Vertreter
diese Kenntnis hat (BGE 80 IV 209 E. 2, 97 I 769 E. 2).

2.2 Nach Auffassung der Vorinstanzen rechtfertigt sich ein Abweichen von der
dargelegten Rechtsprechung im vorliegenden Fall deshalb, weil der
Beschwerdeführer seinen Rechtsvertreter schon vor dem Zeitpunkt, in welchem
er Kenntnis vom Namen der Beschwerdegegnerin erhielt, mit der Stellung eines
Strafantrages beauftragt hatte. Er habe sich dessen Kenntnis somit spätestens
ab dem 26. Juli 2002 - dem Datum der Bevollmächtigung - anrechnen zu lassen,
weshalb die Antragsfrist spätestens am 26. Oktober 2002 abgelaufen sei.
Die Vorinstanzen stützen ihre Ansicht auf Rehberg und Riedo. Rehberg vertritt
ohne weitere Begründung die Auffassung, auf die Kenntnis des bevollmächtigten
Vertreters müsse es entgegen der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ankommen,
wenn der Verletzte diesen bereits zu einem Zeitpunkt zur Stellung eines
Strafantrages ermächtigt habe, in welchem der Täter noch keinem von beiden
bekannt gewesen sei (Jörg Rehberg, Der Strafantrag, ZStrR 85 (1969) S. 247
ff., 269). Riedo teilt diese Meinung und schlägt vor, die Grundsätze
anzuwenden, wie sie für das Handeln von Organen juristischer Personen gelten.
Es sei stossend, wenn der Vertretene zur Wahrung seiner Interessen einen
Vertreter bestellen könnte, um sich später darauf zu berufen, er selbst habe
den Täter nicht gekannt (Christof Riedo, Basler Kommentar - Strafgesetzbuch
I, Art. 29 N 10).

2.3 Entgegen der Meinung der zitierten Autoren ist kein zwingender Grund
ersichtlich, in Fällen wie dem vorliegenden von der bisherigen Rechtsprechung
abzuweichen und dem Vertretenen die Kenntnis seines Bevollmächtigten
anzurechnen. Denn auch wenn ein Verletzter seinen Rechtsvertreter vor
Kenntnis des Täters mit der Einreichung eines Strafantrags beauftragt, ist es
durchaus denkbar, dass er, je nachdem, wer als Täter identifiziert wird,
keine Strafverfolgung wünscht. Der Entscheid, Strafantrag zu stellen oder
darauf zu verzichten, muss ihm daher persönlich erhalten bleiben. Weil der
Vertretene, der Strafantrag stellen möchte, im Allgemeinen an einer möglichst
baldigen Anhandnahme der Strafverfolgung interessiert sein dürfte, ist die
Gefahr des Rechtsmissbrauchs gering. Im Einzelfall könnte einem solchen
ohnehin Rechnung getragen werden.
Die Rechtslage bei der bürgerlichen Stellvertretung ist sodann keineswegs mit
derjenigen bei der Organvertretung vergleichbar, da juristische Personen
naturgemäss nicht selbst, sondern nur durch ihre Organe Strafantrag stellen
können. Viel eher scheint ein Vergleich mit der gesetzlichen Vertretung
urteilsfähiger Entmündigter angebracht. Denn dem gesetzlichen Vertreter steht
hier neben dem Verletzten ein selbständiges Antragsrecht zu (vgl. Art. 28
Abs. 3 StGB; BGE 127 IV 193 E. 5b). Wie Riedo selbst festhält, führt die
Kenntnis des Täters durch den Vertreter in diesen Fällen nicht zum Beginn des
Fristenlaufs für den Vertretenen (Riedo, a.a.O., Art. 28 N 29 sowie Art. 29 N
7; vgl. auch Walter Huber, Die allgemeinen Regeln über den Strafantrag im
schweizerischen Recht (StGB 28-31), Diss. Zürich 1967, S. 28). Muss sich aber
nicht einmal der gesetzlich Vertretene das Wissen seines Vertreters anrechnen
lassen, kann sich dies für die gewillkürte Stellvertretung umso weniger
rechtfertigen.
Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass sich der Rechtsvertreter des
Beschwerdeführers gegenüber dessen Arbeitgeberin vertraglich verpflichtet
hatte, seinem Mandanten die Namen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
welche die Vorwürfe der sexuellen Belästigung erhoben hatten, zu
verschweigen. Solange er an diese Vereinbarung gebunden war, durfte er keine
Strafklage gegen die betreffenden Personen einreichen. Denn hierfür hätte er
die Namen in der Klageschrift nennen müssen und der Beschwerdeführer hätte
sie spätestens durch Teilnahme am Strafprozess erfahren. Würde für die hier
zu entscheidende Frage auf die Kenntnis des Rechtsvertreters abgestellt,
hätte die Strafantragsfrist demnach vor dem Zeitpunkt zu laufen begonnen, ab
welchem Klage eingereicht werden durfte. Die Arbeitgeberin hätte es damit in
der Hand gehabt zu entscheiden, wie viel Zeit dem Beschwerdeführer für die
Stellung des Antrags verbleiben bzw. ob ihm dies überhaupt noch möglich sein
solle. Es kann aber nicht angehen, dass eine unbeteiligte Drittperson die
Dauer der Strafantragsfrist verkürzen kann. Das Argument der
Beschwerdegegnerin, der Beschwerdeführer habe nach der Entbindung seines
Rechtsvertreters von der Stillhalteverpflichtung am 13. August 2002 zur
Einreichung der Klage noch genügend Zeit gehabt, überzeugt daher nicht.

2.4 Nachdem der Name der Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer laut den
verbindlichen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz vor der Aufhebung
der Stillhaltevereinbarung nicht bekannt gegeben worden war, begann die
Antragsfrist nach den vorstehenden Erwägungen frühestens am 13. August 2002
zu laufen. Mit Einreichung der Klage am 13. November 2002 war die
dreimonatige Frist damit auf jeden Fall gewahrt, weshalb sich die Beschwerde
als begründet erweist.

3.

Demnach ist die Nichtigkeitsbeschwerde gutzuheissen, der Beschluss des
Obergerichts aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Beschwerdegegnerin kostenpflichtig
(vgl. Art. 278 Abs. 1 BStP) und ist dem Beschwerdeführer aus der
Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung zuzusprechen; die
Beschwerdegegnerin ist ihr zu entsprechendem Ersatz zu verpflichten (vgl.
Art. 278 Abs. 3 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird gutgeheissen, der Beschluss des Obergerichts
des Kantons Zürich, III. Strafkammer, aufgehoben und die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdegegnerin auferlegt.

3.
Dem Beschwerdeführer wird für das bundesgerichtliche Verfahren eine
Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus der Bundesgerichtskasse ausgerichtet; die
Beschwerdegegnerin wird verpflichtet der Bundesgerichtskasse dafür Ersatz zu
leisten.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. August 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: