Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.23/2003
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6S.23/2003 /kra

Urteil vom 19. Juni 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Kolly, Karlen,
Gerichtsschreiber Kipfer Fasciati.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr. Hans A. Schibli,
Cordulaplatz 1, 5402 Baden,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau.

Missachtung des Vortritts bei Einfahrt in einen Kreisverkehrsplatz,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau,
3. Strafkammer, vom 16. Dezember 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 7. Mai 2001 um 09.35 Uhr fuhr X.________ auf der Alberich Zwyssig-Strasse
in Wettingen auf den Kreisel Landstrasse/Alberich Zwyssig-Strasse zu und
mündete in den Kreisel ein. Er übersah dabei den links aus der Landstrasse
kommenden, sich bereits im Kreisel befindenden Fahrradlenker Y.________. In
der Folge kam es zwischen den beiden Fahrzeugen zu einer Kollision, worauf
Y.________ stürzte und sich verletzte.

B.
Gestützt auf diesen Sachverhalt verurteilte das Bezirksamt Baden X.________
in Anwendung von Art. 3 Abs. 1 VRV (Aufmerksamkeitsgebot), Art. 41b VRV
(Vortrittsregelung auf Kreisverkehrsplätzen) und Art. 90 Ziff. 1 SVG mit
Strafbefehl vom 8. Februar 2002 zu einer Busse von Fr. 300.--.

C.
Auf seine Einsprache hin bestätigte das Bezirksgericht Baden den Schuldspruch
wegen Missachtens des Vortritts bei Einfahrt in einen Kreisverkehrsplatz und
auferlegte X.________ eine Busse von Fr. 300.--; vom Vorwurf mangelnder
Aufmerksamkeit sprach es ihn frei.

D.
Die dagegen erhobene Berufung X.________s wies das Obergericht des Kantons
Aargau mit Urteil vom 16. Dezember 2002 ab.

E.
X.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
obergerichtliche Urteil sei aufzuheben und die Sache sei zu seiner
Freisprechung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

F.
Am 23. Januar 2003 verzichtete das Obergericht unter Hinweis auf seine
Erwägungen auf Gegenbemerkungen zur Beschwerde. Der Verzicht der
Staatsanwaltschaft auf Vernehmlassung datiert vom 17. Februar 2003.

G.
Am 18. Februar 2003 liess der Präsident des Kassationshofes beim Bundesamt
für Strassen einen Amtsbericht zu den mit der Beschwerde aufgeworfenen Fragen
einholen. Der am 17. März 2003 beim Bundesgericht eingegangene Amtsbericht
wurde den Parteien und dem Obergericht zur fakultativen Stellungnahme
zugestellt. Mit Schreiben vom 25. März 2003 verzichtete das Obergericht auf
eine ergänzende Stellungnahme zum Amtsbericht. Der Beschwerdeführer reichte
seine Stellungnahme am 7. April 2003 ein. Die Staatsanwaltschaft liess sich
nicht vernehmen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Wer bei der Einfahrt auf einen Kreisverkehrsplatz ("Kreisel") das
Vortrittsrecht eines sich von links nähernden Verkehrsteilnehmers verletzt,
macht sich nach Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 41b VRV strafbar. Der
Beschwerdeführer wendet sich mit zwei Vorbringen gegen den diesbezüglichen
Schuldspruch.

2.
2.1 Zunächst macht er geltend, die Vorinstanz habe das Vortrittsrecht der sich
von links nähernden Verkehrsteilnehmer vom eigentlichen Kreisverkehrsplatz in
sachlich nicht gerechtfertigter Weise auf die links von ihm einmündenden
Zufahrtsachsen ausgedehnt.

2.2 Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung hat der in einen Kreisel
einmündende Verkehrsteilnehmer jedem von links herannahenden Fahrzeuglenker
den Vortritt zu gewähren, wenn er ihn auf der Verzweigungsfläche behindern
würde. Dies gilt unabhängig davon, ob der andere Verkehrsteilnehmer die
Kreisfahrbahn befährt oder von einer Zufahrtsstrasse links von ihm in den
Kreisel einmündet, und sei dies vor, gleichzeitig oder auch nach ihm (BGE 115
IV 139 E. 2b und 2c in fine). Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung aus
dem Begriff der Vortrittsregel abgeleitet und dabei gleichzeitig auf Art. 14
Abs. 1 VRV Bezug genommen.

Vortrittsregeln besagen, welches von zwei Fahrzeugen eine Verzweigungsfläche
zuerst befahren darf, wenn sie die Verzweigungsfläche nicht gleichzeitig
befahren können, ohne sich zu behindern (a.a.O. E. 2a). Es ist deshalb
unerheblich, ob der vortrittsbelastete Lenker den Kreisel vor dem
vortrittsberechtigten Lenker erreicht; entscheidend ist allein, ob jener den
Kreisel befahren kann, ohne diesen zu behindern. Ist dies nicht der Fall, so
hat der vortrittsbelastete Lenker gemäss Art. 14 Abs. 1 VRV vor der
Verzweigung zu halten, auch wenn sich der Vortrittsberechtigte in diesem
Moment noch auf einer Zufahrtsstrasse zum Kreisel befindet.

Daran hat sich mit dem Erlass von Art. 41b VRV nichts geändert. Diese
Regelung wird allein durch den Vertrauensgrundsatz begrenzt, wonach sich der
vortrittsbelastete Lenker darauf verlassen darf, dass sich der andere
regelkonform verhalten wird (BGE 124 IV 81 E. 2b). Der Beschwerdeführer
beruft sich nicht darauf, dass sich der Fahrradlenker verkehrsregelwidrig
verhalten habe. Soweit er geltend macht, die Vorinstanz habe seine
Vortrittsbelastung zu Unrecht auf Fahrzeuge ausgedehnt, welche sich noch
nicht auf dem Kreisel, sondern auf links von ihm einmündenden Zufahrtsachsen
befinden, ist die Beschwerde demnach abzuweisen.

3.
3.1 Weiter bringt der Beschwerdeführer vor, der Bundesrat sei gar nicht befugt
gewesen, für Kreisverkehrsplätze vom grundsätzlichen Rechtsvortritt
abweichende Regeln aufzustellen. Zwar habe er die Kompetenz,
Vollziehungsvorschriften zum Strassenverkehrsgesetz zu erlassen, doch
beschränke die Delegationsnorm von Art. 57 Abs. 1 SVG diese Kompetenz auf den
Erlass ergänzender Verkehrsvorschriften und auf Ausnahmen bei der Regelung
besonderer Verhältnisse. Bei der Vortrittsregelung für Kreisverkehrsplätze
handle es sich um ein Art. 36 SVG derogierendes Vortrittsrecht. Dafür fehle
dem Bundesrat die Kompetenz, weshalb eine Strafe gestützt auf Art. 90 Ziff. 1
SVG i.V.m. Art. 41b VRV nicht ausgesprochen werden dürfe.

3.2 Das Bundesamt für Strassen führt in seinem Amtsbericht aus, dass in Art.
36 Abs. 2 SVG eine vom Rechtsvortritt abweichende Regelung durch
Signalisation ausdrücklich vorbehalten sei und dass gemäss Art. 27 Abs. 1 SVG
Signale und Markierungen den allgemeinen Regeln vorgingen. Bei der
Vortrittsregelung auf Kreisverkehrsplätzen handle es sich um eine Frage der
Signalisation mittels des Signals "Kein Vortritt". Dieses sei in seiner
Geltung nicht verändert worden. Der Bundesrat habe deshalb mit dem Erlass von
Art. 41b VRV bzw. Art. 24 Abs. 4 SSV seine Verordnungskompetenzen weder
überschritten noch habe er ein Art. 36 SVG derogierendes Recht geschaffen.

3.3
3.3.1Art. 41b Abs. 1 VRV bestimmt, dass der Fahrzeugführer vor der Einfahrt
in einen Kreisverkehrsplatz, der mit den Signalen 2.41.1 und 3.02
signalisiert ist, die Geschwindigkeit zu mässigen und den im Kreis von links
herannahenden Fahrzeugen den Vortritt zu lassen hat. Damit gilt für
Kreisverkehrsplätze ein Verkehrsregime, das von der in Art. 36 Abs. 2 SVG
statuierten Grundregel des Rechtsvortritts abweicht. Die vom Beschwerdeführer
aufgeworfene Frage, ob sich der Bundesrat für die Schaffung einer vom
Rechtsvortritt abweichenden Verkehrsregelung bei Kreisverkehrsplätzen auf
eine genügende Delegationsnorm stützte, kann offen bleiben.

3.3.2 Die Einfahrt in Kreisverkehrsplätze ist - wie auch im vorliegenden Fall
- mit den Signalen 2.41.1 ("Kreisverkehrsplatz") und 3.02 ("Kein Vortritt")
signalisiert. Art. 27 Abs. 1 SVG verlangt von den Strassenbenützern die
Befolgung der Signale und Markierungen. Diese Pflicht gilt primär für die
rechtmässigen Verkehrszeichen (BGE 128 IV 184 E. 4.2; 99 IV 164 E. 5; René
Schaffhauser, Grundriss des schweizerischen Strassenverkehrsrechts, Band I,
2. Aufl. 2002, N. 407). Allerdings richten sich die Signale und Markierungen
an eine Vielzahl von Strassenbenützern, die sich auf die Verkehrszeichen
verlassen und die eine allfällige Rechtswidrigkeit eines solchen Zeichens
meist nicht erkennen können. Im Interesse der Verkehrssicherheit verlangt die
Rechtsprechung des Bundesgerichts deshalb, dass auch nicht rechtmässig
aufgestellte Signale und Markierungen zu befolgen sind, wenn sie einen
schützenswerten Rechtsschein und damit das Vertrauen der übrigen
Verkehrsteilnehmer begründen. Die allenfalls festgestellte Rechtswidrigkeit
eines Verkehrszeichens ändert nichts an dessen Verbindlichkeit, solange es
nicht geradezu nichtig ist (vgl. BGE 128 IV 184 E. 4.2; 113 IV 123 E. 2b).

Die in Frage stehenden Verkehrszeichen bei Kreisverkehrsplätzen schaffen
Vertrauen, auf das sich die Verkehrsteilnehmer beim Befahren der
Kreisverkehrsplätze verlassen können müssen, und sie sind im Lichte der
bundesgerichtlichen Rechtsprechung keinesfalls nichtig. Der Beschwerdeführer
wäre demnach verpflichtet gewesen, die Signalisation zu beachten. Indem er
das Vortrittsrecht des nachmaligen Unfallgegners verletzte, hat er sich nach
Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 41b VRV strafbar gemacht. Die Beschwerde ist
demnach auch in diesem Punkt abzuweisen.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Kosten zu
tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, sowie dem
Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 19. Juni 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: