Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.216/2003
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6S.216/2003 /kra

Urteil vom 1. Oktober 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Monn.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt lic.iur. Roger Seiler,
Sorenbühlweg 13, 5610 Wohlen AG,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner,
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau.

Versuchte vorsätzliche Tötung und Raufhandel,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau,
1. Strafkammer,
vom 27. März 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 11. Februar 2001 kam es nach dem Schluss einer "Ballermann-Party" in
Reinach/AG beim Verlassen des Gebäudes zu einem Gerangel zwischen mehreren
Personen. X.________ erhielt von einem ihm Unbekannten einen Schlag gegen den
Kopf, worauf er zu Boden fiel. Er rappelte sich wieder auf und ergriff ein
Messer, das er in der Hosentasche bei sich trug. Mit dem Messer stach er
zweimal auf den Rücken von Y.________ ein. Dieser wurde lebensgefährlich am
Brustfell und an der Lunge verletzt. X.________ versorgte das Messer wieder
und floh vom Tatort.

B.
Das Bezirksgericht Kulm sprach X.________ am 19. März 2002 der versuchten
vorsätzlichen Tötung gemäss Art. 111 in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB
sowie des Raufhandels gemäss Art. 133 Abs. 1 StGB schuldig und bestrafte ihn
mit vier Jahren Zuchthaus, unter Anrechnung von elf Tagen Untersuchungshaft.

X. ________ erhob Berufung und die Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
Anschlussberufung.

Das Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, hiess die Berufung
X.________s am 27. März 2003 teilweise gut und setzte die Strafe auf 3 ½
Jahre Zuchthaus herab. Im Übrigen wurden die Berufung und die
Anschlussberufung abgewiesen.

C.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, die
Urteile des Obergerichts vom 27. März 2003 und des Bezirksgerichts Kulm vom
19. März 2002 seien teilweise aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung
an das Obergericht zurückzuweisen. Es seien ihm die unentgeltliche
Rechtspflege zu gewähren und Rechtsanwalt Roger Seiler als unentgeltlicher
Rechtsvertreter zu bestellen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde ist nur gegen letztinstanzliche kantonale Urteile
zulässig (Art. 269 Ziff. 1 BStP). Soweit der Beschwerdeführer beantragt, das
Urteil des Bezirksgerichts Kulm sei teilweise aufzuheben, ist darauf nicht
einzutreten.

2.
Die Vorinstanz verurteilte den Beschwerdeführer wegen versuchter
eventualvorsätzlicher Tötung, weil er es in Kauf genommen habe, dass der
Beschwerdegegner sterben könnte (vgl. angefochtener Entscheid S. 15/16). Der
Beschwerdeführer bestreitet, den Tod des Beschwerdegegners als
wahrscheinliche Folge seines Tuns vorausgesehen oder den Tod billigend in
Kauf genommen zu haben (vgl. Beschwerde S. 4 - 7).

Das Vorbringen ist offensichtlich unbegründet. Der Beschwerdeführer hat
zweimal bewusst, mit erheblicher Wucht und gezielt mit einem Messer auf den
Rücken des Beschwerdegegners eingestochen. Einer der Stiche traf den
Beschwerdegegner nur wenig unterhalb der Rückenmitte (heutiges Urteil zur
staatsrechtlichen Beschwerde 6P.80/2003, E. 1). Bei dieser Sachlage ist es
offensichtlich, dass der Beschwerdeführer den Tod des Beschwerdegegners für
den Fall, dass er eintreten sollte, in Kauf nahm. Davon, dass er auf "das
Ausbleiben der Todesfolge hätte vertrauen dürfen", kann nicht die Rede sein.
Die Schlussfolgerung der Vorinstanz ist auch dann richtig, wenn es sich beim
Beschwerdeführer um einen - wie er schreibt - "völlig ungebildeten" Menschen
handeln sollte. Die Beschwerde ist in diesem Punkt als klarerweise
unbegründet abzuweisen.

3.
In Bezug auf die Strafzumessung rügt der Beschwerdeführer, die Vorinstanz
habe dem Umstand, dass er nur mit Eventualvorsatz gehandelt habe, und damit
einer wesentlichen Tatkomponente, nämlich der Willensrichtung, mit der er
gehandelt habe, keine Rechnung getragen (vgl. Beschwerde S. 7).

Auch diese Rüge ist offensichtlich unbegründet. Der Eventualvorsatz ist dem
direkten Vorsatz grundsätzlich gleichgestellt, und es trifft deshalb nicht
zu, dass in jedem Fall eine Strafreduktion erfolgen müsste, wenn der Täter
"nur" mit Eventualvorsatz gehandelt hat. Im vorliegenden Fall hat der
Beschwerdeführer, ohne selber vom Beschwerdegegner angegriffen worden zu
sein, diesem ohne Weiteres zwei wuchtige Stiche in den Rücken versetzt und
ihn dadurch lebensgefährlich verletzt. Dies zeugt von einer
ausserordentlichen Gleichgültigkeit fremdem Leben gegenüber. Deshalb muss der
Umstand, dass der Beschwerdeführer den Tod des Beschwerdegegners "nur" in
Kauf nahm, nicht zu einer Minderung der Strafe führen. Angesichts seines
hinterhältigen Vorgehens und grossen Verschuldens erweist sich die
ausgesprochene Strafe von 3 ½ Jahren Zuchthaus als bundesrechtskonform. Die
Beschwerde ist auch in diesem Punkt offensichtlich unbegründet.

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
bundesgerichtlichen Kosten zu tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP). Das Gesuch um
unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung muss in Anwendung von Art. 152
OG abgewiesen werden, weil die Rechtsbegehren offensichtlich aussichtslos
waren. Der finanziellen Lage des Beschwerdeführers (vgl. act. 10) ist durch
eine herabgesetzte Gerichtsgebühr Rechnung zu tragen (Art. 153a Abs. 1 OG).
Dem Beschwerdegegner muss keine Entschädigung zugesprochen werden, weil er
nicht zur Vernehmlassung aufgefordert wurde und deshalb vor Bundesgericht
keine Umtriebe hatte.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf
einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau
und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 1. Oktober 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: