Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.185/2003
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 2003
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 2003


6S.185/2003 /kra

Urteil vom 4. Februar 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Boog.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Rolf Weidmann,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Esther Lange Naef,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Mehrfache Drohung, mehrfache einfache Körperverletzung; Strafantragsfrist,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
I. Strafkammer,
vom 3. April 2003.

Sachverhalt:

A.
Das Obergericht des Kantons Zürich erklärte X.________ mit Urteil vom 3.
April 2003 in zweiter Instanz der mehrfachen, teilweise versuchten
Geldwäscherei, der mehrfachen Drohung sowie der mehrfachen einfachen
Körperverletzung schuldig und verurteilte ihn zu 21 Monaten Gefängnis, unter
Anrechnung der erstandenen Untersuchungshaft. Von der Anklage weiterer
Delikte sprach es ihn frei. Ferner verpflichtete es ihn, seiner geschädigten
Ehefrau Schadenersatz in der Höhe von Fr. 100.-- zu bezahlen. Ihr
Genugtuungsbegehren sowie die Schadenersatzbegehren der übrigen Geschädigten
verwies es auf den Weg des Zivilprozesses. Ferner beschloss es über die
Einziehung und Verwertung der beschlagnahmten Gegenstände.

B.
X.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde, mit der er beantragt,
das angefochtene Urteil sei aufzuheben und die Sache zur neuen Beurteilung an
die Vorinstanz zurückzuweisen. Ferner stellt er das Gesuch um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

C.
Das Obergericht des Kantons Zürich hat auf Stellungnahme verzichtet.
Vernehmlassungen wurden nicht eingeholt.

D.
Das Kassationsgericht des Kantons Zürich hat mit Beschluss vom 1. Dezember
2003 eine in derselben Sache eingereichte kantonale Nichtigkeitsbeschwerde
abgewiesen, soweit es auf sie eintrat.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen den Schuldspruch der mehrfachen
Drohung sowie der mehrfachen einfachen Körperverletzung. Er macht geltend,
die Tatbestände der Drohung und der Körperverletzung seien keine
Dauerdelikte. Sie seien beendet, wenn die Schädigung an Körper oder
Gesundheit herbeigeführt bzw. das Opfer in Angst oder Schrecken versetzt
worden sei. Die Frist für den Strafantrag beginne daher mit jeder einzelnen
Tat gesondert zu laufen. Aus diesem Grund sei der von der Geschädigten
frühestens am 5. Juni 2001 gestellte Strafantrag für sämtliche Drohungen und
Körperverletzungen, welche mehr als drei Monate zurücklägen, d.h. vor dem 6.
März 2001 begangen worden seien, verwirkt.

Die Vorinstanz erkannte den Beschwerdeführer der mehrfachen Drohung sowie der
mehrfachen einfachen Körperverletzung für schuldig. Sie nimmt ohne weitere
Erwägungen an, die entsprechenden Strafanträge seien für sämtliche
Einzeltaten gültig erhoben worden.

1.1 Gemäss Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 StGB macht sich der einfachen
Körperverletzung schuldig, wer vorsätzlich einen Menschen in anderer als
schwerer Weise an Körper oder Gesundheit schädigt. Der Drohung gemäss Art.
180 StGB macht sich strafbar, wer jemanden durch schwere Drohung in Schrecken
oder Angst versetzt. Beide Taten werden nur auf Antrag im Sinne von Art. 28
StGB verfolgt.

1.2 Der Strafantrag gemäss Art. 28 StGB ist die bedingungslose
Willenserklärung des Verletzten, es solle für einen bestimmten Sachverhalt
Strafverfolgung stattfinden (BGE 128 IV 81 E. 2a). Gemäss Art. 29 StGB
erlischt das Recht zur Stellung des Strafantrags nach Ablauf von drei
Monaten. Die Antragsfrist beginnt, sobald dem Antragsberechtigten Täter und
Tat, d.h. deren Tatbestandselemente, bekannt sind. Erforderlich ist dabei
eine sichere, zuverlässige Kenntnis, die ein Vorgehen gegen den Täter als
aussichtsreich erscheinen lässt (BGE 121 IV 272 E. 2a mit Hinweisen).

1.3
1.3.1Die frühere Rechtsprechung entschied die Frage, wann die Frist für den
Strafantrag gemäss Art. 29 StGB bei Delikten zu laufen beginnt, die sich aus
mehreren strafbaren Handlungen zusammensetzten, nach den Voraussetzungen des
fortgesetzten Delikts. Danach blieb die Strafverfolgung bei Antragsdelikten,
die sich gegen das gleiche Rechtsgut richteten, nicht auf die dreimonatige
Frist von Art. 29 StGB beschränkt, sondern durfte der Täter auch wegen weiter
zurückliegender Taten verfolgt werden, wenn die Taten auf ein und denselben
Willensentschluss zurückgingen (BGE 91 IV 64 E. 1a; 90 IV 168 E. 1 S. 171; 80
IV 6 S. 7; 117 IV 408 E. 2b). Nach Aufgabe der Rechtsfigur des fortgesetzten
Delikts (BGE 117 IV 408; vgl. auch BGE 116 IV 121 E. 2 b/cc S. 124) bestimmt
sich nach der Rechtsprechung der Beginn der Antragsfrist nunmehr in Analogie
zu den Regeln über die verjährungsrechtliche Einheit (BGE 118 IV 325 E. 2b S.
329; vgl. auch BGE 121 IV 272 E. 2a).

Gemäss Art. 71 lit. a StGB (Art. 71 Abs. 2 aStGB) beginnt die Verjährung,
wenn der Täter die strafbare Tätigkeit zu verschiedenen Zeiten ausführt, mit
dem Tag, an dem er die letzte Tätigkeit ausführt. Eine Mehrzahl selbständiger
strafbarer Handlungen fasst die Rechtsprechung unter dem Gesichtspunkt des
Verjährungsbeginns rechtlich zu einer Einheit zusammen, wenn sie gleichartig
und gegen dasselbe Rechtsgut gerichtet sind und wenn in ihnen - ohne dass
bereits ein Dauerdelikt im Sinne von Art. 71 Abs. 3 StGB gegeben wäre - ein
andauerndes pflichtwidriges Verhalten liegt. Unter welchen Voraussetzungen
eine verjährungsrechtliche Einheit anzunehmen ist, lässt sich nicht in einer
abstrakten Formel umschreiben, sondern ist im Einzelfall nach objektiven
Kriterien und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Sachverhalts
sowie von Sinn und Zweck der Verjährungsordnung zu beurteilen. Der in Frage
stehende gesetzliche Straftatbestand muss aber Elemente enthalten, die ein
andauerndes pflichtwidriges Verhalten ausdrücklich oder zumindest sinngemäss
umfassen (BGE 127 IV 49 E. 1b; 126 IV 141 E. 1a; 124 IV 5 E. 2b je mit
Hinweisen; Urteil des Kassationshofs 6S.184/2003 E. 1.1 [nicht publiziert in
BGE 129 IV 305]).

In seiner bisherigen Rechtsprechung bejahte das Bundesgericht die Verbindung
mehrerer strafbarer Einzelhandlungen zu einer verjährungsrechtlichen Einheit
bei der ungetreuen Geschäftsführung (BGE 117 IV 408 E. 2g), bei der
gewohnheitsmässigen Einfuhr von Waren ohne Zollanmeldung (BGE 119 IV 73 E.
2d/cc), bei sexuellen Handlungen mit Kindern (BGE 120 IV 6 E. 2c/cc; vgl.
auch Urteil des Kassationshofs 6S.166/2000 vom 8.10.2001 E. 2 c/bb [nicht
publiziert in BGE 127 IV 198]), bei der Veruntreuung von in regelmässigen
Abständen über lange Zeit hinweg zur Verwaltung anvertrauten Geldern (BGE 124
IV 5 E. 3a), bei verschiedenen Veruntreuungen, die für sich eine einzige
Veruntreuungsserie bildeten (BGE 127 IV 49 E. 1d [nicht aber bei den
verschiedenen Serien von Veruntreuungen, E. 1e]) sowie in einem Fall einer
auf Dauer angelegten wiederholten Beamtenbestechung (BGE 126 IV 141 E. 1b und
c; ebenso Urteil des Kassationshofs 6S.413/1999 vom 19. Dezember 2000 E. 4b).

Das Bundesgericht verneinte eine verjährungsrechtliche Einheit bei der
wiederholten Annahme von Geschenken (BGE 118 IV 309 E. 2c), bei
Ehrverletzungen (BGE 119 IV 199 E. 2; Urteil des Kassationshofs 6S.490/2002
vom 9.1.2004 E. 2.3.4 und 2.4), bei den einzelnen strafbaren Handlungen eines
gewerbsmässigen Betruges (BGE 124 IV 59 E. 3b/aa), beim wiederholten
Beschaffen von Kokain für Parties (Sammelbestellungen; Urteil des
Kassationshofs 6S.190/2000 vom 11.7.2001 E. 2h), bei der betrügerischen
Erlangung von Leistungen der Arbeitslosenversicherung (Urteil des
Kassationshofs 6S.19/2002 vom 13.5.2002 E. 1c) sowie beim unlauteren
Wettbewerb durch irreführende Angaben (Urteil des Kassationshofs 6S.184/2003
E. 1.2.1 und 1.2.2 [nicht publiziert in BGE 129 IV 305]).

1.3.2 Die Frage des Beginns der Strafantragsfrist gemäss Art. 29 StGB hat
sich dem Bundesgericht in seiner bisherigen Rechtsprechung vorerst nur beim
Tatbestand der Vernachlässigung von Unterhaltspflichten gemäss Art. 217 Abs.
1 StGB gestellt. Es nahm an, die Antragsfrist beginne in einem Fall, in dem
der Pflichtige während einer gewissen Zeit und ohne Unterbrechung schuldhaft
die Zahlung der Unterhaltsbeiträge unterlasse, erst mit der letzten
schuldhaften Unterlassung zu laufen (BGE 118 IV 325 E. 2b; 121 IV 272 E. 2a;
vgl. auch BGE 117 IV 408 E. 2f/bb letzter Absatz).

1.4 Die Frist für den Strafantrag beginnt auch im vorliegenden Fall erst mit
der letzten Tat zu laufen. Nach den für den Kassationshof verbindlichen
Feststellungen der Vorinstanz (Art. 277bis Abs. 1 BStP) hat der
Beschwerdeführer seiner Ehefrau nach seiner Haftentlassung im September 2000
bis ca. am Montag, den 16. April 2001, dem Tag vor seiner erneuten
Inhaftierung, immer wieder angedroht, er bringe sie um, bzw. ihr mehrfach
erklärt, er hätte sie bereits umgebracht, wenn die gemeinsame Tochter nicht
da wäre. Dadurch versetzte er sie in Angst und Schrecken. Im gleichen
Zeitraum schlug der Beschwerdeführer seine Frau mehrfach, ca. zwei- bis
dreimal wöchentlich, mit Händen und Füssen. Im Februar 2001 schlug er sie
derart in den Nacken, dass sie zu Boden fiel und starke Kopf- und
Gliederschmerzen davon trug und sich in ärztliche Behandlung begeben musste.
Im selben Monat versetzte er ihr einen Schlag ins Gesicht, der sie am linken
Auge verletzte und das linke Brillenglas zerbrach.
Die dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Drohungen und Körperverletzungen
sind gleichartig und haben sich gegen dasselbe Opfer, mithin gegen dasselbe
individuelle Rechtsgut gerichtet. Damit sind die beiden ersten Elemente der
verjährungsrechtlichen Einheit gegeben.

Als erfüllt erscheinen auch die weiteren Voraussetzungen für die Annahme
einer Tateinheit. Das die einzelnen Taten verbindende Element ergibt sich
hier daraus, dass die Geschädigte und der Beschwerdeführer in einer
offensichtlich spannungsreichen ehelichen Gemeinschaft lebten, in welcher die
Ehefrau zusehends Gewalt und Drohungen seitens des Beschwerdeführers
ausgesetzt war. Durch die massiven verbalen Drohungen und die tätlichen
Übergriffe wurde sie in einen fortwährenden Angstzustand versetzt, der es ihr
nicht erlaubte, sich zur Wehr zu setzen. Dieser Zustand dauerte die gesamte
Zeit über bis zur neuerlichen Verhaftung des Beschwerdeführers an. Dies folgt
ohne weiteres daraus, dass es die Geschädigte in dieser Zeit aus Angst nicht
wagte, gegen den Beschwerdeführer Strafanzeige zu erheben und auch gegenüber
dem behandelnden Arzt über die durch ihre Misshandlungen erlittenen
Verletzungen nicht wahrheitsgemäss Auskunft gab. Die Geschädigte befand sich
daher in einem besonderen Abhängigkeits- und Unterdrückungsverhältnis. Die
vom Beschwerdeführer verübten Körperverletzungen und Drohungen sind daher
unter den Umständen des zu beurteilenden Falles in Bezug auf den Beginn der
Antragsfrist als Einheit zu werten.

Dem steht nicht entgegen, dass der Tatbestand der einfachen Körperverletzung
das Element des andauernden pflichtwidrigen Verhaltens nicht ausdrücklich
umfasst. Denn bei einer Konstellation, wie sie hier vorliegt, ist der
Geschädigten die Stellung eines Strafantrags nicht zumutbar, solange sie den
Drohungen und den andauernden Misshandlungen durch den Ehemann ausgeliefert
ist (vgl. auch Christof Riedo, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Art. 29 N
18). Die Konstellation ist insofern vergleichbar mit dem Fall der über lange
Zeit andauernden sexuellen Handlungen mit Kindern, in welchem die einzelnen
Taten nicht als eigenständige, punktuelle Einzelakte, sondern als eine
einzige Abfolge strafbaren Verhaltens erschienen, dessen einzelne Akte in ein
Beziehungsgeflecht eingebettet waren (BGE 120 IV 6 E. 2 c/cc).

Das angefochtene Urteil verletzt daher kein Bundesrecht. Die Beschwerde
erweist sich als unbegründet.

2.
Aus diesen Gründen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten
werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die
Kosten (Art. 278 Abs. 1 BStP ). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege
gemäss Art. 152 OG kann bewilligt werden, da von der Bedürftigkeit des
Beschwerdeführers auszugehen und diese ausreichend belegt ist (vgl. BGE 125
IV 161 E. 4) und er den angefochtenen Entscheid überdies mit vertretbaren
Argumenten in Frage gestellt hat (vgl. BGE 124 I 304 E. 2 mit Hinweisen). Dem
Beschwerdeführer werden deshalb keine Kosten auferlegt. Seinem Vertreter wird
aus der Bundesgerichtskasse eine angemessene Entschädigung ausgerichtet.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen.

3.
Es werden keine Kosten erhoben.

4.
Dem Rechtsvertreter des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Rolf Weidmann, wird
für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 3'000.-- aus
der Bundesgerichtskasse ausgerichtet.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 4. Februar 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: