Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.169/2003
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6S.169/2003 /kra

Urteil vom 21. November 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Borner.

R. ________,
Beschwerdeführer,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Sachbeschädigung,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer,
vom 31. Januar 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 11. Mai 2002 ging R.________ auf dem Trottoir der Birmensdorferstrasse in
Zürich und überquerte bei Grünlicht den Fussgängerstreifen der Weststrasse.
Als er sich auf der Mitte des Fussgängerstreifens befand, fuhr hinter ihm ein
Personenwagen durch, der von der Birmensdorferstrasse in die Weststrasse nach
rechts abzweigte (der PW hatte ebenfalls Grün, jedoch mit Warnblinker
betreffend Fussgänger). R.________ schlug mit der Faust gegen das Fahrzeug
und verursachte dabei eine Delle an der Fahrzeugtüre hinten rechts
(Sachschaden: ca. Fr. 1'200.--).

B.
Das Bezirksgericht Zürich verurteilte R.________ am 17. Oktober 2002 wegen
Sachbeschädigung zu einer unbedingten Gefängnisstrafe von 10 Tagen.

Auf Berufung des Verurteilten bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich
am 31. Januar 2003 den erstinstanzlichen Schuldspruch, verhängte jedoch als
Strafe eine Busse von Fr. 1'000.--.

Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde gegen dieses Urteil wies das
Kassationsgericht des Kantons Zürich am 29. Juli 2003 ab, soweit es darauf
eintrat.

C.
R.________ führt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts sei aufzuheben.

Das Obergericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz sei von einem falschen Begriff des
Eventualvorsatzes ausgegangen. Ihre Ausführungen deuteten nur auf
Fahrlässigkeit hin. Völlig falsch sei die Behauptung, er habe um die Wirkung
eines Schlages wissen müssen, weil er während zwölf Jahren geboxt habe. Zudem
reiche das Wissen um die Möglichkeit des Erfolgseintritts allein zur Annahme
des Eventualvorsatzes nicht aus. Erforderlich sei auch die Inkaufnahme dieses
Erfolgs. Im Übrigen sei die Vorinstanz nicht auf seine Beweggründe sowie die
Art der Tathandlung eingegangen.

2.
Eventualvorsatz ist gegeben, wenn der Täter den Eintritt des Erfolgs bzw. die
Tatbestandsverwirklichung für möglich hält, aber dennoch handelt, weil er den
Erfolg für den Fall seines Eintritts in Kauf nimmt, sich mit ihm abfindet,
mag er ihm auch unerwünscht sein. Der eventualvorsätzlich handelnde Täter
weiss um die Möglichkeit, das Risiko der Tatbestandsverwirklichung. Auch der
bewusst fahrlässig handelnde Täter erkennt dieses Risiko. Insoweit, d.h.
hinsichtlich des Wissensmoments, besteht mithin zwischen Eventualvorsatz und
bewusster Fahrlässigkeit Übereinstimmung. Der Unterschied liegt beim
Willensmoment. Der bewusst fahrlässig handelnde Täter vertraut (aus
pflichtwidriger Unvorsichtigkeit) darauf, dass der von ihm als möglich
vorausgesehene Erfolg nicht eintreten, das Risiko der Tatbestandserfüllung
sich nicht verwirklichen werde. Der eventualvorsätzlich handelnde Täter nimmt
hingegen den als möglich erkannten Erfolg für den Fall seines Eintritts in
Kauf, findet sich damit ab. Wer den Erfolg in Kauf nimmt, "will" ihn im Sinne
von Art. 18 Abs. 2 StGB. Dazu ist insbesondere nicht erforderlich, dass der
Täter den Erfolg "billigt".

Was der Täter wusste, wollte und in Kauf nahm, betrifft so genannte innere
Tatsachen, ist damit Tatfrage und kann daher im Verfahren der eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde nicht zur Entscheidung gestellt werden (Art. 273 Abs.
1 lit. b, 277bis BStP). Das gilt grundsätzlich auch dann, wenn bei Fehlen
eines Geständnisses des Täters aus äusseren Umständen auf jene inneren
Tatsachen geschlossen wird. Allerdings ist nicht zu übersehen, dass sich
insoweit Tat- und Rechtsfragen teilweise gewissermassen überschneiden. Daher
hat der Sachrichter die relevanten tatsächlichen Umstände möglichst
erschöpfend darzustellen, damit erkennbar wird, aus welchen Umständen er auf
Inkaufnahme der Tatbestandsverwirklichung geschlossen und damit auf
Eventualvorsatz erkannt hat. Denn der Sinngehalt der zum Eventualdolus
entwickelten Formeln lässt sich nur im Lichte der tatsächlichen Umstände des
Falles prüfen, und das Bundesgericht kann daher in einem gewissen Ausmass die
richtige Bewertung dieser Umstände im Hinblick auf den Rechtsbegriff des
Eventualvorsatzes überprüfen. Zu den relevanten Umständen für die
Entscheidung der Rechtsfrage, ob der Täter eventualvorsätzlich oder bewusst
fahrlässig gehandelt hat, gehören u.a. die Grösse des (ihm bekannten) Risikos
der Tatbestandsverwirklichung und die Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung.
Je grösser etwa das Risiko der Tatbestandsverwirklichung ist und je schwerer
die Sorgfaltspflichtverletzung wiegt, desto näher liegt die tatsächliche
Schlussfolgerung, der Täter habe die Tatbestandsverwirklichung in Kauf
genommen, also entgegen seiner Behauptung nicht (pflichtwidrig unvorsichtig)
darauf vertraut, dass sich dieses Risiko nicht verwirklichen bzw. der
tatbestandsmässige Erfolg nicht eintreten werde. Zu den relevanten Umständen
können aber auch die Beweggründe des Täters und die Art der Tathandlung
gehören (BGE 125 IV 242 E. 3c S. 251 mit Hinweisen).

3.
Die Vorinstanz führt zur Begründung des Eventualvorsatzes unter anderem an,
der Beschwerdeführer habe um die Wirkung eines Schlages gegen die Autotüre
gewusst, da er während zwölf Jahren geboxt habe. Selbst wenn man diese
Annahme nicht als verbindliche tatsächliche Feststellung, sondern als
Ausfluss der allgemeinen Lebenserfahrung versteht, leuchtet ohne weiteres
ein, dass ein langjähriger Boxer aufgrund seiner Erfahrung mindestens
ungefähr abzuschätzen vermag, welche Wirkung ein Schlag hat. Dies gilt auch
für einen Schlag gegen eine Autotüre, welcher bereits mit relativ geringem
Kraftaufwand eine Delle zugefügt werden kann. Die Ansicht des
Beschwerdeführers, er habe nicht fest geschlagen, hat die Vorinstanz
verworfen, nachdem er selbst erklärt hatte, bedingt durch seine lang dauernde
Boxertätigkeit sei der Schlag etwas härter ausgefallen; er sei diesbezüglich
privilegiert. Die Vorinstanz verneint auch eine reflexartige Bewegung, weil
der Beschwerdeführer mit dem Schlag gegen die Autotüre bezweckte, den
Fahrzeuglenker auf sich oder seine Frau und die Tochter aufmerksam zu machen,
die den Fussgängerstreifen erst überqueren wollten. Wenn der Beschwerdeführer
sich durch Klopfen hätte bemerkbar machen wollen, hätte er an die
verschlossenen Fenster des Wagens klopfen können.

Der Beschwerdeführer hat somit nicht etwa durch Klopfzeichen an die durchaus
widerstandsfähigen Fensterscheiben auf sich aufmerksam machen wollen, sondern
hat einen relativ harten Schlag gegen die Autotüre geführt. Ein solcher
Schlag ist ohne weiteres geeignet, eine Delle in der Karosserie zu
verursachen. Da der Beschwerdeführer als langjähriger geübter Boxer die
Wirkung seiner Schläge zumindest ungefähr kannte und einen relativ kräftigen
Schlag gegen die Autotüre führte, war für ihn auch erkennbar, dass der Schlag
die Türe mit erheblicher Wahrscheinlichkeit beschädigen könnte. Aus diesen
Umständen durfte die Vorinstanz ableiten, der Beschwerdeführer habe die
Tatbestandsverwirklichung in Kauf genommen, mithin die Sachbeschädigung
eventualvorsätzlich begangen. Eine Verletzung von Bundesrecht ist nicht
ersichtlich. Damit erweist sich die Beschwerde als unbegründet.

4.
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da
seine Begehren von vornherein aussichtslos erschienen, ist das Gesuch
abzuweisen (Art. 152 OG).

Folglich wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 278 Abs. 1 BStP).
Bei der Bemessung der Gerichtsgebühr ist jedoch seinen finanziellen
Verhältnissen Rechnung zu tragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 21. November 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: