Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.152/2003
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6S.152/2003 /kra

Urteil vom 25. August 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Monn.

Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen, Untersuchungsamt Altstätten, 9450
Altstätten SG,
Beschwerdeführerin,

gegen

X.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Heinz-Peter Kühnis,
Zürcher Strasse 53, 9000 St. Gallen.

Vernachlässigung von Unterhaltspflichten,

Nichtigkeitsbeschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen,
Strafkammer, vom

4. März 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde im Rahmen vorsorglicher Massnahmen durch den Präsidenten
des Bezirksgerichts Rorschach am 20. September 1999 verpflichtet, an den
persönlichen Unterhalt seiner Ehefrau während des Scheidungsverfahrens von
Juli 1998 bis Dezember 1999 monatlich Fr. 10'980.-- und ab Januar 2000
jeweils Fr. 8'300.-- zu bezahlen. Am 1. Dezember 1999 bzw. am 19. Januar 2000
betrieb ihn die Ehefrau für ausstehende Unterhaltszahlungen aus den Jahren
1998 und 1999 sowie für die Monate Dezember 1999 und Januar 2000. Am 19. und
27. Januar 2000 ersuchte sie den Präsidenten des Bezirksgerichts
Unterrheintal um definitive Rechtsöffnung im Umfang von Fr. 48'081.60, welche
mit Entscheid vom 9. März 2000 für Fr. 44'140.-- erteilt wurde. Der
Rechtsöffnungsentscheid ging am 28. März 2000 bei den Parteien ein. Im
Anschluss an eine Besprechung mit seinem Anwalt wies X.________ am 6. April
2000 seine Bank an, die ausstehenden Unterhaltsbeiträge zu überweisen.

B.
Das Bezirksgericht Unterrheintal sprach X.________ mit Urteil vom 24./29.
Oktober 2001 der Vernachlässigung von Unterhaltspflichten schuldig und
bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 4'000.--.

Dagegen erhoben X.________ und die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen
Berufung.

Das Kantonsgericht St. Gallen sprach X.________ mit Urteil vom 4. März 2003
frei.

C.
Die Staatsanwaltschaft des Kantons St. Gallen führt eidgenössische
Nichtigkeitsbeschwerde und beantragt, das Urteil vom 4. März 2003 sei
aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Die Vorinstanz beantragt sinngemäss, die Beschwerde sei abzuweisen. Der
Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf
einzutreten sei.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Wer seine familienrechtlichen Unterhalts- oder Unterstützungspflichten nicht
erfüllt, obwohl er über die Mittel dazu verfügt oder verfügen könnte, wird,
auf Antrag, mit Gefängnis bestraft (Art. 217 Abs. 1 StGB). Strafbar macht
sich nicht nur derjenige, der nichts oder zu wenig leistet, sondern auch, wer
seinen Verpflichtungen zu spät nachkommt. Massgebend ist dabei die Fälligkeit
der Unterhaltsforderung. Auf die Dauer der Nichterfüllung kommt es nicht an.
Der Unterhaltspflichtige macht sich nicht erst strafbar, wenn er um mehr als
eine Zahlungsperiode in Verzug kommt oder sogar wiederholt oder fortgesetzt
seine Unterhaltspflicht nicht erfüllt. Es genügt, wenn er einmal nicht bei
Fälligkeit leistet (BGE 108 IV 170, nicht publizierte E. 2c). Der Täter muss
vorsätzlich handeln, d.h. er muss seine Leistungspflicht kennen und deren
Nichterfüllung wollen oder zumindest in Kauf nehmen.

2.
Nach den Feststellungen der Vorinstanz machte der Beschwerdegegner im
Rechtsöffnungsverfahren Verrechnungseinreden geltend. Anhaltspunkte dafür,
dass er damals an der Rechtmässigkeit seines Verhaltens gezweifelt hätte oder
solche Zweifel hätte haben müssen, seien nicht ersichtlich. Die Vorinstanz
kommt deshalb zum Schluss, dass er sich erst nach dem Erhalt des
Rechtsöffnungsentscheids am 28. März 2000 seiner Zahlungspflicht bewusst
geworden sei (angefochtener Entscheid S. 9/10).

Soweit die Beschwerdeführerin unter Hinweis auf die Anklageschrift und das
gesamte Verhalten des Beschwerdegegners sinngemäss geltend macht, dieser sei
schon während des Rechtsöffnungsverfahrens bösgläubig gewesen (Beschwerde S.
4), kann darauf nicht eingetreten werden. Das Bundesgericht ist im
vorliegenden Verfahren an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz
gebunden (Art. 277bis Abs. 1 BStP), und Ausführungen, die sich dagegen
richten, sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP).

3.
Es ist mit der Vorinstanz deshalb davon auszugehen, dass sich der
Beschwerdegegner erst nach dem Erhalt des Rechtsöffnungsentscheids am 28.
März 2000 seiner Zahlungspflicht bewusst wurde. Die Vorinstanz führt für die
Zeit danach aus, vernünftigerweise müsse ihm überdies auch eine Besprechung
des Rechtsöffnungsentscheids mit seinem Rechtsanwalt zugestanden werden. Eine
Vernachlässigung der Unterhaltspflicht käme nur für die kurze und zudem durch
ein Wochenende unterbrochene Zeitspanne zwischen dem 28. März 2000 und der
Erteilung des Zahlungsauftrages am 6. April 2000 in Frage. Eine so
geringfügige Verspätung von wenigen Tagen müsse aber angesichts der Schwere
der in Art. 217 Abs. 1 StGB angedrohten Sanktion straflos bleiben
(angefochtener Entscheid S. 10). Die Beschwerdeführerin ist demgegenüber der
Ansicht, dass die nicht rechtzeitige Erbringung der geschuldeten Leistung für
die Strafbarkeit genüge, ohne dass es darüber hinaus einer gewissen Dauer der
Pflichtvernachlässigung bedürfe (Beschwerde S. 4).

Der Auffassung der Vorinstanz kann nicht beigepflichtet werden. Zwar wird in
der Literatur die von ihr zitierte Auffassung vertreten, dass derjenige
straflos bleiben soll, dessen Zahlung nur wenige Tage verspätet erfolgt
(Peter Albrecht, in: Kommentar zum Schweizerischen Strafrecht,
Schweizerisches Strafgesetzbuch, Besonderer Teil, 4. Band, Hrsg.: Martin
Schubarth, Bern 1997, Art. 217 N. 48). Wie es sich bei einem einmaligen und
geringfügigen Pflichtversäumnis von wenigen Tagen verhält, muss heute jedoch
nicht geprüft werden, da ein anderer Sachverhalt zu beurteilen ist. Der
Beschwerdegegner war nicht bloss mit der Zahlung wenige Tage im Rückstand,
sondern blieb Unterhaltsbeiträge aus den Jahren 1998, 1999 und 2000 schuldig,
so dass er durch seine Ehefrau betrieben und ein Rechtsöffnungsverfahren
durchgeführt werden musste. Selbst wenn er sich zuvor in einem Irrtum über
seine Zahlungspflicht befunden haben sollte, hätte er nach Abschluss des
Rechtsöffnungsverfahrens, also am 28. März 2000, unverzüglich zahlen müssen,
da er spätestens zu diesem Zeitpunkt wusste, dass er nicht verrechnen konnte.
Statt dessen verreiste er mit den Kindern in die Ferien (Urteil
Bezirksgericht S. 26), und nach der Rückkehr zog er zunächst weitere
Erkundigungen ein, bevor er endlich über eine Woche nach Erhalt des
Rechtsöffnungsentscheids zahlte. Davon, dass ihm diese erneute und durch
nichts gerechtfertigte Verzögerung "vernünftigerweise" auch noch zugestanden
werden könnte, wie die Vorinstanz meint, kann nicht die Rede sein. Der
angefochtene Entscheid verletzt in diesem Punkt Art. 217 StGB. Er ist deshalb
aufzuheben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz
zurückzuweisen.

4.
Da der Beschwerdegegner unterliegt, hat er die bundesgerichtlichen Kosten zu
tragen (Art. 278 Abs. 1 BStP).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird, soweit darauf einzutreten
ist, gutgeheissen, das Urteil des Kantonsgerichts St. Gallen, Strafkammer,
vom 4. März 2003 aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die
Vorinstanz zurückgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdegegner auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht St. Gallen,
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 25. August 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: