Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6S.150/2003
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6S.150/2003 /kra

Urteil vom 16. Januar 2004
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Briw.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Bühlmann,

gegen

A.________,
Beschwerdegegnerin, vertreten durch Rechtsanwältin Brigitta Maag,
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Postfach, 8023 Zürich.

Strafzumessung (Vergewaltigung),

Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich,
II. Strafkammer, vom 7. Februar 2003.

Sachverhalt:

A.
X. ________ wurde im Hauptanklagepunkt vorgeworfen, er habe am 12. Oktober
2000 mit der damals mit ihm zusammen wohnenden Geschädigten gegen ihren
Willen den Geschlechtsverkehr vollzogen. Sie habe ihm erklärt, sie wolle
nicht mit ihm im gleichen Bette schlafen. Da habe er sie auf das Bett
gestossen, wo sie rücklings zu liegen gekommen sei. Er habe sie am Handgelenk
festgehalten und ihr die Hosen ausgezogen. Obwohl sie sich gewehrt und gegen
ihn gekämpft habe, sei es ihm gelungen, in sie einzudringen, weil er ihr
körperlich überlegen gewesen sei. X.________ bestritt den Vorwurf.

B.
Das Bezirksgericht Bülach verurteilte X.________ am 12. Juni 2002 wegen
Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB) und wegen mehrfachen Missbrauchs einer
Fernmeldeanlage (Art. 179septies StGB) zu 18 Monaten Zuchthaus und zu einer
Busse von Fr. 250.-- sowie zur Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 8'000.-- an
die Geschädigte. Es schob den Vollzug der Freiheitsstrafe auf und setzte eine
Probezeit von 5 Jahren fest.

Auf Appellation von X.________ und der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
verurteilte ihn das Obergericht des Kantons Zürich am 7. Februar 2003 wegen
Vergewaltigung (Art. 190 Abs. 1 StGB) zu 2 Jahren Zuchthaus sowie zur
Bezahlung einer Genugtuung von Fr. 8'000.-- an die Geschädigte. Auf die
Anklage betreffend den mehrfachen Missbrauch einer Fernmeldeanlage trat es
wegen Verjährung nicht ein.

Eine kantonale Nichtigkeitsbeschwerde von X.________ wies das
Kassationsgericht des Kantons Zürich am 4. August 2003 ab, soweit darauf
eingetreten werden konnte.

C.
X.________ erhebt eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde mit dem Antrag, das
Urteil des Obergerichts aufzuheben, die Sache zur Neubeurteilung an dieses
zurückzuweisen, ihm die unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren und der
Beschwerde die aufschiebende Wirkung zu erteilen.

Das Obergericht des Kantons Zürich, die Geschädigte sowie die
Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich verzichteten auf Vernehmlassung.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer begründet seine Beschwerde weitgehend mit tatsächlichen
Vorbringen, die im massgeblichen Sachverhalt keine Stütze finden. Die
Nichtigkeitsbeschwerde kann nur damit begründet werden, dass die angefochtene
Entscheidung eidgenössisches Recht verletze (Art. 269 BStP). Ausführungen,
die sich gegen die tatsächlichen Feststellungen des Entscheides richten, das
Vorbringen neuer Tatsachen, neue Einreden, Bestreitungen und Beweismittel
sind unzulässig (Art. 273 Abs. 1 lit. b BStP). Auf die Auseinandersetzung des
Beschwerdeführers mit den kantonalen Akten wie der Bestreitung, sich
rücksichtslos über das Opfer hinweggesetzt und es auf Gröbste missbraucht zu
haben, ist daher nicht einzutreten. Unzulässig sind etwa auch die
Beweisofferte zur Einreichung eines psychiatrischen Gutachtens im
Zusammenhang mit einer nach dem vorinstanzlichen Urteilszeitpunkt erfolgten
Klinikeinweisung oder der Hinweis auf einen Alkoholkonsum zur Tatzeit
(Beschwerde S. 6 f.). Der Zustand des Täters zur Tatzeit ist Tatfrage, die
als solche in diesem Verfahren nicht zur Entscheidung gestellt werden kann
(BGE 107 IV 3 E. 1a).

Der Beschwerdeführer folgert ebenfalls aus einer unzulässigen eigenen
tatsächlichen Würdigung der Akten, dass der subjektive Sachverhalt nicht
erfüllt wäre und ein Eventualvorsatz entlastend berücksichtigt werden müsste
(Beschwerde S. 7). Der subjektive Sachverhalt kann mit Nichtigkeitsbeschwerde
nicht angefochten werden. Aufgrund der verbindlichen tatsächlichen
Feststellungen (Art. 277bis BStP) nimmt die Vorinstanz im Übrigen zu Recht
eine vorsätzliche Tatbegehung an (angefochtenes Urteil S. 21 mit Verweisung
auf das Urteil des Bezirksgerichts S. 15).

2.
Die Vorinstanz führt zur Strafzumessung aus, es lägen keine Strafschärfungs-,
Strafmilderungs- und Strafminderungsgründe vor. Leicht straferhöhend seien
drei geringfügige, gelöschte Vorstrafen zu berücksichtigen. Das
Bezirksgericht habe zu den persönlichen Verhältnissen zutreffend erwogen,
dass diese die Strafe weder nach oben noch nach unten beeinflussten. Eine
Strafe von 18 Monaten sei zu tief. Der Bezirksanwalt habe den nach seinem
Dafürhalten tiefen Strafantrag mit liberal-pragmatischen Überlegungen
begründet. Für solche Überlegungen sei vorliegend kein Platz. Es sei vom
objektiven Unrechtsgehalt der Tat auszugehen, von den persönlichen
Beweggründen und dem Verschulden und nicht davon, ob die Geschädigte
interessiert sei, dass der Beschwerdeführer bestraft werde oder nicht. Das
Bezirksgericht habe das Verschulden zutreffend als erheblich taxiert. Zu
bedenken sei, dass zuvor mehr als drei Jahre eine Liebesbeziehung bestanden
habe. Die beiden hätten früher im gleichen Unternehmen gearbeitet. Nachdem
jahrelang kein Kontakt mehr bestanden habe, habe der Beschwerdeführer die
Geschädigte in einer schwierigen Situation in einer psychiatrischen Klinik
wieder getroffen, in die er selber infolge eines Selbstmordversuchs
eingeliefert worden sei. Er habe somit um ihren Gemütszustand und ihre
psychischen Probleme gewusst. Er hätte daher bedenken müssen, welche Folgen
sein Verhalten bei der Geschädigten auslösen konnte. Darüber habe er sich
rücksichtslos hinweggesetzt und die Geschädigte aufs Gröbste missbraucht.
Gerade die Nähe zwischen Opfer und Täter könne das Verhalten als besonders
schmerzhaft und das Verschulden somit als nicht weniger gravierend erscheinen
lassen. Es könnten keine entlastenden Gründe angeführt werden. Auch das
Verhalten nach der Tat gebiete keine besondere Milde (angefochtenes Urteil S.
21 - 23).

Der Beschwerdeführer macht eine unrichtige Strafzumessung durch Festsetzung
einer zu hohen Strafe geltend. Die Vorinstanz verwerfe die überzeugenden
spezialpräventiven Erwägungen des Bezirksgerichts. Sie begründe dies mit dem
Strafrahmen und verweise einseitig auf die drei Jahre dauernde Beziehung zu
der Geschädigten und ihre psychischen Probleme. Seine zum Tatzeitpunkt nicht
minder problematische psychische Verfassung werde nicht einmal in Erwägung
gezogen. Insbesondere sein aktenkundiger Klinikaufenthalt hätte Anlass zu
einer solchen Auseinandersetzung geben müssen. Die Geschädigte habe kein
Strafverfahren gewünscht. Liege eine harte Bestrafung nicht im Interesse der
Geschädigten, dürfe der Staat nicht dessen ungeachtet eine hohe Strafe
aussprechen. Weiter dürfe die Strafzumessung nicht von der Frage des
bedingten Vollzugs getrennt werden. Die Vorinstanz habe durch die
unzureichende Gewichtung strafmindernder Faktoren Art. 63 StGB i.V.m. Art. 41
Ziff. 1 Abs. 1 StGB verletzt.

3.
Die Strafe ist nach dem Verschulden des Täters zuzumessen; dabei sind
Beweggründe, Vorleben und persönliche Verhältnisse des Schuldigen zu
berücksichtigen (Art. 63 StGB). Es müssen die wesentlichen Tat- und
Täterkomponenten beurteilt, das Ausmass qualifizierender Tatumstände
gewichtet und die Strafzumessung nachvollziehbar begründet werden. Dabei
besitzt die Vorinstanz ein erhebliches Ermessen. Das Bundesgericht greift auf
Nichtigkeitsbeschwerde hin nur ein, wenn die Vorinstanz den gesetzlichen
Strafrahmen über- oder unterschritten hat, wenn sie von rechtlich nicht
massgebenden Kriterien ausgegangen ist oder wenn sie wesentliche
Gesichtspunkte ausser Acht gelassen bzw. in Überschreitung oder Missbrauch
ihres Ermessens falsch gewichtet hat (BGE 129 IV 6 E. 6.1). Das Bundesgericht
hebt ein Urteil insbesondere auch auf, wenn die Strafe übertrieben hart oder
mild erscheint, so dass von einem Ermessensmissbrauch gesprochen werden muss.
Dies ist aber erst bei einem unhaltbaren Strafmass anzunehmen (BGE 127 IV 101
E. 2c; 122 IV 241; 117 IV 401).

Der Begriff des Verschuldens bezieht sich auf den gesamten Unrechts- und
Schuldgehalt der Straftat (BGE 129 IV 6 E. 6.1) und ist damit das wesentliche
Strafzumessungskriterium (BGE 127 IV 101 E. 2a). Das Bezirksgericht hatte aus
spezialpräventiven Überlegungen eine Freiheitsstrafe festgesetzt, die den
bedingten Strafvollzug noch zuliess. Die Vorinstanz verwirft diese
Argumentation. Sie stuft das Verschulden als erheblich ein. Dagegen macht der
Beschwerdeführer schuldmindernd eine schwierige Beziehung zum Opfer sowie die
Tatschwere relativierende Umstände geltend (Beschwerde S. 6 f.). Dabei stützt
er sich auf eine eigene Würdigung der Akten, weshalb darauf - wie erwähnt -
insoweit nicht eingetreten werden kann. Bezüglich der Beziehung zwischen
Täter und Opfer wird in der Literatur von einer Ambivalenz der
Strafzumessungstatsachen gesprochen, da sie straferhöhend oder strafmindernd
wirken können (Hans Wiprächtiger, Basler Kommentar, Strafgesetzbuch I, Basel
2003, Art. 63 StGB N. 64). Vorliegend ist wesentlich, dass der
Beschwerdeführer die psychische Verfassung des Opfers kannte und sich darüber
rücksichtslos hinwegsetzte und das Opfer auf Gröbste missbrauchte. Wie die
Vorinstanz ausführt, kann das Verschulden wegen der langjährigen Beziehung
nicht als weniger gravierend erscheinen (angefochtenes Urteil S. 23). Sie
nimmt weiter zu Recht an, dass es nicht darauf ankommen kann, ob das Opfer
eine Bestrafung wünsche. Vergewaltigung wird als schweres Verbrechen von
Amtes wegen verfolgt. Der Strafanspruch steht dem Staate zu. Der
Kassationshof hat in BGE 122 IV 241 E. 1b eine ähnliche Argumentation, wie
sie der Beschwerdeführer heute vorbringt, grundsätzlich verworfen und
angenommen, dass selbst eine nachfolgende Eheschliessung zwischen Täter und
Opfer nicht strafmindernd zu berücksichtigen ist. Wie die Vorinstanz
ausführt, ergibt sich keine Veranlassung, das Verschulden relativierend zu
beurteilen (angefochtenes Urteil S. 23).

Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, seine eigene problematische
psychische Verfassung werde von der Vorinstanz nicht einmal in Erwägung
gezogen. Dabei verweist er auf die aktenkundige frühere Einweisung in eine
psychiatrische Anstalt (Beschwerde S. 6; angefochtenes Urteil S. 23). Diese
steht mit der Tat in keinem ersichtlichen Zusammenhang, so dass sich die
Vorinstanz damit bei der Strafzumessung nicht weiter auseinander setzen
musste (vgl. ferner Protokoll Bezirksgericht S. 6 f.; Protokoll Obergericht
S. 5 f.). Es geht auch hier um Tatfragen, so dass darauf nicht weiter
eingetreten werden kann. Auf die wirtschaftlichen Verhältnisse hat die
Vorinstanz hingewiesen (angefochtenes Urteil S. 22). Im Ergebnis hat sie -
wie bereits das Bezirksgericht - die persönlichen Verhältnisse weder
straferhöhend noch strafmindernd bewertet (angefochtenes Urteil S. 22). Darin
ist kein Ermessensmissbrauch zu sehen. Das Nichteintreten auf die Anklage
wegen mehrfachen Missbrauchs einer Fernmeldeanlage führte zum Wegfall der
diesbezüglichen Busse und der Strafschärfung (Art. 68 Ziff. 1 StGB). Die
Vorinstanz hat eindeutig wegen des erheblichen Tatverschuldens eine höhere
Strafe festgesetzt. Diese erscheint nicht als übertrieben hart im Sinne der
Rechtsprechung. Eine Verletzung von Art. 63 StGB ist zu verneinen.

4.
Der Beschwerdeführer macht weiter geltend, die Strafzumessung dürfe nicht von
der Frage des bedingten Vollzugs getrennt werden. Dabei weist er zutreffend
auf die Praxis des Kassationshofs hin, bei der Festsetzung der Strafe die
Strafmassfolgen und bei der Auslegung des geltenden Rechts die
Gesetzesrevisionen zu berücksichtigen (vgl. BGE 128 IV 73 E. 4c und 128 IV 3
E. 4c). Er verweist dazu auf Art. 42 des revidierten Allgemeinen Teils des
StGB, wonach das Gericht Freiheitsstrafen von zwei Jahren in der Regel
aufschiebt (Beschwerde S. 5). Dies ist hier deshalb unbehelflich, weil Art.
42 des revidierten Allgemeinen Teils des StGB gar noch nicht in Kraft gesetzt
und somit nicht anwendbar ist.

Nach der Rechtsprechung hat der Richter dort, wo er eine Freiheitsstrafe von
nicht erheblich mehr als 18 Monaten in Betracht zieht und die Voraussetzungen
des bedingten Strafvollzugs gemäss Art. 41 Ziff. 1 StGB im Übrigen gegeben
sind, sich mit der Frage auseinander zu setzen, ob angesichts der
persönlichen Verhältnisse des Schuldigen der Vollzug einer unbedingten
Freiheitsstrafe nicht dem Zweck der Verbrechensverhütung zuwider laufe.
Bejaht er das, hat er dem gemäss Art. 63 StGB unter dem Gesichtspunkt der
persönlichen Verhältnisse strafmindernd Rechnung zu tragen (BGE 118 IV 337 E.
2c). Diese Rechtsprechung findet indessen nur Anwendung, wenn die in Betracht
kommende Freiheitsstrafe 21 Monate nicht übersteigt (BGE 127 IV 97 E. 3). Die
Vorinstanz hat die Argumentation des Bezirksgerichts verworfen und eine
Strafe von zwei Jahren Zuchthaus festgesetzt. Die Rechtsprechung zur
18-Monate-Grenze ist somit nicht anwendbar. Auf die diesbezüglichen
Ausführungen des Beschwerdeführers ist nicht weiter einzugehen.

5.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Entsprechend
wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 278 BStP). Das Gesuch um
Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ist abzuweisen, weil das
Rechtsbegehren aussichtslos erschien (Art. 152 OG). Den finanziellen
Verhältnissen des Beschwerdeführers kann mit einer herabgesetzten
Gerichtsgebühr Rechnung getragen werden.

Mit dem Entscheid in der Sache ist das Gesuch um aufschiebende Wirkung
gegenstandslos geworden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich
und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 16. Januar 2004

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: