Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.7/2003
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6P.7/2003 /pai

Urteil vom 26. Juni 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly,
Gerichtsschreiberin Arquint.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Urs Schaffhauser, Kapellplatz
1, 6004 Luzern,

gegen

Y.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Fürsprecher Dr. Urs Oswald, Postfach 31,
5330 Zurzach,
Obergericht des Kantons Luzern, II. Kammer, Postfach, 6002 Luzern.

Art. 9 BV, Art. 6 Abs. 1 EMRK, Art. 29 BV, Art. 8 BV (Strafverfahren;
willkürliche Beweiswürdigung, faires Verfahren, Rechtsgleichheit),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Luzern, II. Kammer, vom 17. September 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 14. November 1998 drang Y.________, ein 19.. geborener ehemaliger
Schweizer Meister im A.________, in Begleitung eines weiteren Mannes in die
Wohnung von X.________ ein. Dort spritzte er X.________ Tränengas in die
Augen, nahm ihn in den "Schwitzkasten" und schlug ihm auf den Kopf; daraufhin
verliessen die beiden Männer die Wohnung. X.________ trug eine geschwollene,
an der Innenseite aufgerissene Unterlippe mit einem Bluterguss sowie
Reizungen an der Bindehaut davon.

Das Obergericht des Kantons Luzern als Appellationsinstanz sprach Y.________
am 17. September 2002 des Hausfriedensbruchs und der einfachen
Körperverletzung schuldig. Aufgrund dieser sowie zahlreicher weiterer Taten,
namentlich qualifizierter Vergewaltigung und Raubes, verurteilte es den
einschlägig vorbestraften Y.________ zu fünf Jahren und zehn Monaten
Zuchthaus.

B.
X.________ nahm im Strafverfahren als Zivilpartei teil. Er verlangte Fr.
8'000.-- Genugtuung sowie Fr. 21'516.-- Schadenersatz zuzüglich je 5% Zins
seit dem 14. November 1998.

Das Kriminalgericht des Kantons Luzern verwies X.________ mit seinen
Zivilbegehren an den Zivilrichter. Dagegen reichte X.________ Appellation ein
und schloss erneut auf Zusprechung der Zivilbegehren.

C.
Das Obergericht verpflichtete Y.________ am 17. September 2002 dem Grundsatz
nach, X.________ den durch die Straftat entstandenen Schaden vollumfänglich
zu ersetzen. Es fand aber, der geltend gemachte Schaden sei nicht liquid;
insbesondere sei nicht schlüssig, ob die Kündigung des Arbeitsvertrages und
der daraus abgeleitete Lohnausfall von Fr. 21'516.-- auf mangelnde
Arbeitsleistung als psychische Folge der erlittenen Körperverletzung
zurückzuführen sei. Das Obergericht schätzte, dass die Abklärung dieser Frage
die richterliche Urteilsfindung im Strafpunkt ungebührlich lange verzögern
würde. Es verwies X.________ deshalb zur betragsmässigen Festsetzung des
Schadens an den Zivilrichter. Von der Zusprechung einer Genugtuung sah das
Obergericht aufgrund der Geringfügigkeit der Integritätsbeeinträchtigung ab.

D.
X.________ erhebt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts im Zivilpunkt aufzuheben.

Das Obergericht und Y.________ schliessen auf Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Willkürverbotes (Art. 9 BV)
bei der Beweiswürdigung geltend (Rüge A).

1.1 Der Beschwerdeführer rügt als willkürlich, das Obergericht habe den
Arztbericht des Psychiaters Dr. med. B.________ vom 10. Dezember 1998 bei der
Beurteilung seiner Schadenersatzforderung nicht berücksichtigt.
Das Obergericht hat bei der Frage, ob der Kündigung des Arbeitsverhältnisses
des Beschwerdeführers tatsächlich dessen mangelnde Arbeitsleistung als
psychische Folge der ihm vom Beschwerdegegner zugefügten Körperverletzung
zugrunde liege, erkannt, es könne hierfür nicht ausschliesslich auf den vom
Beschwerdeführer aufgelegten  Arztbericht von Dr. med. B.________ abstellen.
Bei diesem Bericht handle es sich einerseits um ein Parteigutachten, welchem
bloss die Tragweite einer Parteibehauptung zukomme. Anderseits sei der
Beschwerdeführer bereits vor der Gewalttat von Dr. med. B.________
psychotherapeutisch behandelt worden, weshalb der vom Beschwerdeführer
eingereichte Arztbericht mit grösster Vorsicht zu würdigen sei. Ausserdem
falle auf, dass die Kündigung vom Arbeitgeber mit Betriebsumstrukturierungen
begründet worden sei. Unter diesen Umständen ist der Schluss des Obergerichts
offensichtlich nicht willkürlich.

Bei der Prüfung der Genugtuungsfrage hat sich das Obergericht hingegen auf
die Meinung von Dr. med. B.________ gestützt. Auch darin sieht der
Beschwerdeführer eine widersprüchliche und damit willkürliche
Beweiswürdigung. Davon kann aber von vornherein keine Rede sein. Denn im
ersten Punkt lautete das Parteigutachten zu Gunsten des Beschwerdeführers, im
zweiten zu seinen Ungunsten. Die Möglichkeit, dass ein Parteigutachten in
einem Punkt für denjenigen, der es einreicht, allenfalls zu günstig sein
könnte, besagt keinesfalls, dass es in einem andern Punkt, wo es für ihn
ungünstig ist, ebenfalls als unsicher gelten muss.

1.2 Eine weitere Widersprüchlichkeit sieht der Beschwerdeführer darin, dass
für die psychischen Folgen des Angriffs nicht auf das Parteigutachten von Dr.
med. B.________, für die Feststellung der somatischen Folgen des Angriffs
hingegen auf den Bericht des nach dem Vorfall konsultierten Notfallarztes des
Kantonsspitals abgestellt wurde. Worin hier Willkür liegen soll, ist nicht
ersichtlich und wird vom Beschwerdeführer auch nicht aufgezeigt. Unter diesen
Umständen ist auf diese Rüge nicht einzutreten.

1.3 Der Beschwerdeführer wirft dem Obergericht sodann eine willkürliche
Würdigung des Parteigutachtens von Dr. med. B.________ vor. Dort steht, "es
dürfte Jahre dauern, d.h. zwei Jahre oder auch mehr", bis der
Beschwerdeführer seine Angst vor Überfällen verliert. Gestützt darauf hat das
Obergericht gefolgert, die psychischen Nachwirkungen beim Beschwerdeführer
dürften "nach zwei Jahren überwunden sein". Das Obergericht geht von einer
Wahrscheinlichkeit und nicht von einer Gewissheit aus. In diesem Sinn ist die
etwas verkürzte Wiedergabe der Aussage von Dr. med. B.________ nicht
offensichtlich unrichtig. Willkür liegt demnach nicht vor.

2.
Der Beschwerdeführer sieht eine Widersprüchlichkeit und damit eine Verletzung
von Art. 9 BV und Art. 6 Abs. 1 EMRK im Umstand, dass in den Erwägungen des
angefochtenen Urteils der Anspruch auf eine Genugtuung verneint wird, im
Urteilsspruch aber nicht ausdrücklich steht, die Genugtuungsforderung werde
abgewiesen. Daraus könne man schliessen, dass entgegen den Ausführungen in
den Erwägungen auch ein Genugtuungsanspruch grundsätzlich gegeben sei, der
vom Zivilrichter festgesetzt werden müsse (Rüge B).

Gemäss Urteilsspruch wird der Beschwerdegegner verpflichtet, dem
Beschwerdeführer den erlittenen "Schaden" zu ersetzen. In den Erwägungen
steht unmissverständlich, dass von der Zusprechung einer Genugtuung abgesehen
wird. Der Urteilsspruch ist zwar unvollständig, weil die Abweisung der
Genugtuungsforderung fehlt. Trotzdem ist das Urteil klar und in keiner Weise
widersprüchlich. Die Rüge ist offensichtlich unbegründet und grenzt an
Mutwilligkeit.

3.
Der Beschwerdeführer rügt die Verletzung verschiedener verfassungsmässiger
Rechte durch die Verweisung an den Zivilrichter zur Festsetzung der
Schadenersatzforderung (Rügen C, D, E).

Der Beschwerdeführer erlitt Körperverletzungen und ist, wie das Obergericht
erkannt hat, ein Opfer im Sinne von Art. 2 OHG. Ob der Strafrichter die
Zivilansprüche entscheiden muss und unter welchen Voraussetzungen er die
Sache zur Festsetzung der Schadenersatzforderung an den Zivilrichter
verweisen darf, beurteilt sich ausschliesslich auf Grund von Art. 9 OHG. Eine
Verletzung dieser bundesrechtlichen Bestimmung kann im Rahmen einer
staatsrechtlichen Beschwerde nicht erhoben werden (vgl. Art. 269 BStP und
Art. 84 Abs. 2 OG; BGE 120 Ia 101 E. 3a). Auf die Rüge kann daher nicht
eingetreten werden.

4.
Der Beschwerdeführer rügt schliesslich die Verletzung des Gebotes der
Rechtsgleichheit (Art. 8 BV), weil angeblich in vergleichbaren Fällen
Genugtuungsforderungen bejaht worden sind.

Ob eine Genugtuung geschuldet ist oder nicht, beurteilt sich auf Grund von
Art. 47 OR. Die Verletzung dieser zivilrechtlichen Bestimmung kann ebenfalls
nicht Gegenstand einer staatsrechtlichen Beschwerde sein. Auch auf diese Rüge
ist nicht einzutreten.

5.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens trägt der Beschwerdeführer die
bundesgerichtlichen Kosten (Art. 156 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Luzern, II.
Kammer, sowie der Staatsanwaltschaft des Kantons Luzern schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 26. Juni 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: