Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.69/2003
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6P.69/2003 /kra

Urteil vom 10. September 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Heimgartner.

XZ.________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher lic. iur. Martin Schwaller,
Obere Vorstadt 37, 5001 Aarau,

gegen

B.________,
Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt Kurt Bischofberger,
Mellingerstrasse 6, Postfach 2028, 5402 Baden,
Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000
Aarau.

Art. 29 und 30 BV sowie Art. 6 EMRK (Strafverfahren; Willkür),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, 2. Strafkammer,
vom 14. März 2003.

Sachverhalt:

A.
Am 18. Juni 1999 versandte Rechtsanwalt A.________ ein von ihm verfasstes
Schreiben an das Anwaltsbüro Dr. B.________ und Partner unter anderem mit
folgendem Inhalt:
"Sehr geehrter Herr Kollege,
(...)
Sie haben nachweislich über die Jahre sich immer mehr das Vertrauen des
YZ.________ erschlichen, und es wird behauptet, dass der Abschluss dieses
unglaublichen Vergleichs Ihnen, der sich in katastrophalen finanziellen
Verhältnissen befinden soll, einen Vermögensvorteil nicht unbeträchtlicher
Art verschafft haben soll.
(...)
Darüber hinaus sollen Recherchen ergeben haben, dass Sie an zwei
Bordellbetrieben beteiligt sein sollen. Die Beweggründe, sich auf diese Weise
zu gesunden, liegen damit halbwegs offen..."
Rechtsanwalt A.________ stützte diese Äusserungen auf entsprechende Aussagen,
die sein Mandant XZ.________ ihm gegenüber gemacht hatte.

B.
Das Bezirksgericht Baden, 3. Abteilung, erkannte am 26. März 2002:
"1.Der Beklagte XZ.________ ist schuldig der üblen Nachrede (Art. 173 Ziff. 1
StGB).

2. Er wird hiefür in Anwendung der obgenannten Bestimmung sowie gestützt auf
Art. 48 und 63 StGB mit einer Busse von Fr. 2'000.-- bestraft.
..."

C.
Am 14. März 2003 wies das Obergericht des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, die
Berufung XZ.________s (ausser in einem hier nicht interessierenden
Kostenpunkt) ab.

D.
Gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, 2. Strafkammer, vom 14.
März 2003 hat XZ.________, neben der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde,
auch staatsrechtliche Beschwerde eingereicht. Er beantragt die Aufhebung des
angefochtenen Urteils, aufschiebende Wirkung und die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

E.
Am 28. Mai 2003 teilte der Kassationshof dem Verteidiger des
Beschwerdeführers mit, das Gesuch um aufschiebende Wirkung sei nicht
begründet. Es könnte schon deshalb nicht bewilligt werden, weil die Abwendung
des Inkassos der Kosten für ein vollstreckbares Urteil grundsätzlich die
Prüfung der Erfolgsaussichten einer möglichen Rechtsvorkehr nicht zu
rechtfertigten vermag.

F.
Am 10. Juli 2003 zog der Beschwerdeführer die Gesuche um Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege für beide Beschwerdeverfahren zurück.

G.
Am 5. Juli 2003 beantragte das Obergericht des Kantons Aargau die Abweisung
der staatsrechtlichen Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer erachtet es als willkürlich, dass das Obergericht ihm
vorhält, es bestehe ein Widerspruch zwischen seiner Aussage, über nicht
genügend Anhaltspunkte verfügt zu haben, um die Gerüchte und Verdächtigungen
als bewiesen zu erachten, und seinem Begehren, im Strafverfahren zum
Entlastungsbeweis dafür zugelassen zu werden, dass diese Verdächtigungen
begründet seien. Zu diesem Einwand wird im Urteil zur eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde Stellung genommen. Auf die Rüge ist somit im
vorliegenden Verfahren nicht einzutreten.

2.
Der Beschwerdeführer erachtet die Feststellung der Vorinstanz, dass eine oder
mehrere Sekretärinnen des Beschwerdegegners vom Schreiben des Rechtsanwalts
A.________ Kenntnis genommen hätten, als willkürlich und dem Grundsatz "in
dubio pro reo" widersprechend.

Auch auf diese Rüge ist nicht einzutreten. Das Bundesgericht hat sich - wie
aus dem Urteil zur Nichtigkeitsbeschwerde hervorgeht - mit der
Eventualbegründung des Obergerichts nicht auseinander zu setzen, da bereits
der damalige Anwalt des Beschwerdeführers als Dritter im Sinne von Art. 173
Ziff. 1 Abs. 1 StGB zu betrachten ist. Wie das Obergericht in seiner
Vernehmlassung zutreffend ausführt, ist es entgegen der Auffassung des
Beschwerdeführers nicht von einer zweifachen Tatbegehung ausgegangen. Hätte
das Obergericht eine solche angenommen, so hätte es dies sowohl in den
Erwägungen als auch im Dispositiv zum Ausdruck gebracht, indem es bei der
Strafzumessung den Strafschärfungsgrund von Art. 68 Ziff. 1 Abs. 1 StGB
angewandt und den Beschwerdeführer wegen "mehrfacher" übler Nachrede schuldig
gesprochen hätte.

3.
3.1 Der Beschwerdeführer rügt im Weiteren, das Obergericht sei willkürlich von
aktenkundigen Tatsachen abgewichen, indem es ihm die Führung des
Entlastungsbeweises in Bezug auf die Äusserung der angeblichen Beteiligung
des Beschwerdegegners an Bordellbetrieben verwehrt und erwogen habe, er habe
bei der Instruktion von Rechtsanwalt A.________ keine berechtigten Interessen
verfolgt. Der grundrechtliche Anspruch auf Beweisführung sei ihm dadurch
entzogen worden, dass einige angeführte Zeugen überhaupt nicht und die Zeugen
Dr. C.________ sowie D.________ kein zweites Mal einvernommen worden seien.
Betreffend die nicht befragten Zeuginnen E.________ und F.________ sei
insbesondere auf das aktenkundige Schreiben von Dr. C.________ vom 8. Januar
2001 hinzuweisen, welches die Vorinstanz weder zur Kenntnis genommen noch
gewürdigt habe. Es widerspreche dem Anspruch auf Beweisführung, wenn diese
mit dem Argument verweigert werde, es seien fünf von zehn beantragten Zeugen
befragt worden.

3.2 Willkürlich ist ein Entscheid nicht schon, wenn eine andere Lösung
ebenfalls vertretbar erscheint oder gar vorzuziehen wäre, sondern erst, wenn
er offensichtlich unhaltbar ist, zur tatsächlichen Situation in klarem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft.
Willkür liegt ferner nur vor, wenn nicht bloss die Begründung eines
Entscheids, sondern auch das Ergebnis unhaltbar ist (BGE 129 III 417 E. 2;
123 I 1 E. 4a, mit Hinweisen).

Die aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör nach Art. 29 Abs. 2 BV folgende
Pflicht zur Begründung der Entscheide bedeutet nicht, dass sich die
urteilende Instanz mit allen Argumenten einer Partei einlässlich auseinander
setzen und zu jedem einzelnen Vorbringen ausdrücklich Stellung nehmen muss.
Sie kann sich auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken.
(BGE 126 I 97 E. 2b; Entscheid des Kassationshofs vom 26. Februar 2001,
1P.248/2000 E. 4).

Es ist zutreffend, dass für die Frage, ob ein Angeschuldigter zum
Entlastungsbeweis gemäss Art. 173 Ziff. 3 StGB zugelassen werden kann, die
normalen Regeln des Strafprozesses gelten (vgl. etwa Lionel Frei, Der
Entlastungsbeweis nach Art. 173 Ziff. 2 und 3 StGB und sein Verhältnis zu den
Rechtfertigungsgründen, Diss. Bern 1975, Bern 1976, S. 60). Aus welchem Grund
die Zeugen Dr. C.________ und D.________ nochmals hätten einvernommen werden
sollen, begründet der Beschwerdeführer nicht. Er legt auch nicht dar,
inwiefern die Einvernahme von bloss fünf von zehn beantragten Zeugen
willkürlich sei. Zu Recht hat das Obergericht darauf hingewiesen, der
Beschwerdeführer habe in seinen Anträgen weder angegeben, dass dieser oder
jener Zeuge vorrangig vor den anderen Zeugen einzuvernehmen sei, noch
präzisiert, zu welchen Beweisthemen die einzelnen Zeugen anzuhören seien.
Auch die Aussagen von Frau Dr. C.________ gemäss Schreiben vom 8. Januar 2001
musste das Obergericht nicht dazu veranlassen, die darin erwähnten Frau
E.________ und Frau F.________ als Zeuginnen einzuvernehmen, da der
Beschwerdeführer in der (später eingelegten) Berufung vom 22. Mai 2002 nicht
anführte, zu welchem Thema die Zeuginnen hätten erneut Auskunft geben sollen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Obergericht weder in Willkür
verfallen ist noch das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers noch die
Unschuldsvermutung verletzt hat, als es für diese Äusserung die Führung des
Entlastungsbeweises gemäss Art. 173 Ziff. 3 StGB nicht zuliess. Die
staatsrechtliche Beschwerde ist somit auch in diesem Punkt abzuweisen, soweit
darauf einzutreten ist.

4.
Entsprechend diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die
Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Das
Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wurde vom Beschwerdeführer
zurückgezogen. Damit bleibt es bei der gesetzlichen Kostenfolge.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten
ist.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, den 10. September 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: