Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.66/2003
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6P.66/2003
6S.165/2003 /kra

Urteil vom 26. September 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiberin Giovannone.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Maître Marc Labbé, place Centrale 51, 2501
Biel/Bienne,

gegen

A.________,
B.________,
Beschwerdegegner,
beide vertreten durch Fürsprecher Andreas Maurer, Kapellenstrasse 24,
Postfach, 3011 Bern,
Obergericht des Kantons Bern, 2. Strafkammer, Hochschulstrasse 17, 3012 Bern.

6P.66/2003
Art. 9 und 29 Abs. 2 BV sowie Art. 6 EMRK (Strafverfahren; Willkür,
rechtliches Gehör)

6S.165/2003
einfache Körperverletzung, Beschwerdelegitimation,

Staatsrechtliche Beschwerde (6P.66/2003) und Nichtigkeitsbeschwerde
(6S.165/2003) gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, vom 5. Juli 2002.

Sachverhalt:

A.
Am 19. Juli 2000 sprachen die beiden Mitarbeiter der Stadtpolizei Biel
A.________ und B.________ vor einem Lebensmittelgeschäft in Biel X.________
an. Sie hatten den Auftrag, X.________ dem Untersuchungsrichter zur
Einvernahme zuzuführen, und kontrollierten dessen Papiere. Nachdem X.________
in das Lebensmittelgeschäft eingetreten war und entgegen den Aufforderungen
der beiden Mitarbeiter der Stadtpolizei nicht wieder herauskam, folgten ihm
diese und legten ihn unter Anwendung eines so genannten Armschlüssels in
Handschellen, wobei X.________ einen Spiralbruch des rechten Oberarms erlitt.
Darauf stellte X.________ am 24. Juli 2000 gegen die beiden Mitarbeiter der
Stadtpolizei Strafantrag wegen Tätlichkeiten, evtl. einfacher
Körperverletzung (act. 2).

B.
Mit Urteil vom 4. Dezember 2001 sprach der Gerichtspräsident 8 des
Gerichtskreises II Biel-Nidau die beiden Mitarbeiter der Stadtpolizei von der
Anschuldigung der einfachen Körperverletzung zum Nachteil von X.________
frei. Auf Appellation desselben bestätigte die 2. Strafkammer des
Obergerichts des Kantons Bern das erstinstanzliche Urteil.

C.
X.________ ficht das Urteil des Obergerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde
und mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Er beantragt mit beiden
Rechtsmitteln die Aufhebung des angefochtenen Entscheids und mit
Nichtigkeitsbeschwerde überdies die Rückweisung an die Vorinstanz, damit die
Sache neu beurteilt werde. Zudem ersucht er um die Gewährung der
unentgeltlichen Rechtspflege.

Das Obergericht hat auf eine Stellungnahme zu den Beschwerden verzichtet. Die
Beschwerdegegner sind nicht zur Stellungnahme eingeladen worden.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob es auf
ihm unterbreitete Beschwerden eintritt (BGE 126 IV 107 E. 1; 126 I 81 E. 1).
Sowohl das Eintreten auf die Nichtigkeitsbeschwerde als auch der Umfang der
zulässigen Rügen im Rahmen der staatsrechtlichen Beschwerde hängen davon ab,
ob dem Beschwerdeführer die Verfahrensrechte gemäss Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG
zustehen. Unter diesen Umständen rechtfertigt es sich, in Abweichung von Art.
275 Abs. 5 BStP die Nichtigkeitsbeschwerde vorweg zu beurteilen (BGE 127 IV
189 nicht publizierte E. 1).

I.  Eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde

2.
Nach Art. 270 lit. e Abs. 1 BStP steht dem Opfer im Sinne von Art. 2 Abs. 1
OHG, das sich bereits vorher am Verfahren beteiligt hat, in Übereinstimmung
mit Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG die Nichtigkeitsbeschwerde zu, soweit der
angefochtene Entscheid seine Zivilansprüche betrifft oder sich auf deren
Beurteilung auswirken kann.

2.1 Gemäss Art. 2 Abs. 1 OHG ist Opfer, wer durch eine Straftat in seiner
körperlichen, sexuellen oder psychischen Integrität unmittelbar
beeinträchtigt worden ist.

Der Beschwerdeführer macht geltend, die Beschwerdegegner hätten sich der
einfachen Körperverletzung schuldig gemacht, indem sie ihm den Arm gebrochen
haben. Durch die angebliche Straftat wurde er in seiner körperlichen
Integrität erheblich verletzt und ist somit Opfer im Sinne der genannten
Bestimmung.

2.2 Erforderlich ist weiter, dass dem Opfer durch die inkriminierte Tat
Zivilansprüche gegen den oder die Angeschuldigten entstanden sind und dass
der angefochtene Entscheid diese betrifft oder sich auf deren Beurteilung
auswirken kann(BGE 127 IV 185 E. 1a S. 187).

2.2.1 Zivilansprüche im Sinne des OHG sind solche, die ihren Grund im
Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht
durchgesetzt werden müssen. Primär handelt es sich um Ansprüche auf
Schadenersatz und Genugtuung gestützt auf Art. 41 ff. OR. Für Schäden, die
durch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes in Ausübung ihrer amtlichen
Verrichtungen verursacht wurden, können die Gemeinwesen von Bund und Kantonen
von Art. 41 ff. OR abweichende Bestimmungen erlassen (Art. 61 Abs. 1 OR).
Gestützt auf diese Bestimmung tritt gemäss der Gesetzgebung des Bundes und
der meisten Kantone als Haftungssubjekt an die Stelle des Mitarbeiters des
öffentlichen Dienstes das Gemeinwesen, so dass der Geschädigte
ausschliesslich diesen belangen kann (Häfelin / Müller, Grundriss des
Allgemeinen Verwaltungsrechts, 4. Auflage, 2002, N. 2306).

Ist der Angeschuldigte ein Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes und hat er
die ihm vorgeworfene Tat in Ausübung seiner amtlichen Verrichtungen begangen,
so ist deshalb zu prüfen, wie das anwendbare öffentliche Recht die Haftung
regelt. Sieht dieses eine primäre ausschliessliche Haftung der juristischen
Person des öffentlichen Rechts vor, so entfällt ein direkter Anspruch gegen
den Angeschuldigten und damit auch eine zivilrechtliche Forderung im Sinne
von Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG sowie die Legitimation gemäss Art. 270 lit. e
Abs. 1 BStP. Da die zivilrechtliche Haftung des Mitarbeiters im öffentlichen
Dienst für Schäden, die er in Ausübung der amtlichen Verrichtung verursacht,
die Ausnahme ist, muss in der Nichtigkeitsbeschwerde genau dargelegt werden,
welche Ansprüche dem Beschwerdeführer gestützt auf das Privatrecht gegen den
Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes zustehen (BGE 128 IV 188 E. 2.2 f.; 127
IV 189 E. 2b; 125 IV 161 E. 2 und 3).

2.2.2 Angeschuldigt sind vorliegend zwei Mitarbeiter der Stadtpolizei Biel.
Die Beschwerde enthält jedoch keinerlei Angaben darüber, welche Forderungen
dem Beschwerdeführer gestützt auf das Privatrecht zustehen könnten. Gemäss
Art. 71 der Verfassung des Kantons Bern vom 6. Juni 1993, in Kraft seit dem
1. Januar 1995, haften die Träger der öffentlichen Aufgaben für den Schaden,
den ihre Organe bei der Ausübung ihrer hoheitlichen Tätigkeiten
widerrechtlich verursachen (BSG 101.1). Entsprechend sieht Art. 47 PG/BE
(Gesetz über das öffentliche Dienstrecht [Personalgesetz] vom 8. Mai 1995;
BSG 153.01) vor, dass der Kanton für den Schaden haftet, den seine
Mitarbeitenden in Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit Dritten widerrechtlich
zugefügt haben. Diese Regelung gilt sinngemäss für die Gemeinden (Art. 84 des
Gemeindegesetzes vom 16. März 1998, in Kraft seit dem 1. Januar 1999; BSG
170.11; Jost Gross, Schweizerisches Staatshaftungsrecht, 2. Auflage 2001, S.
61 f.). Demnach stehen dem Geschädigten für den Schaden, den ihm ein
Mitarbeiter einer Gemeinde des Kantons Bern in Ausübung einer amtlichen
Verrichtung zugefügt hat, ausschliesslich Ansprüche gegen den Staat zu. Der
Beschwerdeführer hat somit keine Möglichkeit, die seiner Ansicht nach
fehlbaren Mitarbeiter der Stadtpolizei Biel ins Recht zu fassen. Die
Voraussetzungen der Staatshaftung, der Umfang der Entschädigung, die
Geltendmachung sowie die Verwirkung und Verjährung von Ansprüchen werden vom
kantonalen Recht abschliessend geregelt. Es handelt sich dabei um
öffentliches Recht (BGE 125 IV 161 E. 2b mit Hinweis auf 122 III 101 E. 1).

Soweit dem Beschwerdeführer überhaupt Ansprüche aus dem Verhalten der
angeschuldigten Beschwerdegegner entstanden sind, richten sie sich weder
gegen diese noch sind sie zivilrechtlicher Natur. Der Beschwerdeführer ist
daher vorliegend zur Erhebung der eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde
nicht berechtigt (BGE 127 IV 189 E. 2b, 125 IV 161 E. 2 und 3).

2.3 Aus diesem Grund kann auf die Nichtigkeitsbeschwerde nicht eingetreten
werden.
II. Staatsrechtliche Beschwerde

3.
3.1 Die Legitimation zur staatsrechtlichen Beschwerde setzt die persönliche
Betroffenheit des Beschwerdeführers in eigenen rechtlich geschützten
Positionen voraus (Art. 88 OG). Der durch eine angeblich strafbare Handlung
Geschädigte ist grundsätzlich nicht legitimiert, gegen die Einstellung eines
Strafverfahrens oder gegen ein freisprechendes Urteil staatsrechtliche
Beschwerde zu erheben. Der Geschädigte hat an der Verfolgung und Bestrafung
des Täters nur ein tatsächliches oder mittelbares Interesse im Sinne der
Rechtsprechung zu Art. 88 OG. Der Strafanspruch, um den es im Strafverfahren
geht, steht ausschliesslich dem Staat zu, und zwar unabhängig davon, ob der
Geschädigte als Privatstrafkläger auftritt oder die eingeklagte Handlung auf
seinen Antrag hin verfolgt wird (BGE 128 I 218 E. 1.1).

Gemäss der Rechtsprechung des Bundesgerichts ist das Opfer in der Sache
allein aufgrund Art. 8 Abs. 1 lit. c OHG (als "lex specialis" zu Art. 88 OG)
zur staatsrechtlichen Beschwerde legitimiert (BGE 128 I 218 E. 1.1 mit
Hinweisen). Nachdem in den Erwägungen zur Nichtigkeitsbeschwerde gezeigt
worden ist, dass es an zivilrechtlichen Ansprüchen im Sinne von Art. 8 Abs. 1
lit. c OHG fehlt, kann in diesem Punkt von weiteren Ausführungen abgesehen
werden.

Unbekümmert um die fehlende Legitimation in der Sache selbst ist der
Geschädigte aber befugt, mit staatsrechtlicher Beschwerde die Verletzung von
Verfahrensrechten geltend zu machen, deren Missachtung eine formelle
Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 88 OG erforderliche rechtlich
geschützte Interesse ergibt sich diesfalls nicht aus einer Berechtigung in
der Sache, sondern aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen. Ist der
Beschwerdeführer in diesem Sinne nach kantonalem Recht Partei, kann er die
Verletzung jener Parteirechte rügen, die ihm nach dem kantonalen
Verfahrensrecht oder unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung zustehen (BGE
126 I 81 E. 3b S. 86; 125 II 86 E. 3b S. 94; 114 Ia 307 E. 3c). Dabei sind
aber Rügen nicht zu hören, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung
des Entscheids abzielen. Ein in der Sache nicht legitimierter
Beschwerdeführer kann deshalb weder die Beweiswürdigung kritisieren noch
geltend machen, Beweisanträge seien wegen Unerheblichkeit oder willkürlicher
antizipierter Beweiswürdigung abgelehnt worden. Unzulässig ist auch die Rüge,
die Begründung des angefochtenen Entscheids sei unvollständig oder zu wenig
differenziert ausgefallen und setze sich nicht mit sämtlichen von den
Parteien erhobenen Argumenten auseinander (BGE 120 Ia 227 E. 1 S. 230; 117 Ia
90 E. 4a; 114 Ia 307 E. 3c S. 313).

3.2 Es bleibt somit zu prüfen, ob der Beschwerdeführer die Verletzung von
Parteirechten geltend macht, die ihm nach dem kantonalen Verfahrensrecht oder
unmittelbar aufgrund der Bundesverfassung zustehen. Da ihm im kantonalen
Verfahren Parteistellung zukam, wäre darauf gemäss der oben wiedergegebenen
Praxis einzutreten.

3.2.1 Der Beschwerdeführer rügt namentlich, das Obergericht habe die Aussagen
der Zeugin C.________ in willkürlicher Weise gewürdigt (Beschwerde S. 8).
Beweiswürdigung und Beweisführung tangieren keine mit der
Verfassungsbeschwerde geschützten Verfahrensrechte. Die erhobene Rüge kann im
Übrigen nicht losgelöst von einer materiellen Prüfung beurteilt werden. Fehlt
die Legitimation zur Erhebung materieller Rügen, so muss sie auch bezüglich
dieser Rügen verneint werden (BGE 127 IV 189 nicht publizierte E. 3).

3.2.2 Sodann macht der Beschwerdeführer geltend, das Obergericht habe seinen
Anspruch auf rechtliches Gehör gemäss Art. 29 Abs. 2 BV verletzt, indem es
seinen Antrag vom 15. Februar 2002, die Zeugin C.________ erneut
einzuvernehmen, sowie den Antrag vom 3. Juli 2002, eine medizinische
Oberexpertise einzuholen, abgewiesen habe.

Gemäss Art. 29 Abs. 2 BV hat der Betroffene das Recht, sich vor Erlass eines
in seine Rechtsstellung eingreifenden Entscheids zu äussern, erhebliche
Beweise beizubringen, Einsicht in die Akten zu nehmen, mit erheblichen
Beweisanträgen gehört zu werden, und an der Erhebung wesentlicher Beweise
entweder mitzuwirken oder sich zumindest zum Beweisergebnis zu äussern, wenn
dieses geeignet ist, den Entscheid zu beeinflussen (vgl. BGE 124 I 241 E. 2
zu Art. 4 aBV). Das Beweisverfahren kann jedoch geschlossen werden, wenn die
gestellten Beweisanträge eine nicht erhebliche Tatsache betreffen oder
offensichtlich untauglich sind, oder wenn der Richter, ohne dabei geradezu in
Willkür zu verfallen, annehmen darf, die verlangten zusätzlichen
Beweisvorkehren würden am relevanten Beweisergebnis voraussichtlich nichts
mehr ändern (so genannte "antizipierte" oder "vorweggenommene"
Beweiswürdigung, vgl. BGE 125 I 127 E. 6c/cc S. 135; 124 I 208 E. 4a mit
Hinweisen).

Das Obergericht verzichtet auf die beantragten Beweiserhebungen, weil es die
vorhandenen Beweismittel zur Beurteilung der massgeblichen Rechtsfragen als
vollständig ausreichend erachtet. Es hat die Beweisanträge somit in
antizipierter Beweiswürdigung abgewiesen. Die Frage, ob die antizipierte
Beweiswürdigung willkürlich ist, läuft ebenfalls auf eine unzulässige
materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheides hinaus.

3.3 Auch auf die staatsrechtliche Beschwerde kann somit nicht eingetreten
werden.
III. Kosten

4.
Der Beschwerdeführer unterliegt mit beiden Beschwerden vollumfänglich. Bei
diesem Ausgang des Verfahrens sind ihm die Kosten aufzuerlegen (Art. 156 Abs.
1 OG, Art. 278 Abs. 1 BStP). Seine Beschwerden sind von Vornherein als
aussichtslos zu bezeichnen, weshalb sein Gesuch um unentgeltliche
Rechtspflege abzuweisen ist (Art. 152 Abs. 1 OG). Den knappen finanziellen
Verhältnissen des Beschwerdeführers kann durch eine reduzierte Gerichtsgebühr
Rechnung getragen werden.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Auf die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird nicht eingetreten.

2.
Auf die staatsrechtliche Beschwerde wird nicht eingetreten.

3.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

4.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 1'600.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

5.
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, 2.
Strafkammer, schriftlich mitgeteilt.

Lausanne, 26. September 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: