Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.61/2003
Zurück zum Index Kassationshof in Strafsachen 2003
Retour à l'indice Kassationshof in Strafsachen 2003


6P.61/2003
6S.146/2003 /kra

Urteil vom 26. Juni 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Kolly, Karlen,
Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiber Näf.

X. ________,
Beschwerdeführerin, vertreten durch Fürsprecher lic.iur. Franz Hollinger,
Stapferstrasse 28, Postfach,
5201 Brugg AG,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000
Aarau.

Verletzung von Verkehrsregeln (Art. 90 Ziff. 1 SVG i.V.m. Art. 3 Abs. 1 VRV,
mangelnde Aufmerksamkeit); Art. 9 und 29 Abs. 2 BV (Strafverfahren; Willkür,
rechtliches Gehör etc.),

Staatsrechtliche Beschwerde und Nichtigkeitsbeschwerde gegen das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, vom 14. Februar 2003.

Sachverhalt:

A.
A.a X.________ fuhr am 11. Oktober 2000 bei Dämmerung am Steuer eines
Personenwagens mit etwa 45 km/h in Turgi auf der Bahnhofstrasse in Richtung
eines aus einer Distanz von 100 Metern sichtbaren, gut beleuchteten und in
der Mitte mit einer Verkehrsinsel unterteilten Fussgängerstreifens. Als sie
30 Meter vom Streifen entfernt war, betrat diesen von links die hell
gekleidete Fussgängerin A.________, geboren 1959. X.________ fuhr trotzdem
mit unverminderter Geschwindigkeit weiter. Die Fussgängerin überquerte die
Strasse in eiligem Schritt, ohne auf der Verkehrsinsel einen Halt einzulegen.
Sie stiess mit der linken Seite des Personenwagens zusammen; infolge der
Kollision mit dem linken Aussenrückspiegel erlitt sie eine Distorsion der
Halswirbelsäule und Prellungen.

A.b Das Bezirksgericht Baden verurteilte X.________ am 11. Juni 2001 wegen
fahrlässiger Körperverletzung (Art. 125 Abs. 1 StGB), begangen durch
Missachten des Vortritts gegenüber Fussgängern auf dem Fussgängerstreifen
sowie mangelnde Aufmerksamkeit im Strassenverkehr, zu einer Busse von 300
Franken.

Das Obergericht des Kantons Aargau wies die von X.________ eingereichte
Berufung am 26. April 2002 ab.

A.c Das Bundesgericht hob mit Entscheid vom 29. November 2002 das Urteil des
Obergerichts in Gutheissung der von X.________ dagegen eingereichten
eidgenössischen Nichtigkeitsbeschwerde auf und wies die Sache zur neuen
Entscheidung an die Vorinstanz zurück.

B.
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach mit Urteil vom 14. Februar 2003
X.________ frei vom Vorwurf der fahrlässigen Körperverletzung im Sinne von
Art. 125 Abs. 1 StGB, begangen durch Missachten des Vortritts gegenüber
Fussgängern auf dem Fussgängerstreifen.

Es sprach sie aber der mangelnden Aufmerksamkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1
VRV i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig und bestrafte sie mit einer Busse von
150 Franken.

C.
X.________ ficht das Urteil des Obergerichts mit staatsrechtlicher Beschwerde
und mit eidgenössischer Nichtigkeitsbeschwerde an. Sie beantragt mit der
Ersteren die Aufhebung des Urteils, mit der Letzteren zusätzlich die
Rückweisung der Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz.

D.
Das Obergericht hat auf Gegenbemerkungen zur Nichtigkeitsbeschwerde
verzichtet.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Kassationshof wies in seinem Urteil vom 29. November 2002 die Vorinstanz
an abzuklären, ob und gegebenenfalls in welchem Moment für die
Beschwerdeführerin bei der gebotenen Aufmerksamkeit Anzeichen dafür erkennbar
gewesen seien, dass die Fussgängerin in Missachtung ihrer Pflichten die
Strasse in einem Zug überqueren könnte, und ob gegebenenfalls bei Einleitung
eines Bremsmanövers in diesem Zeitpunkt die Kollision hätte vermieden werden
können (E. 2.3).
1.1 Gemäss den Ausführungen der Vorinstanz sagte die Beschwerdeführerin aus,
dass die Fussgängerin relativ schnell gelaufen sei; sie (die
Beschwerdeführerin) habe gedacht, die Fussgängerin werde auf der
Verkehrsinsel anhalten, doch sei die Fussgängerin weitergeeilt, ohne dass
Augenkontakt bestanden habe (angefochtenes Urteil S. 5/6). Daraus hätte sich
nach der Auffassung der Vorinstanz für die Beschwerdeführerin
erkennbarerweise aber ergeben müssen, dass die Fussgängerin in Verletzung
ihrer Wartepflicht gemäss Art. 47 Abs. 2 Satz 2 VRV die Strasse ohne Halt auf
der Insel in einem Zug überqueren würde. Anzeichen hiefür seien das eilige
Vorwärtsschreiten und das Unterbleiben eines Augenkontakts gewesen. Zudem
weise die Verkehrsinsel im konkreten Fall keine Erhöhung und auch keine
andere bauliche Massnahme auf, welche eine natürliche Unterbrechung oder
Verzögerung der Überquerung erwarten lassen könnten (angefochtenes Urteil S.
6).

1.2 Mindestens als die Fussgängerin ca. 4 m vor dem Ende der Insel ohne Blick
nach rechts eilig weiter vorwärts geschritten sei, hätte nach Auffassung der
Vorinstanz die Beschwerdeführerin eine Vollbremsung einleiten müssen. Ab
diesem Moment habe die Fussgängerin bei einer Gehgeschwindigkeit von 2,77
m/sec bis zur Kollisionsstelle ca. 1,5 Sekunden benötigt. In diesem Zeitraum
habe die Beschwerdeführerin ihrerseits bei einer Fahrgeschwindigkeit von 45
km/h 18,75 m beziehungsweise bei einer Geschwindigkeit von 50 km/h 20,8 m
zurückgelegt. Die Beschwerdeführerin sei also in dem Moment, als sie wegen
erkennbarer Anzeichen eines Fehlverhaltens der Fussgängerin hätte eine
Vollbremsung einleiten müssen, 18,75 m beziehungsweise 20,8 m von der
Kollisionsstelle entfernt gewesen. Der Anhalteweg sei aber länger gewesen. Er
habe, wie bereits im ersten Urteil vom 26. April 2002 festgehalten worden
sei, maximal 25,6 m betragen, da der Beschwerdeführerin eine Reaktionszeit
von höchstens 0,6 sec zuzubilligen sei, weil sie in Anbetracht der die
Gegenfahrbahn in Richtung Insel überquerenden Fussgängerin schon vor der
gebotenen Vollbremsung hätte Bremsbereitschaft erstellen müssen. Da der
Anhalteweg von 25,6 m länger als die Distanz von 18,75 m beziehungsweise 20,8
m bis zur Kollisionsstelle gewesen sei, hätte auch bei der gebotenen
Vollbremsung eine Kollision zwischen dem Personenwagen der Beschwerdeführerin
und der Fussgängerin nicht vermieden werden können (angefochtenes Urteil S. 6
E. 1).

Daher sei die Beschwerdeführerin vom Vorwurf der fahrlässigen
Körperverletzung, begangen durch Missachten des Vortritts gegenüber der
Fussgängerin auf dem Fussgängerstreifen, freizusprechen (angefochtenes Urteil
S. 6 E. 1).

1.3 Indem die Beschwerdeführerin vor der Kollision mit der Fussgängerin aber
überhaupt nicht gebremst habe, habe sie keine angemessene Reaktion gezeigt,
weshalb ihr mangelnde Aufmerksamkeit vorzuwerfen sei. Die Beschwerdeführerin
sei deshalb der mangelnden Aufmerksamkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV
i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig zu sprechen (angefochtenes Urteil S. 6/7
E. 2).

2.
2.1 Die Beschwerdeführerin macht in ihrer eidgenössischen
Nichtigkeitsbeschwerde geltend, die Vorinstanz anerkenne und halte
ausdrücklich fest, dass die Beschwerdeführerin ihre Aufmerksamkeit bereits in
dem Moment der Fussgängerin zugewandt habe, als diese sich noch auf dem die
Gegenfahrbahn querenden Teil des Fussgängerstreifens, also vor der
Verkehrsinsel, befunden habe. Die Vorinstanz erachte diese Aufmerksamkeit als
genügend, halte sie doch weiter fest, dass die Beschwerdeführerin eine
Vollbremsung (erst) hätte einleiten müssen, als sich die Fussgängerin ca. 4 m
vor dem Ende der Insel befunden habe. In dem Moment, als ein Fehlverhalten
der Fussgängerin erkennbar gewesen sei, habe die Beschwerdeführerin ihre
Aufmerksamkeit gemäss den Feststellungen der Vorinstanz auf die Fussgängerin
gerichtet (Nichtigkeitsbeschwerde S. 5 f.). Wenn sie aber in diesem Moment
ihre Aufmerksamkeit bereits auf die Fussgängerin gelenkt habe, sei sie ihren
aus Art. 3 Abs. 1 VRV fliessenden Pflichten gemäss dem Urteil des
Bundesgerichts vom 29. November 2002 (E. 2.3) nachgekommen
(Nichtigkeitsbeschwerde S. 5 f., 7). Die Beschwerdeführerin beanstandet, dass
ihr die Vorinstanz in offensichtlichem Widerspruch zu den vorstehend
zitierten Feststellungen dann aber doch noch mangelnde Aufmerksamkeit
vorwerfe. Begründet werde dies einzig damit, dass sie vor der Kollision mit
der Fussgängerin überhaupt nicht gebremst und damit keine angemessene
Reaktion gezeigt habe. Dieser Vorwurf sei jedoch unhaltbar und könnte, selbst
wenn er zuträfe, nicht zu einer Verurteilung wegen mangelnder Aufmerksamkeit
im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV führen. Diese Bestimmung enthalte bei
richtiger Betrachtungsweise Vorschriften, welche ein richtiges und
rechtzeitiges Reagieren im Strassenverkehr erleichtern sollen. Wenn trotz
genügender Aufmerksamkeit eine falsche oder nicht angemessene Reaktion
erfolge, bedeute dies nicht, dass die zuvor genügende Aufmerksamkeit zu einer
mangelhaften werde. Selbst wenn der Vorwurf der nicht angemessenen Reaktion
zutreffen sollte, wäre mithin der Vorwurf der mangelnden Aufmerksamkeit im
Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV unbegründet (Nichtigkeitsbeschwerde S. 6 f.).

Der Vorwurf der "nicht angemessenen Reaktion" wäre im Übrigen nur dann
strafrechtlich relevant, wenn die Beschwerdeführerin bei sofort eingeleiteter
Vollbremsung noch rechtzeitig hätte anhalten können. Dies sei aber nach den
Feststellungen der Vorinstanz gerade nicht der Fall gewesen, was zum
Freispruch der Beschwerdeführerin vom Vorwurf der fahrlässigen
Körperverletzung, begangen durch Missachten des Vortritts gegenüber
Fussgängern auf dem Fussgängerstreifen, geführt habe. Es gehe nun aber nicht
an, die Beschwerdeführerin trotzdem zu bestrafen, indem die festgestellte
genügende Aufmerksamkeit wegen einer angeblich nicht angemessenen Reaktion in
eine mangelnde Aufmerksamkeit verkehrt werde (Nichtigkeitsbeschwerde S. 8).
Abgesehen davon wäre im vorliegenden Fall gerade die Einleitung einer
Vollbremsung gar keine angemessene Reaktion gewesen. Ein Anhalten vor dem
Fussgängerstreifen wäre nicht mehr möglich gewesen, und durch die zeitliche
Verzögerung infolge des Bremsvorgangs wäre es statt der Streifkollision
zwischen der Fussgängerin und der linken Fahrzeugseite zu einer
Frontalkollision mit zweifellos schwereren Verletzungen gekommen. Unter
Umständen könne es durchaus einer adäquaten Reaktion entsprechen, im Falle
eines überraschend auftauchenden Hindernisses zu beschleunigen und
auszuweichen anstatt zu bremsen und daher zu kollidieren. Auch unter diesem
Gesichtspunkt sei die Beschwerdeführerin zu Unrecht verurteilt worden
(Nichtigkeitsbeschwerde S. 8).

2.2 Die Vorinstanz hat die Beschwerdeführerin der mangelnden Aufmerksamkeit
im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG schuldig
gesprochen. Zur Begründung wird im angefochtenen Urteil (S. 6 E. 2) wörtlich
Folgendes ausgeführt:
"Indem die Angeklagte vor der Kollision mit der Geschädigten aber überhaupt
nicht bremste...., zeigte sie keine angemessene Reaktion, weshalb ihr
mangelnde Aufmerksamkeit vorzuwerfen ist."
Dem angefochtenen Urteil kann nicht zweifelsfrei entnommen werden, ob nach
der Auffassung der Vorinstanz die Beschwerdeführerin überhaupt nicht bremste
und damit nicht angemessen reagierte, weil sie die Anzeichen für ein
Fehlverhalten der Fussgängerin zu spät wahrnahm, oder ob nach der Ansicht der
Vorinstanz die Beschwerdeführerin die Anzeichen für ein Fehlverhalten der
Fussgängerin zwar rechtzeitig erkannte, aber trotzdem überhaupt nicht bremste
und damit nicht angemessen reagierte. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung
dürfte die erste Variante näher liegen, doch ist in Anbetracht der Erwägungen
des angefochtenen Urteils dessen Interpretation im Sinne der zweiten
Variante, wie sie von der Beschwerdeführerin vorgenommen wird, nicht
ausgeschlossen.

Es kann indessen davon abgesehen werden, die Sache zur Klärung dieser Frage
an die Vorinstanz zurückzuweisen. Auch wenn das angefochtene Urteil mit der
Beschwerdeführerin in dem Sinne interpretiert wird, dass diese die
Fussgängerin und die Anzeichen für deren Fehlverhalten rechtzeitig
wahrgenommen, aber trotzdem überhaupt nicht gebremst und somit nicht die
angemessene Reaktion gezeigt habe, verstösst die Verurteilung der
Beschwerdeführerin im Ergebnis nicht gegen Bundesrecht.

2.3 Gemäss Art. 3 Abs. 1 VRV muss der Fahrzeugführer seine Aufmerksamkeit der
Strasse und dem Verkehr zuwenden (Satz 1). Mit dieser Verkehrsregel, deren
Missachtung nach Art. 90 SVG strafbar ist, soll sichergestellt werden, dass
der Fahrzeuglenker auf Vorgänge und Hindernisse aller Art rechtzeitig
reagieren kann.

Die Beschwerdeführerin hätte sich im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV unaufmerksam
verhalten, wenn sie deshalb überhaupt nicht gebremst hätte, weil sie die
Anzeichen für ein Fehlverhalten der Fussgängerin nicht oder zu spät
wahrgenommen hat. Wird hingegen davon ausgegangen, die Beschwerdeführerin
habe zwar die Anzeichen für ein Fehlverhalten der Fussgängerin rechtzeitig
erkannt, aber trotzdem überhaupt nicht gebremst, so kann ihr nach den
zutreffenden Einwänden in der Nichtigkeitsbeschwerde nicht mangelnde
Aufmerksamkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV vorgeworfen werden. Der
Fahrzeuglenker, der die gebotene Aufmerksamkeit anwendet und dabei die Gefahr
erkennt, darauf aber nicht oder nicht richtig reagiert, verletzt dadurch
nicht Art. 3 Abs. 1 VRV.

Das Unterbleiben eines Bremsmanövers und damit einer angemessenen Reaktion in
einer erkannten Gefahrenlage stellt indessen offensichtlich ein Fehlverhalten
dar. Dieses ist als Nichtbeherrschen des Fahrzeugs im Sinne von Art. 31 Abs.
1 SVG zu qualifizieren. Nach dieser Vorschrift muss der Führer das Fahrzeug
ständig so beherrschen, dass er seinen Vorsichtspflichten nachkommen kann. Er
muss mithin jederzeit in der Lage sein, auf die jeweils erforderliche Weise
auf das Fahrzeug einzuwirken und auf jede Gefahr ohne Zeitverlust zweckmässig
zu reagieren (BGE 127 II 302 E. 3c; 76 IV 53 E. 1). Wer in einer bestimmten
Gefahrenlage falsch reagiert, beispielsweise auf mit Schneematsch bedeckter
Fahrbahn brüsk bremst, so dass die Räder blockieren, beherrscht das Fahrzeug
nicht (siehe dazu etwa BGE 127 II 302). Ebenso beherrscht das Fahrzeug nicht,
wer bei erkanntem Fehlverhalten einer Fussgängerin nicht angemessen reagiert.
Die Subsumtion der der Beschwerdeführerin zur Last gelegten nicht
angemessenen Reaktion unter Art. 31 Abs. 1 SVG statt unter Art. 3 Abs. 1 VRV
stellt keine unzulässige wesentliche Änderung des rechtlichen Gesichtspunktes
dar. Art. 3 Abs. 1 VRV stützt sich auf Art. 31 Abs. 1 SVG und konkretisiert
einen Teil des Anwendungsbereichs dieser allgemeineren Vorschrift. Den
Tatbestand des Nichtbeherrschens des Fahrzeugs im Sinne von Art. 31 Abs. 1
SVG erfüllt sowohl der Fahrzeuglenker, der eine Gefahrenlage pflichtwidrig
nicht oder zu spät erkennt, als auch derjenige, welcher auf die rechtzeitig
erkannte Gefahrenlage pflichtwidrig nicht oder falsch reagiert.

2.4 Unbehelflich ist der Einwand der Beschwerdeführerin, dass es im Falle
eines Bremsmanövers nicht bloss zu einem seitlichen Zusammenstoss, sondern zu
einer Frontalkollision zwischen dem Fahrzeug und der Fussgängerin mit weit
schwerer wiegenden Folgen gekommen wäre. Der Eintritt eines bestimmten
Verletzungserfolgs ist kein Merkmal des Tatbestands der Verletzung von
Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Ziff. 1 SVG. Die Beschwerdeführerin
behauptet im Übrigen nicht, sie habe im kantonalen Verfahren geltend gemacht,
dass sie bewusst deshalb nicht gebremst habe, weil sie vorausgesehen habe,
dass es andernfalls zu einer Frontalkollision mit schwerer wiegenden Folgen
für die Fussgängerin kommen würde. Entscheidend ist, dass die
Beschwerdeführerin - aus welchen Gründen auch immer - überhaupt nicht
gebremst hat. Dadurch hat sie das Fahrzeug im Sinne von Art. 31 Abs. 1 SVG
nicht beherrscht.

2.5 Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde ist demnach im Sinne der
Erwägungen abzuweisen.

3.
3.1 In der staatsrechtlichen Beschwerde wirft die Beschwerdeführerin dem
Obergericht eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör und damit
verbunden des Anklagegrundsatzes vor. Im konkreten Fall bestehe die
Anklageschrift aus dem Strafbefehl des Bezirksamtes Baden vom 5. März 2001
und aus der Ergänzung des Sachverhalts in der Überweisungsverfügung der
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau vom 28. März 2001. Gegen die
Beschwerdeführerin werde darin nirgendwo der Vorwurf erhoben, überhaupt nicht
gebremst und damit keine angemessene Reaktion gezeigt zu haben, weshalb ihr
mangelnde Aufmerksamkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV anzulasten sei.

3.2 Im Strafbefehl des Bezirksamtes Baden vom 5. März 2001 wird der
Beschwerdeführerin fahrlässige Körperverletzung durch Widerhandlung gegen das
SVG, Missachten des Vortritts gegenüber Fussgängern auf dem
Fussgängerstreifen und mangelnde Aufmerksamkeit im Strassenverkehr
vorgeworfen, wobei es zwischen der den Fussgängerstreifen überquerenden
Geschädigten und dem Personenwagen der Beschwerdeführerin zur Kollision
gekommen sei. In der Überweisungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 28.
März 2001 wird ergänzend festgehalten, die Beschwerdeführerin habe gemäss
ihren eigenen Aussagen die Fussgängerin erst wenige Meter vor dem
Fussgängerstreifen erblickt. Ihr sei damit zusätzlich der Vorwurf zu machen,
mit einer den Verhältnissen nicht angepassten Geschwindigkeit gefahren zu
sein und ihre Aufmerksamkeit nur ungenügend auf die spezielle
Verkehrssituation (Fussgängerstreifen mit Insel) gerichtet zu haben. Die
Beschwerdeführerin habe sich zusätzlich der mangelnden Aufmerksamkeit gemäss
Art. 31 Abs. 1 SVG, Art. 3 Abs. 1 VRV i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG sowie des
Nichtanpassens der Geschwindigkeit an die besonderen Strassen-, Verkehrs- und
Sichtverhältnisse gemäss Art. 32 SVG, Art. 4a VRV i.V.m. Art. 90 Ziff. 1 SVG
strafbar gemacht. Bei genügender Aufmerksamkeit beziehungsweise bei
angepasster, leicht verminderter Geschwindigkeit (ca. 30 km/h) hätte der
Unfall vermieden werden können beziehungsweise wären die Unfallfolgen kleiner
gewesen.

3.3 Wenn der angefochtene Entscheid in dem Sinne zu verstehen ist, dass nach
der Auffassung des Obergerichts die Beschwerdeführerin deshalb überhaupt
nicht bremste, weil sie die Fussgängerin beziehungsweise die Anzeichen für
deren Fehlverhalten zu spät wahrnahm, so ist der Schuldspruch wegen
ungenügender Aufmerksamkeit im Sinne von Art. 3 Abs. 1 VRV i.V.m. Art. 90
Ziff. 1 SVG von der Anklageschrift erfasst.

Der Anklagegrundsatz ist aber auch nicht verletzt, wenn man den angefochtenen
Entscheid in dem Sinne interpretiert, dass die Beschwerdeführerin die
Fussgängerin beziehungsweise die Anzeichen für deren Fehlverhalten zwar
rechtzeitig wahrnahm, aber trotzdem überhaupt nicht bremste. Dass die
Beschwerdeführerin mit unverminderter Geschwindigkeit in Richtung
Fussgängerstreifen fuhr, wird im ersten Urteil des Obergerichts vom 26. April
2002 festgestellt (S. 9). Die Beschwerdeführerin hat gegen jenes Urteil nicht
die Rüge erhoben, die Feststellung verstosse gegen den Anklagegrundsatz. Das
Unterbleiben eines Bremsmanövers trotz erkannter Gefahrenlage ist
offensichtlich ein Fehlverhalten. Es kann im Übrigen auf die vorstehenden
Erwägungen (E. 2.3 3. Absatz) verwiesen werden.

Die staatsrechtliche Beschwerde ist daher abzuweisen.

4.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat die Beschwerdeführerin eine reduzierte
Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- zu zahlen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die eidgenössische Nichtigkeitsbeschwerde wird im Sinne der Erwägungen
abgewiesen.

2.
Die staatsrechtliche Beschwerde wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird der Beschwerdeführerin auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 3. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 26. Juni 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Der Gerichtsschreiber: