Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.4/2003
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6P.4/2003 /pai

Urteil vom 2. Mai 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Wiprächtiger, Karlen,
Gerichtsschreiber Weissenberger.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Hans Ludwig Müller,
Schifflände 6, Postfach 310, 8024 Zürich,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau,
Frey-Herosé-Strasse 12, 5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer,
Obere Vorstadt 38, 5000 Aarau.

Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV sowie Art. 6 EMRK (Strafverfahren; willkürliche
Beweiswürdigung, Grundsatz "in dubio pro reo"),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, 1. Strafkammer, vom 14. November 2002.

Sachverhalt:

A.
A. ________ plante die Ausfuhr von Rohypnol-Tabletten nach
Bosnien-Herzegowina. Er kontaktierte deswegen X.________. Nach Vorgesprächen
bestellte X.________ bei der Firma B.________ AG insgesamt 2'260 Schachteln
Rohypnol mit 67'800 Tabletten zum Preis von Fr. 12'006.--. Er gab sich dabei
fälschlicherweise als Arzt aus. Die Bestellungen unterzeichnete er mit "Dr.
med. X.________" unter Angabe seiner richtigen Privatadresse. Auch schob er
den Firmentitel "C.________ Inst., Dr. med. X.________" mit der gleichen
Anschrift vor. Er handelte ohne Zahlungswillen und in der Absicht, über den
Export bzw. den Verkauf des Rohypnols schnell viel Geld zu verdienen. Die
B.________ AG liess sich täuschen und stellte X.________ die bestellten
Rohypnol-Tabletten auf Rechnung zu.

In der Folge übergab X.________ im Juni/Juli 1999 760 Schachteln mit 22'800
Tabletten Rohypnol an A.________ gegen eine Bezahlung von Fr. 40'000.--.
X.________ wusste, dass der Käufer die Wirkstoffe an Dritte für den Export
nach Bosnien-Herzegowina weiterleiten würde. Die restlichen rund 45'000
Tabletten versuchte X.________ im September 1999 an den vermeintlichen
Abnehmer D.________ zum schliesslich ausgehandelten Preis von Fr. 90'000.--
zu verkaufen. Bevor es zur Übergabe kam, wurde X.________ verhaftet.

B.
Das Bezirksgericht Baden, 2. Abteilung, sprach X.________ am 27. September
1999 vom Vorwurf des Betrugs frei. Mit gleichem Urteil sprach es ihn schuldig
der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz und
verurteilte ihn zu 14 Monaten Zuchthaus bedingt und zu einer Busse von Fr.
500.--.

Das Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, hiess die Berufung von
X.________ am 14. November 2002 teilweise gut. Es sprach ihn von der Anklage
der qualifizierten Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz frei und
verurteilte ihn wegen einfacher Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz (Art. 19 Ziff. 1 BetmG) zu einer bedingten
Gefängnisstrafe von 6 Monaten sowie zu einer Busse von Fr. 500.--.

C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts des Kantons Aargau aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung
an die Vorinstanz zurückzuweisen.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 9 und Art. 29 Abs. 2 BV
sowie Art. 6 EMRK. Die Verurteilung beruhe auf willkürlicher Beweiswürdigung,
verletze den Grundsatz "in dubio pro reo" als Beweiswürdigungsregel, und sie
sei gestützt auf eine nicht verwertbare belastende Aussage des Informanten
ergangen.

1.1 Nach Art. 90 Abs. 1 lit. b OG muss eine staatsrechtliche Beschwerde die
wesentlichen Tatsachen und eine kurz gefasste Darlegung darüber enthalten,
welche verfassungsmässigen Rechte bzw. welche Rechtssätze und inwiefern sie
durch den angefochtenen Erlass oder Entscheid verletzt worden sind. Im
Verfahren der staatsrechtlichen Beschwerde prüft das Bundesgericht nur klar
und detailliert erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend
begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, rein appellatorische Kritik
am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein. Den
gesetzlichen Begründungsanforderungen wird nicht Genüge getan, wenn der
Beschwerdeführer im Rahmen pauschaler Vorbringen einfach behauptet, der
angefochtene Entscheid sei verfassungswidrig, und er seine Sicht der Dinge
derjenigen der letzten kantonalen Instanz bloss gegenüberstellt. Vielmehr
muss in Auseinandersetzung mit der Begründung des angefochtenen Entscheids
dargetan werden, inwiefern dieser gegen ein konkretes verfassungsmässiges
Recht verstossen soll (grundlegend: BGE 110 Ia 1 E. 2a; 125 I 492 E. 1b S.
495, mit Hinweisen; vgl. ferner BGE 127 I 38 E. 3c und 4 S. 43 mit weiteren
Hinweisen). Dabei genügt es nicht, wenn der angefochtene Entscheid sich nur
in der Begründung als unhaltbar erweist; eine Aufhebung rechtfertigt sich
erst, wenn er auch im Ergebnis verfassungswidrig ist (BGE 124 IV 86 E. 2a).

Wird der kantonalen Behörde vorgeworfen, ihre Rechtsanwendung verletze Art. 9
BV, so ist die Rechtsnorm, die qualifiziert unrichtig angewandt bzw. nicht
angewandt worden sein soll, zu bezeichnen, und es ist anhand der
angefochtenen Subsumtion im Einzelnen zu zeigen, inwiefern der Entscheid
nicht nur in der Begründung sondern auch im Ergebnis offensichtlich unhaltbar
ist, mit der tatsächlichen Situation in klarem und offensichtlichem
Widerspruch steht, eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass
verletzt oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderläuft
(grundlegend: BGE 110 Ia 1 E. 2a; 125 I 492 E. 1b S. 495, mit Hinweisen).

1.2 Die Beschwerdeschrift genügt diesen Begründungsanforderungen nur
teilweise. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit darin eine
Verletzung von Art. 29 Abs. 2 BV geltend gemacht wird; der Beschwerdeführer
legt nicht dar, inwiefern das Obergericht seinen Anspruch auf rechtliches
Gehör verletzt haben soll (vgl. Beschwerde, S. 6, 10).

Ebenfalls nicht zu hören ist der Beschwerdeführer mit seiner Rüge, wonach das
Obergericht in Willkür verfallen sei, indem es seine Aussagen während der
Untersuchungshaft trotz damaliger Vernehmungsunfähigkeit verwertet
(Beschwerde, S. 10) sowie die Aussage des Zeugen E.________ vor der Polizei
nicht im Lichte seiner Aussagen vor Obergericht gewürdigt habe (Beschwerde,
S. 11 f.). Aus dem Erfordernis der Erschöpfung des kantonalen Instanzenzuges
gemäss Art. 86 Abs. 1 OG leitet die Rechtsprechung ab, dass die vor
Bundesgericht erhobenen Rügen auch inhaltlich den kantonalen Instanzenzug
durchlaufen haben müssen (BGE 117 Ia 3 E. 2). Der Beschwerdeführer hat die
Unverwertbarkeit seiner Aussagen im Untersuchungsverfahren vor dem
Obergericht nicht geltend gemacht (Berufungsschrift vom 21. Januar 2001;
Protokoll der Sitzung vom 14. November 2002 vor Obergericht, S. 13 ff.). Das
angefochtene Urteil gab somit nicht Anlass für seine Rügen. Ferner liegt auch
keine Ausnahme vom Grundsatz der materiellen Erschöpfung des kantonalen
Instanzenzuges vor (dazu Marc Forster, in: Geiser/Münch (Hrsg.), Prozessieren
vor Bundesgericht, 2. Aufl., Basel 1998, Staatsrechtliche Beschwerde, § 2 N.
51 mit Hinweisen). Bei den Rügen des Beschwerdeführers handelt es sich um
unzulässige neue rechtliche Vorbringen.

Im Übrigen ist auf die Anforderungen an die Begründung bei der Behandlung der
anderen Rügen zurückzukommen.

2.
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Feststellung der Vorinstanz, wonach
er darum gewusst habe, dass Rohypnol unter das Betäubungsmittelgesetz falle,
sei willkürlich und verletze den Grundsatz "in dubio pro reo". Das
Obergericht sei auch in Willkür verfallen, indem es einseitig auf die Aussage
des Zeugen E.________ im Untersuchungsverfahren abgestellt habe, ohne sie ins
Verhältnis zu den späteren weniger weit gehenden Aussagen des Zeugen vor
Obergericht zu setzen (Beschwerde, S. 4-10).

2.1 Was der Täter weiss, will oder in Kauf nimmt, betrifft so genannte innere
Tatsachen. Tatfragen wie diese können mit staatsrechtlicher Beschwerde dem
Bundesgericht zur Prüfung vorgelegt werden (vgl. BGE 116 IV 143 E. 2c; 118 IV
122 E. 1; 119 IV 1 E. 5a; 119 IV 242 E. 2c; 119 IV 309 E. 7b; 121 IV 90 E.
2b; 121 IV 249 E. 2a/aa). Demgegenüber ist rechtlicher Natur, ob die von der
kantonalen Instanz festgestellten Tatsachen den Schluss auf Vorsatz zulassen;
dies kann dem Bundesgericht deshalb nur mit Nichtigkeitsbeschwerde zur
Beurteilung unterbreitet werden (vgl. BGE 119 IV 1 E. 5a).

2.2 Das Obergericht hat einlässlich und einleuchtend dargelegt, dass und
weshalb der Beschwerdeführer nach Erhalt der Unterlagen des Bundesamtes für
Gesundheit wusste oder angesichts der ihm bekannten Umstände in Kauf nahm,
dass Rohypnol unter das Betäubungsmittelgesetz fiel und der Verkauf der
Tabletten durch ihn bewilligungspflichtig bzw. ohne Bewilligung strafbar war
(angefochtenes Urteil, S. 13 ff.). Darauf kann verwiesen werden (Art. 36a
Abs. 3 OG). Was der Beschwerdeführer dagegen vorbringt, insbesondere seine
Ausführungen zu der ihm damals vorgelegenen pharmazeutischen Literatur
(Beschwerde, S. 8 f.), erschöpft sich im Wesentlichen in appellatorischer
Kritik am angefochtenen Urteil. Unzulässig sind auch seine Vorbringen zur
rechtlichen Regelung von Rohypnol und dessen Hauptsubstanz (Beschwerde, S. 6
ff.); darauf wird im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde einzugehen sein.
Soweit der Beschwerdeführer überhaupt zu hören ist, sind seine Rügen
unbegründet.

Der Beschwerdeführer rügt die Würdigung seiner Aussage gegenüber der Polizei
als willkürlich (Beschwerde, S. 9 f.). Strittig ist die Wertung folgender
Stelle: "Dass das Medikament dem Betäubungsmittelgesetz untersteht, wurde mir
eigentlich erst später bewusst" (Einvernahmeprotokoll, kt. act. 197, S. 2).
Das Obergericht führt dazu aus, was mit "später" gemeint gewesen sei, gehe
aus dem Zusammenhang zwar nicht hervor, doch sei "anzunehmen, dass spätestens
nach Erhalt der Unterlagen des Bundesamtes für Gesundheit zu den
Voraussetzungen für eine Ausfuhrbewilligung für Rohypnol dieses Bewusstsein
vorhanden war" (angefochtenes Urteil, S. 14). Es ist einzuräumen, dass diese
Würdigung für sich genommen kaum haltbar wäre. Sie ist jedoch im
Gesamtzusammenhang der Begründung zu lesen und wird dann auch verständlich
(S. 12 ff.). Das Obergericht stützt sich unter anderem auf den Polizeirapport
(kt. act. 188), auf die Kenntnis des Beschwerdeführers von den nicht
erfüllten Voraussetzungen für eine Ausfuhrbewilligung, die er nach Erhalt der
Unterlagen vom Bundesamt für Gesundheit denn auch nicht einholte, sowie
darauf, dass sich der Beschwerdeführer als Arzt ausgab (kt. act. 188;
angefochtenes Urteil, S. 12 f.). Dagegen sowie gegen die Annahme des
Obergerichts, der Beschwerdeführer habe durch die Anforderung der Unterlagen
für eine Ausfuhrbewilligung seiner Tätigkeit einen legalen Anstrich geben
wollen, bringt der Beschwerdeführer nichts vor. Aus den genannten Umständen,
insbesondere dem Polizeirapport, durfte das Obergericht ohne in Willkür zu
verfallen schliessen, der Beschwerdeführer habe spätestens nach Erhalt der
Unterlagen des Bundesamtes für Gesundheit und damit vor seinen Handlungen,
für die er verurteilt wurde, gewusst, dass Rohypnol rechtlich als
Betäubungsmittel galt. Auf die entsprechenden Erwägungen im angefochtenen
Urteil kann verwiesen werden.

Offensichtlich unbegründet ist der Einwand des Beschwerdeführers, wonach das
Obergericht verkannt habe, dass E.________ ihn als Zeugen vor Obergericht im
Unterschied zu früheren Aussagen nicht mehr belastet habe (Beschwerde, S. 11
f.). Das Obergericht hat E.________ weder als Zeugen noch als Auskunftsperson
angehört (angefochtenes Urteil, S. 6).

3.
Der Beschwerdeführer bringt vor, das Obergericht habe sich willkürlich auf
die Aussage des Zeugen D.________ gestützt, ohne Gesichtspunkte zu würdigen,
die dessen Glaubwürdigkeit in Frage stellten. Weil D.________ ihn dazu
angestiftet habe, ihm das Rohypnol anzubieten, falle die Tat unter ein
Beweisverwertungsverbot; allenfalls bilde die Tatprovokation durch D.________
ein Verfahrenshindernis. Damit sei entweder das Verfahren insoweit
einzustellen, oder er sei von den entsprechenden Vorwürfen freizusprechen
(Beschwerde, S. 12 ff.).

Die Rügen des Beschwerdeführers erschöpfen sich in einer appellatorischen
Kritik am angefochtenen Urteil. Auf die Beschwerde ist insoweit nicht
einzutreten. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass das
Obergericht sich eingehend mit den Vorbringen des Beschwerdeführers
auseinandergesetzt und sie willkürfrei widerlegt hat (angefochtenes Urteil,
S. 16 ff.).

4.
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist.

Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege. Da
seine Beschwerde von vornherein aussichtslos war, ist das Gesuch abzuweisen
(Art. 152 Abs. 1 OG). Dementsprechend hat er die Kosten des Verfahrens vor
Bundesgericht zu tragen (Art. 156 Abs. 1 OG). Den finanziellen Verhältnissen
des Beschwerdeführers wird mit einer reduzierten Gebühr Rechnung getragen.

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.

2.
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen.

3.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 800.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

4.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 2. Mai 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: