Sammlung der Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts
Collection des arrêts du Tribunal fédéral suisse
Raccolta delle decisioni del Tribunale federale svizzero

Kassationshof in Strafsachen 6P.31/2003
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6P.31/2003 /kra

Urteil vom 8. August 2003
Kassationshof

Bundesrichter Schneider, Präsident,
Bundesrichter Karlen, Ersatzrichterin Pont Veuthey,
Gerichtsschreiberin Krauskopf.

X. ________,
Beschwerdeführer, vertreten durch Fürsprecher Dr.iur. René Müller, Postfach
160, 5201 Brugg AG,

gegen

Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, Frey-Herosé-Strasse 12, Wielandhaus,
5001 Aarau,
Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, Obere Vorstadt 38, 5000
Aarau.

Art. 32 Abs. 1 BV (Strafverfahren; Unschuldsvermutung),

Staatsrechtliche Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons
Aargau, 1. Strafkammer,
vom 12. Dezember 2002.

Sachverhalt:

A.
X. ________ (geb. 1948) wurde am 13. November 2001 vom Bezirksgericht Baden
des mehrfachen versuchten Betrugs, der mehrfachen Urkundenfälschung, der
versuchten Anstiftung zur Urkundenunterdrückung, der mehrfachen Veruntreuung,
des Betrugs, der mehrfachen ungetreuen Geschäftsbesorgung, der
Vernachlässigung von Unterhaltspflichten, der falschen Anschuldigung und des
unrechtmässigen Bezugs von Arbeitslosengeldern schuldig befunden. Das
Bezirksgericht setzte das Strafmass auf 17 Monate Gefängnis bedingt und eine
Busse von Fr. 5'000.-- fest, teilweise als Zusatzstrafe zum Urteil der
Bezirksanwaltschaft Zürich vom 9. Januar 1998. Es widerrief den im
vorgenannten Urteil gewährten bedingten Strafvollzug einer Gefängnisstrafe
von 35 Tagen.

B.
Das Obergericht des Kantons Aargau sprach am 12. Dezember 2002 X.________ auf
dessen Berufung hin des Vorwurfs des versuchten Betrugs in Bezug auf einen
Tatvorwurf frei und wies im Übrigen die Berufung ab. In Gutheissung der
Berufung der Staatsanwaltschaft verweigerte es X.________ den bedingten
Strafvollzug für die ausgefällte Freiheitsstrafe von 17 Monaten Gefängnis.

C.
X.________ führt staatsrechtliche Beschwerde mit dem Antrag, das Urteil des
Obergerichts sei, soweit es den bedingten Strafvollzug verweigere,
aufzuheben, und die Sache sei zu neuer Entscheidung an das Obergericht
zurückzuweisen.

Mit Beschluss des Kassationshofs des Bundesgerichts vom 15. April 2003 wurde
sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege abgewiesen.

Das Obergericht beantragt in seiner Vernehmlassung Abweisung der Beschwerde.

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von Art. 32 Abs. 1 BV geltend. Das
Obergericht habe sich einzig auf ein vor dem Bezirksgericht Zürich gegen ihn
hängiges Verfahren berufen, um das Vorliegen einer günstigen Prognose zu
verneinen. Es liege bezüglich dieses Verfahrens kein rechtskräftiges
Strafurteil vor, weshalb dessen Einbezug in das Verfahren im Kanton Aargau
gegen die Unschuldsvermutung verstosse. Das Obergericht habe daraus sich
ergebende Tatsachen in einer die Unschuldsvermutung verletzenden Weise
gewürdigt.

1.1 Gemäss der aus Art. 32 Abs. 1 BV fliessenden Maxime "in dubio pro reo"
ist bis zum gesetzlichen Nachweis seiner Schuld zu vermuten, dass der wegen
einer strafbaren Handlung Angeklagte unschuldig ist. Als Beweislastregel
bedeutet die Maxime, dass es Sache der Anklagebehörde ist, die Schuld des
Angeklagten zu beweisen, und nicht dieser seine Unschuld nachweisen muss. Die
Maxime ist verletzt, wenn der Strafrichter einen Angeklagten mit der
Begründung verurteilt, er habe seine Unschuld nicht nachgewiesen. Als
Beweiswürdigungsregel besagt die Maxime, dass sich der Strafrichter nicht von
der Existenz eines für den Angeklagten ungünstigen Sachverhalts überzeugt
erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung Zweifel bestehen, ob sich der
Sachverhalt so verwirklicht hat. Die Beweiswürdigungsregel ist verletzt, wenn
der Strafrichter an der Schuld des Angeklagten hätte zweifeln müssen. Ob die
Beweislastregel verletzt worden ist, prüft das Bundesgericht unter dem
Gesichtswinkel der Willkür. Willkür in der Beweiswürdigung liegt vor, wenn
die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die zur tatsächlichen
Situation in klarem Widerspruch stehen, auf einem offenkundigen Fehler
beruhen oder in stossender Weise dem Gerechtigkeitsgedanken zuwiderlaufen
(BGE 127 I 38 E. 2a S. 41; 125 II 10 E. 3a S. 15, 129 E. 5b S. 134).

1.2 Das Obergericht weist zunächst auf den langen Deliktszeitraum hin,
während dessen die Verübung von Vermögensdelikten für den Beschwerdeführer
ein Instrument zur Finanzierung seines sehr hohen Lebensstandards geworden
war. Weiter hätten ihn weder eine in Zürich bedingt ausgesprochene Strafe von
35 Tagen im Jahre 1998 noch eine 1995 ergangene Verurteilung in Deutschland
von weiterer Delinquenz abgehalten. Er habe sogar während laufendem
Strafverfahren seine deliktische Tätigkeit unbeirrt fortgesetzt. Er habe sich
auch über Zivilurteile, die seine Unterstützungspflicht festlegten,
hinweggesetzt. Er habe deren Zwangsvollstreckung vereitelt, obwohl sein
luxuriöser Lebensstil an seiner Zahlungsfähigkeit keine Zweifel gelassen
habe. Der Beschwerdeführer habe sich trotz Schulden in Millionenhöhe
weiterhin einen sehr hohen Lebensstandard geleistet und es unterlassen, seine
Schulden zu sanieren. Von einer inneren Umkehr könne nicht gesprochen werden.
Der dreimaligen Untersuchungshaft sowie dem Widerruf einer Gefängnisstrafe
von 35 Tagen komme zwar eine gewisse Warnwirkung zu. Die Tatumstände, die
mangelnde Einsicht in die Verwerflichkeit der Verfehlung und das treuwidrige
Verhalten im hängigen Verfahren stünden einer günstigen Prognose jedoch im
Wege.

1.3 Das Obergericht berücksichtigt das hängige Verfahren vor dem
Bezirksgericht Zürich lediglich als zusätzliches Element. Es verweigert den
bedingten Strafvollzug nicht, weil der Beschwerdeführer seine Unschuld im
hängigen Verfahren nicht bewiesen habe. Das Obergericht weist ausdrücklich
darauf hin, dass im neuen Verfahren nicht von einer rechtskräftigen
Verurteilung ausgegangen werden könne. Das Obergericht durfte aber ohne
Willkür die vom Beschwerdeführer im hängigen Verfahren anerkannten Tatsachen
in seine Gesamtwürdigung einbeziehen. Insbesondere durfte es berücksichtigen,
dass der Beschwerdeführer erneut einen grossen Geldbetrag (Fr. 750'000.--)
von einer hochbetagten Frau ausgeliehen hatte und diesen bei Fälligkeit nicht
zurückerstattete. Dieses Verhalten zeigt, dass der Beschwerdeführer trotz
seines relativ hohen monatlichen Einkommens (Fr. 20'000.-- bis Fr.
25'000.--), das er gemäss seinen eigenen Angaben bereits im Zeitpunkt der
Gewährung des betreffenden Darlehens erzielte, nicht in der Lage ist, seinen
Lebensstandard zu finanzieren oder diesen seiner finanziellen Lage
anzupassen.

Das Obergericht hält fest und der Beschwerdeführer bestreitet nicht, dass
seine Delinquenz auf seine Neigung zu einem luxuriösen Lebensstil
zurückzuführen ist. Insofern ist es auch im Ergebnis nicht willkürlich, unter
Einbezug der im neuen Strafverfahren unbestrittenen Tatsachen darauf zu
schliessen, dass von einer inneren Umkehr nicht gesprochen werden könne und
der Beschwerdeführer auch in Zukunft seiner Neigung zum schwelgerischen
Lebensstil nicht gewachsen sein werde. Im Übrigen ist es nicht willkürlich,
angesichts der finanziellen Lage des Beschwerdeführers, die
unbestrittenermassen prekär ist, zu schliessen, dass er das Darlehen von Fr.
750'000.-- erhalten habe, ohne über seine Schuldenlast wahrheitsgetreu
Auskunft gegeben zu haben.

2.
Die Beschwerde ist demnach unbegründet und daher abzuweisen. Da der
Beschwerdeführer unterliegt, sind ihm die Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art.
156 Abs. 1 OG).

Demnach erkennt das Bundesgericht:

1.
Die Beschwerde wird abgewiesen.

2.
Die Gerichtsgebühr von Fr. 2'000.-- wird dem Beschwerdeführer auferlegt.

3.
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons
Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, 1. Strafkammer, schriftlich
mitgeteilt.

Lausanne, 8. August 2003

Im Namen des Kassationshofes
des Schweizerischen Bundesgerichts

Der Präsident:  Die Gerichtsschreiberin: